Читать книгу Seeteufel: Abenteuer aus meinem Leben - Graf von Felix Luckner - Страница 8

Drittes Kapitel.
Als Matrose rund um die Welt.

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

Nach diesen bösen Erfahrungen zog es mich wieder nach der Heimat. Darum musterte ich auf dem englischen Viermaster »Pinmore« an. Auf ihr habe ich nun die längste ununterbrochene Seereise meines Lebens gemacht, 285 Tage von San Franzisko bis nach Liverpool. Wir hatten lange stillgelegen und wurden dann bei Kap Horn durch viele Stürme aufgehalten. Das Unangenehme war, daß wir nur für 180 Tage Rationen mithatten und auch das Wasser knapp und brackig wurde, da die Wellen in die Wassertanks eingedrungen waren. So starben unterwegs sechs Mann an Skorbut und Beriberi. Die Krankheit ging so weit, daß die Beine und der Unterkörper wässerig anschwollen und beim Druck darauf die Druckstelle nicht mehr zurückging. Wir fuhren nur mit Sturmsegel, weil keiner von uns mehr imstande war, in die Takelage zu gehen. Wir lebten von halben Rationen.


»... Es war, als ob der Teufel auf ›Pinmore‹ wäre.«

Es war, als ob der Teufel auf dem Schiffe wäre. Kein Schiff, das wir um Proviant hätten bitten können, begegnete uns auf dieser Fahrt. Keine der Regenböen, die wir in der Ferne vorüberziehen sahen, senkte sich auf uns nieder, um Wasser zu spenden. Als wir vor England auf der Höhe der Scillys waren, wurde die letzte Portion Erbsen ausgegeben, und als im Sankt Georgskanal der Schlepper kam, schrien wir alle: »Wasser, Wasser!« Wenn man jetzt auch so viel trank, daß man sich übergeben mußte, der Durst war nicht im mindesten gelöscht, so ausgedörrt war der Körper. So verließ ich die »Pinmore«; unter welch eigentümlichen Umständen ich sie als Pirat wieder betreten sollte, werde ich später erzählen.

Nach vierzehntägigem Lazarettaufenthalt ging es per Bahn nach Grimsby, von da mit einem Wochendampfer nach Hamburg. Ich hatte gut verdient und an die tausend Mark Erspartes mitgebracht. Die ließ ich mir in Silber einwechseln, um recht viel zu haben.

Stolz schlenderte ich als Vollmatrose durch die Stadt. Es war Dezember, die Zeit des Hamburger »Doms«, an welchem Volksbelustigungen aller Art stattfinden.

Da war auch Lipstulian, der Ringkämpfer, 50 Mark waren ausgesetzt, für den, welcher ihn würfe.

Die Kameraden sagten: »Mensch, das laß dir doch nicht zweimal sagen, du schmeißt doch den Kerl.«

»Das mache ich nicht,« meinte ich, »wir sind doch in Hamburg.«

Aber Lipstulian rief: »Mensch, bring di en Büdel (Beutel) mit, dat du din Knoken da drin wedder nah Hus nehmen kannst.«

Diese Äußerung fasse ich doch als Beleidigung auf und steige aufs Podium. Der Ausschreier ruft: »Hereinspaziert, meine Herrschaften, das Opfer hat sich gefunden.« Lipstulian läuft wie ein Stier auf und ab.

Meinen Geldbeutel hatte ich unserem Segelmacher zur Aufbewahrung gegeben.

Ich werde in eine kleine Bude geführt, bekomme ein rot und weiß gestreiftes Hemd an und einen Gürtel.

Das Zelt füllt sich. Man hatte das Eintrittsgeld rasch erhöht.

Wie ich auf das Podium herauskomme, schaut Lipstulian meine Arme an und wird stiller. Der Ausrufer verkündigt: »Noch sind es Freunde, noch reichen sie sich die Hand.« Dann ging es los. Es war aber kein technischer Ringkampf, sondern lediglich eine Kraftprobe. Er will mich zu sich heranziehen und überkippen, als ich noch dastehe, bevor das Zeichen gegeben war. Da wurde ich wütend. Es ging immer abwechselnd mit dem Angriff. Ich setzte an, konnte ihn aber nicht lüften. Die Leute riefen: »Du bist doch ein Hamburger, du mußt doch den Kerl kriegen!« Ein Schiffsmaat setzte noch 50 Mark, wenn ich ihn runterbrächte. Beim dritten Male ziehe ich ihn hoch, drehe ihn herum, er will sich mit dem Fuß gegen eine Zeltstütze halten, rutscht aber dabei aus. Ich werfe ihn, er liegt auf dem Boden. Da behauptet der Ausschreier, ich hätte ihn nicht auf dem Rücken gehabt. Aber da bewegte sich das Zelt geradezu in Diagonalen vor Empörung des Publikums. Man bezahlte mich in Silber, gab mir aber nur 20 Mark statt der vereinbarten 50. Ich sollte darüber kein Aufsehen erregen, wurde von den Kameraden auf den Schultern in eine der nächsten Zeltwirtschaften getragen und mußte hier feste als Sieger ausgeben.


Als »Meisterschaftsringer von St. Pauli«.

Das blieb mein einziges öffentliches Auftreten als Athlet. Aber die in Queensland erworbene Kraft habe ich mir auch später durch Übungen zu erhalten gesucht und ihr verdanke ich es, daß ich kürzlich in Düsternbrook, selbst unbewaffnet und allein, zwei Straßenräuber, die mich mit zwei Parabellumpistolen und einem Totschläger anfielen, entwaffnen und niederschlagen konnte. Bei der bedauerlichen Unsicherheit, die sich in Deutschland verbreitet hat, kann ich wenigstens diesen Teil meiner ungewöhnlichen Erziehung zur allgemeinen Einführung empfehlen.

Nach vierzehntägigem Landaufenthalte musterte ich an Bord der »Cäsarea« an; das war mein erstes deutsches Schiff.


»... musterte ich an Bord der ›Cäsarea‹ an.« (× Phylax Lüdicke.)

Freund Nauke kam mit. Die Reise ging wieder nach Australien, und zwar nach Melbourne mit einer Ladung Stückgüter. Der Kapitän war in vielem tüchtig, aber ein Genie an Knickrigkeit, und der Koch arbeitete in seinem Sinn und unterstützte ihn, indem er uns mangelhaft verpflegte. Der Schiffskoch heißt in der Schiffssprache »Smutje«, d. h. Schmierlappen.

Ich sitze eines Tages im Top auf der Bramrahe und denke an gar nichts, und Smutje hantiert in der Kombüse unten und pfeift das Lied: »Mein Herz, das ist ein Bienenhaus« so recht süß und selig vor sich hin. Da auf einmal werden zwei Arme sichtbar und zwischen ihnen ein Tablett. Was schiebt der Smutje denn da aus der Kombüse heraus auf das Dach? Ich traue meinen Augen nicht, ein ganzes Tablett voll Pfannkuchen.

Was? denk ich, Pannkauken auf hoher See, tausend Meilen ab vom Land, frisch und warm ...

Die schrien mich ja ordentlich an. Ich von oben herabgerutscht, rangeschlichen, die Pannkauken in die offene Brust gestopft ... was war das heiß, aber einerlei ... und wieder auf den Mast zu meinem Platz. Ich verbrannte mir das Fell, aber was tat das. Vierzehn Pannkauken, was ist das für ein Genuß.

Smutje flötet immer weiter. Na, du wirst schon merken, was dein Herz für ein Bienenhaus ist!

Nach einer Weile greift Smutje mit einem sicheren Griff herauf nach den inzwischen genügend gekühlten Kuchen, ganz vorsichtig, damit bloß kein Pfannkuchen herausfällt ... Man hört einen langen Durchreißerauspfiff und dann den erstickten Schrei: »Min Pannkauken ...«

Er geht auf das Kombüsenhaus, in der Meinung, daß sie vielleicht durch das Rollen des Schiffes aus dem Tablett gerutscht seien. Auch das nicht! So ein Spitzbubenpack, verdammtes!

Ich rufe von oben herunter: »Wer ist hier Spitzbubenpack?«

»Daß du dat nich west bist, Filax (so wurde ich an Bord genannt), dat könnt mi mine fief Sinn’n seggen.«

»Dat will ik meinen,« rief ich beruhigt zurück.

