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Feuervögel

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Die Datumsanzeige am unteren Rand des 3D-Kontrollhelm- displays zeigte den 11. März 2033.

Flammen schlugen aus den Fenstern im dritten Stock des Hauses bis über die Kante des Flachdachs. Rauch stieg zwischen den Bitumenbahnen auf, über die eine Miniatur-Rotordrohne taumelte wie ein verletzter Maikäfer. Auch zu Füßen des Eingeschlossenen qualmte es. Der stämmige Mann winkte hektisch nach oben in die Kamera der Feuerwehrdrohne.

„Hände fest an die Traggurte!“ brüllte Mirko Gutlieb in das Mikro seines Drohnenkontrollhelms, dann zog er den Flightstick zurück. Die LLD 4C „Seeschwalbe“ stieg auf, das Tragseil spannte sich und hob den Mann vom Dach. Sofort schwang er nach vorn, ruderte mit den Armen, dann entsann er sich der Aufforderung und packte wieder die Gurte. Die Drohne folgte seiner Bewegung und stabilisierte ihn. Durch die Helmlautsprecher hörte Mirko die drei Rotoren angestrengt surren, als sie den Geretteten in die Höhe zogen. Von der Straße aus musste es seltsam aussehen, wie er unter dem Fluggerät hing, das kaum größer war als er selbst. Die Seeschwalbe war eine leichte Feuerwehrdrohne, entworfen für die Lageerkundung und Einsatzführung. Personenbeförderung gehörte nicht zu ihrer offiziellen Leistungsbeschreibung, aber im Einsatz nutzte man, was man hatte, und tat, was nötig war, um Leben zu retten.

Mirko betätigte den Autopilot-Knopf am Flightstick, dann wählte er einen Kurs in der 3D-Eingabe der Vorausplanung. Das thermische Bild der Kamera seiner zweiten, höher fliegenden Seeschwalbe warnte ihn vor heißen Luftströmungen. Die 360-Grad-Kamera des Löschzugs lieferte ihm Bilder von der Straße, wo Kollegen gerade gegen zwei junge Männer vom Nachbarschaftsschutz vorgingen, die den Brand mit Minidrohnen filmten und so die Rettungsarbeiten gefährdeten. All diese Informationen liefen in der Lagedarstellung seines Helms zusammen.

Während der Gerettete sicher vom Dach schwebte und auf der Straße von Mirkos Kollegen in Empfang genommen wurde, feuerten die schweren „Hummel“-Drohnen weitere Lösch- mittelpakete durch die Fenster. Diese Pakete platzten drinnen, füllten die Wohnungen mit blauem Nebel und erstickten das Feuer so weit, dass die Männer vom Löschzug mit ihren vierbeinigen robotischen Einsatzmittelträgern vorrücken konnten.

„Das hätte nicht passieren dürfen“, sagte Nils, der von seinem Arbeitszimmer aus zwei der Hummeln führte. „Nicht hier.“

„Zufall ist das bestimmt nicht“, antwortete Tim, der dritte Mann des Luftlöschtrupps. Als Elektroingenieur war er zuständig für die technische Wartung der Drohnen und arbeitete als Einziger ständig auf der Wache.

„Nein“, stimmte Mirko zu. „Das war er.“

Er, das war der Phantombrandstifter, und Nils hatte recht. Dieser Brand hätte niemals gelegt werden dürfen. Nicht nur, weil sie durch zwei Dutzend Brandstiftungen vorgewarnt gewesen waren, sondern vor allem, weil das Landeskriminalamt mit einem Programm für geografisches Profiling den wahrscheinlichen Tatort vorhergesagt hatte. Die ganze Gegend wurde bereits seit Tagen heimlich mit Kameras überwacht, sodass nicht einmal eine Katze von einem Hof in den anderen schlüpfen konnte, ohne eine Datenflut auszulösen. Nun aber brannte es, genau in der vorhergesagten Zone – und erneut hatte niemand etwas gesehen oder gehört.

Hatten sie nicht mit allem gerechnet? Zweihundert Meter, so hoch reichte die Sicht der zielsuchenden Kameras des LKA. Und nicht zu vergessen, all die mehr oder weniger legalen Überwachungsbemühungen, die sich die Bürger hatten einfallen lassen, seit über die Brandserie berichtet wurde. Solidarität gegen Brandstiftung, diesen trockenen Namen hatten sich die Nachbarschaftswächter gegeben. Sie hatten gebrauchte Kameradrohnen zur Überwachung all jener Grundstücke angeschafft, deren Besitzer ihr Einverständnis gegeben hatten. Mirko hatte sie bei der Auswahl der Maschinen und der Programmierung der Flugpläne beraten.

