Читать книгу Ein Foto vom Mörder - Göran Norström - Страница 5

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Auf der Hügelkuppe in Kungsfors stand das erste Polizeiauto. Es stand halb im Hof von Hillbloms. Söder fuhr langsam und ich bat ihn, in den Hof einzubiegen.

„Und was machen wir hier?“ fragte er.

„Er wohnt hier, Tage wohnt hier“, sagte ich.

Ich ging voraus auf das Haus zu. Margaretha und Söder kamen langsam nach. Die Tür war offen, und ich rief im Flur „Hallo“. Tage tauchte auf. Ich sah zuerst seine hellen Haare im Dunkel. Dann schaute ich in die blauen Augen, die immer so aussahen, als ob sie etwas fragen würden. Er war groß und genauso alt wie ich und einer der wenigen Freunde in dem Alter, mit dem ich Spaß haben konnte, ohne besonders viel zu reden. Wir konnten stundenlang den Jädra entlanggehen, ohne ein Wort zu reden, und nur darauf warten, daß eine Äsche oder Lachsforelle anbiß.

Er gehörte zu den Menschen, die in allem auch etwas Gutes finden konnten. Aber jetzt sah er zum ersten Mal verängstigt aus.

„Weißt du was?“ fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. Aus dem Wohnzimmer kamen Stimmen. Ich erkannte Onkel Eriks, sie war tief und ruhig wie immer. Tante Erikas Stimme klang, als ob sie singen würde. Sie war aus Bjurholm und auch sehr ruhig. Alle drei schienen der Meinung zu sein, daß man das Leben genießen sollte, obwohl sie hart auf ihren Erdbeerfeldern arbeiteten. Vielleicht stimmte das, was Papa manchmal sagte: ‚Erik steht mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Ich dagegen schwebe meistens durch die Lüfte.‘

Das war aber eigentlich nicht wahr. Im Sommer lag Papa hauptsächlich auf dem Sofa im Sommerhaus und las. Das war seine Methode, mit dem Leben fertigzuwerden, das hatte ich kapiert. Mama würde sonst so auf ihn einreden, daß er wahnsinnig würde, und ihn mit allen möglichen vermuteten Krankheiten ängstigen, daß er schließlich noch kränker würde als er schon war. Aber jetzt waren die Stimmen doch ein bißchen aufgeregt. Vielleicht war es die fremde Stimme, die sie störte. Meine Augen hatten sich inzwischen an das Dämmerlicht gewöhnt, und ich sah, daß auch ein Polizist sprach.

„Ist das eine Vernehmung?“ fragte ich Tage.

„Sie erkundigen sich nur“, antwortete er.

„Egon Bergström ist also ermordet worden?“

„Ja, er ist in den Rücken geschossen worden“, antwortete Tage.

Die dunkle Wolke, die vor die Sonne gezogen war, wurde dichter, und es fing an zu regnen.

Von ferne hörte man das Gewitter grummeln.

Ich erzählte, daß ich für das Gävle Tagblatt fotografieren sollte, und daß wir zu dritt von der Zeitung hier wären. Söder und Margaretha waren leise näher gekommen. Tage schien uns nicht hereinlassen zu wollen. Und es gab auch eigentlich keinen Grund, noch länger bei Hillbloms zu bleiben. Ich wollte nur ‚Guten Tag‘ sagen, wenn wir schon mal in der Nähe waren.

„Bleibst du über Nacht?“ fragte Tage.

„Wenn es nötig ist, ja“, antwortete ich.

Dann schwiegen wir eine Weile. Und ich hörte deutlich, wie der Polizist im Wohnzimmer lauter wurde:

„Sie haben also gesehen, daß ein Auto den Gästgivarhof verlassen hat?“

„Ja“, antwortete Onkel Erik.

„Ein grauer Peugeot?“

„Ja.“

„Und es war ungefähr eins?“

„Kann sein.“

„Und kurz zuvor haben Sie einen Schuß gehört?“

„Ja.“

„Aus einem Gewehr?“

„Es kann ein Kleinkalibergewehr gewesen sein“, antwortete Onkel Erik.

