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GLAUBENSGEWISSHEIT? DIE ALLERNÖTIGSTE FRAGE REFORMATORISCHER THEOLOGIE EINST UND JETZT Walter Sparn

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Die Frage nach den Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie rückt spätestens seit dem Ende ihrer formal konfessionellen Existenz nahe an die Frage nach der religiösen und kulturellen Präsenz der Reformation überhaupt, hierzulande und anderswo. Man denke nicht nur an die ökumenischen Debatten der letzten Dekaden, sondern auch an die vielen Varianten der Bezugnahme auf die Reformation, speziell an durchaus eigenwillige Luther-Bilder in Freikirchen, in charismatischen Gemeinden oder in lutherischen Kirchen in Schwarzafrika, Indien und China. Im Bewusstsein eines Mangels an Umsicht beschränke ich mich auf unsere durchaus partikulare akademische Welt.

I.REFORMATORISCHE KONSTELLATION(EN)

»Wie einer gewis wird, dass ihm die sund vergeben sein?« Auf »diese allernötigeste frage« bezog Philipp Melanchthon in der Apologie des Art. XII des Augsburgischen Bekenntnisses den Gegensatz der reformatorischen zur altgläubigen Lehre von Rechtfertigung und Buße »Hanc certitudinem fidei nos docemus requiri in evangelio. Adversarii relinquunt conscientias incertas et ambigentes.« Wenn aber die ungetröstet und friedlos gelassenen Gewissen »inn dem zweifel allzeit und ewig steckenbleiben, so erfaren sie nimmer, was Gott, was Christus, was glaub sey. Darüber gehets zuletzt also, das sie in verzweifelung, one Gott, one alle Gotteserkenntnis sterben.«1 Melanchthons Fokussierung des aufbrechenden konfessionellen Gegensatzes wurde dann vom Konzil von Trient in der Sessio VI über die Rechtfertigung 1547 bestätigt. Im Verfolg des pastoralen Interesses an der Aktivierung heilsdienlichen Handelns wusste es sogar den moralischen Selbstzweifel des Christen zu schätzen; es belegte die evangelische Glaubensgewissheit daher als inanis haereticorum fiducia mit dem Anathema. Genauso sah den Gegensatz auch Martin Chemnitz in seinem Examen Concilii Tridentini von 1565: Aus dem Evangelium in seiner Eigenart als promissio gratuita fließe die certitudo justificationis; diese Heilsgewissheit sei eine Eigentümlichkeit (proprietas) des rechtfertigenden Glaubens. Dieser hat als solcher keinerlei Grund zum Zweifel.2

Der Ort und die Zeit, in der die Vergebungs- und Heilsgewissheit geschenkt wird, war für die gesamte reformatorische Theologie die Buße. Insofern das ganze Leben des Christen Buße ist, wird die im Frommwerden erfahrene Glaubensgewissheit Anlass zum Dank, ihre mangelnde Stetigkeit veranlasst zur Klage, zum Bekenntnis der Sünde und zur Bitte um die neuerliche Gabe eines gnadengewissen Glaubens durch den Heiligen Geist. Diese Vorgänge, die in fast allen rhetorischen und literarischen Genera beschrieben wurden und die zur Neubestimmung der theologischen Reflexion als sapientia experimentalis führten, vollziehen sich in einer kommunikativen Konstellation.3 Sie lässt sich, sehr verknappt, so beschreiben: Glauben ist Gewiss-Sein der göttlichen Gnade erstens, weil es von dem Zuspruch des Evangeliums Jesu Christi hervorgerufen und lebendig erhalten wird. Zweitens ist es ein neues Selbstverhältnis, d. h. es existiert in einer Person, deren Herz und Gewissen befriedet und befreit ist. Drittens macht der Glaubende neue Erfahrungen mit sich selbst und mit der Welt, in der er lebt.4 Diese kommunikative Konstellation wurde von den reformatorischen Theologien unterschiedlich näherbestimmt. Sie erwies sich als polyvalent und wurde denn auch in allen drei Faktoren diversifiziert.

Der Grund der Glaubensgewissheit im Wort Gottes stellte neu die hermeneutische Aufgabe des Christum treibenden Gebrauchs der Heiligen Schrift. Das betraf das Verhältnis von Buchstabe und Geist bzw. von Gesetz und Evangelium und erforderte eine gegenüber früher genauere Bestimmung der Autorität der Heiligen Schrift. Hier votierten schon Luther und Melanchthon unterschiedlich. Während Luther das performative Zusprechen des Wortes Gottes aus der Heiligen Schrift für den letztentscheidenden Grund der Schriftautorität ansah, hob Melanchthon deren Eigenschaft als vierte norma certitudinis der Theologie hervor, um den philosophischen Zweifel methodisch aus der Lehre der Kirche auszuschließen5 – die spätere Juxtaposition von auctoritas causativa und auctoritas normativa benannte die darin liegende hermeneutische Herausforderung allenfalls indirekt. Dass auch die Dialektik von Gesetz und Evangelium nicht überall als solche verstanden und akzeptiert wurde, belegen die nie wirklich befriedeten Antinomer-Streitigkeiten; man kann argwöhnen, dass auch Luther hermeneutische Programmatik und pastorale Praxis nicht ganz stimmig aufeinander bezog:6 Die Mehrdeutigkeit der Korrelation von testimonium Spiritus Sancti internum und verbum externum wirkte ebenfalls pluralisierend oder spaltend, wie die Debatten um Johann Arndt und der Rahtmann‘sche Streit noch im 17. Jahrhundert zeigen. Die an sich so schlichte Annahme eines Subjektes des Glaubens, des gläubigen Christen oder wie es seit der Konkordienformel (1577) hieß: des Wiedergeborenen (renatus), erwies sich als polyvalent in der Ausbildung einer Christusmystik einerseits, in der protopietistischen Konzentration auf die an sich selbst erfahrene Heiligung andererseits.7

