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Stephen Sondheim, der Autor der Gesangstexte

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Stephen Sondheim, Jahrgang 1930, gehört zu den seltenen Doppelbegabungen im Musicaltheater, dessen Fähigkeiten als Liedtexter und Komponist gleichermaßen geschätzt werden. Die New York Times nannte ihn im Jahr 2000 »den größten und vielleicht bekanntesten Künstler des amerikanischen Musicaltheaters«. Der britische Produzent Cameron Mackintosh bezeichnete ihn gar als »den möglicherweise größten Song-Dichter überhaupt«. Wie kein anderer seiner Kollegen verschob er mit jedem neuen Werk die Grenzen der Gattung und führte dem Musical Stoffe und Themen zu, die bislang im Rahmen des populären Musiktheaters als unerzählbar galten.

Dabei veränderte er auch die Sicht auf die Wertigkeit von Stücken. Seit jeher orientierte sich der Broadway am Publikum, sodass – pointiert formuliert – nur ein erfolgreiches Musical ein gutes Musical sein konnte. Seit Sondheim ist man jedoch bereit zu akzeptieren, dass diese Korrelation nicht zwangsläufig für alle Werke gilt. Er nämlich schrieb Stücke, die in ihrer dramaturgischen und musikalischen Struktur komplexer waren als gewöhnlich, die den Zuschauern daher sperrig schienen und folglich – insbesondere vor dem Hintergrund der Maßstäbe, die in den 1970er- und 1980er-Jahren der Brite Andrew Lloyd Webber setzte – nur unterdurchschnittliche Laufzeiten erzielten. Er hat insofern die komfortable Position eines Ausnahmekünstlers, der jedoch gleichzeitig prägende Wirkung entfaltete.

Sondheim wuchs nach der Scheidung seiner Eltern auf einer Farm in Pennsylvania auf. Früh erhielt er Klavierunterricht. Im Alter von zehn Jahren befreundete er sich mit Jimmy Hammerstein, dem Sohn des legendären Musicalautors Oscar Hammerstein II, der mit seiner Familie in der Nähe wohnte. Als Sondheim diesem sein erstes Schul-Musical, das er mit |25| 15 Jahren verfasste, zur Begutachtung vorlegte, avancierte Hammerstein bald zu einem Lehrer, der ihn in die Praxis des dramaturgischen Erzählens einwies.


Gruppenbild mit Produzenten. Das Creative Team: Stephen Sondheim, Arthur Laurents, Harold Prince, Robert Griffith (sitzend), Leonard Bernstein und Jerome Robbins.

Sondheim studierte Musik am Williams College in Williamstown, Massachusetts. Unter seinen Lehrern befand sich der Komponist Milton Babbitt, ein Vertreter der Seriellen Musik, dessen Faible für populäre Melodien Sondheim entgegenkam. Blieben bei Babbitt die beiden musikalischen Sphären noch konsequent getrennt, so führte sie Sondheim in seinen späteren Kompositionen zusammen. 1950 schloss er sein Studium ab und suchte sein Auskommen als Autor beim Fernsehen. Gleichzeitig schrieb er an seinen ersten Musicals.

Entgegen seinem Selbstverständnis erlebte er seinen künstlerischen Durchbruch als reiner Songtexter: 1957 mit der West Side Story, seiner ersten professionellen Arbeit für den Broadway. Schon |26| zwei Jahre später folgte das Musical Gypsy, für das er erneut die Gesangstexte schrieb (mit Arthur Laurents als Buchautor und Jule Styne als Komponist). Danach war seine Position so gefestigt, dass er künftig nur noch Stücke auf die Bühne brachte, für die er gleichermaßen als Komponist und Liedtexter verantwortlich war (von wenigen Ausnahmen abgesehen).

Die 1960er-Jahre begannen verheißungsvoll: Seine Plautus-Adaption A Funny Thing Happened on the Way to the Forum (1962) wurde ein voller Erfolg. Doch dann musste er einige Flops wegstecken, die freilich seinen guten Ruf nicht nachhaltig schädigten. Mit Company (1970) begann dann eine zwei Jahrzehnte andauernde künstlerische Blüte, in der er zum einflussreichsten Komponisten des amerikanischen Musicaltheaters avancierte. Jetzt entstanden in dichter Folge seine wichtigsten Werke: Follies (1971), A Little Night Music (1973), Pacific Overtures (1976), Sweeney Todd (1979), Sunday in the Park with George (1984), Into the Woods (1987) und Assassins (1990).

Musikalisch gehört Sondheim zu den ambitioniertesten Komponisten des Musicals überhaupt. Er steht in einer Traditionslinie von George Gershwin über Kurt Weill zu Leonard Bernstein. Er verweigert sich dem gefälligen, populären Mainstream tanzbarer Melodien. Die Wende zur Rockmusik in den 1960er- und 1970er-Jahren, die sich in Werken wie Hair, Jesus Christ Superstar oder The Rocky Horror Show dokumentiert, vollzog er nicht mit. Er blieb den musikalischen Wertmaßstäben seiner Jugend verbunden, als die Gattung die Sphären des populären Idioms verließ und stofflich und musikalisch anspruchsvoller wurde. Zwar sind seine Kompositionen durchweg tonal, doch in ihrer komplexen musikalischen Struktur weit vom Pop entfernt.

Sondheim erhielt neun Tony Awards, sieben Drama Desk Awards, sechs Laurence Olivier Awards und einen Pulitzer Prize in Drama. 2010 benannte man das Henry Miller’s Theatre an der West 43rd Street von New York City in Stephen Sondheim Theatre um. Er ist darüber hinaus der einzige lebende Komponist, dem eine eigene Zeitschrift gewidmet ist: The Sondheim Review erscheint viermal im Jahr; sie wurde 1994 ins Leben gerufen und enthält Beiträge rund um das Leben und Werk des Namensgebers.

Sondheim ist Jude. Er war lange Zeit mit dem Schauspieler Tony Perkins befreundet. Sein offizielles Coming-out hatte er in den 1980er-Jahren. Sein Partner, mit dem er ab 1991 auch zusammenlebte, war der Schriftsteller Peter Jones (er starb 1999).

Bernstein. West Side Story

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