Der gerettete Mann wurde von seiner Familie in die Arme geschlossen. Selbst der Labrador-Retriever freute sich über all den Trubel und sprang an ihm hoch.

Mein erstes gerettetes Leben, dachte Mirko. Er empfand jedoch keine ungetrübte Freude und so reagierte er verhalten auf die Glückwünsche seiner Kollegen, die per Funk hereinkamen. Dass dieser Brand überhaupt hatte gelegt werden können, war eine mehr als peinliche Niederlage. Diese Erkenntnis arbeitete in seinem Kopf, während er den Löschangriff aus fünfzig Metern Höhe überwachte. Und das Bohren dieses Gedankens ließ auch nicht nach, als die Drohnen eine Stunde später auf dem Hof der Feuerwehrstation sicher auf ihren mobilen Plattformen landeten.

Gleich darauf schwang Mirko sich aufs Fahrrad und fuhr rüber. Er traf Tim bei der Wartung der Einheiten im Hangar. Der Ingenieur ließ ein Diagnoseprogramm durchlaufen, um sicherzugehen, dass die Bordcomputer durch die Hitze nicht gelitten hatten. Mirko untersuchte die Rotoren mit der Ultraschallsonde, während seine Gedanken aus ihm heraussprudelten.

„Wir kriegen ihn“, versprach Tim, nachdem er sich Mirkos Klagelied geduldig angehört hatte. „Unser Zur-Zeit-noch- Phantom hat es geschafft, durch die Überwachung zu schlüpfen, na gut. Aber wer immer es auch war – registriert wurde er auf jeden Fall. Ich kenne einen der LKA-Ingenieure aus dem Studium in Darmstadt. Lars ist noch vor seinem Abschluss zur Polizei gegangen, erst kriminaltechnischer Dienst, später LKA. Er vermutet, dass der Täter ein unauffälliges ferngesteuertes Gerät benutzt, um die Brände zu legen. Wahrscheinlich eine genehmigungsfreie Minidrohne mit einem Abfluggewicht unter fünfhundert Gramm. Deshalb haben sie zwei Funkmesswagen eingesetzt, um jede Art von Steuerbefehlen aufzuzeichnen und zum Ursprung zurückzuverfolgen. Viel Arbeit, bei all dem Datenfunk in der Großstadt heutzutage, aber ich wette mit dir, es dauert keine Woche, dann sehen wir das Gesicht des Burschen live auf Deine News Frankfurt, wenn sie ihn aus seiner Wohnung holen.“


Mirko wollte das nur allzu gern glauben. Am Abend saß er mit einem Käsebrot und seinem Tab vor dem Küchenfenster, las die von Bürgern verfassten Nachrichten auf Deine News und zählte Drohnen. Eine war gerade dabei, die Solaranlage auf dem Nachbarhaus zu putzen. Doch insgesamt stellten Lieferdrohnen von Restaurants und Überwachungseinheiten der Polizei, des Ordnungsamtes und der Bürgerinitiative den Löwenanteil bei den größeren Modellen, die insbesondere die mittleren Höhen zwischen hundert und vierhundert Meter nutzten. Private Kleinstdrohnen blieben infolge der Vorschriften nahe am Boden. Die meisten folgten ihren Besitzern wie Hunde beim Gassigehen – vor allem Teenagern, die glaubten, ihre Leben seien so spannend, dass sie permanent dokumentiert werden müssten.

Vielleicht hatten einige der jüngeren Kinder von ihren Eltern Drohnen-Bewährung bekommen, eine neue Form des mobilen Arrests, bei dem sich die Gelehrten noch über die Grenzen zwischen Erziehung und Menschenrechtsverletzung stritten. Und dann gab es da die privaten Sicherheitsdrohnen: radkappengroße, runde Scheiben, Dreiecke und Quadrate, die in unregelmäßigen Abständen aus Häusern aufstiegen, eine Runde durch die Gärten drehten und wieder verschwanden.