Nicht nur im Ethos, auch hinsichtlich der Asymmetrie zwischen Glaubensgewissheit und religiöser Erfahrung bildeten sich divergierende Optionen heraus. Ohne auf die Komplexität des neuen Begriffs der Erfahrung – glauben gegen die Selbst- und Welterfahrung oder als Abwendung vom fühlen einerseits, glauben als erfahren, fühlen, im Herzen schmecken andererseits – eingehen zu können, sei doch die Anfechtung des Glaubens an den in Christus sich offenbarenden Gott durch das dem Glauben unverständliche Widerfahrnis eines verborgenen Gottes berührt. Denn es war explizit das Interesse an der Gewissheit des Glaubens, das M. Luther und auch J. Calvin veranlasste, gegen das naturrechtlich und metaphysisch stimmige Gottesbild die Allwirksamkeit Gottes auch und gerade in Sachen des ewigen Heils, also die doppelte Prädestination zu verteidigen. Luther versicherte genau hier, dass der Heilige Geist kein Skeptiker sei, sondern assertiones in unsere Herzen geschrieben habe, »die gewisser und fester sind als das Leben selbst und alle Erfahrung«.8 Es war aber ebenso das dominierende Interesse an Glaubensgewissheit, das Melanchthon und das konkordistische Luthertum veranlasste, sich auf eine Erwählungslehre zu beschränken, die auf Gottes philanthropia universalis rekurrierte und den Verdacht der Willkür Gottes und seiner Ursächlichkeit für die Sünde hinfällig machte. Dieser homogene naturrechtlich-metaphysische Gottesbegriff – auf lange Zeit der Gott der Theodizee – wurde erneut und auf lange Zeit zum normativen Rahmen, in dem auch die christliche Vergewisserung Gottes sich bewegte. Wenn Luther je eine nominalistische oder gnostische Verunsicherung der Gottesgewissheit zu verantworten hatte, so trifft dieser Vorwurf Melanchthon und die lutherische Orthodoxie nicht.9 Luthers Erfahrungstheologie erforderte allerdings, die Frage nach Glaubensgewissheit mehrdimensional zu bearbeiten; daher trieb er Theologie in der Konstellation von Gebet, Schriftmeditation und Therapie der Anfechtungen, durch die der alte Adam – aber auch Gott selbst, als sich entziehend oder in Versuchung führend – die Glaubensgewissheit des neuen Menschen erschüttern.10

Den Vorwurf, ihre Lehre liefere die Menschen einem tyrannischen Willkürgott aus, hat, mit dem Schimpfwort Mohametismus, die lutherische Orthodoxie dem Calvinismus gemacht. Das ist hier deshalb interessant, weil spätestens um 1600 die konfessionelle Differenz vorrangig am Gottesbild festgemacht und wechselseitig die Unmöglichkeit von Glaubens- und das heißt nun: Erwählungsgewissheit behauptet wurde. Die konfessionelle Differenz wurde anhand der Frage festgestellt, ob diese zustande kommen könne oder eben nicht. Die biblische Botschaft, dass Gott alle Menschen selig machen will und dazu in Christus und durch den Heiligen Geist alles Erforderliche getan hat, galt lutherischerseits als der einzige zureichende Grund zweifelsfreier Heilsgewissheit: Sie ist fundamentum fidei dogmaticum. Da dessen Etablierung nicht symmetrisch zu seiner Zerstörung ist, setzt jener Glaubensartikel vieles als notwendig voraus dafür, dass es überhaupt zum Heilsglauben kommen kann und seine Gewissheit nicht hinterher beeinträchtigt wird. Dies Notwendige ist das fundamentum fidei organicum, wozu etwa die inspirierte Bibel gehört, die im inneren Zeugnis des Heiligen Geistes wirkt, und auch die Kirche, die das Evangelium verkündigt. Eine Vorbedingung der Erwählungsgewissheit ist auch die ganze vom dreieinigen Gott inszenierte Heilsgeschichte: das fundamentum fidei essentiale.11

II.FUNDAMENTALTHEOLOGISCHE EXPANSION

Dieser orthodoxe Ordnungsversuch spiegelt dem Leser heutiger Dogmatiken, wie viel sich seither in Sachen Glaubensgewissheit verändert hat. Doch schon seinerzeit wurde binnen dreier Generationen der soteriologische Gewissheitsbegriff fundamentaltheologisch erweitert. Die Thematisierung christlicher Gewissheit griff bereits zu dem aus, was bald Prolegomena oder Prinzipienlehre hieß: zur Vertrauenswürdigkeit der Schrift und ihrer lutherischen bzw. reformierten Auslegung. Dazu kam die neue Thematisierung dessen, was als natürliche Gotteserkenntnis bislang fraglos unterstellt war (und der eigenen Konfession als wahr zugeordnet wurde): die prinzipielle Bedeutung von Religion als universaler humaner Praxis. Eine Folge dieser Entwicklung war, dass der Umfang des Begriffsfeldes certitudo weit größer wurde als der der certitudo fidei justificantis. Dessen weiterhin auch soteriologische Behandlung fokussierte sich auf die tridentinische Bestreitung; das Problem der Anfechtung spielte selbst in der katechetischen Dogmatik nur eine marginale Rolle.12

In jüngster Zeit ist die fundamentaltheologische Thematisierung von Gewissheit noch einen Schritt weiter gegangen. Sie platziert christliche Gewissheit im Erfahrungsraum menschlicher Gewissheit überhaupt. Das ist plausibel angesichts der evidenten Tatsache, dass Gewissheit im Sinne des Sich-Anvertrauens an die Natur und die Umwelt immer ein Moment menschlicher Lebensführung ist – nach dem Ende der Newton’schen Ära auch von Naturwissenschaftlern nicht bestritten.13 Während es sich hier nirgendwo (auch nicht bei Naturgesetzen) um absolute, sondern um (manchmal nur minimal) relative Gewissheit handelt, rückt die angesprochene Fundamentaltheologie den Menschen als Subjekt von Gewissheit in seinen epistemischen, praktischen und affektiven Beziehungen zu seiner Lebenswelt und zu sich selbst darin in eine besondere Stellung, dass sie eine grundlegende Daseinsgewissheit jedes Menschen annimmt und diese als unbedingte charakterisiert. Das hat nicht zuletzt die Folge, wie Eilert Herms im RGG4 Artikel Gewißheit feststellt, dass Fundamentaltheologie auf dieses Thema konzentriert und zu einem sapientialen Diskurs wird: Sie besteht in der Beschreibung der »allgemeine[n] Bedingungen der Konstitution christlicher Gewißheit«, die als ausgezeichnete Variation innerhalb des Horizonts bestimmt wird, den die menschliche Daseinsgewissheit überhaupt aufspannt.14

