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Susret

Eine Begegnung auf dem Goetheplatz

Edina Covic

D

er Ball rollt zum walnussfarbenen Schuh. Er nimmt den Ball auf, spielt ihn nach oben, nach unten und lässt den linken Fuß auf dem Ball stehen. Spielpause. Dann umfassen die riesigen Hände des Mannes den Ball. Seine Augen starren den Ball an, als lese er aus einem Buch.

Der Junge traut sich nicht nach oben zu schauen zu dem Mann mit den walnussfarbenen Schuhen. Nur langsam dreht er seinen Kopf nach oben. Susret. Der grauhaarige Mann im grauen Mantel beugt sich mit traurigen Augen zu dem Jungen herunter und gibt ihm den Ball zurück.

Sie schauen sich eine Weile wortlos an. Gegenüber, in der kaputten Fensterscheibe der Akademie für interdisziplinäre Prozesse, tauchen ihre verzerrten Schatten auf – eine Anmutung der kopfüber sitzenden Kassiopeia.

Der Mann mit den walnussfarbenen Schuhen entdeckte in den Kritzeleien auf dem Ball ein großes schiefes W – der Junge schmierte es in einer Spielpause auf den Ball – das Sternbild der Kassiopeia. Und es wird immer wieder auftauchen: Im Abdruck des walnussfarbenen Schuhs, im Zigarettenrauch, in den zerstreuten Regentropfen auf der Autoscheibe, in der Verteilung der Sonnenblumenkerne auf dem Teller. Er lässt sie als Muster zurück, obwohl er noch Hunger hat. Vor langer Zeit erklärte ihm jemand das Sternbild der Kassiopeia. Solche Orte wird er immer wieder mit Nebel in den Augen verlassen.

Die walnussfarbenen Schuhe entfernen sich, der Junge schaut ihnen nach, dreht sich um, rennt in Richtung Bernardstraße, den Ball in die Luft werfend. Er schaut in den Himmel.

Und jedes Mal, wenn er sich etwas wünscht, von dem er weiß, dass er es nicht bekommen kann, wird sich der Junge an die nebelerfüllten Augen des Mannes mit den walnussfarbenen Schuhen erinnern.

Offenbacher Einladung

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