Was Mirko erstaunte, war die hohe Zahl gewerblicher Drohnen, bei denen er keine Vorstellung hatte, zu wem sie gehörten und warum sie in seiner Nachbarschaft unterwegs waren. Ein paar davon zählten vielleicht Grünpflanzen und Singvögel in den Vorgärten. Andere waren offensichtlich hinter sensibleren Informationen her, wie den Nummernschildern der Autos, die vor den Häusern parkten, sowie Wärmebildern von Dächern. Information war Macht in den Händen von Staat, Wirtschaft und Interessenverbänden. Je aktueller und umfassender die Information, desto mächtiger war sie. Drohnen boten hier das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Durch programmierte Flugpläne konnte eine einzige Person mit der erforderlichen Lizenz eine ganze Flotte kontrollieren. Zum Beispiel, um Solarzellen zu reinigen und zugleich fremde Hausgrundstücke nach leicht brennbaren Dingen abzusuchen, dachte Mirko und biss von seinem Brot ab.

Der Brandbeschleuniger war immer schon am Tatort gewesen: ein halbvoller Benzinkanister neben der Garage, ein Brennholzstapel mit Fichtenreisig unter einer Wetterschutzplane, ein Eimer Lack, der offen am Fenster stand, ein Lager voll mit alten Kartonagen. Alles war gezündet worden, ohne dass jemand es zuvor bewegt hätte. Ob der Kerl bei den Bränden zugesehen hatte? Vielleicht, aber dafür musste er nicht einmal in der Nähe gewesen sein. Auch zu dem neuesten Brand gab es reichlich Videomaterial – live eingespeist von Nachbarn und Schaulustigen, die keinen Unterschied zwischen Information und Sensation machten. Es war noch nicht einmal unbemerkt geblieben, dass einer der Funkmesswagen zum Einsatz gekommen war.

„Wer immer es auch war – registriert wurde er auf jeden Fall“, hatte Tim behauptet, und die meisten Kommentarschreiber waren der gleichen Meinung. Mirko hoffte, dass die Leute recht behielten. Hoffentlich spürte das Phantom den Druck der näher rückenden Enttarnung und hatte keine ruhige Minute mehr.


Das Nachtdisplay des Schlafzimmer-Netzwürfels zeigte 5:37 Uhr am 12. März 2033. Der Alarmgong erklang, gefolgt von der Stimme des automatischen Einsatzleitsystems: „Brandmeldung, Sektor B7, Einsatz für den Luftlöschtrupp.“

Das ist kein Traum, dachte Mirko, während die Meldung erneut abgespielt wurde, und fühlte zugleich den Adrenalinstoß, der ihn erwachen ließ. Er schlug die Bettdecke zurück und stand auf. Noch etwas wacklig auf den Beinen hastete er in sein Arbeitszimmer. Dort erwartete ihn bereits die Computer-Bedienoberfläche, die über dem Schreibtisch zu schweben schien. Er nahm den Helm der Drohnensteuerung von dem gesichtslosen Glaskopf und setzte ihn auf. Die Vision richtete sich summend im optimalen Abstand zu seinen Augen ein, während im Hangar die beiden Seeschwalben automatisch von ihren Plattformen abhoben.

Nachdem die Drohnen die hell erleuchtete Halle hinter sich gelassen hatten, stiegen sie in den wolkendurchzogenen Nachthimmel. Unter ihnen erstreckte sich die Stadt mit ihrem ewigen Lichtvorhang.

Mirko musterte die Karte. Der Brand leuchtete als roter Punkt am Rand des Industrieparks Höchst nahe dem Stadtwald. Er kannte das Areal.

Ein städtischer Wertstoffhof, dachte er. Um diese Zeit ist da niemand.

Seine Kollegen Nils und Tim stießen mit ihren vier Hummel-Drohnen hinzu: Der Erste Luftlöschtrupp Frankfurt-Süd zog in enger Flugformation in den Einsatz.

„Moin“, sagte Tim verschlafen.

Mirko drehte das Mikro weg und gähnte herzhaft, dann zog er es wieder in Position. „Guten Morgen, Jungs. Alle wach und einsatzbereit?“

„Yup“, sagte Nils. „Ein Fahrzeugbrand. Sieht zur Abwechslung mal nach einer einfachen Sache aus.“

Tim brummte zustimmend.

Mirko zog eine Linie auf der elektronischen Karte und ließ seine Seeschwalben für den ersten Angriff vorausschießen.