Die Folgen für den Gewissheitsbegriff werden besonders deutlich, wenn dieser im Rahmen der Bestimmung des Wesens des christlichen Glaubens thematisiert wird, wie dies Wilfried Härles Dogmatik von 1995 tut. Hier wird der fundamentalanthropologische Horizont der Bestimmung des christlichen Glaubens, also die basale Daseinsgewissheit überhaupt, verknüpft mit der vorausgehenden Bestimmung des Begriffs des Wesens oder der Identität einer Person oder Sache, d. h. mit dem, was sich kategorial von allen noch so verschiedenen Erscheinungsformen unterscheidet, als solches unveränderlich ist und sich gleichbleibt, was daher auch unaufgebbar und unverzichtbar daran ist.15 Diese Verknüpfung hat zum einen den Effekt, dass – dann auch für die christliche Glaubensgewissheit – der Aspekt der Differenz gegenüber dem der Identität und der Identitätssicherung sekundär wird. Zum andern bewirkt sie, dass die Daseinsgewissheit, d. h. Glaube im Sinne von Vertrauen, »wesentlich« unbedingtes Vertrauen ist. Daher kann, auf den ersten Blick paradox, gesagt werden: »Glaube, der auf Gewißheit gründet, ist angefochtener Glaube.«16

Dieser fundamentalanthropologische Gewissheitsbegriff hat zwar den der reformatorischen Soteriologie im Rücken, lässt den Anlass der Revision des traditionellen Gewissheitsbegriffs aber eher unwichtig erscheinen: das den Glauben anfechtende Mit- und Gegeneinander von Gewissheit und Zweifel, von Evidenz und Ungewissheit. Zunächst sei nur die Beobachtung notiert, dass die Verschiebung auch den Umgang mit dem reformatorischen Konzept der Glaubensgewissheit beeinflusst. So referiert der Abschnitt über Glaube und Rechtfertigung im »Luther Handbuch« die durch die Reformation überwundene Ungewissheit mehrmals, streift die Gewissheit des Glaubens aber nur – plausibel, denn die fides justificans ist als solche der promissio Gottes gewiss, da sie durch diese ja konstituiert wird.17 Die Anfechtung der Glaubensgewissheit wird aber nur nebenher thematisiert. Ohne sie überhaupt zu nennen, wird Glaubensgewissheit ausführlich besprochen im Abschnitt Mensch und definiert als »einzigartige Vertiefung menschlicher Selbsterschlossenheit«. Denn mit Bezug auf die »sapientiale« Verfassung des Menschseins überhaupt identifiziert sich der christliche Glaube als spezifischer Inhalt unmittelbarer Daseinsgewissheit. Es ist auch die im lumen gratiae »vertiefte« Daseinsgewissheit, die dem Glauben die Gewissheit des geschichtlichen Erschließungshandelns Gottes mitteilt: »[…] die aus der Christusoffenbarung stammende Glaubensgewißheit [ist] vertiefte Gewissheit über den jedem Menschen gewissen Zumutungscharakter des Lebens.«18

Im Verhältnis zur reformatorischen Konstellation von Vertrauensglauben, Gewissheit bzw. Anfechtung und Wort Gottes ist diese fundamentaltheologische Konstellation mehrdeutig. Sie interpretiert die reformatorische Rechtfertigungslehre in ihrer Valenz für die Erfassung aller menschlichen Erfahrung und des auf sie bezogenen Wissens; das ist zweifellos möglich und wünschbar. Aber sie interpretiert sie als wahrheitsfähig nicht nur im Blick auf das Wort Gottes und also hierdurch bedingt plausibel. Die Gewissheit der fides justificans wird, den existenziellen Konflikt, den die Buße situativ durchlebt, überschreitend, auf das allgemein menschliche Phänomen des Glaubens und Vertrauens bezogen. Die diesem Glauben wesentliche Gewissheit zu erfassen, wird möglich dadurch, dass der Rechtfertigungsglaube ein »Wirklichkeitsverständnis« aufbaut, um das Programm von Wilfried Härle und Eilert Herms von 1979 zu zitieren.19 Der partikularen Glaubensgewissheit wird also eine, wie Hermann Deuser sagt, »unüberspringbare Erkenntnisleistung«20 zugeschrieben, die ein jene Gewissheit nur prinzipiell voraussetzendes Wissen generiert, das in vernünftigen Diskursen zur Geltung gebracht werden kann. Folgerichtig hat Konrad Stock eine theologische Enzyklopädie als »Theorie der christlichen Gewissheit« konzipiert, die eine »philosophische Theologie« einschließt und einen »Rahmen kategorialer Bestimmungen über das Wesen der religiösen Erfahrung« bietet, in dem wiederum die allgemeinmenschliche Daseinsgewissheit ein wesentlicher Bezugspunkt ist.21

Die Entgrenzung des reformatorischen Begriffs der Gewissheit kann sich auch auf die dort zwar nicht thematische, aber zweifellos unterstellte Annahme natürlicher Gotteserkenntnis berufen, speziell auf Luthers Argument der Universalität von Vertrauen in dem Sinn, dass niemand ohne einen Gott resp. Abgott auskommt, an den er sein Herz hängt und von dem er alles Gute erwartet.22 Allerdings besagt diese Beziehung kein neutrales, sondern ein stets schon qualifiziertes Vertrauen; und eben dieses wird von dem auf Christus gegründeten Gottvertrauen falsifiziert. Das könnte man auch noch als Bestätigung verstehen, wenn man auch in der Bezugnahme des Evangeliums auf das Gesetz ein Moment der Bestätigung erkennen darf. Sie aber gilt wohl nur für die Absicht des Gesetzgebers, nicht für die Wirkung des Gesetzes auf Menschen, die nicht in der Gewissheit des rechtfertigenden Glaubens leben. Man kann daher bestreiten, wie Oswald Bayer das emphatisch tut, dass die christliche Gewissheit von dem Vorgang des Zuspruchs des Evangeliums abstrahiert und zur allgemein gültigen Bestimmung werden könne, in der die »faktisch herrschende Ungewissheit« und die fiduziale Gewissheit in einer »ontologischen Gewissheit« konvergieren, die beiden vorausläge und in beiden mitgesetzt wäre. »Gewissheit ist immer konkret«, so Bayer gegen Friedrich Schleiermacher und seine heutigen Freunde. Luthers Auslegung des Ersten Gebots besage keineswegs, dass es so etwas wie einen »absoluten Glauben« gebe, wie das Paul Tillich in »Der Mut zum Sein« behauptet habe. Zweifellos sei Luthers Grundproblem die Gewissheit, aber seine Lösung war, mit dem »Amen. Das ist gewisslich wahr«, die Dankbarkeit für eine »verliehene Gewissheit«.23

Ein solcher Einspruch macht (mindestens) auf das Dilemma aufmerksam, das die aktuelle Thematisierung von Gewissheit aufwirft: zwischen der allgemeinen Erfahrung mangelnder Gewissheit und der Annahme allgemeiner unbedingter Gewissheit. Da jene unbestreitbar ist, muss man fragen, ob Letztere begründbar ist bzw. was unbedingt hier bedeutet. An zwei älteren erfahrungstheologischen Konzeptionen lässt sich beobachten, dass die Annahme unbedingter Gewissheit sich in schwierige Begründungsprobleme verwickelt.