Als die Wache beendet war und ich vom Mast herunter kam an der Kombüse vorbei, ruft mich Smutje: »Filax!«

»Wat is los?« sag’ ich.

»Ik will di wat seggen: de eenzigste ehrliche Kirl hier an Bord büst du!«

»Dat weet ik! wat is los?«

»Ik will di wat seggen, Filax. Ik bün vun Natur en upmerksamen Minsch, dat weetst du (das Gegenteil war richtig), un hüt hett de Kaptein Geburtsdag, ik hev em ’n poor Pannkauken backt, du weetst jo, ik bün de eenzige Minsch, de em wat schenken kann, un da is so en Lump west, de klaut mi alle vertein weg.«

»Gott,« sag’ ich, »vertein Pannkauken?!«

»Un wenn du mi versprechen deist, den Kirl utfindig to maken, denn gah hen un fret dat Preißelbeerkompott. Dat hett doch keen Zweck mehr för mi.«

Während ich das Kompott ausschlecke (das war gerade so ein feiner Happen), frage ich, wie ich das machen solle, den Kerl herauszusuchen?

»Jo,« meint er, »du möst tosehn, wer nich to Middag fret, wer keen Apptit hett, de is de Lump.«

Nach dem Mittag kommt er auf mich zu: »Hest em funnen?«

»Ne, de hebbt all freten.«

»Awwer du krigst em rut?«

»Man en beten töwen (warten), ik krig em rut.«

Mit der Zeit beruhigte Smutje sich. Eineinhalb Jahre später wurden wir in Liverpool abgemustert. Da lädt er mich zu einer Painexpeller (Bittern) ein; wir wollten den Abschied feiern. Nun rührte mich doch das Gewissen und ich sagte ihm Bescheid. Er hatte gerade zwei Glas bezahlt, die standen eingegossen vor uns.

»Ik weet, Smutje, wer de Kirl west is, de di din Pannkauken opfreten hett. Wi gaht jetzt utenanner, do möt ik di ’t seggen: Ik bün dat west.«

»Büst du dat west?« guckte er mich groß an, machte kehrt, ließ die beiden Bittern stehen und hat mich nicht wieder angeblickt.

Die beiden Gläser konnte ich natürlich nicht stehen lassen, und mußte sie beide selber austrinken.

Nach langen Jahren hat sich Smutje mit mir übrigens wieder versöhnt. Ich traf ihn einmal in Hamburg, als ich eben im Begriff war, ein Auto zu besteigen, um zu einer Abendgesellschaft zu fahren. Auf einmal ruft mich jemand »Filax« an. Ich sehe mich um und erkenne meinen Smutje.

»Hallo, Filax, Minsch, so fein in Tüg? Büst du bi de Marin? Un damals harst du kee heile Büx an ’n Lief.«

Ich gab die Gesellschaft auf, um den Abend mit meinem wiedergefundenen Smutje zu verleben, nahm ihn mit mir ins Hotel Atlantik, wo ich ihn zu einer Flasche Champagner einlud, um das Wiedersehen zu feiern. Als der Kellner den Sekt aufträgt, will Smutje gleich mit dem Kellner anbändeln. Als dieser mich aber nach meinen Wünschen fragte und mich dabei mit meinem wirklichen Namen anredete, ging ein Strahl der Verklärung über Smutjes Gesicht. Der Zusammenhang meiner Laufbahn war ihm zwar im Augenblick noch dunkel. Als ich ihm aber auf seine Frage: »Filax, büst du denn en wirklichen Grof?« antwortete, daß ich einer sei, sagte er: »Na, denn kann ik ja stolz up sin, dat mi en Grof de Pannkauken klaut hett!«

Da war noch eine andere Geschichte mit Smutje passiert, als wir mit der »Cäsarea« in Melbourne waren. Der Kapitän hatte den deutschen Konsul eingeladen und sagte zu Smutje: »Wir geben ein Diner.«

»Dat könt wi jo don, Kaptein.«

»Awwer wie möten wat Ornlichs gewen, de Konsul kümmt.«

Smutje setzte sich sofort aufs hohe Pferd. Bei solchen Anlässen kann er alles.

»Aber,« meint der Kapitän weiter, »wir wollen doch nicht so teure Ausgaben machen.«

»Jo, Kaptein, denn gewen wi Aantjes (Enten), dat is doch so wat Good’s, un kost nich veel hier an Land.«

»Awwer,« meint der Kapitän, »dat is doch so ’ne Sak. Denn denken de Lud, ik harr Geburtstag un se kreegen Aantjesbraten.«

»Dat laten Se man min Sorg sin, Kaptein, ik koop de Aantjes in ’n Sack.«

Wie Nauke, der Schiffsjunge, das hört, wickelt er mich in das erlauschte Geheimnis ein.

Da höre ich, wie der Kapitän den ersten Steuermann einlädt: »Ich lad Sie zum Diner ein.«

»Dank schön, Kaptein, dank schön.«

»Awwer de Kragen umbinnen, de Konsul kümmt.«

»Dank schön, Kaptein,« sagte der Erste, und streicht schmunzelnd den Bart. Dann geht der Kapitän zum zweiten Steuermann. »Ich lad Sie ein, heut abend um acht Uhr, der Konsul kommt.«

»Dank schön, Kaptein,« sagte der Zweite und wischt schmunzelnd den Handrücken längs des Bartes.

Es war ein Sonnabend. Ich sehe die Enten da, wie sie in die Pfanne gebracht werden. Ich sitze an der Luke und setze einen Flicken auf meine Hose, tue, als ob ich nichts weiter vorhabe, beobachte heimlich die Enten, die jetzt gerade mit Pflaumen und Äpfeln gefüllt werden (das mag ich ja so gern), und warte nur auf den Augenblick, wo Smutje nach achtern geht und Zutaten holt.

Ich ahne gar nicht, daß der Kapitän auf der Brücke sitzt, die Zeitung liest und dabei die Enten unter Auge hält. Er hat ein Loch in die Zeitung gebohrt und peilt dadurch auf die Enten.

Mich konnte er nicht gewahren, weil Kapitän, Mast und ich in einer Peilung stehen, aber da sieht er die überstehende Hose, an der ich flicke, und auf einmal fliegt mir ein Lukenkeil ins Genick: »Du Spitzbube, du riechst wohl Heimatklänge? Hast dir die Büx zum Einpacken gleich mitgebracht. Aber töw man!«

Ich verließ also meinen Platz und brummte: »Ich brauche Ihre Enten nicht, ich habe mehr Enten gegessen in meinem Leben wie Sie.« Dieser Angriff war abgeschlagen.

Abends kommt der Konsul. Der Kapitän empfängt ihn. Man hat sich fein gemacht zum Diner, Wäsche angezogen und so weiter, die Nägel geputzt. Der Konsul wird in die Kajüte gebracht. Er ist der einzige, der eine Serviette bekommt. Nauke und ich hatten uns auf den Lichtschacht gesetzt und guckten zu, wie da die drei Enten auf dem Tisch lagen. Wir hatten uns schon einen Bootshaken mitgebracht für den Augenblick, wo sich der Konsul verabschiedete, und ordentlich Tabak für die Zwischenzeit und warteten und hörten zu.

Der Kapitän aß recht wenig und infolgedessen hielten sich auch die Steuerleute zurück. Sie wurden überhaupt nicht gewahr, daß die Enten gefüllt sind mit Plum und Appels.

Als sie fertig sind, werden die Enten nicht weggenommen. Smutje will sie zwar abholen, aber der Kapitän winkt ihm ab. Wie der Konsul geht und der Kapitän ihn hinausbringen muß, läßt dieser mißtrauische Geizkragen erst die Steuerleute aus dem Raum gehen; sie hätten sich sonst am Ende eine Keule von dem Vogel herunterreißen mögen. Der Kapitän befiehlt nunmehr Smutje, er solle die Enten in die Pantry[5] setzen. Da ging uns ein Licht auf!

Also der Konsul ging von Bord und der Kapitän sagte: »Na, gute Nacht, erster Steuermann, hoffentlich ordentlich satt geworden!«

»Dank schön, Kaptein,« war die etwas zweifelnde Antwort.