Schon von Weitem war das Feuer auszumachen: Zwei Sattelanhänger, eine Zugmaschine, drei offene Wertstoffcontainer und ein riesiger Haufen Grünabfall standen in Flammen. Schwarze und graue Rauchkamine verbanden sich und stiegen dann fast schnurgerade in den Himmel. Die Seeschwalben scannten die Dachmarkierungen der Anhänger. Deren Codes standen für Altpapier und leicht entzündliches Verpackungsmaterial. Ihre Drohnen würden da nicht viel ausrichten, aber auf der Karte näherte sich bereits das Symbol des Löschzugs mit dem Tanklöschwagen und den Robotern. Mirko ließ Seeschwalbe eins um das Feuer kreisen. Die angrenzende Wiese brannte ebenfalls; ein Kaninchen floh im Scheinwerferkegel vor den Flammen, die sich durch das trockene Gras fraßen. Die Drohne maß Ausbreitung und Geschwindigkeit des Feuers, registrierte Topografie, Windströmungen und verbliebenes Brennmaterial. Dann errechnete sie aus diesen Daten ein Modell der zu erwartenden Brandentwicklung. Die Motoren von Seeschwalbe zwei heulten, als sie die Maschine im heißen Aufwind stabilisierten.

Mirko ließ die Drohne eine Position über dem Verwaltungsgebäude neben dem Tor einnehmen, von wo aus sie das Einsatzgebiet sicherte. Nils’ und Tims Hummeln flogen von der Stadt heran, jede bestückt mit zweihundertfünfzig Kilo ABC- und Metalllöschpulver in Form von zehn Nebelladungen.

„Mit unseren Mitteln können wir den Brand nur eindämmen“, fasste Mirko seine Analyse zusammen. „Hier und hier.“ Er zog zwei Linien auf dem Bildschirm und markierte den einen noch unbeschädigten Sattelschlepper, der ein Stück entfernt von den brennenden stand. „Wir drängen das Feuer durch gezielten Löschmitteleinsatz zurück, bis Hagens Leute am Boden so weit sind.“

„Ich fordere zusätzliche Drohnen aus Eckenheim an“, sagte Tim. Seine Finger flogen über die Tastatur. „So … Nord schickt uns vier Hummeln …“

Er unterbrach sich. „Da! Mann im Feuer!“

Auf Tims Veranlassung hin legte die Drohnenkamera von Seeschwalbe zwei einen Lebenszeichenfilter über das Bild. In der Führerkabine eines der brennenden Sattelzüge saß eine Gestalt, deren Atemwolken grün hervorgehoben wurden. Mirko zoomte heran. Offenbar hatte der Mann einen Schlafsack übergeworfen, weshalb ihn die Personenerkennung bisher übersehen hatte. Wahrscheinlich hatte er in der Kabine geschlafen und war von den Flammen überrascht worden. Vor ihm versperrte ein Maschendrahtzaun mit Stacheldrahtkrone den Fluchtweg, rechts von seiner Zugmaschine hüllten brennende Grünabfälle alles in dichten Rauch. Hinter ihm loderten die Flammen der beiden Anhänger so heiß, dass kein Durchgang blieb, und links brannte die Zugmaschine, deren Tanks jederzeit explodieren konnten. Mirkos Hand umklammerte den Flightstick. Seine Aufklärungsdrohnen konnten hier nichts bewirken, solange er vom Boden aus keine Unterstützung erhielt. Er hatte das Gefühl, tausend Kilometer weit weg zu sein.

„Nils …“

„Ich weiß!“ Nils’ Hummeln erschienen über den Flammen und drehten sich in Angriffsposition. Sie erinnerten Mirko ein wenig an riesige Pinguine mit Rotorgondeln anstelle des Schwanzes und der Stummelflügel. Patronen mit Löschpulver zischten aus den Abschussbechern und platzten mit dumpfem Knall in den Flammen, die auf ein Drittel ihrer Größe zusammensanken. Darauf hatte der Eingeschlossene gewartet. Er stieß die Tür der Fahrerkabine auf, sprang auf den Weg, schlang den offenen Schlafsack um sich wie einen Kapuzenumhang und rannte los, zwischen der brennenden Zugmaschine und dem Zaun durch. Nils ließ eine Serie Ladungen über ihm platzen. In einem blau glühenden Löschmittelvorhang stürzte der Mann und rollte sich über den Splitt, wohl in dem Glauben, Feuer gefangen zu haben.