III.ZUR GENEALOGIE DER AKTUELLEN PROBLEMLAGE

Es wäre interessant, den um 1900 heftig geführten Weltanschauungskampf einzubeziehen, weil das Auslaufen der theologisch adaptierten idealistischen Metaphysik eher selten zu skeptischer Epoché motivierte (wie in der entstehenden Religionspsychologie) als vielmehr zu bekennerfreudigen Begründungen unbedingter Gewissheit in einer zentralperspektivisch angelegten, epistemologisch aber weitgehend immunisierten Weltanschauung. Allerdings ist dieser theologisch oft diffuse Diskurs noch immer sehr unübersichtlich, speziell in der nun häufigen Bezugnahme auf F. Schleiermacher.24 Das ist anders und klarer bei Karl Heim, durchaus engagierter Teilnehmer des Weltanschauungskampfes, besonders im Blick auf die epistemischen Probleme der sich verändernden Naturwissenschaften, zugleich aber ambitionierter Analytiker der theologischen Epistemologie; hielt er doch die Begründung der Möglichkeit von Glaubensgewissheit für die aktuelle »Lebensfrage der Religion«25.

Heims weit ausgreifende Untersuchung des Gewissheitsproblems seit der Scholastik des 13. Jahrhunderts (eigentlich seit Augustin) bis zu Schleiermacher (1911) zeigte ihm, dass weder eine subjektivistische noch eine objektivistische Setzung von Glaubensgewissheit plausibel sein konnte, sondern erst eine erkenntnistheoretische Klärung der Beziehung zwischen Autoritätsglauben und mystisch unmittelbarem Vertrauensglauben. Diese Beziehung, so sagt Heim mit Ernst Troeltschs Analyse des altprotestantischen testimonium Spiritus Sancti internum, war stets der Kern des Gewissheitsproblems. Heim identifiziert vier Möglichkeiten bzw. (logisch) einander folgende Stadien der Koordination des apriorischen und des historisch-empirischen Gewissheitsfundaments des Glaubens. Als reifstes Stadium beurteilt er die von Luther ausgebildete paradoxe Position, in der evidente Denknotwendigkeit und Glaube an eine inevidente Offenbarung zugleich einander entgegen und in eins gesetzt werden.26

Am Anfang des Denkprozesses sieht Heim die unbewusst doppeldeutige Formulierung, die einen an sich selbstdestruktiven Antagonismus in kontinuierliche Reihen einzeichnet, so dass »von der einen Seite her gesehen das historische Fundament des Kirchenglaubens [ Jesus Christus] als symbolische Darstellung jener apriorischen Gewißheit, von der andern Seite gesehen aber diese apriorische Gewißheit nur wie eine aus dem historischen Gewißheitsfundament abgeleitete Abstraktion erscheint«27. Diese Lösung schreibt Heim der subkutanen Wirksamkeit der neuplatonischen Spekulation seit dem frühen Augustin zu; gemeint ist aber vor allem Schleiermacher, der nach der rationalistischen Scheinlösung hier wieder ansetze. Heims Votum für Luthers Lösung macht allerdings einen zweifelhaften Eindruck, weil er Luthers Paradoxie, deren Akzeptanz ja nicht ablösbar ist vom konkreten Glaubensakt, seinerseits generalisiert. Nicht nur, dass er sie auch eine Synthese nennt; er selber will die Alternative, die Gewissheitsfrage entweder spekulativ oder autoritätsgläubig zu entscheiden, überwinden aufgrund der »als notwendig [!] erkannte[n] Antinomie zwischen Denknotwendigkeit und Autoritätsglauben im höchsten Sinn des Wortes«28. Heim hält fest, dass Glaubensgewissheit immer auf nichtgegenständlichen und unmittelbar evozierten Vertrauensurteilen beruht, doch er gibt diesen Urteilen, in Auseinandersetzung mit Edmund Husserls Phänomenologie, wiederum einen transzendentaltheologischen Rang. Man kann bezweifeln, ob die hier ansetzende Apologetik, die christliche Glaubensgewissheit als verträglich mit der wissenschaftlichen Wahrheitsgewissheit erweisen will, ihr Ziel erreicht.29

Ein zweites Beispiel für die Problematik des Versuches, Glaubensgewissheit in den Horizont von möglicher Gewissheit überhaupt zu platzieren, ist die Erlanger Erfahrungstheologie, hier in ihrer (dem Selbstverständnis nach) radikalsten Form: Franz Hermann Reinhold Franks System der christlichen Gewissheit (1870). Frank ist überzeugt, dass mit der Reformation eine Periode des Subjektivismus begonnen habe und dass bei der Selbstvergewisserung des Glaubens, auch wenn objektive Faktoren in den Vordergrund geschoben wurden, der subjektive Faktor der entscheidende war. »Ueberall wo Gewissheit sich findet, es sei auf welchem Gebiete es wolle, kann sie nicht anders zu Stande kommen, als durch subjective Vermittlung. Die Nötigung, eine Realität als solche anzuerkennen, […] fordert ein Urtheil des Subjectes und ist […] letztlich durch Selbstentscheidung des Subjects bedingt.«30 Dieser an Schleiermacher anknüpfende Ansatz wird aber zugleich gegen diesen gewandt, denn Frank platziert die zentrale christliche, ihrer Form nach sittliche Gewissheit nicht im Kontext von Religion überhaupt, sondern exklusiv in der Erfahrung der Konstitution eines neuen Ich kraft Wiedergeburt und Bekehrung. Frank zielt nur selbstvergewissernd auf die Einsicht in diesen Tatbestand, d. h. in den Besitz an Gewissheit, die dem wiedergeborenen Christen als Glied der Gemeinde innewohnt. Sieht man vom zeittypischen Besitz ab, ist die Nähe zur Rede von der »rein tatsächlichen Gewißheit […] als einer vollkommen innerlichen Tatsache«31 deutlich. Aber Frank will durchaus keine Apologetik und spekulative Religionsphilosophie etablieren, sondern eine strikt systematisch-theologische Disziplin, die dem System der christlichen Wahrheit und dem der christlichen Sittlichkeit korreliert.32