Ebenso der Zweite.

Nach einer Weile wird’s still.

Nun auf zur Pantry! Da konnten wir ja von Deck aus durch das Bullauge[6] hineinlangen.

Wir warteten, bis alles zu Bett war, Smutje war nach vorn gegangen, dann greife ich rein ins Bullauge.

Richtig: Ich hab’ einen Vogel.

Ich taste ihn ab, hole mir erst mal die Füllung raus, ahne aber nicht, daß da in der Pantry der Kapitän drinsitzt und sich satt ißt. Ich lange also von oben runter, hole die Füllung raus und stecke sie in die Hosentasche, fühle auch, daß drinnen ein anderer, noch ganzer Vogel ist und nehme ihn weg.

Und als ich ihn halb hoch habe, da gewahrt das der Kapitän, wie der Vogel hochgeht, und schreit, eine halbe Keule zwischen den Zähnen, voll Entsetzen:

»Min Vagel!«

Er kriegt mich zu fassen und drückt mir den Arm runter. Ich konnte ja auch nichts sagen und mußte mich zusammenkneifen. Er rief: »Laß den Vogel los,« langt aus dem Spind ein besseres Tauwerk für Liebhaberknüpfarbeiten, bindet meinen Arm damit fest an den Messinggriff der Schublade, um heraus zu kommen und sich zu überzeugen, wer der Spitzbube ist. Nauke greift unterdessen in meine Hosentasche und holt die Füllung heraus, damit die nicht durch die bevorstehende Keile auch noch zerkloppt wird.

Der Kapitän kommt an. »Ach so, du, Filax! Du magst keine Enten, nicht? Aber Tauenden magst du!«, holt das dickste Tauende und haut auf meinen Ischiatikus.

An allen Gliedern hinkend schleiche ich mich schließlich nach vorn und rufe: »Nauke!« Er kommt an ... »Gib mir mal von der Füllung, Nauke!« Da hat der Kerl die Füllung aufgegessen. Na, so kaputt wie ich war, so kriegte ich doch einen Wutanfall, und Nauke bezog an diesem Abend noch ebensoviel Ischias, wie ich selbst.

Übrigens, Smutje ist doch mit dem Kapitän einmal auseinander gekommen wegen einiger Schinken, die wir heimlich aus der Kajüte herausbugsierten, während der Kapitän den Smutje in Verdacht hatte, daß er sie beiseite geschafft hätte. Schließlich war der Koch so gekränkt, daß er in Newcastle vom Schiff weglief.

Nun war kein Koch, kein Smutje da. Die Kameraden wurden gefragt, aber keiner von ihnen wollte Koch sein. Die Smutjes spielen sich im allgemeinen furchtbar auf als unentbehrliche Personen, als ob sie die einzigen wären, die ihr Fach verstehen. Dabei können sie zuweilen nicht viel mehr als Erbsensuppe kochen und allenfalls ein paar Pfannkuchen backen. Schließlich sagte der Kapitän: »Wenn eben keiner Koch sein will, dann muß ich einen kommandieren.« Er fragte mich: »Filax, kannst du Water koken?«

»Ja, Kaptein!«

»Dann rin in de Kombüs. Und wehe, wenn du die Arften (Erbsen) anbrennen läßt.«

Ich war ganz erfreut, daß ich Smutje wurde, dachte zuerst natürlich an de Plums und Pannkauken. Mir wurde alles gezeigt vom zweiten Steuermann, der heißt an Bord »der Specksnider,« weil er das Salzfleisch und Proviant herausgibt und verwiegt, als Vertrauensmann, der ein Examen hinter sich hat und vor dem Gesetz verantwortungsvoll ist. Ick frett nu so in de Plums herum, in de Appels, den gedörrten Ringäpfeln, und ließ mir kaum Zeit, bei den Plums die Steine auszuspucken. Dann überholte ich die Kajüte vom Kapitän mal ganz genau; er hatte da Obst in Gläsern, und ich habe gleich zwei Flaschen mit Preiselbeeren den Hals abgedreht, dann eine Dose Mixpickles und was ich da so fand. Ich dachte nur an das Sattwerden: »Du hest dat verdeent, Filax; wer weet, wie lang du Smutje bliwwst, denn hest du din goode Dag’ hadd.«

Den ersten Tag habe ich dann Erbsen gekocht. Die gerieten sogar sehr schön. Ich hatte gleich etwas Liebe darauf verwandt und einen Schinkenknochen mit hineingesteckt, um mich beliebt zu machen, auch eine halbe Flasche Rotspon (vom Kaptein) zugegossen. Da sagten der Kapitän und die Leute: »Ah, wat is dat för ’ne feine Supp! Filax, bliw du man in de Kombüs, du versteihst den Kram.«

Das machte mich gleich sicher, und am andern Tag brannten infolgedessen die Erbsen an. Ich hatte gehört, in solchem Falle gibt man Soda hinein, wußte aber nicht, wieviel. Da dachte ich: »Tu mal ordentlich einen Schlag rein,« und so warf ich zwei Handvoll rein und wieder eine halbe Flasche Rotwein hinterher. Da sagten sie: »Filax, die sind ja noch viel besser als gestern: die sind ja ordentlich sämig worn. Wie hast du das gemacht? Mensch, Filax, du bist ja der geborene Koch.«

Aber ... um sechs Uhr abends, da hatte das Soda gewirkt. Ich flieg’ aus der Kombüse, der Kapitän war drei Tage krank, und die Folge war; daß Nauke in die Kombüse kam.

Ich war nun wieder der Verantwortung ledig. Nun nahmen wir für die Kajüte Dauerwurst über, die sollte für die Reise in Segeltuch eingenäht und mit Kalk bestrichen werden, damit sie sich besser hielt. Dazu werden die Leichtmatrosen genommen, weil die Meinung besteht, daß sie die ehrlichsten sind, noch nicht verdorben. Ich war für so etwas nicht beliebt.

Die Leichtmatrosen bekamen aber aus der Ferne einige geheime Anweisungen. Da wurde ein Besenstiel zersägt, von der Wurst auf beiden Seiten das Ende abgeschnitten, beiderseits an das Besenstielstück angesetzt und das ganze dann fest in Segeltuch eingenäht und verkalkt. Der Kapitän hielt über die 160 Würste die Kontrolle ab, sah hinten und vorn auf die Wurstenden, und sagte: »Gott sei dank, Jungens, daß ihr noch ehrliche Kerls seid.« Bei einem halben Dutzend der Würste hat er sich nachher beim Anschnitt aber verwundert.

Vier Wochen, nachdem Smutje weggelaufen war, bekamen wir ihn wieder. Da hatte die Hafenpolizei ihn in einem Hotel aufgefunden, worein er sich großspurig als Koch gesetzt hatte. Gewöhnlich geht ja, wer ausrücken will, erst am Tag vor der Abfahrt davon, da ist dann keine Zeit mehr zu Nachforschungen.


Die Mannschaft der »Cäsarea«, unter ihr Phylax Lüdicke (vom Beschauer gesehen der zweite Mann von links in der mittleren Reihe der Stehenden).

Die Schiffskost ist sehr einfach und gleichmäßig: Montags Erbsen, Dienstags Bohnen, Mittwochs Erbsen, Donnerstags Kabelgarn (Konservenfleisch), Freitags Bohnen, Sonnabends gibt es Graupen, Sonntag ist der Tag des Herrn, da gibt es Plum un Klüten (Pflaumen und Klöße). Am Sonntag besteht die Sitte, daß jeder der Reihe nach einmal anfangen darf, sich sein Teil aus der Schüssel heraus zu holen. Derjenige der so an der Reihe ist, der darf den großen Schöpflöffel, den »Politikus«, so voll nehmen, wie er kann, damit sich jeder einmal ordentlich satt ißt; aber dies Vorrecht hatte eben nur der, der anfing. Ich hatte lange geklügelt, wie ich das wohl am besten machen sollte, wenn ich daran kam, um »oll Fischermann sin Söhn« zu sein, wie es von dem hieß, der tüchtig viel fassen konnte. Und so hatte ich mir ein Verfahren ausgedacht. Wie ich nun rankomme, da habe ich mit dem Politikus alles in der Suppe erst mal in Drehung gebracht, in volle Fahrt. Die Suppe, worin die Plum un Klüten herumschwammen, war ein Brei, der von dem Löffel ja bald herunterlief, wenn man zufaßte. Ich brachte also das Zeug in Bewegung, drehte dann den Löffel in entgegengesetzte Fahrt und faßte zu. Min God, was hatte ich da für einen vollen Löffel! Den Leuten, die da sagen wollten, ich wäre oll Fischermann sin Söhn, denen blieb das Wort ordentlich in der Kehle stecken. Aber was hatte ich davon? Jeder, der nach mir rankam, nahm von jetzt ab meine Klütentheorie auch an.