Ein vierbeiniger Einsatzmittelträger stampfte ins Bild, fasste den am Boden Liegenden um den Bauch und zog ihn zu dem unbeschädigten LKW. Offenbar hatten die Kollegen auf dem Führungsfahrzeug schnell geschaltet und die Einheit querfeldein vorausgeschickt.

„Wie sieht es aus?“, fragte Löschdrohnen-Operator Mirko. Er versuchte vergeblich, noch näher heranzuzoomen.

„Nur leichte Verbrennungen“, kam die erlösende Nachricht von Brandmeister Sachs. „Wir übernehmen ihn.“

Auf der Anhängerplane hinter dem robotischen Rettungsmittelträger bemerkte Mirko drei leuchtende Punkte, die rasch schwarz und größer wurden. Gab es Funkenflug? Er schaltete die Filter durch und runzelte die Stirn. Grüne Linien zogen sich durch das Bild bis zu der Plane, aus der gerade erste Flämmchen schlugen.

„Sky Süd Truppenführer an Löschzug: Der Sattelzuganhänger hinter dem Träger fängt Feuer. Schafft den Mann da weg!“

Der Rettungsmittelträger half dem Verletzten aufzustehen. Dann führte er ihn in Richtung Zufahrt, wo in diesem Moment die Fahrzeuge des Löschzugs hielten.

Die grünen Strahlen zielten unbeirrt auf den Anhänger, der an immer neuen Stellen brannte.

„Jemand hilft von oben nach“, erkannte Mirko und ließ Seeschwalbe zwei so weit wie möglich nach oben blicken. Allerdings waren die beweglichen Kameras alle nach unten gerichtet, und die obere Navigationskamera zeigte nur einen kleinen hellen Punkt vor den Wolken. Mirko ließ die Drohne mit maximalem Tempo aufsteigen. Die Seeschwalbe schoss mit surrenden Rotoren in den Himmel, vorbei an Hummel drei, deren feuerwehrrote Verkleidung am Ansatzpunkt der linken Gondel Blasen warf. Schwarzer Kunststoffqualm stieg auf.

„Nils, deine Drei wird angegriffen!“, brüllte Mirko in das Mikrofon.

„Der Akku überhitzt. Verdammt, was ist da los?“

Nils schwenkte Hummel drei, sodass der Laserstrahl sein Ziel verlor und eine Brandspur über die Drohnenhülle zog. Sofort nahmen weitere Strahlen die Hummel unter Beschuss. Einer tanzte über die Verkleidung der vorderen Rotorgondel und vereinigte sich mit einem zweiten. Nils ließ die Drohne abkippen, doch zu spät. Ein Blitz folgte, die Hummel trudelte. Die verbliebenen Löschmittelbehälter wurden per Notauswurf freigesetzt und explodierten als blauer Nebel über den Flammen. Nummer Drei fing sich wieder mit den verbliebenen Motoren.

„Ich muss notlanden“, erklärte Nils.

„Da sind landwirtschaftliche Drohnen über euch“, meldete sich Gruppenführer Hagen, der vom Boden aus auf einen Punkt im Himmel deutete. „Mirko, du müsstest sie gleich sehen können.“

Mirko ließ Schwalbe zwei weiter aufsteigen und schaltete zwischen den Kameras hin und her. Und da war sie, eine Agrobeam-Drohne, die zur Unkrautbekämpfung mit einer Reihe Lasern ausgestattet war, eine sechs Meter durchmessende Ellipse, himmelblau und weiß. „Veg Laser AG, Licht statt Chemie“, stand darauf. Ihre Positionslichter und Transponder waren ausgeschaltet, sonst hätte er sie im Flugsystem gehabt. Gerade drehte sich das Gerät. Die Laser feuerten. Durch den Rauch waren die grünen Strahlen deutlich sichtbar.