Nichtsdestoweniger setzt Frank ein mit dem Wesen der Gewissheit im Allgemeinen, die als »Zustand subjectiven Versichertseins« dem christlichen und dem natürlichen Bewusstsein als vorreflexives Innewerden gemeinsam sei. Ihre materielle Differenz wird begründet durch die persönliche Erfahrung von Wiedergeburt und Bekehrung; ihr prinzipieller Gegensatz liegt in der Inkongruenz der natürlichen Erfahrung und Erkenntnis mit den geistlichen Realitäten. Verschärft wird diese Inkongruenz dadurch, dass von der christlichen Wahrheit Impulse auf das natürliche Subjekt ausgehen, die geeignet sind, »den [diesem] bereits innewohnenden sittlichen Widerstreit zu einem Entscheidungskampf zwischen dem werdenden neuen und dem alten Ich selbst umzugestalten.«33 Franks Konzeption will gerade die Veränderlichkeit jenes Besitzes zum Guten wie zum Schlechten zur Geltung bringen: Christliche Gewissheit erwächst aus jenem anfänglichen bloßen Besitz in einem Prozess der Angleichung von Subjekt und Objekt der Erfahrung. Das innere Zeugnis des Heiligen Geistes ist dabei nicht das erst- oder letztinstanzliche Zeugnis (mit David Friedrich Strauß), sondern kommt zum Zeugnis unser selbst hinzu und begleitet es. Die Ungewissheit auch des Christen ist bedingt durch die Hemmung und Störung jener Angleichung, nämlich »jenes sittlichen Lebensprocesses, durch welchen stetig die Setzung des neuen Ich sich vollzieht«34.

Frank zielt hier auf das, was er selbst »Phänomenologie der Gewissheit« nannte.35 Aber deren Gegenstand ist nicht die Heilsgewissheit im genauen Sinn, der gegenüber die christliche Gewissheit nämlich etwas viel Allgemeineres, ja ganz Anderes ist.36 Jene ist die anfängliche und strikt subjektive Gewissheit des neuen Ich, das durch Wiedergeburt und Bekehrung konstituiert wird. Aus der Gnadengewissheit und der Erwählungsgewissheit ist eine (seit Philipp Jakob Spener und in den neuzeitlichen Erweckungsbewegungen eigens benannte) Wiedergeburtsgewissheit geworden. Bei Frank ist sie allerdings verschoben in das Besitzsubjekt der Wiedergeburt, in ein quasi transzendentales Ich, das, weil es ein rein gesetzter Tatbestand ist, die Flucht zu objektiven Instanzen unnötig macht. Genau hierin liegt die Inkonsistenz von Franks Konzeption, die geradezu cartesianisch einen absoluten Gewissheitsgrund fordert und keine vom gläubigen Subjekt verschiedene Instanz akzeptiert. Notger Slenczka hat sehr klar gezeigt, dass Frank »mit den Mitteln der neuzeitlichen Subjektivitätstheorie die Folgen derselben zu überwinden« sucht, jedoch in die Beziehung des als wiedergeboren gesetzten Subjekts zum transzendenten Grund dieses Tatbestandes die Kategorie der Kausalität einträgt und auf Gott als vom Bewusstsein unabhängiger absoluter Ursache desselben schließt.37 Die christliche Gewissheit kommt mit der natürlichen Gewissheit nicht nur als subjektives Vergewissertsein überein, sondern auch darin, dass dieses Vergewissertsein kausal bewirkt ist. Nur so kann das Bewusstsein der Bewirktheit behaupten, dass es unmittelbar von einem Anderen bewirkt sei.38

Franks Schüler tadelten weniger den epistemologischen Fehler als den Ausgang von der schieren Tatsache christlicher Gewissheit und ihrer Zuständlichkeit als Erfahrungs- und Wahrheitsbesitz des Wiedergeborenen.39 Ihre Erfahrungstheologie, die im Unterschied zu Frank sich auf den Glauben Luthers bezog, ging nicht mehr von der Reflexivität des neuen Ich aus, sondern von seiner Intentionalität, d. h. von der Gewissheit des religiösen Erlebnisses der Gemeinschaft mit Gott.40 Daher lautete ihre Antwort auf die Frage nach dem Grund der Glaubensgewissheit: Der Heilige Geist öffnet das Herz für die Verkündigung des Evangeliums in der Situation der Verfehlung der Bestimmung zu jener Gemeinschaft.41

IV.DIE ERBLAST DER NEUZEITLICHEN THEORIE DER GEWISSHEIT

Das Scheitern der beiden referierten Versuche, des einen gegen Schleiermacher auf Luther rekurrierenden, und des anderen, mit dem Gewissheitsbegriff Schleiermachers gegen dessen Frömmigkeitsbegriff auftretenden, steht in einem Erbe, das beide nicht ernst genug nahmen, vielleicht weil Schleiermachers kritische Arbeit daran es hinreichend bewältigt zu haben schien: im Erbe der Erfahrungstheologie des 18. Jahrhunderts und ihrer neuen Begründung der Glaubensgewissheit. Die Orthodoxie hatte die Gnadengewissheit zur Erwählungsgewissheit, der Pietismus zur Wiedergeburtsgewissheit fortgeschrieben; das auch hier noch unterstellte testimonium Spiritus Sancti internum wird aufklärerisch in die Authentizität individueller religiöser Erfahrung transformiert und in den Horizont eines anthropologisch universalen Begriffs von Religion gerückt. Das setzte Religionsphilosophie voraus (und begründete sie sogar mit), die den Plausibilitätsraum aufspannte, der für die Kommunikation zwischen den Partizipanten der nunmehr als unterschiedlich akzeptierten Religionskulturen erforderlich war. Hier konnte die Begründung der dem christlichen Glauben eigenen Gewissheit mit der Begründung religiöser Gewissheit überhaupt verbunden werden. Der theologische Diskurs musste nun (was Heim wie Frank nicht sahen) notwendigerweise mit religionsphilosophischen und kulturtheoretischen Diskursen korreliert werden, in der normativen nicht weniger als in der beschreibenden Perspektive. Denn nun stand nicht mehr von vornherein fest, dass das theologische Argument wegen seines Rekurses auf biblische Offenbarung gegenüber dem nicht-theologischen Argument im Recht sei.42

Im Blick auf das Gewissheitsproblem sollte man nicht übersehen, dass dieser Vorgang die Theologie mit der neuzeitlichen Konstellation von Glauben und Vernunft liierte. Auch wenn nicht unvermeidlich die Folge war, dass das Autoritätsgefälle von offenbarungsbasiertem Glauben und freier Vernunft zugunsten der Letzteren schlicht umgekehrt wurde, so konnte die Theologie gleichwohl nicht das beiderseitige Einverständnis darüber voraussetzen, dass ihr Interesse an Glaubensgewissheit mit dem säkularen Interesse an zweifelsfreiem Wissen konvergierte. Der Rekurs auf Glaubensgewissheit durch selbsteigene Erfahrung war im 18. Jahrhundert und seinen anhaltenden Nachwirkungen den Bemühungen verhaftet, den in der Frühen Neuzeit bedrohlich werdenden Pyrrhonismus zu überwinden, die auch vernünftig, ja wissenschaftlich provozierte Skepsis gegen die Erkenntnisfähigkeit der Vernunft.43

