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Marlene

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Welche Gefühle waren besonders signifikant vor dem Ein­satz?

Besonders in Erinnerung ist mir unser gutes Verhältnis geblieben. Er war immer sehr humorvoll und diese Art steckte alle in seiner Umgebung an.

Welche Gefühle waren besonders signifikant während des Einsatz?

Während des Einsatzes war ich natürlich mehr als nur besorgt. Ich hatte eine wahnsinnige Angst um mein Kind. Besonders hatte ich Furcht, ihn zu verlieren. Auch er hatte sich verändert. Er wirkte bei unseren Telefonaten sehr distanziert. Selbst in den Briefen, die er uns schrieb, wirkte er, als würde er wie ein Reporter berichten, nicht wie mein Sohn.

Welche Gefühle waren besonders signifikant nach dem Ein­satz?

Endlich kam er aus dem Einsatz zurück, aber Harald war nicht mehr mein Sohn. So hatte ich zumindest das Gefühl. Natürlich sah er noch aus wie Harald, wie der Feldwebel, mein Sohn, den ich verabschiedet hatte, doch war er mir fremd geworden. Für ganz lange Zeit bin ich an meinen eigenen Sohn nicht herangekommen, bis zu dem Tag, als er einen emotionalen Zusammenbruch erlitt. Seitdem kann er zumindest ansatzweise über das Erlebte spre­chen.

Gab es besondere Rituale vor dem Einsatz?

Da er weit von der Heimat stationiert war, war er immer nur am Wochenende zuhause, wo wir ihn auch gesehen hatten. Zumindest immer zum Essen. Im Laufe der Zeit hat es sich eingebürgert, dass ich für die ganze Familie gekocht habe. Diese kleinen, wö­chentlichen Familientreffen habe ich immer sehr genossen und sie sind zu einem festen Ritual geworden.

Gab es besondere Rituale während des Einsatz?

Als er dann in Afghanistan war, hatten wir keine festen Rituale. Klar, die Briefe und die Telefonate waren schon ein wichtiger Halt für uns, trotzdem war es sehr unregelmäßig und würden daher wahrscheinlich eher weniger als Ritual zählen. Jedoch betete ich jeden Abend. Ich flehte darum, dass Harald gesund aus dem Ein­satz zurückkehren würde. Dieses Beten tat mir sehr gut und gab mir das Gefühl, dass ich etwas, aus Deutschland heraus, für sein Wohlbefinden unternehmen konnte.

Gab es besondere Rituale nach dem Einsatz?

Unsere Gespräche waren nach dem Einsatz zu einem festen Ritual geworden. Das dauerte aber, da er ja erst ein distanziertes Ver­hältnis zu mir hatte und später dann den Zusammenbruch erlitt. Zum Glück haben wir diese Gewohnheit dann aber gefunden, da­durch habe ich zumindest das Gefühl, dass wir uns näherstehen, als je zuvor.

Welche Momente sind dir besonders in Erinnerung ge­blieben und warum?

Besonders in Erinnerung ist mir der Zusammenbruch meines Soh­nes geblieben. Ich war noch nie so verzweifelt. Ich wollte ihm hel­fen, ihm sein Leid abnehmen, wie es eine Mutter nun einmal möchte, für das eigene Kind. Doch ich konnte nichts machen. Die­sen Weg musste er alleine gehen. Ich konnte immer nur warten und darauf hoffen, dass er meine helfende Hand irgendwann an­nehmen würde. Zum Glück hat er das getan. Denn die Zeit, die ich jetzt mit ihm habe, ist sehr wertvoll, für uns beide.

Welche Probleme sind während des Einsatz aufgetaucht?

Ein Problem war tatsächlich die Angst um ihn. Sie hat mich teilwei­se gelähmt. Manchmal so schlimm, dass es mir kaum möglich war, meinen normalen Tagesablauf nachzugehen. Ein massives Problem war auch, dass Harald selbst ebenfalls Angst hatte. Nur konnte, beziehungsweise durfte, er auch über vieles nicht reden.