„Nummer vier wird getroffen!“ meldete Nils wütend. „Ich lasse sie rotieren, um die Energie zu verteilen.“

Etwas musste geschehen. Mirko riss am Flightstick und brachte die Seeschwalbe über die Agrobeam. Löschmittelpatronen platzten aus vier der fünf Abschussbecher und schlugen in die Rotoren der landwirtschaftlichen Drohne ein. Einer barst in einem Hagel weißer Trümmer, der zweite bremste ab, um dann schwer beschädigt wieder anzulaufen. Doch der Auftrieb reichte nicht mehr. Die Drohne kippte über die Mittelachse und taumelte wie ein Frisbee der Erde entgegen. Zugleich schrillte der Überhitzungsalarm der Seeschwalbe. Das Akku-Warnzeichen flammte auf. Zwei Sekunden später riss die Verbindung ab. Das Bild wurde schwarz.

Mirko schaltete auf Schwalbe eins, drehte sie und sah gerade noch Nummer zwei Richtung Boden stürzen und auf dem Splitt des Wertstoffhofs zerplatzen.

„Vier geht auch runter“, sagte Nils frustriert. „Meine Hummeln sind beide erledigt.“

„Wähl den Polizeinotruf, die sollen sofort die Frequenzen dieser Drohnen blockieren, damit der Pilot ihnen keine neuen Befehle geben kann! Die wissen schon, was zu tun ist.“

Mirko ließ Seeschwalbe eins in einer weiten Spirale in die Höhe jagen. Das war kein Löscheinsatz mehr, sondern ein Luftkampf, und in dem zählten die höhere Geschwindigkeit und die überlegene Position. Tim hatte offenbar die gleiche Idee. Die Lagedarstellung zeigte, dass seine Hummeln langsam stiegen. Plötzlich schoss eine blaue Ellipse durch das Kamerabild von Nummer eins. Die Seeschwalbe wäre fast mit einer Agrobeam kollidiert und war nur wenige Meter entfernt vorbeigerast. Mirko richtete die Kamera aus, zoomte aus dem Bild und hielt die Luft an. Die Agrobeam stand über dem Wertstoffhof und nahm die verbliebenen Hummeln unter Beschuss, während zwei Formationen mit jeweils drei Laserdrohnen Richtung Stadt flogen.

„Das Feuer war eine Falle“, erkannte Mirko. „Der Brandstifter will unsere Drohnen erledigen, damit er freie Bahn hat.“

Er feuerte den letzten Löschmittelbehälter in den Rotor der angreifenden Agrobeam. Ohne den Erfolg abzuwarten, nahm er mit Höchstgeschwindigkeit die Verfolgung der übrigen Drohnen auf. Falls sie die Wohngebiete erreichten, könnten sie eine brennende Schneise durch das Herz der Stadt ziehen.

Die Seeschwalbe schob sich über die nächste Agrobeam. Mirko hatte nur eine Chance: Er musste mit der Landekufe die Rotoren zerstören und dann schnell weiter zu den anderen. Allzu hastig ließ er die Seeschwalbe herabstoßen. Die Kufe schrammte über den blauen Kunststoff der Drohnenhülle. Als Kufe und Rotor zusammentrafen, barst der Rotor. Die Kufe verhakte sich, die leichte Seeschwalbe wurde herumgeschleudert und stürzte mit der abkippenden Agrobeam in die Tiefe. Mirko schrie wütend und riss am Flightstick – rauf, rechts, runter. „Komm schon!“ Als sich die Seeschwalbe endlich löste und der Computer den Sturz abfing, war das Fluggerät mehr als dreihundert Meter gefallen, und einer der Rotoren lief unrund. Nur langsam stieg die Seeschwalbe, zu langsam, um die Agrobeams noch einmal einzuholen.

„Das wars!“ Mirko stieß das Mikro vom Mund weg. „Ich kann nichts mehr tun.“ Dennoch hielt er die Drohnen mit der Kamera erfasst.

Während er ihnen hinterher starrte, lösten sich blinkende rote und blaue Lichter aus dem Schimmer der Stadt, einige malten enge Kreise in die Dunkelheit. Manche waren klein, nur Funken, andere hell wie Feuerwerkssterne, und alle flogen sie den angreifenden Drohnen entgegen. Über den letzten Ausläufern des Stadtwalds trafen sie zusammen. Der Luftkampf dauerte nur Minuten. Die Verteidiger waren in der Überzahl. Eine Agrobeam nach der anderen stürzte zwischen die Bäume.