In Melbourne wurde die Ladung gelöscht und mit Ballast nach Newcastle, dem größten Kohlenplatz Australiens, weitergesegelt. Hier wurden Kohlen eingenommen mit der Bestimmung nach Caleta Buena in Chile.

Neujahr habe ich in einem chilenischen Gefängnis zugebracht. Das kam so. Wir waren an Land und feierten Neujahr, den größten Feiertag in der dortigen Gegend. Der Seemann feiert gern mit, aber er kann nicht viel vertragen. So ging es auch mir. Als ich es endlich doch vorzog, an Bord zu gehen, bildete ich mir ein, daß ich in einer bestimmten Richtung am schnellsten an Bord käme. Ich überkletterte deshalb eine Mauer ... und landete in einem Schweinestall; er war ziemlich groß, die Schweine grunzten mich an. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin und steuere nach einem Laden zu, aus dem einige Lichtstrahlen herausdringen. Ich klopfe an den Laden, worauf ein alter Mann herausruft: »Was wollt Ihr?« Ich sage: »Buenas noches, Señor.« Das war alles, was ich auf Spanisch erklären konnte. Er sagte: »Warte ein wenig.« Ich warte. Die Tür ging auf und der Mann fragte mich, wohin ich wollte. Ich sage: »Ich will an Bord.«

»Warte, ich werde dich an Bord bringen.«

Der Mann ist sehr freundlich zu mir; in ein paar Brocken Englisch versuchen wir uns zu verständigen. Auf meine Frage: »Ich komme doch ganz sicher hier an Bord?« antwortet er: »Jawohl.« Da führt mich der Mann zu meinem größten Erstaunen in ein Haus, vor dem eine Polizeiwache steht. Ich ahne noch nichts. Er bringt mich zur Wache hinein. Wie sich später herausstellt, hat er der Polizei erzählt, ich hätte ihm Schweine stehlen wollen. Ich wurde festgehalten, protestierte stark; sagte »Schweinerei, ich will an Bord.« Es nützte nichts. Sämtliche Sachen, die ich bei mir hatte, wurden mir abgenommen. Ich kam in einen Empfangsraum, wo mehrere Leute bereits auf dem Fußboden lagen, Seeleute und andere, überhaupt alle, die das Neujahrsfest zu gut gefeiert hatten.

An den vier Wänden war eine schmale Bank zum Sitzen. Ich setzte mich darauf, schimpfte noch, Müdigkeit überwältigte mich, ich schlief ein. Mit einemmal wird die Tür aufgerissen und in hohem Bogen fliegt ein Frauenzimmer herein, großen Spektakel machend. Ich wache auf, nehme wenig Notiz und penne wieder ein. Diese Person schien nun den geeignetsten Platz zum Schlafen auf der schmalen Bank zu finden, denn als ich wieder aufwache, liegt sie mit ihrem Kopf auf meinem Oberschenkel und schläft fest. Ich bin nicht wenig erstaunt und gehe nicht sanft um mit dem zarten Geschlecht, sondern schiebe sie weg. Sie fängt an fürchterlich zu schreien: »Robadores, Carajo!« Da kommt die Wache herein, fragt, was los ist; Señora klagt mich an, ich hätte sie geschlagen. Der Kerl von der Wache packt mich und schmeißt mich in einen dunklen Arrest. Die Tür wird aufgeschoben, es geht steil hinunter. Ich hatte noch keinen Halt, schieße nach vorn, da ich nicht stoppen konnte, und falle über Esel- und Maultierkummets in dicken Salpeterstaub. Ich lege mich auf die Eselkummets und schlafe weiter.

Morgens wird eine Schüssel hereingeschoben. Ich fühle in der Finsternis mit den Fingern, was das ist, und merke: gesalzener Reis. Pfui Teufel!

Wenn ich bloß wüßte, wie spät es ist. Da höre ich Ratten in meinem Reispott; sie kümmern sich gar nicht um mich. Sie sind anscheinend die Gesellschaftstiere dort und warten nur, bis wieder einer Dunkelarrest bekommt. Ich denke, daß ich bald herausgeholt werde. Aber ich sitze ein, zwei, drei Tage und weiß überhaupt nicht, woran ich bin. Endlich nach drei Tagen holte mich der Steuermann heraus. Der Kapitän hatte zwar erfahren, daß ich in dem »Kallabus« saß, aber keine Eile gehabt, mich zu erlösen: »Ach Filax, der versäumt ja nichts, wir haben doch drei Feiertage.«

In Chile wurde Kohle gelöscht und Salpeter geladen. Beide Mal mußte jeder mit Hand anlegen, da es keine Arbeiter gab. Was war das für eine Hitze und unglaubliche Anstrengung! Es war so heiß, daß man es schon an Deck kaum aushielt. Der dunkle Schiffskörper aber fing vollends die Strahlen auf, dazu die Tropenhitze von außenbords und heiße Ausstrahlung der Kohle. Die Nasenschleimhäute entzündeten sich infolge des trockenen Kohlenstaubes. Wenn man erst Grund hatte mit der Kohlenschaufel auf dem Schiffsboden, dann ging es; aber ehe man so weit war! Dazu die furchtbare Schiffskost und die lange Arbeitszeit. Man war so dumm, daß man für einen Schnaps, der vielleicht 10 Pfennig kostete, eine Stunde länger arbeitete.

Als in nicht minder harter Arbeit Salpeter geladen war, ging es nach Plymouth. Auf dieser Reise wurde ich zum Vollmatrosen befördert. Auf amerikanischen Schiffen war ich schon vorher Vollmatrose gewesen, auf deutschen mußte ich aber wegen ungenügender Fahrtzeit nochmals Leichtmatrose sein. Nun wurde ich also Vollmatrose, da ich laut Logbuch[7] die Oberbramsegel ganz allein festgemacht hatte.

Als wir zu den Falklandsinseln kamen, setzte ein mächtiger Orkan ein. Erst konnten wir vor dem Wind wegsegeln. Das Schiff war ein guter »Lenzer«, d. h., es lief gut vor dem Winde. Das Mitlaufen des Wassers am Heck ist sehr verschieden, mitunter saugt es sich geradezu fest, andere Schiffe werden es gut los. Anderseits darf man, wenn Sturm und See zu stark werden, nicht zu lange vor dem Winde herlaufen (»lenzen«), sonst kann man nicht mehr beidrehen. Verpaßt man den richtigen Moment, so geht das Schiff dadurch verloren, daß die See hinten über das Deck läuft und von achtern bis vorn klar Deck macht und alles wegreißt.

Wir »lenzten« also und standen in bangen Minuten, wenn die See von hinten aufkam und dann rechts und links mitlief. Wir standen jetzt in äußerster Gefahr, daß Brechseen über das Schiff liefen, und steckten alle Trossen, die wir hatten, achtern heraus, so daß sich die See darin verfing und brach.

Unser Schiff machte in diesem Orkan mit nur vier Segeln tüchtige Fahrt, denn wir liefen zehn Meilen durchs Wasser und noch mehr über Grund. Letzteres nennt der Seemann die Strecke, welche das Schiff noch durch die See vorwärts geschoben wird, während »durchs Wasser« dasjenige bedeutet, was lediglich durch die Segel vorwärts gebracht wird.

