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ÄUSSERE UND INNERE AUFSTIEGE

SCHRITTWEISE UND LANGSAM

Mein Geburts- und Heimatort Haibach ob der Donau in Oberösterreich liegt nicht in den Bergen. So bin ich in den Jahren der Grundschule nicht so hoch hinaufgekommen. Wohl konnten wir auf den Hügeln der Umgebung von Haibach Skifahren lernen. Mein erster Berg war dann 1967 der Schafberg, vom Ostufer des Mondsees aus über die sogenannte Himmelspforte. Es waren immerhin 1300 Höhenmeter. An die innere Befriedigung, an einen gewissen Stolz, es geschafft zu haben, kann ich mich noch heute erinnern. Es folgten Touren auf den Traunstein, auf das Warscheneck, den Bosruck und den Großen Pyhrgas. Meine Bergführer und Begleiter haben mich gelehrt, was von Anfang an wichtig ist: das langsame Beginnen und der gute Rhythmus. Wenn wir zu schnell losgegangen sind, ist uns am Ende die Luft ausgegangen. Manchmal hat sich zu Beginn der innere Schweinehund gemeldet: Das packst du heute nicht! Warum tue ich mir das heute an? Muss das heute sein? Gibt es eine Ausrede, warum ich heute nicht auf den Berg »muss«, sei es das Wetter oder die eigene Kondition? Aber Schritt für Schritt, Atemzug um Atemzug bin ich dann weiter und meist auch oben angekommen. Gelernt habe ich auch, was eine »Eingehtour« ist, wie wichtig ausreichend Schlaf und gesunde Ernährung sind. »Wer einen hohen Berg erklimmen will, tut das nicht in Sprüngen, sondern schrittweise und langsam«, hat schon Papst Gregor der Große vor 1400 Jahren gemeint. Schrittweise und langsam: Das gilt für die Einübung von Freundschaft, für das Erlernen eines Berufes, für Studium und Ausbildung, auch für den Weg des Glaubens. Und wenn ich angesichts des fernen Gipfels beunruhigt bin und den Eindruck habe: »Eigentlich müsste ich jetzt mit einem Kraftakt hoch, aber ich kann nicht«, dann gilt: Ich muss nicht sofort oben stehen, sondern kann vorerst nur den nächsten Schritt bergauf tun. »Geh einen nächsten Schritt in die Richtung, wohin es dich zieht, vielleicht etwas weiter, als du glaubst, du habest Kraft dazu.« Und die Berge wurden für mich zu einer Schule der Aufmerksamkeit, der Konzentration und der sowohl äußeren als auch inneren Beweglichkeit. Berge lassen sich nicht einfach konsumieren und schon gar nicht kaufen. Die Freude über den Gipfel gibt es nicht ohne Übung, Training und Askese.

GRENZERFAHRUNG BERG

Als Jugendlichen reizten mich bald leichte Klettertouren auf den Großen Priel über den Südgrat, dann schon etwas schwieriger auf die Spitzmauer und den Brotfall im Toten Gebirge, im Gosaukamm die Bischofsmütze, die Weitkarturmkante oder die Mandlkogelkante, in der Brenta die Cima Margherita oder in der Sella die drei Türme und in der Langkofelgruppe die Fünffingerspitze. Mehr als zum fünften Schwierigkeitsgrad habe ich es nicht gebracht. Die Motive meiner Motivation waren recht unterschiedlich: Am Anfang war es mehr der sportliche Ehrgeiz, dann der Versuch, die eigenen Grenzen auszuloten, zu erweitern und zu überwinden. Ich habe dabei massive Grenzerfahrungen am Scheideweg von Leben und Tod gemacht, sei es beim Mitgerissenwerden von einem Schneebrett, beim Hängen im Seil, beim Einbrechen in eine Gletscherspalte oder beim Tod des Freundes, der vor den eigenen Augen beim Abstieg vom Zweiten Sellaturm tödlich verunglückte. Diese Erfahrung war für mich eine radikale Unterbrechung des »Höher-weiterschwieriger«-Strebens.

Der sportliche Ehrgeiz hat ganz aufgehört. Ich bin damals ängstlicher, zurückhaltender und zweifelnder geworden, nicht nur beim Bergsteigen. Auch nachdenklicher: »Warum gibt es mich überhaupt und nicht lieber nicht?« War es »Zufall« oder »Geschenk« oder »Auftrag«, dass ich gefährliche Situationen überlebt habe? Und nicht zuletzt: dankbarer.

An Kanten und Graten fühle ich das Ausgesetztsein meines Lebens:

»Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort, siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher, aber wie klein auch, noch ein letztes Gehöft von Gefühl. […] Aber ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens …«

RAINER MARIA RILKE

Mich aussetzen auf äußeren und inneren Bergen: dem Wagnis der Freiheit, dem Risiko der Liebe, dem personalen Du, den existenziellen Abgründen von Fremdheit, Leid, Schuld und Tod. Gipfelerfahrungen haben mich für den Beigeschmack des Wunders, der Scheu, der Ehrfurcht, der Bescheidenheit und der Auslieferung an die Gefahr sensibilisiert. Ein Hauch von Angst bleibt dabei beständiger Begleiter.