„Aber das hat Sie nicht gekümmert?“

„Die Leute schießen manchmal Nerze am Lillfluß.“

„Sie haben also geglaubt, daß jemand jagt?“

„Ja.“

Jagen die Leute öfter am hellichten Tag Nerze?“

Jetzt klang Onkel Eriks Stimme so ärgerlich, wie ich es noch nie gehört hatte.

„Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, wann die Leute jagen“, antwortete er. „Ich hatte anderes zu tun.“

„Und was?“

„Ich habe auf dem Erdbeerfeld gejätet.“

„Und ich habe im Ofen, der im Keller steht, Brot gebakken“, sagte Tante Erika.

„Ist es nicht ungewöhnlich, daß man an einem so heißen Tag Brot backt?“ fragte der Polizist.

„Es gibt viele ungewöhnliche Sachen“, sagte Onkel Erik.

Seine Stimme war lauter geworden. Sie klang fest und streng.

Der Polizist schwieg einen Moment. Tage bewegte seine Zehenspitzen in den blauen Turnschuhen. Er schob ein Blatt weg, das von den ersten Windböen vor dem Gewitter vom Apfelbaum geweht worden war. Jetzt stürmte es richtig, und ein Blitz zuckte auf der hiesigen Seite des Berges auf, genau da, wo der Gästgivarhof am Fuß des Berges liegt, an der Sennhütte, die einsam zwischen den größten Tannen, die ich je gesehen habe, stand. Unter diesen Tannen hatte ich die allerblauesten Buschwindröschen gefunden, als ich im Frühjahr ein paar Tage bei Hillbloms zu Besuch war. Und unterhalb der Uferböschung zum Jädra hatte ich die größte Äsche meines Lebens gefangen. Sie wog 900 Gramm.

Wir hatten überlegt, Tage und ich, ob wir sie wieder zurückwerfen sollten, weil sie laichte. Die Äsche ist nämlich der einzige Lachsfisch, der im Frühjahr laicht. Alle anderen laichen im Herbst. Aber dann brach ich ihr mit einem schweren Stein das Genick. Wir schämten uns ein bißchen, daß wir sie beim Laichen gefangen hatten, und zeigten sie niemandem. An einem Stock grillten wir sie über einem Feuer in einer Mulde in der Nähe vom Gästgivarhof. Wir aßen das Fleisch, das nach Thymian schmeckte, und plötzlich stand Egon Bergström neben dem Feuer. Er hatte wie immer seinen Stock dabei. Sein Bart war grau und glänzte im Feuerschein. Die Augen lagen im Schatten. Wir hörten, daß er schwer atmete, als ob er schnell gelaufen wäre.

„Verdammt“, sagte er, „ich habe gedacht, es ist ein Waldbrand.“

Dann setzte er sich ans Feuer und sagte nichts mehr. Er schaute in die Flammen. Tage gab ihm ein Stück von der Äsche. Er nickte und nahm es. Ein Elch, der auf dem Weg zum Fluß war, um zu trinken, knackte in den Zweigen. Es klang vertraut. Wir sagten nichts dazu.

Egon Bergström sagte: „Das war eine tolle Äsche. Ich habe zwar viel in meinem Leben gefischt, aber so eine große hatte ich nie.“

Er lächelte uns an, und beim Aufflammen des Feuers sah ich, daß er große, freundlich blaue Auge hatte, in denen kein Funke von Mißtrauen war. Wir hatten immerhin in seinem Wasser gefischt und waren auf seinen Grund und Boden eingedrungen.

„Dich kenne ich“, sagte er zu Tage. „Du bist Eriks Sohn, nicht?“

„Ja.“

„Auf den kann man sich verlassen, das kann man nicht von allen Leuten sagen.“

„Er ist mein Cousin, er ist aus Gävle“, sagte Tage, „er hat die Äsche gefangen.“

„Soso, solche Meisterfischer gibt es also in Gävle“, sagte er und lachte.

Wir teilten uns die Äsche. Sie schmeckte unwahrscheinlich gut.