Nun kamen wir in das Zentrum des Orkans, das sich dauernd in einer gewissen Richtung fortbewegt. Zuerst dieser wahnsinnige Sturm, und nun im Zentrum plötzlich Totenstille, sternklarer Himmel, aber um uns her rollt das Wasser von allen Seiten wie in einem kochenden Kessel. Draußen aufgewühlt strömt es nach innen. Der Laie glaubt, im Zentrum wäre der Orkan am stärksten, aber da herrscht gar kein Wind und gerade darum ist hier die Gefahr am furchtbarsten. Denn das Wasser schießt und stürzt aus allen Richtungen an Deck, das Schiff hat beim Fehlen des Windes in den kreuzweisen Seen keinen Halt mehr, und kann nur gerettet werden, wenn man das Zentrum schnell passiert. Eine Bordseite nach der andern taucht ins Meer und es ist die Frage, wie lange es die Takelage in dem Hin- und Herschlingern der wechselnden Seen aushält, ohne über Bord geworfen zu werden.

Wir verloren nun die ganzen Stengen von den Masten nicht durch den Sturm, sondern eben durch das Schlingern. Nach einer halben Stunde, während der uns die Seele förmlich aus dem Leib geschlingert wurde, sind wir aus dem Zentrum, der Sturm setzt plötzlich wieder mit doppelter Gewalt ein und alles aus der Takelage bis auf die Mars- und Unterrahen kommt von oben, verfängt sich im Ruder, hängt draußen über Bord. Das Deck ist voll Wasser, und jetzt springt der Wind um 8 Strich herum ..., wir hatten gerade zur rechten Zeit die Rahen gebraßt. Wie durch ein Wunder kamen wir so aus dem Orkan heraus. An Deck war alles kaputt geschlagen, im Schiff stand hohes Wasser ... wir hatten aber durch das lange Lenzen eine gute Meilenzahl hinter uns, was für ein Schiff, das nach Hause geht, ja doppelt viel wert ist. Tag und Nacht gab es zu tun, durch Aufbringen von Notstengen die Takelage auszubessern.

Wir kamen also mit 120 Tagen Reise in Plymouth an, die Mannschaft musterte ab und nur ich blieb an Bord mit dem alten Steuermann und mit Nauke. Smutje verließ das Schiff. Die Ladung wurde gelöscht, wir nähten die Segel, setzten das Schiff instand, klopften Rost und taten alles, um wieder reisefertig zu werden. Von Hamburg wurde ein Teil der Besatzung geschickt. Den Rest derselben musterten wir in England an, aber es waren nur Heizer und Trimmer, die noch nie auf einem Segelschiff gefahren hatten. So war es eine jammervolle Besatzung und die wenigen Guten von uns mußten sich vollkommen einsetzen.

Der Schiffsboden, der durch die lange Fahrt mit Gras und Muscheln bewachsen war, wurde im Dock gereinigt und neue Ladung eingenommen, Kreide in Fässern. Infolge des großen Gewichts derselben war das Zwischendeck freigeblieben. Nur hinten hatten wir eine Ladung Arsenik, 300 Gewichtstonnen in kleinen Fäßchen, die aber ihres schweren Gewichts wegen nur geringen Raum einnahmen. So gab es eine ungünstige Verstauung.

Mit diesem Schiff hoffte der Kapitän schnelle Reise nach Neuyork zu machen. Aber wir hatten einen Sturm nach dem andern und kamen nicht vorwärts. Die Trimmer und Heizer konnten weder steuern, noch Segel festmachen. Sie bekamen mehr Heuer als wir, und wir sollten ihre ganze Arbeit für sie tun. Die Folge war, daß man ziemlich derb mit den Leuten verfuhr. Sogar unsre Hamburger Schiffsjungens, deren Pflicht es war, das Logis instand zu halten und zu waschen, wollten dies nicht mehr für diese Dampferjochens besorgen, die weniger konnten, als sie selber.

Diese wahnsinnigen Stürme! Endlich kommt Weihnachten, und zum erstenmal ist es schön Wetter und günstiger Wind. Wir haben nach langer Zeit wieder Bramsegel stehen. Es war ein wunderbares Gefühl, einmal trockenes Deck zu haben. Der Kapitän sagte: »Das ist ein Zeichen von Gott, wir wollen auch ordentlich Weihnachten feiern.«

Wir bauen einen Weihnachtsbaum nach alter Seemannsweise aus einem Besenstiel, schmücken ihn mit buntem Papier, Staniol und Flittertand, beschenken uns jeder mit einem Pfund Tabak, der Kapitän schickt uns einen Schinken und eine Bowle nach vorn. Als die Lichter angezündet sind, geht eine Abordnung nach achtern, wünscht dem Kapitän frohe Weihnachten, eine gute Fahrt, und bittet ihn, sich den Baum anzusehen. Der Kapitän kommt nach vorn, Smutje bringt die Bowle; und wir stehen da, haben unsre Mock (Trinkgefäße) klar, um auf das Wohl des Kapitäns anzustoßen; da auf einmal fällt eine weiße Böe von vorn ins Schiff.

Sie heißt »weiß«, weil sie bei ihrer Annäherung nicht zu sehen ist.

Sie kommt direkt von vorn, das Schiff macht Fahrt über den Achtersteven, die Vorstengen krachen über Bord, daß eine Rahe durch meine Koje rast, die Großstengen gehen über Bord, alles stürzt zusammen, nur die Untermasten stehen noch.

Wir hinaus, sehen das Tohuwabohu an Deck, rechts und links hängt die große Takelage herunter. Der Kapitän stürzt zum Ruder, da liegt der Rudersmann unter dem Rad, total zerschlagen. Er starb zwei Tage später.

Jetzt begann der Kampf mit dem Element. Mit Äxten und Beilen wurde gekappt, die Segel an den Unterrahen, die einzigen, die oben geblieben, mußten in den Wind gepraßt werden, um das Schiff überhaupt zu halten. Nach vier Stunden harter Mühe waren wir so weit, daß wir das Schiff einigermaßen in der Hand hatten. Daß dabei keiner totgeschlagen wurde, während die Brechseen fortwährend über das führungslose Schiff rollten, war ein wahres Wunder.

Die schlechte Mannschaft hatte sich einfach verkrochen; die Wut auf sie war so groß, daß sie sich nicht sehen lassen durfte. An Bord wird nicht gefragt, wie lange Arbeitszeit ist, da gibt es keine Überstunden. Bei Gefahr muß jeder heran. Der Matrose schickt keinen Jungen nach gefahrvollen Stellen hin, sondern er geht selbst, das ist ihm Ehrensache. Das Deck hatten wir einigermaßen klar, der Sturm steigert sich allmählich zum Orkan. Wir kämpfen uns durch die ganze Weihnachtsnacht und den ersten Feiertag. Am zweiten Feiertag nachmittags vier Uhr bricht das Zwischendeck zusammen infolge der schweren Arsenikladung. Mehrere Nieten sind gesprungen und das Schiff leckt stark. Alle Mann eilten, den Arsenik umzustauen, viele Fässer waren zerborsten. Wir wußten gar nicht die Gefahr, in der wir arbeiteten. Denn in diesem Arsenikstaub bekamen wir alle die furchtbarsten Entzündungen. Wir wurden davon förmlich dick und aufgeschwemmt nach einigen Tagen. Kurz und gut, der Arsenik wurde getrimmt, und dann ging der Kampf mit dem Element weiter. Das Schiff liegt vorn ganz tief. Beim Peilen stellt der Zimmermann drei Fuß Wasser im Schiff fest. »Klar bei Pumpen.« Wir pumpen und pumpen, aber das Wasser nimmt zu, wie draußen der Sturm. Um uns frisch zu halten, gab es dauernd Sprit. Wenn durchgehalten werden muß, heißt es seemännisch: »Hei geit op Sprit.« Wir wußten genau, daß es fraglich war, ob wir durchhalten konnten, pumpten aber, was wir vermochten.

Da fegt auf einmal eine Brechsee mit voller Macht über Deck und nimmt die ganze Kombüse weg; unser Koch, der gerade Kaffee für uns klar hielt und die Beine über die Herdgeländerstangen liegen hatte, um sich zu wärmen, geht über Bord, mit ihm Herd, Kessel, Potten und Pannen und der Kohlenkasten. Im letzten Augenblick saust der Koch heraus, hält sich am Kombüsenschornstein fest und will gerettet werden. Wir konnten seine Schreie im heulenden Sturm nicht hören. An Rettung war nicht zu denken. Ich höre noch, wie ein alter Segelmacher neben mir schreit: »Smutje, holl di fast. Kohlen für die Reis’ zum Düwel hest du ja.«

Das ging mir durch und durch, den eignen Tod vor Augen. Über achtundvierzig Stunden standen wir an den Pumpen. Wenn man wenigstens gesehen hätte, daß es half; aber das Wasser stieg immer höher. Wir konnten nicht mehr. Durch den Schnaps waren wir auch ermüdet. Wir waren fertig.