GLETSCHERTOUREN

Mein erster Dreitausender war (nach dem nicht als solchen anerkannten Dachstein) die Wildspitze. Per Autostopp ging es 1971 ins Ötztal. Sommer- und Wintertouren in der Silvretta, im Stubaital, im Zillertal, im Venedigergebiet, auf den Glockner, den Hochgall, im Ortlergebiet, in der Bernina, im Wallis oder im Aostatal gehören seit fast 50 Jahren zu meinem Urlaubsprogramm. Die Motivation hat sich gegenüber dem Klettern verlagert. Wichtig wurden mehr und mehr Wegbegleiter und Freunde, durch die sich der äußere Aufstieg mit dem inneren Weg, dem Besteigen der Berge des Herzens, verband. Das Gehen im Schweigen, das gemeinsame Steigen, das Warten aufeinander, die Verwiesenheit aufeinander am Seil, das Teilen des Essens und Trinkens und die gemeinsamen Abende wurden persönlichkeitsbildend, gemeinschaftsstiftend, freundschaftsstiftend. Immer war auch eine spirituelle Dimension präsent.

Die Berge waren und sind für mich eine Schule der Sehnsucht, mich nicht mit zu wenig zufriedenzugeben, die Ziele meines Lebens nicht zu niedrig anzusetzen und diese nicht aus den Augen zu verlieren. Sie haben mich die Schönheit des Lebens und der Schöpfung gelehrt. Der Blick auf Blumen, auf Alpenrosen, Enzian, Vergissmeinnicht, das Kosten des Wassers, die fantastische Fernsicht, das Erleben der Natur: Das ist Nahrung für meine Seele. Gipfelerlebnisse sind für mich geprägt von überwältigenden Glücksgefühlen, sind Momente totaler Aufmerksamkeit und erscheinen als Blitze totaler Freiheit. Das wesentliche Sein und der Sinn des Lebens erscheinen unverhüllt, völlig einsichtig und klar und ungeheuer schön. Situationen auf dem Berg als Grenzerfahrungen des Lebens und des Todes, als Quelle größter menschlicher Zuneigung können Momente sein, in denen wir etwas vom Geheimnis Gottes erahnen.

BIBLISCHE BERGE

Ein etwas anderer Zugang geht über biblische Berge, die ich bestiegen habe, beispielsweise den Sinai, den Berg Karmel, den Tabor oder den Berg der Seligpreisungen. Berge der Wüste wie der Assekrem im Hoggargebirge oder die Dünen von Kerzaz haben ihre eigenen Herausforderungen. Saharafahrten haben sich bleibend eingeprägt. Wie die Alpen waren die Berge der Wüste für mich eine große Hilfe, die inneren Berge der eigenen Identität und der Einwohnung Gottes in mir emporzusteigen. Die gegenseitige Bezogenheit hat eine lange Tradition, die sich in der Mystik niedergeschlagen hat. Gregor von Nyssa vergleicht den Aufstieg der Seele zu Gott mit Moses, der auf dem Sinai die Bundestafeln erhält. Der Aufstieg auf den Berg Sinai (Ex 33) wird zur Allegorie des geistlichen Aufstiegs zur Gotteserkenntnis. Moses wird als Typus des kontemplativen Beters gezeichnet, der Aufstieg zum Sinai wird als Weg zur Vollkommenheit und als Aufstieg zur Kontemplation gedeutet. Der Sinaigipfel erscheint als »Gipfel des Geistes«. Johannes Klimakos war Mönch auf dem Sinai. Seine Gedanken über die innere Treppe beziehungsweise Leiter lassen sich auch in der geografischen Landschaft vom Katharinenkloster hinauf zum Sinaigipfel wiederfinden.

GIPFELKREUZE

»Der Weg ist das Ziel«, so lautete vor einigen Jahrzehnten ein Werbeslogan. Das ist auch richtig so. Und doch hat der Weg allein ohne Orientierung und ohne Ziel noch keinen Sinn. »Weg« hat ja eine doppelte Bedeutung. Es kann der Geh-, Fahr- oder Transportweg oder auch der Lebensweg sein. »Weg« kann aber auch Distanzierung bedeuten: Weg von hier, weil die Leute so anstrengend sind, weil Aufgaben kaputtmachen, weil das Leben zum »weg«-werfen ist.

Die Erlebnisgesellschaft, die so viel vom Leben, vom Glück, vom Heil, auch von der Gesundheit redet, ist oft weit »weg« vom Leben, dem eigentlichen Leben recht fern. Realitätsverweigerung und Wirklichkeitsflucht gehören zum Programm. In unserer Zeit ist man damit beschäftigt, Ablenkungen zu gestalten, weiß aber nicht mehr, wovon man ablenken will. Nun wollen wir es doch nicht so machen wie in dem unvergesslichen Lied des Wiener Kabarettisten Helmut Qualtinger aus den 50er-Jahren, in dem ein jugendlicher Motorradfahrer sagt: »Wir wissen nicht, wo wir hinfahren, aber dafür sind wir g’schwinder dort.«

Es gibt einen Berg für jedes Alter

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