Haben sich auch positive Momente während des Einsatz er­geben?

Hauptsächlich waren unsere positiven Momente jene, in denen wir telefonieren konnten und ich Gewissheit hatte, dass es ihm gut ging.

Wie hast du die Betreuung empfunden? Hast du dich gut in­formiert und vorbereitet gefühlt? Gab es Situationen, die du bemängelst, oder besonders gut gefunden hast?

Es gab zwar ein sehr umfassendes Betreuungsangebot, dieses habe ich allerdings nicht genutzt. In meinem Freundeskreis waren ebenfalls zwei Soldatenmütter, mit denen ich mich ausgetauscht hatte. Ich empfand es als ausreichend und habe mich bei ihnen sehr wohl gefühlt. Daher kann ich zu dem bundeswehrinternen Be­treuungsangebot nicht viel sagen.

Wie ist dein Umfeld mit der Situation umgegangen? Wie waren die Reaktionen vor, während und nach dem Einsatz?

In meinem Umfeld sind die Leute eher mit Unverständnis und ei­ner Selbstverständlichkeit an mich herangetreten. Zumindest die­jenigen, die mit der Bundeswehr selbst nichts zu tun hatten. So habe ich oft bemerkt, dass sehr viele Menschen den Beruf des Sol­daten ansehen, als sei es ein Job wie jeder andere auch. Sie nehmen Einsätze und auch die Aufopferung des Lebens unserer Männer, oder Söhne, für selbstverständlich hin. Nur ganz wenige, so habe ich die Erfahrung gemacht, sind in der Lage, die Sorgen der Ange­hörigen zu verstehen.

Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du man­che Sachen anders machen und wenn ja oder nein, wieso?

Ich bin hin und her gerissen zwischen Dankbarkeit und Respekt vor jedem Soldaten. Ich bin auch stolz auf meinen Sohn. Aber an­dererseits wäre es mir lieber gewesen, er hätte den Dienst an der Waffe verweigert und hätte Zivildienst im Krankenhaus gemacht. Ich hätte ihn da unterstützen sollen und uns allen wären viele, schmerzhafte Erfahrungen erspart geblieben. Ihm besonders. Al­lerdings muss uns ja irgendjemand im Ernstfall verteidigen… Es ist eine Zwickmühle.

Was würdest du aus deinen persönlichen Erfahrungen her­aus anderen raten, die vor dem Einsatz stehen, mitten im Einsatz sind und wo der Einsatz gerade zu Ende gegangen ist?

Mein Rat an die Soldaten und deren Angehörige, die gerade vor ei­nem Einsatz stehen, ist, dass sie mit einander reden sollen. Ent­fremdet euch nicht.

Für diejenigen, die gerade mittendrin stecken: Haltet durch, die Zeit geht vorüber und danach braucht der Soldat ein Heim, wel­ches ihn auffängt.

Und an alle, die bereits den Einsatz hinter sich haben: Akzeptiert die Veränderung des Soldaten und begegnet ihm mit Verständnis und Liebe, in vielen Gesprächen und mit herzlichsten Umarmun­gen. Führt ihn langsam wieder an das normale Leben heran. Er wird es euch danken.

Zum Abschluss von mir für dich

Mein Sohn war immer sehr ehrgeizig, gradlinig, ehrlich und hatte viel Humor. Nach dem Einsatz kam er mir vor, wie ein nervliches, emotionales Wrack. Das tut mir als Mutter sehr weh. Er leidet bis heute an Schlafstörungen und Alpträumen, nimmt Antidepressiva und hat den Dienst quittiert. Er ist zwar inzwischen verheiratet und hat eine kleine Tochter, ist soweit zufrieden, denn er macht das Beste aus seinem Leben - soweit es geht mit posttrauma­tischem Belastungsstörungen. Aber der ehrgeizige, lebensfrohe, unbeschwerte Sohn, den ich einmal hatte, wurde mir genommen.

Ich würde heute jeder Mutter raten, ihrem Sohn zu einem anderen Beruf zu überreden.

Emotionale Fronten - Wenn die Seele im Einsatz ist

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