Der Kapitän stand da: »Wenn ihr nicht mehr wollt, dann schmeiß ich mit der Harpune nach euch.« Da ruft eine Stimme von achtern: »Achtung, Brecher!« Wir konnten an den Pumpen nichts sehen, hörten es aber schon rauschen. Da kommt die Brechsee mit solcher Gewalt, daß sechs Mann von den Pumpen losgerissen werden; zwei gehen gleich über Bord, einer wird gegen die Wanten geschlagen, verliert einen Arm und wird über Bord gespült. Einem anderen wird der Schädel eingeschlagen, und einer liegt mit zerschmetterten Knochen da, rollt an Deck hin und her. Ich habe Unglück, das auf der anderen Seite Glück war. Die Brechsee drückt mich zwischen den losgerissenen Reservemast beim Pumpenrad, mein Bein wird dazwischen gepreßt und bricht.

Wir können nicht mehr pumpen. Das Schiff rollt hin und her. Die Wassermassen spülen an meinem zerbrochenen Fuß; ich war festgeklemmt, und so wäre ich beinahe an Deck ertrunken. Der Reservemast hatte sich fest geblockt, und mein Bein war dazwischen. Der Steuermann und ein Matrose befreien mich mit einem Brecheisen, der Kapitän läßt mich in die Kajüte kommen. Der Stiefel wird aufgeschnitten. Der Kapitän sieht sich die Sache in Ruhe an und sagt: »Sieben Mann haben wir verloren, mehr dürfen wir nicht verlieren. Timmermann, nu paß god op.« Er tat sorgfältig einen Taustrop um den Fuß, setzte einen Flaschenzug an, befestigte das eine Ende an der Büfettschublade; Steuermann und Zimmermann müssen ganz langsam ziehen. Der Kapitän als erfahrener Mann überwacht die Sache und gibt seine Befehle: »Hol noch etwas! Noch ein wenig! Noch einmal! So! Ik glöv, de Foot is wedder op sin Platz.« Es tat weh, aber auf diese seemännische Weise wurde vermieden, daß das Zusammensetzen der gebrochenen Teile ruckweise geschah. »Jetzt ist es gut.« Dann sagte er: »Timmermann, nu guck her. Nimm ein ordentliches Kernholz, miß die Wade und pack sie zwischen Holzbacken.«

Zwei ausgehöhlte Hölzer umfaßten das Bein vollkommen, Schraubengewinde kamen hinein und schnürten das Holz zusammen. So hatte ich Halt, konnte auftreten und hatte geringere Schmerzen, da der Stützpunkt des Beines nach oben verlegt war.

Unterdessen wurde der Zustand des Schiffes immer hoffnungsloser. Es blieb nichts anderes übrig, als »Klar bei Boote!«

Ein Boot ging mit dem ersten Steuermann, eins mit dem Kapitän. Sie wurden an langen Tauen über Bord geworfen, während die See mit Öl beruhigt wurde. Ein Mann nahm ein Tau um sich, sprang ins Wasser und schwamm zum Boot hin. Der nächste sprang nun an dem Tau ins Wasser und wurde vom ersten ins Boot hineingeholt.


Wrack der »Cäsarea«, bei den Bermudas angetrieben und eingeschleppt.

Als die Boote besetzt waren, trieben wir vom Schiff ab, das Boot nur mit den Riemen gegen die schwere See haltend, denn an ein Vorwärtsrudern war ja nicht zu denken. Tag und Nacht wurde diese Aufgabe von uns verlangt, solange der Sturm anhielt, damit das Boot nicht querschlug. Trotz meinem gebrochenen Bein konnte auf Schonung nicht geachtet werden. An Proviant war nur etwas Hartbrot, stark von Salzwasser durchtränkt und eine spärliche Ration frisches Wasser vorhanden. Die bittere Kälte und die schlaflosen Nächte erschöpften den Körper derart, daß man sich am liebsten den Tod gewünscht hätte. Vier Tage haben wir uns zunächst so durchgekämpft. Endlich, am vierten Tage, wird ein Dampfer gesichtet. Frohe Hoffnungen steigen auf. Alle Kräfte werden noch einmal zusammengenommen. Ein Beinkleid wird an den Riemen angebunden, um uns erkenntlicher zu machen. Gespannt sehen wir auf den Dampfer. Sieht er uns oder nicht? Wir bilden uns schon ein, daß er Kurs auf uns hält, dann aber, nach längerem Warten, müssen wir uns von den Täuschungen befreien, da der Dampfer immer mehr aus Sicht kommt. Diese Hoffnung auf Rettung, die sich nun als vergeblich herausstellte, nimmt uns alle Energie und den Willen, weiter zu leben.

Der Kapitän als erfahrener Mann redet uns Mut zu mit der Bemerkung: »Smit ju junges Leben nich so weg, kikt op mi ollen Kerl, hollt dör, Jungs, und mokt nich slapp.«

Er mußte uns abhalten, daß wir nicht Seewasser tranken, was unseren Untergang beschleunigt hätte. Wir waren so durstig, daß wir an den Händen saugten, um die Speichelabsonderung zu beleben.

Glücklicherweise wurde das Wetter einigermaßen ruhig, so daß wenigstens ein Teil im Sitzen schlafen konnte. Die spärliche Ration an Wasser nach all den langen Entbehrungen entkräftete uns aber derart, daß wir selbst die Riemen kaum noch bedienen konnten. Wir wußten, wenn nicht Rettung in nächster Zeit kam, waren wir verloren. Wir kommen schon auf die Idee, ein Los zu ziehen, wer sich von uns zuerst opfern soll, damit wir an dessen Blut unseren Durst löschen. Jeder beschäftigt sich in Gedanken mit dieser Idee, keiner wagt sie jedoch auszusprechen, jeder schreckt davor zurück, da ja keiner weiß, wen das Los treffen wird, und ob er selbst nicht zuerst drankommt.

Bis zum späten Nachmittag hatte der Kapitän mit seinen Ermutigungen Einfluß auf unser Leiden, bis wir schließlich dem geringen Rest unseres Trinkwassers nicht mehr widerstehen konnten, über den wir herfielen, um ihn mit einem Male auszutrinken. Uns war es einerlei, was danach kam.

Am nächsten Morgen wird ein Dampfer gesichtet. Sichtet er uns oder dampft er wieder an uns vorbei? Wir winken matt, und tatsächlich, er kommt auf uns zu.

Die herrliche Stimmung: Rettung!

Aber in demselben Moment verläßt uns auch der letzte Funke von Energie. Wir fallen hintenüber und warten auf die Dinge, die da kommen sollen. Der Dampfer — das italienische Schiff »Maracaibo« — läßt seine Sturmleitern herunter, an denen wir heraufklettern sollen, aber unmöglich. Unmöglich, überhaupt sich aufzurichten! Wir überließen uns dem Retter, mochte er jetzt mit uns machen, was er wollte. Der Dampfer mußte die Ladebäume ausschwenken und uns an Taustroppen wie ein Stück Ladung hochheißen. Wir sind nicht davon aufgewacht. Wie wir an Deck des Dampfers gebracht worden sind, ist uns nicht mehr in Erinnerung. Sechzehn Stunden hintereinander haben wir geschlafen, ohne zu wissen, wo wir waren.

Als mein Bein aufgemacht wurde, war alles schwarz, und sie meinten, es wäre der Brand hinzugekommen, verheimlichten es mir aber.

Als wir in Neuyork sind, komme ich ins deutsche Hospital. Der junge Arzt sieht sich den Knochen an, der offen daliegt in der Wunde, beklopft den Knochen und geht kopfschüttelnd fort, in der Meinung, daß Brand eingetreten wäre. Aber der alte Professor, der am anderen Morgen kommt, sagt: »Nein, das Bein ist gut«. Das Blut war gestockt, die Gelenkbänder waren gerissen, eine große Blutstauung von innen nach außen getreten, und davon war das Bein so schwarz geworden.

