Читать книгу Seeteufel: Abenteuer aus meinem Leben - Graf von Felix Luckner - Страница 7

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Am Kopfende des Tisches war seltsamerweise ein Moskitonetz gespannt, darunter lagen zwei Kopfkissen. Eine Seitentür führte zu einer Treppe, die nach der Mansardenwohnung hinaufging.

Der Mann wollte nun ein Metermaß holen, wie er sagte, zum Anmessen des neuen Anzugs. Allright, sage ich.

Er geht die Treppe hinauf und ich setze mich neben die Tür auf einen Koffer. Wie ich sitze, da gewahre ich unter dem Tisch zwei lange Kisten, groß und schmal mit starken Verschlüssen auf beiden Seiten. Ich sage mir: »Menschenskind, das kommt mir unheimlich vor. Wenn du nur nicht in eine solche Kiste gerätst.« Ich verließ mich aber auf meine Kräfte, hatte ja auch boxen gelernt. Da kam der Fremde wieder herunter, hatte ein Maß, sprach mit mir und fing an, am Arm zu messen, seltsamerweise von unten nach oben, und sagte: »Thirty«. Wiederholte es, murmelte noch einmal Zahlen, drehte mich herum, klappte mir den Rock über den Rücken herunter, so daß meine Arme behindert waren. Er sagt, die Beleuchtung wäre ungünstig, und schiebt mich so, daß ich mit dem Rücken gegen die äußere Tür stehe. Ich höre aber am Knirschen des Sandes, daß sich da einer hinter der Tür bewegt.

In diesem Augenblick sehe ich am Fußende des Tisches auf dem Boden eine Menge altes Zeug liegen, das Seeleuten gehören mochte, unordentlich hingeworfen. Da kriege ich wieder Mut und denke: es mag doch mit dem Anzug stimmen.

Er nimmt wieder Maß und schnallt dabei den Gürtel auf, legt ihn zusammen mit meiner leeren Messerscheide auf den Tisch. Ich denke: du hast doch ein Messer darin gehabt, hast noch dem Koch Kartoffeln schälen helfen; solltest du es haben liegen lassen? Wie ich noch umhersehe, gewahre ich auf dem Fensterbrett zwischen leeren Flaschen zu meinem Entsetzen einen abgeschnittenen menschlichen Daumen, an dem noch eine lange Sehne hing.

Gerade habe ich noch Zeit zum Luftholen, der Mann wollte mir eben das Beinkleid öffnen, dann hätte ich mich nicht mehr rühren können. Ich schiebe den Rock wieder hoch, ergreife meine Milchdose und Messerscheide vom Tisch, werfe den Kerl mit einem wuchtigen Stoße beiseite, gebe der ersten besten Tür einen Tritt, daß sie aufspringt, und rufe draußen aus Leibeskräften: »Nauke!«

Nauke kommt kauend an, ich kriege ihn zu fassen, laufe in die Plantage und werfe mich mit ihm zwischen die Rohre.

Er fragt: »Was ist denn los?«

»Ja Nauke, wenn ich das wüßte.«

Ein Pfiff ertönt, Pferdegalopp, und etwa vier Menschen laufen zu Fuß hinterdrein. Sie vermuteten uns auf dem Weg, den wir hergekommen waren. Wir liefen aber am Haus vorbei nach der entgegengesetzten Richtung und kamen nach längerem Umherirren wieder in Honolulu an den Strandweg. Ich erzählte alles einem Polizisten. Der zuckte mit den Achseln. Wenn er ausfindig machen sollte, wie oft hier Seeleute verschwänden, müßte eine ganz andere Organisation erst neu geschaffen werden. Wir erzählten es dem Kapitän, der sagte aber: »Sie hätten euch ruhig das Jack vertobacken sollen, was treibt ihr euch auch draußen herum?«

Wir Kameraden verabredeten, am nächsten Sonntag die Bude in der Plantage zu stürmen, und legten uns allerlei Waffen dafür zurecht. Aber am Freitag kam der Befehl: Quarantäne! Da war eine ansteckende Krankheit ausgebrochen.

So blieb für mich das Rätsel dieses Erlebnisses bis heute ungelöst wie ein wirrer Traum. Ich weiß nicht, ob einer meiner Leser über den Schlüssel des Verständnisses verfügt.

Das Messer hatte ich übrigens tatsächlich beim Koch liegen lassen.

So war alles ganz klug eingefädelt: Nauke bekam als der Schwächere den Pudding. Erst sollte ich allein abgefertigt werden. Ein älterer Herr, der Honolulu gut kannte, erzählte mir später, daß schon viele Seeleute verschwunden wären, aber ein so genauer Bericht, wie der meinige, war ihm noch nie bekannt geworden. Vielleicht haben alle anderen, die in jenes Haus kamen, keine Gelegenheit mehr gehabt, zu berichten.