Egon Bergström fiel ein bißchen in sich zusammen, als ob er sich nach einem arbeitssamen Tag ausruhen würde. Vielleicht hatte er oben im Wald Holz gemacht und war müde.

Er schaute wieder ins Feuer. Wir schwiegen und schauten ihn an. Dann sagte er schließlich:

„Ihr müßt nicht denken, daß ich euch erschrecken wollte. Aber man muß schon ein bißchen aufpassen.“

„Wieso?“ fragte Tage.

„Nicht daß es irgendwelches Gesindel hier in der Gegend gäbe, aber ...“

Er schwieg wieder, und jetzt sah ich deutlich, daß der freundliche, blaue Blick unruhig flackerte. Er stand auf.

„Danke“, sagte er, „danke, Jungs! Das war richtig gut!“

Er ging zum Gästgivarhof zurück, wir blieben noch sitzen und waren uns sicher, daß er das letzte, was er gesagt hatte, auch so gemeint hatte. Aber wir konnten nicht wissen, warum die Augen am Schluß so unruhig geworden waren.

Der Polizist war fertig mit seinen Fragen. Er und sein Kollege gingen in der Tür an uns vorbei. Sie schauten uns nicht einmal an, setzen die Mützen auf und gingen in den Regen hinaus.

Tante Erika wollte ihnen den Weg zeigen, aber sie beachteten sie nicht einmal.

„Aber Kinder!“ sagte sie, als sie mich im Halbdunkel entdeckte.

„Aha, Besuch“, sagte Onkel Erik, der ihr gefolgt war.

„Ich bin als Fotograf hier“, sagte ich. „Ich fotografiere für die Zeitung.“

Draußen goß es in Strömen, man sah die Blitze fast nicht mehr. Es knisterte und funkte in den Telefonleitungen oben an der Straße. Ich zuckte zusammen. Aber ich ließ mir nicht anmerken, was für eine Angst vor Gewitter ich hatte.

„Ich kann jetzt nicht bleiben“, sagte ich. „Ich habe keine Zeit.“

Draußen im Auto warteten Söder und Margaretha.

„Du hast doch eine Regenjacke?“ fragte Tante Erika.

Aber sie fragte nicht wie Mama. In ihrer Stimme war eine andere Art von Fürsorge. So, als ob ich ihr am wichtigsten wäre. Es war vielleicht ungerecht, daß ich das dachte, aber ich hatte so ein Gefühl.

„Sollst du unten auf dem Gästgivarhof fotografieren?“ fragte Onkel Erik.

„Ja“, sagte ich. „wenn’s geht.“

„Na, du kennst dich ja aus, das ist doch ein Vorteil.“

Tante Erika fragte, ob ich Hunger hätte oder wenigstens Zeit für eine Tasse heiße Schokolade.

„Heiße Schokolade bei so einer Hitze“, sagte Onkel Erik und nahm sie freundlich um die Schultern.

Genauso wünsche ich mir, daß Papa mal zu Mama wäre. Aber das war sicher schon wieder ungerecht. Was wußte ich über Papas Berührungen. Er will sie vielleicht nur nicht vor mir zeigen.

„Draußen im Auto warten zwei Journalisten“, sagte ich.

„Aber bitte sie doch herein, um Gottes Willen“, sagte Tante Erika.

„Journalisten haben es immer eilig“, sagte Onkel Erik, der offensichtlich merkte, daß ich los wollte.

„Wir sehen uns schon noch“, sagte ich und schaute erst Tage und dann Tante Erika an.

„Du weißt, daß es hier immer ein Bett für dich gibt“, sagte Tante Erika.

Ich sagte tschüs, rannte über den Hof und machte die Wagentür auf. Söder saß hinter dem Steuer und trommelte mit den Fingern. Margaretha schaute in den Spiegel und preßte die Lippen zusammen, die sie gerade geschminkt hatte.

„Du bist schon recht“, sagte Söder freundlich und bog auf die Straße ein. Ich zeigte ihm den Weg zum Gästgivarhof.

Ein Foto vom Mörder

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