Es wäre voreilig zu sagen, dass diese Konstellation mit der Vernunftkritik Immanuel Kants und dem dialektischen Vernunftbegriff des Deutschen Idealismus an ihr Ende gekommen sei. Dies auch deshalb, weil der cartesianische Rekurs auf ein absolutes fundamentum inconcussum im Blick auf die theologisch beanspruchte Glaubensgewissheit nicht der gefährlichste war, wie es oft dargestellt wird. Die metaphysische Sicherung des Gottesbegriffs durch Descartes verschaffte der protestantischen Theologie ja noch lange ein indirektes, aber wirksames Argument für die Möglichkeit von Offenbarungsglauben. Gefährlicher als jener hyperbolische Zweifel war die Erosion der Funktion der Heiligen Schrift als zwar nicht zureichender, doch notwendiger Referenz der Glaubensgewissheit. Dies umso mehr, als man die Bibel nun historisch-kritisch oder rationalistisch ihrer fraglos kanonischen Autorität berauben, doch nichtsdestoweniger behaupten konnte, dass der eigene Glaube gewiss, ja unfehlbar sei (fides certa et infallibilis): Das hatten schon im 17. Jahrhundert die römisch-katholischen Kritiker der Bibel einerseits, rationalistische Leser der Bibel wie die Sozinianer andererseits behauptet.44

Die Begründung der Glaubensgewissheit auf selbsteigene Erfahrung war etwas anderes als das testimonium Spiritus Sancti internum, das mit der Heiligen Schrift und ihrer kausativen Autorität korreliert war. Wenn man nicht gar erklärte, ein solches Zeugnis noch nie gespürt zu haben, konnte die Meinung, die eigene Empfindung und innere Erfahrung verbürge hinreichend Gewissheit, sich auf die Heilige Schrift nur berufen, soweit ihre Glaubwürdigkeit vernünftig, hier: historisch belegt schien – aber historisches Wissen gab notwendige, keine zureichenden Gründe ab.45 Diese Herausforderung, klassisch formuliert in Gotthold Ephraim Lessings Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777) wurde und wird noch oft verdrängt.46 Für die mehr als individuelle Autorität authentischer Erfahrung mussten diese auf die »Religion, diesem allgemeinen Eigenthum«47, rekurrieren. Die ersten Schritte dazu, der religionsphilosophische von J.J. Spalding48 und der geschichtstheoretische von J.F.W. Jerusalem49, vermochten reformatorische Basisimpulse aufklärerisch zu aktualisieren, aber die durch sie nun artikulierte elastische Identität50 konnte die Kantsche Vernunftkritik nicht ohne tiefgreifende Modifikationen überstehen.

Es war dann F. Schleiermacher, der eine erkenntniskritisch geläuterte kulturphilosophische Plausibilisierung der positiven christlichen Gewissheit in seiner Theorie der Frömmigkeit zu formulieren vermochte, die als Lehnsätze aus der Ethik in seine Glaubenslehre (1821, ²1830) eingingen.51 Die Kritik, die Schleiermachers neuprotestantische Adaptierung des Gewissheitsthemas im 20. Jahrhundert erfuhr, hat nicht verhindert, dass eine neuerliche, im Wesentlichen zustimmende Rezeption der erreichten Theoriebildung sich als produktiv erwies. Um zu sehen, wie hier das neuzeitliche Erbe in Sachen Gewissheit bearbeitet wird, sei nochmals W. Härles Dogmatik konsultiert, die das Gewissheitsproblem im Rahmen der Frage nach dem Wesen des christlichen Glaubens behandelt. Der Begriff des Wesens, von allen Erscheinungsformen kategorial unterschieden, dient dem Autor als »konstruktives und kritisches Prinzip für die Entwicklung und Beurteilung seiner vielfältigen geschichtlichen Erscheinungen«52. Seine Anwendung führt freilich m. E. zu einer normativen Überbestimmung des Gewissheitsbegriffs, so dass die Varianz und Divergenz der Erscheinungsformen der Glaubensgewissheit, zumal die Dialektik von Gewissheit und Anfechtung, als unwesentlich erscheinen.

Die Ermittlung des Wesens des christlichen Glaubens bedient sich oft phänomenologischer Sprache, doch zielt sie deutlich auf mehr als eine Phänomenologie subjektiver Ich-Erfahrung, ihrer leib-seelischen Strukturen und ihrer situativ bedingten Wirklichkeit.53 Denn Wesen stellt das Allgemeine von Glauben fest, das Unveränderliche und Unverzichtbare auch am christlichen Glauben, »was angesichts des allgegenwärtigen geschichtlichen Wandels im Christentum bleibenden Charakter hat und verläßliche Orientierung ermöglicht«54. Dass ein Allgemeines verlässliche christliche Orientierung im Wandel geben kann, beruht darauf, dass jeder Mensch an Glauben teilhat. Der Glaube, ebenfalls als Gattungsbegriff verstanden (glauben kommt nur am Rande vor), wird eingeführt mit Luthers Benennung dessen, woran man sein Herz hängt und auf was man sein Vertrauen setzt, als Gott resp. Abgott. Eine soteriologisch besonders gut anschlussfähige Formulierung der allgemeinmenschlichen Gottesbeziehung ist also die Basis für eine Bestimmung des Begriffs Gewissheit, die dann den Rahmen der Rede von christlicher Gewissheit bildet. Gewissheit ist wesentlich »das grundlegende, daseinsbestimmende Vertrauen oder Sich-Verlassen auf ein Gegenüber«, entsprechend das Sich-bestimmen-Lassen durch seinen Gott (höchstes Gut, absolute Autorität). So ist Gewissheit wesentlich »unbedingtes Vertrauen« und »eigene Gewißheit«55.