„War doch eine gute Idee, dass ich das Videomaterial der Schwalben an Deine News Frankfurt gesendet habe“, sagte Tim selbstgefällig, während die letzten beiden Agrobeams abdrehten und Richtung Südosten zu entkommen versuchten. „Die Leute haben nur darauf gewartet, dass ihnen jemand sagt, wie sie helfen können.“

In den folgenden zwei Stunden brachten der Löschzug und die Hummeln von Sky Nord das Feuer auf dem Wertstoffhof unter Kontrolle. Doch es wurde fast Mittag, bis die beschädigten Feuerwehrdrohnen geborgen waren und Mirko, Tim und Nils die Fragen der mit den Ermittlungen betrauten Kommissarin Opels beantwortet hatten.

Anschließend trafen sie sich im Hangar, tranken Bier und dachten über die Zukunft nach. Der Anblick der zerstörten Drohnen, die erdverkrustet und verbogen auf dem Hallenboden lagen, schlug ihnen auf die Stimmung. Tim jedoch lud einige Hochglanzprospekte aus dem Netz: Feuerwehrdrohnen der neuesten Generation. Und die Aussicht auf neues Gerät ließ die Laune schnell steigen.

„Wir waren gut – ach was, spitze“, stellte Nils fest und öffnete eine weitere Bierflasche an der Tischkante. „Die Stadt muss uns das Gerät bestellen lassen, das wir brauchen. Und wir brauchen hochmoderne Drohnen, keine Second-Hand-Gurken aus dem Altbestand der Flughafen-Feuerwehr.“

„Absolut, das haben wir uns verdient“, stimmte Tim ihm zu. „Wir haben das Phantom aufgehalten, und die Polizei konnte seine Datenspur aufnehmen. Wenn sie den Kerl schnappen, haben sie das uns zu verdanken.“

Mirko blätterte lächelnd in seinem Prospekt. Die LLD 6 „Silbermöwe“ war kaum größer als die Seeschwalben – aber viel stärker, schneller und mit leistungsfähigerer Sensorik ausgestattet. Im Netz hieß es, sie zu fliegen fühle sich durch die hochauflösenden Kameras an, als sei man selbst ein Vogel … Vielleicht lag es am Bier, aber er hatte große Lust, den Bestellschein schon mal zur Probe auszufüllen.

Nils’ Tab gab einen Signalton von sich. Sofort beugte Nils sich darüber. „Hey Tim, das ist deine nette Kommissarin.“ Er tippte auf den Videolink, öffnete ihn.

Tim errötete. „Sie ist nicht meine Kommissarin. Wir haben uns nur gut verstanden. IT-Experten unter sich eben.“

„Es geht los?“ Mirko rückte seinen Stuhl an Nils heran, um besser sehen zu können.

Das Live-Bild zeigte eine Landstraße von oben und einen roten Elektroflitzer, der sie entlangraste, dicht verfolgt von zwei Streifenwagen. In der Kurve schien der Flüchtige die Kontrolle zu verlieren, doch der Einzelradantrieb verbiss sich im Asphalt und der Flitzer schoss in die Gerade. Die Streifenwagen hielten die Distanz, als wären sie durch ein unsichtbares Seil mit dem Fluchtwagen verbunden.

„Hallo, meine Herren“, sagte Kommissarin Linda Opels. „Hier kommt das versprochene Update: Die Auswertung des Datenfunks hat uns zu einer Adresse in Bad Vilbel in der Wetterau geführt. Vor einer halben Stunde haben wir das Haus mit SEK-Kräften gestürmt und hunderte Stunden Bildmaterial von den Phantombränden sichergestellt. Das Zeug lief in Dauerschleife. Leider hatte sich der Drohnen-Operator schon aus dem Staub gemacht. Aber jetzt haben wir ihn, und wie er gleich feststellen wird, fährt es sich schlecht ohne Bordelektronik …“

Die Polizeidrohne senkte sich wie ein Falke auf den roten Wagen hinunter, bis sie wenige Meter darüber flog. Plötzlich ging das Tagfahrlicht an dem Fahrzeug aus.

„Ah, ein elektromagnetischer Impuls“, sagte Tim und nippte an seinem Bier. „So etwas hätten wir heute gut gebrauchen können.“

„Sieht nicht so aus, als wollte er freiwillig bremsen“, sagte Nils, während der Wagen langsam ausrollte.

„Kein Wunder“, lächelte Mirko, „offenes Feuer ist im Knast verboten. Das wird ein kalter Entzug für unser Phantom …“

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