Als ich nach acht Wochen das Hospital verlassen hatte, kam ich auf den kanadischen Dreimastschoner »The flying Fish«. Wir gingen mit einer Holzladung nach Jamaika. Kurz vor der Ankunft dort brach ich mir durch eine Unvorsichtigkeit beim Lukenöffnen abermals das Bein.

Da ereignete sich etwas, das viele Jahre später für mich von Bedeutung sein sollte. Als ich Seeoffizier auf Seiner Majestät Schiff »Kaiser« war und Majestät allerhand erzählen mußte von meinen Abenteuern, da fragte er mich eines Tages: »Luckner, wann ist es Euch denn eigentlich am schlechtesten ergangen?«

»Als ich auf Euer Majestät Schiff ›Panther‹ war!«

Plessen, der korrekte alte Herr, sah bei dieser Bemerkung gestreng darein; Majestät selbst lächelte und sagte: »Donnerwetter, das erzählen Sie mal ...«

Also, ich hatte mir auf dem kanadischen Schoner das Bein gebrochen und man brachte mich in Jamaika ins Lazarett, wo ein Gipsverband angelegt wurde. Ich kam nur mit Beinkleid, Jacke und einem Stiefel an, alles übrige war auf dem Schiff geblieben. Nach vierzehn Tagen fragte mich der Lazarettinspektor, ob ich auch ein Guthaben auf dem Schiff hätte. »Ja,« sagte ich, »sechs Pfund.« »Na, dann ist es ja gut.« Eine Woche später schickte er nach dem Konsulat, um das Guthaben holen zu lassen. Da hieß es denn: »Sie haben ja nur drei Pfund Guthaben.« Das Schiff war weg, der Kapitän hatte nicht nur mein Zeug mitgenommen, sondern auch das halbe Geld einbehalten. Ich besaß außer dem, was ich auf dem Leibe trug, nichts mehr. Deshalb warf man mich einfach aus dem Hospital hinaus.

So lag ich mit meinem gebrochenen Bein im Gipsverband auf der Straße. Ich verschaffte mir einen Stock und ging dann an den Strand. Dort schlug ich mein Quartier auf und deckte mich mit Sand zu.

Mit dem Quartier war ich soweit zufrieden, aber am nächsten Tag erhob sich die Frage: wo etwas zu essen zu bekommen wäre.

Zunächst nährte ich mich von Kokosnüssen, aber das halte der Teufel aus, wenn er davon leben soll. Ich habe zwei, drei Tage so durchgebracht. Endlich kam ein Dampfer. Jamaika ist kein Endhafen wie Hamburg, London oder Rotterdam, wo die Schiffe ihre Reise beendigen und neue Mannschaft anheuern. So konnte man nicht damit rechnen, ohne weiteres ein Schiff zu bekommen. Die Erfahrung hatte ich noch gar nicht gemacht.

Da kommt also der Dampfer herein. Ich bemühte mich gleich, an Bord zu kommen mit meinem Knüppel und Gipsverband. Ich besaß keine Mütze, war unrasiert und ungewaschen, mein Gesicht so verbrannt, daß die Hautfetzen herunterhingen; dazu das lange ungeschnittene Haar, ich sah ziemlich verboten aus.

Das Schiff war dabei, Kohlen zu löschen, und zwar in Säcken. Da gehe ich an Bord und will den Steuermann sprechen. Der weist mich mit einem derben englischen Schimpfwort ab. »Wie siehst du Schwein aus? Was willst du hier auf diesem Dampfer?«

Herrgott, ging mir das nahe. Dabei war es nur ein Kohlenschiff.

Wie ich wieder am Kai bin, nehme ich mir einen leeren Kohlensack mit, ohne genau zu wissen, was ich damit wollte.

Ich gehe wieder an Land und habe wahnsinnigen Hunger. Ein Neger schneidet mir auf meine Bitte den Gipsverband los. Bald macht sich aber der Nachteil fühlbar, denn die Strahlen der Tropensonne brannten das Bein und verursachten tüchtige Schmerzen. Da hat mir der Kohlensack brave Dienste geleistet, indem ich ihn ums Bein nähte. Nachts diente er als Kopfkissen.

So verbrachte ich drei weitere Tage mit Kokosnüssen und Bananen. Wie ich da längs eines kleinen Flusses humple, der auf der andern Seite der Stadt floß, komme ich in ein Bambusrohrgebiet. Dort sitzt ein alter Westindienneger und schneidet Bambus. Da ich mein Schiffsmesser noch habe, bin ich ihm behilflich. Am Abend gibt er mir sechs Pence für Essen. Wie ich ihm erzähle, was mit mir los ist, scheint er es nicht recht zu glauben und betrachtet mich sehr mißtrauisch. Schließlich frage ich ihn nach Quartier, ich wünschte gern weiter mitzuarbeiten, aber er wollte nicht recht darauf eingehen. Er murmelte allerlei von »erst mal sehen« und dergleichen, bot mir aber endlich seinen Wagenschuppen zum Übernachten an, nicht etwa seine eigene Hütte, wenn diese auch nur im Negerstil war.

Ich machte keine Ansprüche und bettete mich mit ein paar Matten zwischen die Negerkarren. Man glaubt nicht, wie es anstrengt, dauernd unter diesem feuchten Tropennachthimmel zu schlafen, ganz klamm vor Nässe. In meiner Schilfrohrbude liefen die Riesenkakerlaken zu Hunderten umher; das knisterte ununterbrochen. Danach jagten die Ratten. Kein Tier ist mir widerlicher als die Ratte. Dennoch schlief ich, denn ich war hundemüde.

Am Morgen gab mir der Neger etwas Maisfutter und dann ging es wieder an die Arbeit. Wie ich nun da Bambus schneide, sehe ich ein weißes Schiff sich dem Hafen nähern. Aus war es mit dem Bambusschneiden und stracks zum Hafen. Jedes Schiff, das hereinkam, war ja eine Hoffnung für mich.

Als ich nun auf die lange Pier[8] hinauskomme, ist es mir wie ein Schlag ins Gesicht. Ein schimmernd weißes Schiff, wie eine Jacht, zwei Schornsteine ... und zum allerersten Male im Leben sehe ich ein deutsches Kriegsschiff! Es war der »Panther«, wunderbar kraftvoll und strahlend wie ein geharnischter Bote des Vaterlandes durchschnitt er die See und hielt auf die Pier zu.

In solchem Aufzug, in solcher Verfassung soll ich die deutsche Kriegsflagge zum erstenmal sehen?! Ich hatte mich noch nie von Scham so niedergedrückt gefühlt. Das war ein deutsches Kriegsschiff, so sauber und blank; Mensch, wie siehst du dagegen aus.

Mein Aufenthalt hier kam mir jetzt wie eine Verdammnis vor. Aber ich konnte mich doch nicht enthalten, mich ans Ende der Pier zu setzen, um Landsleute sprechen zu hören.

Da kommen vier Herren an, weißes Zeug, weiße Mütze, weiße Schuhe; Offiziere! Sie gehen vorbei, keiner hat einen Blick für mich. Da sag ich mir: »Mensch, Phylax, solch feiner Kerl wolltest du in deinen Träumen auch einmal werden, was hast du da für eine Phantasie gehabt.« Ich heulte los. Kann ich etwas dafür? Ja, wenn der Engländer mich so vom Schiff heruntergejagt hat und auch meine Landsleute verachtend vorbeigehen, das muß wohl die Strafe sein für mein Weglaufen von der Schule. Ich kam mir ordentlich schuldbewußt vor, der ich sonst so stolz war auf meinen Beruf. Ich ging langsam fort von der Pier.


S. M. S. »Panther«.

Nachmittags sehe ich mehrere Matrosen an Land; einen riesigen Kerl darunter höre ich stark sächseln. Da machte ich mich an ihn heran: »Halloh, Landsmann!«

Ich habe mich nie so zusammengenommen, zu sächseln, als da, wo ich von dem guten Mann Rettung erwartete.

Es war ein Heizer vom »Panther« und stammte aus Zwickau. Ich erzählte ihm mein Erlebnis und bat, ob er ein bißchen Brot für mich hätte.