Was der Autor die kategoriale Unterscheidung des Wesens von den Erscheinungen nennt und als Begriffsklärung vorführt, ergibt m. E. den transzendentalen Status von Glaube und Gewissheit. Entsprechendes wird später, ausgehend u. a. wieder von Luther, im Blick auf die Erkenntnis Gottes und der Welt auch festgestellt (nicht im Blick auf die Seele!).56 Diese Begriffe stellen das Besondere unter die Regie des Allgemeinen: Ausdrücklich wird auch faktisch minderer und angefochtener Glaube, den die Bibel oft anspreche (!), als unbedingter bezeichnet, »weil [nicht: insofern] er sich auf die Macht richtet, von der es abhängt, ob die Bestimmung des menschlichen Lebens erreicht oder verfehlt wird.« Dass der Glaube eine verletzliche Wirklichkeit hat, ungesichert und enttäuschbar und vom Zweifel begleitet wird, resultiert (!) aus seinem Wesen als Vertrauen, als Angewiesensein (!) auf Gewissheit und aus seiner Ausrichtung auf Gott in der Torheit des Kreuzes.57 Der zitierte Satz: »Glaube, der auf Gewißheit gründet, ist angefochtener Glaube« ist kein echt paradoxer. Er bezieht sich auf die »Lebensbewegung«, die jener daseinsbestimmenden »Handlungs- und Verhalensdisposition« Gestalt gibt. Sie, nicht schon diese unbedingte Disposition, nimmt das Gebrochene der christlichen Existenz, das aus dem »bloß bruchstückhaften Vertrauen auf Gott« resultiert, ins (allgemeine?!) Vertrauen auf Gott hinein, in »getroster Verzweiflung«.58 Luthers echt paradoxe Wendung steht dem transzendentalen Begriff einer unbedingten Gewissheit recht fern, der die Anfechtungen des Glaubens in seinem Wesentlichen domestiziert.

Es ist freilich nicht die Absicht des Autors, auch den christlichen Glauben transzendental zu reduzieren oder als ontologische bzw. anthropologische Konstante zu identifizieren. Dieser ist eine geschichtliche Wirklichkeit, dessen Konstitutionsbedingungen in der phänomenalen Welt liegen, und als ein »bestimmtes, besonderes Beziehungsgeschehen«59 kommt er erst durch eigene Erfahrung und persönliche Begegnung in den Blick. Er lässt sich allerdings vorweg anthropologisch situieren: Er hat »unmittelbar den Charakter des Sich-bestimmt- Fühlens, mittelbar den Charakter des Sich-bestimmt-Wissens und des Sich-bestimmen-Lassens«. Seine Gewissheit besteht darin, dass das unmittelbare, im Lebensgefühl sich meldende Berührtwerden und Bestimmtsein auch im Bewusstsein erschlossen wird: als unbedingte Vertrauenswürdigkeit dessen, was einen persönlich und unverfügbar ab extra berührt und bestimmt. Beim Evangelium ist dies »die Gewißheit der Vertrauenswürdigkeit dieses Wortes und dieses Gottes«60. Diese Gewissheit ist, wie im Kontext der Pneumatologie ausgeführt wird, geistwirkt und als solche wiederum die Voraussetzung und Bedingung des christlichen Glaubens und seiner Wahrheitsgewissheit. Es ist schon kritisiert worden, dass W. Härle religiöse Offenbarung, verstanden als Erschließungsgeschehen mit der Wirkung (!) einer daseinsbestimmenden Gewissheit oder Erkenntnis, eine notwendige, nicht aber die hinreichende Bedingung für fiduzialen Glauben darstellt; das gilt auch für die Offenbarung in Jesus Christus.61

V.UNHINTERGEHBARKEIT UND ANGEFOCHTENHEIT DER GLAUBENSGEWISSHEIT

Die folgenden Überlegungen pointieren die vorgebrachte Kritik und stellen die Idee einer phänomenologischen und semiotischen Revision der fundamentaltheologischen Aufgabe zur Diskussion. Die in gewisser Weise kontinuierlichen, in der Ich-Perspektive jedoch zugleich diskrepanten Erfahrungen, die Christenmenschen mit der (Un-)Gewissheit ihres Glaubens machen, stellen eine Aufgabe, die in der angesprochenen Fundamentaltheologie nicht voll überzeugend gelöst ist. Ihre Lösung würde die erfahrungstheologische Konstellation des Gewissheitsthemas und die nötige Transformation der reformatorischen sapientia experimentalis in der jetzigen religionskulturellen Situation überzeugender begründen.

(1) Gewissheit als fundamentaltheologischer Begriff. Gegenüber den reformatorischen und nachreformatorischen Konstellationen, in denen Gewissheit als affektive und kognitive Eigentümlichkeit des rechtfertigenden Glaubens thematisch war, bewegt sich die aktuelle Thematisierung zu Recht in einem fundamentaltheologischen Kontext. Das ist unvermeidlich, weil die vom Heilsglauben unterschiedenen Aspekte von Gewissheit seinerzeit in Diskursen wie der Lehre von der Heiligen Schrift und der philosophischen Theologie beheimatet waren, diese Diskurse jedoch (zumindest) nicht mehr so wie seinerzeit geführt und beansprucht werden können. Die soteriologische Symmetrie von certitudo und fiducia ist nach wie vor ein Proprium jedweder reformatorischen Theologie; aber es müsste genauer bestimmt werden, wessen diese Gewissheit gewiss ist. Zu den affektiven und kognitiven Phänomenen, die analog dazu als Gewissheit firmieren (können), muss sie jetzt ganz ausdrücklich in Beziehung gesetzt werden. Dies auf dem Wege der ontotheologischen62 Ausweitung des univoken Begriffs zu versuchen, läuft jedoch Gefahr, die Differenz zwischen diesem und dem analogen Begriff zu unterlaufen. Die wesentliche Gewissheit wird indifferent gegen die zeitlich und situativ definiten Erfahrungen, die in der Ich-Perspektive jetzt unhintergehbare Gewissheit sein mögen, später aber angefochtene oder bedrohte, unsicher werdende und vage oder bloß mitgeführte oder noch erinnerte Gewissheit sind. Die dramatischen Aspekte des christlichen Glaubenslebens zu harmonisieren in einem gleichbleibenden Lebensgefühl, im »affektiven Grundakkord, der das Leben bestimmt [!] und begleitet«63, modifiziert allerdings auch den soteriologischen Gewissheitsbegriff nicht unerheblich.