Ich sollte noch eine sehr peinliche Erfahrung durchmachen, bevor mein brennender Drang, neue Berufe kennenzulernen, sich endgültig legte. Ein Freund vom Schiff, August H., ein Neffe des berühmten Schäfers Ast, aus Winsen an der Luhe, heckte einen Plan aus, an dem ich großen Gefallen fand. Der Leser wird dem, was ich jetzt zu berichten habe, nur mit Kopfschütteln folgen, auch wenn er bedenkt, daß ich noch in dem Alter stand, welches Schülerstreichen eine gewisse Straflosigkeit verleiht, und wenn man hinzurechnet, daß meine Erziehung doch stark aus den Fugen gegangen war und das Herumschweifen unter immer neuen Menschen und Völkern zur Festigung der moralischen Begriffe nicht gerade beitragen konnte. Bei der Erinnerung an jene Tage kecken Schiffsraubs ist klar, daß nicht nur äußere, sondern auch innere Gefahren meine Entwicklung bedroht haben, und daß ich dem Geschick danken muß, das mich durch diese verschlungenen Pfade doch nach oben geführt hat.

Also, mein Freund August und ich fanden es notwendig, einmal aus der abhängigen Stellung an Bord hinüberzuwechseln zu einem selbständigen Beruf, bei dem wir unser eigener Herr waren. Als Ideal erschien uns diesmal das Fischerleben. Die Fische wollten wir schon besorgen, aber es fehlte uns zunächst an einem dazugehörigen Fahrzeug. Es ist keine Fischerei so ergiebig wie bei Vancouver. Ferner mußte ich ein Gewehr haben. Wir wollten heute ein bischen fischen und morgen ein bischen jagen und zugleich ein Schiff haben, damit wir uns sagen konnten, wir hätten eine Heimat. Ein Gastwirt an Land, ein Stettiner, der uns viel von den Rocky Mountains erzählte, hatte uns auch ein Gewehr gezeigt, zwölfschüssig, System »Winchester Rifle«. Er sagte, daß es für drei Dollar zu bekommen wäre. Es stand fest, daß wir ein »Winchester Rifle« haben mußten. Bald waren wir glückliche Besitzer; das Gewehr wurde an Bord versteckt. Wenn wir dann im Schiff den Rost zu klopfen hatten, machten wir beim Schein der Petroleumfunzel in der Vorpik die phantastischsten Pläne. Wir kamen auf die Idee, in dem Fischerdorf Modeville eines der Segelboote an uns zu nehmen, dann hätten wir eine Heimat, könnten Fische fangen und hinfahren, wo wir hinwollten. Wir hielten uns den ganzen Abend in Modeville auf; man sah die Lagerfeuer der Eingeborenen, die Halbindianer sind. Ich bekam Angst, weil die Hunde so kläfften. Kleine Boote lagen am Ufer, wir nahmen eins, steuerten ein Segelboot an, gingen leise hinauf und kappten einfach den Anker; das Segel hatten wir schon losgemacht, es war zum Trocknen nur leicht befestigt. Da nur wenig Wind war, trieben wir ganz langsam vom Land ab. Kaum sind wir in Bewegung und haben das Segel gerade hoch, da sieht es einer vom Land und glaubt, das Boot treibe ab. Sie machen ein Boot klar, eilen sich noch gar nicht, denn das nur halb geheißte Segel war ihnen nicht verdächtig. Da reißen wir noch einmal an der Gaffel, und das sehen sie. Sie kommen immer näher. Was machen? Da endlich kommt das Boot aus dem Lee der hohen Berge frei, und wir erhalten Wind. Ausgerissen sind wir wie der Teufel. Da schossen sie an Land, aber wir sind glücklich durchgekommen und die ganze Nacht gefahren nach Seattle herunter. Da liegt ein deutsches Segelschiff, das außenbords gemalt wird. Wir kommen vorbei und bitten um Schwarzbrot, Schiffszwieback und weiße Farbe. Mit der Farbe haben wir das Boot weiß gestrichen und dann Fischerei getrieben. Aber wir waren doch Zugvögel, die nicht an einem Platz bleiben konnten. Nach kurzer Zeit hatten wir vom Fischen genug und wollten das Boot heimlich wieder nach Modeville zurückbringen. Dabei wurden wir entdeckt und als jugendliche Übeltäter vors Fürsorgegericht gebracht. Die Taugenichtse wurden noch glimpflich behandelt und ein paar Wochen unter Aufsicht gestellt. Wenn die Engländer freilich gewußt hätten, daß sich mit diesem Schiffemausen ein Talent für später regte, so hätten sie die Fürsorgeerziehung wohl über den Weltkrieg hinweg ausgedehnt.


Phylax Lüdicke.

Seeteufel: Abenteuer aus meinem Leben

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