»Ei freilich, sei nur heute abend um sechs am Ende der Pier, jetzt habe ich nicht mehr Zeit, ich muß an Bord.«

Ich stelle mich schon eine Viertelstunde früher ein, damit der Mann nicht umsonst dahin läuft, falls es eine Uhrdifferenz gibt. Er kommt und drückt mir ein deutsches Schwarzbrot in die Hand; wie wunderbar das tat! Ich biß ohne anzuschneiden hinein und dankte dem Mann. Er sagte gleich, ich sollte jeden Abend um sechs da sein, und ich sagte: »Was bist du für ein feiner Kerl!« Mehr konnte ich nicht sagen, aber da lag auch alles drin.

Ich ging wieder auf meinen Schlafplatz und arbeitete mein Schwarzbrot hinunter, Bissen für Bissen. Heimatshoffnung lag in dem Geschmack.

Am nächsten Tag gehe ich wieder hin: »Mensch, kannst du mir nicht eine Mütze besorgen, oder wenigstens ein paar Schuhe?« Er antwortete: »Morgen ist Sonntag, da kommst du an Bord.« Ich mochte nicht recht, aber er redete zu, und ich schleiche mich am Sonntag nachmittag um 3 Uhr wie ein Verbrecher hin. Da sitzen sie auf der Back und trinken Kaffee mit Kuchen! Da steht eine Kanone unter Segel. Ich versuche immer darunter zu schielen, um einmal eine Kanone zu sehen. Wie ich da so saß und recht befangen war, kam es mir vor, ich armer linkischer Kerl wäre in einem feinen Haus bei wohlhabenden Leuten.

Da geht der junge wachhabende Offizier über Deck, sieht mich sitzen. Die Leute springen auf und nehmen militärische Haltung ein. Auch ich stehe auf und versuche meinen Kohlenfußsack zu verdecken. Da ruft der Offizier: »Bootsmaat der Wache!«

»Herr Leutnant!«

»Schmeißen Sie mir das Individuum da von Bord und passen Sie ein andermal besser auf, daß solch Gesindel nicht an Bord kommt.«

Der Mann von der Wache kommt auf mich zu. »Machen Sie, daß Sie runter kommen!«

Die Leute, die mich schon etwas kannten, murmeln allerlei und einer raunt mir zu: »Filax, paß auf, du hast morgen feines Zeug!... Dem Leutnant klau ich seine Büx und seine Mütze, die hast du morgen.«

»Schmeißen Sie das Gesindel von Bord!« Das Wort klang in mir nach. Wie war mir zumute! Das hat mir Wunden gefressen! Wo ich Muttersprache hörte, wo ich unter deutscher Flagge war, nach der ich mich immer gesehnt hatte, und nun werde ich von dem Offizier, der mich sieht, da heruntergeworfen. Verbittert schlich ich mich nach der Pier, um von keinem mehr gesehen zu werden, und immer wieder klingt’s in meinem Ohr: »Schmeißen Sie das Gesindel von Bord!«

Meine Freunde auf dem »Panther« hatten mir noch Biskuits in die Tasche gesteckt. »Du bist morgen um sechs wieder da,« hatte der Heizer gesagt. Ich war natürlich wieder da, bekam mein Schwarzbrot und sollte um 10 Uhr noch einmal kommen. Um diese Zeit schleichen zwei Gestalten die Pier herunter; was tragen sie? Segeltuchschuhe, eine blaue Hose, eine Marinemütze, Strümpfe, Hemden usw. »Nun mach dich fein, Filax!«

Solche Freude habe ich in meinem Leben noch nicht wieder empfunden. Jetzt besaß ich etwas, womit ich weiter vorwärts kommen konnte. Jetzt durfte ich mich auf jedem Schiff vorstellen ...

Als ich das viele Jahre später dem Kaiser auf seinen Wunsch erzählte, da guckte er mich so merkwürdig an und bemerkte zu den Anwesenden: »Was würde für eine Poesie für ihn darin liegen, wenn er jetzt wieder auf den ›Panther‹ käme!«

Keine paar Monate vergingen, und ich erhielt das Kommando auf »Panther«.

Das erste, als ich an Bord des »Panthers« kam, war, auf die Back zu gehen, auf das Vorschiff, dorthin, wo man damals gesessen hatte als dankbarer Gast liebevoller Matrosen und Heizer. Wie deutlich überkam mich die Erinnerung, wie ich damals als Gesindel heruntergewiesen wurde. Jetzt stand das Individuum hier als Offizier kommandiert. Wenn ich an Land ging, trug ich weiße Schuhe und weiße Mütze — der Traum hatte sich verwirklicht —, und wenn ich an das Ende einer Pier kam, so sah ich mich unwillkürlich nach rechts und links um, ob da nicht einer säße, der unschuldig heimatlos geworden war. Wie manche Stunde habe ich mich hingesetzt, ganz allein, und mir aus der Ferne den »Panther« betrachtet, oft so vertieft, daß einem die Vergangenheit deutlicher vor Augen stand als die Gegenwart. Welch ein weltenferner Abstand ist doch zwischen Mensch und Mensch, zwischen den weißen Schuhen und dem Kohlensack; nie mehr im Leben hätte ich damals geglaubt, in jene Sphären zu passen. —

Mein dem Leutnant geklauter guter Anzug verschaffte mir indes nun zunächst eine vierwöchige Anstellung beim Kaiinspektor. Ich durfte behilflich sein, bei den ankommenden Schiffen die Leine festzumachen. Ich wurde gut bezahlt, hatte mein regelrechtes Essen und stärkte mich auch moralisch, wurde wieder ein ganzer Kerl. Ich war gar nicht mehr besorgt, ein Schiff zu bekommen, denn ich hatte nun gewissermaßen die Empfehlung des Kaiinspektors.

So kam ich auch bald auf den Schoner »Nova Scotica«, der zwischen den westindischen Inseln fuhr.

Der Leser hat sich vielleicht schon gewundert, daß ich so lange ohne Unterbrechung im Matrosenleben stand, ohne mir eine kleine Abschweifung zu gönnen. Ich will deshalb ruhig gestehen, daß ich zwischendurch einmal ein paar Tage lang mexikanischer Soldat gewesen bin und das Hinterportal am Schloß des großen Porfirio Diaz, des Diktators, unter welchem Mexiko seine goldenen Tage gehabt hat, bewachen half. Am Vorderportal standen allerdings nur eingeborene Truppen. Diese erste Betätigung im kriegerischen Handwerk entstand aus einem Ausflug. Unser Schiff lag nämlich einige Zeit untätig in Tampico. Da bat ich mit einem Schiffskameraden den Kapitän um Urlaub. Das wildromantische Leben der Gauchos mit ihren fabelhaften Viehherden, Lassos, schönen Pferden und noch schönerem silberstrotzenden Zaum- und Sattelzeug hatte es uns angetan. Ein Deutscher stellte uns zwei Pferde zur Verfügung, und so tummelten wir uns eine Zeitlang allen Verleumdungen, daß der Seemann nicht reiten könne, zum Trotz.

Der Ausflug dauerte ein paar Tage über den Urlaub hinaus, und als wir zum Hafen zurückkamen, war unser Schiff abgefahren. Es wird einem nun in jenem von der Natur so begünstigten Land nicht schwer gemacht, sein Leben zu fristen. Man braucht sich nur auf den Markt zu stellen und einige Handreichungen zu tun, so hat man schon sein Essen verdient und noch ein Stück Silbergeld für die Spielhölle übrig. Nachdem wir das Marktkorbtragen über hatten, ließen wir uns, wie gesagt, beim Militär anwerben. In Mexiko kann jeder Soldat werden, Ausbildung gibt es nicht, allerdings auch nur dürftiges Quartier. Die Dienstauffassung ist gemütlich. Nach ein paar Wochen nahmen wir unsern Abschied aus der Armee und halfen einige Zeit bei einem Bahnbau im Innern Sand und Erde nach der Baustelle fahren und Schwellen auf den leeren Wagen zurücktransportieren. Italiener, Polen, Deutsche und Engländer waren dort unsere Kameraden. Dann lebten wir eine Zeitlang bei einem Deutschen namens Fede Lüder auf der Farm, züchteten Geflügel und handelten mit Früchten.

Seeteufel: Abenteuer aus meinem Leben

Подняться наверх