Deshalb ist es m. E. geraten, die fundamentaltheologische Klärung von Gewissheit nicht mit den an ihrem Ort notwendigen transzendentaltheologischen Bestimmung des subjektiven Ortes von Gewissheit zu koppeln, sondern in eine Phänomenologie von Glaubensgewissheit zu investieren, wie sie in Ausarbeitung von Maurice Merleau-Pontys Phänomenologie der leibvermittelten Wahrnehmung heutzutage möglich ist, die sich aber auch gut an Charles S. Peirce‘ Religionsphilosophie anschließen lässt.64 So wird nicht zuletzt verhindert, dass die (wünschbare) maximale Glaubensgewissheit dazu verleitet, deren Bestimmtheit normativ zu setzen und Phänomene aus dem Blick zu verlieren, in denen z. B. das Erleben von Musik eine geringere inhaltliche Bestimmtheit des Glaubens affektiv auszugleichen vermögen. Ohnedies muss sprachkritisch geklärt werden, wann die Ausdrücke gewiss sein, wissen, glauben, zweifeln usw. gebraucht werden, von welchen Personen, in welchen sozialen Interaktionen und in welcher dadurch mitbestimmten Bedeutung. Ludwig Wittgensteins On certainty (1969) oder Gilbert Ryle‘s Kritik an Descartes‘ Begründung absoluter Gewissheit in der Innerlichkeit des Denkens (The Concept of Mind, 1969) sind noch immer vorbildlich.65 Fundamentaltheologisch interessant ist auch das neue Konzept des impliziten Wissens, wie es in vielen menschlichen Praktiken präsent ist.66 Der Topos der fides implicita wurde zwar von der reformatorischen Theologie stets mit Polemik bedacht, gleichwohl hatte auch der Protestantismus ein praktisches Äquivalent in der (keineswegs geleugneten) Angewiesenheit illiterater Christen auf professionelle Bibelauslegung.67

(2) Anfechtung als Lebenserfahrung des Glaubens. Diese Formulierung stammt von Carl Heinz Ratschow, der im Gefolge Luthers die Erfahrung der Anfechtung dem christlichen Glauben als Faktor zuordnet, genauer eben der Lebenserfahrung des Glaubens, seiner engen Weltfühlung, seinem Preisgegebensein an das Ungefähr des Lebens. Ratschow rekurriert dafür auf die Gemeinsamkeit der fleischlichen und der geistlichen Anfechtung darin, dass beide jenem Ungefähr der Welt aussetzen und dass darin Gott handelt, seine Barmherzigkeit in Frage stellend. Wenn man nicht wie Ratschow meint, die Angefochtenheit des Glaubens sei als Lebenserfahrung »keine Sache theologischer Erwägungen«68, ist die Fundamentaltheologie der Ort, an dem ein (allgemeiner und christlich gebrauchter) Begriff wie Lebenserfahrung thematisiert wird; W. Härle spricht von der Lebensbewegung des Glaubens. Allerdings bewirkt die Annahme wesentlich unbedingter Gewissheit, dass die gestellte deskriptive Aufgabe fundamentaltheologisch akzidentell wird. Selbstverständlich darf und muss man sagen, dass Glaubensgewissheit actu, d. h. in indexikalischer Ich-Rede, eine unbedingte und eigene Gewissheit ist. Überbestimmt wird der Begriff jedoch, wenn das als wesentlich für Gewissheit gelten soll: Er fungiert dann als normatives Ideal für die christliche Gewissheit, weil er modale oder graduelle Bestimmungen kategorial als Nicht-Gewissheit ausgrenzt. Das aber würde die in der gesamten Lebenserfahrung des Glaubens zu gewärtigende Anfechtung seiner Gewissheit, nämlich den eschatologischen Vorbehalt negieren, der in dieser Weltzeit für den christlichen Glauben konstitutiv ist.69

Freilich bleiben die graduellen Modi der Glaubensgewissheit der Erfahrung äußerlich, in eine Gewissheit hinein versetzt zu werden und in dieser Gewissheit zu fühlen, zu denken und zu wollen; denn dieses Widerfahrnis spannt actu einen eigenstrukturierten Raum auf, der nicht von außen betreten oder wieder betreten werden kann. Doch die Einheit von Passivität und Aktivität in der Person gerade des Glaubenden impliziert, dass das Widerfahrnis völliger Gewissheit in die temporalen und qualitativen Erfahrungskontexte dieser Person eintritt und reflexiv mit Phänomenen der nicht strikt unbedingten und nicht strikt eigenen Gewissheit konfrontiert oder auch korreliert wird. Dies freilich im Bewusstsein, dass der Wechsel von noch so plausibel gebildeter Überzeugung zu jenem Gewisswerden kein kontinuierlicher ist (eine phänomenologische Frage ist dann, ob das als Bekehrung oder Wiedergeburt oder als wiederholte Buße und Rechtfertigung erzählt und erinnert wird). Das hat methodische Entsprechungen, die ein fundamentaltheologisches Thema sind. Weil man jene Versetzung in völlige Gewissheit in gegenständlicher Rede nicht als solche benennen kann, muss zum einen das mystische Schweigen einen beredten Platz in der Beschreibung des Glaubens erhalten, als Anzeige dessen, was sich allgemeiner Zeigbarkeit und Verfügbarkeit entzieht. Zum andern sollte dem konfessorischen und dem narrativen, in jedem Fall interpretierenden Ausdruck dieser Erfahrung fundamentaltheologisch ein wesentlicher Platz gegeben werden. Das (konkrete) Glaubensbekenntnis und die (stets rhapsodische) Selbsterzählung bringen unbedingte Gewissheit insofern zum Ausdruck, als der Ich-Sprecher sie für ihn jetzt und hier (und in der Hoffnung auf zeitliche Dauer) als unhintergehbar markiert. Es versteht sich, dass ein substanzialistisches Verständnis von personaler Identität hier nichts mehr nützt und durch die Beschreibung des »Selbst als ein Anderer« abgelöst werden sollte. Ricœurs Konzept der narrativen Identität70 korrespondiert genauer mit der hermeneutisch reflektierten Phänomenologie der christlichen (Un-)Gewissheit als Subjektivitätstheorien, in denen die Lebensbewegungen und die Lebenswelt des christlichen Glaubens sekundär rangieren.

(3) Glaubensgewissheit als Beziehungsgeschehen. Diese Charakteristik wird von W. Härle prominent formuliert, doch konterkariert durch die Annahme, dass Gewissheit wesentlich eigene Gewissheit ist. Gerade in dieser Hinsicht sind Gewissheit überhaupt und christliche Glaubensgewissheit kategorial verschieden, weil ihr Gegenüber im Falle eines (Ab-)Gottes etwas kategorial anderes ist als der Gott, der sich im Evangelium einem Sünder zuspricht. Deshalb bedeutet eigene Glaubensgewissheit im Falle des christlichen Glaubens nicht dasselbe wie eigene Gewissheit überhaupt. Während Letztere gewöhnlich Identität von Nicht-Identität abgrenzt, ist Erstere konstitutiv mit Nicht-Identität imprägniert, nämlich mit der Alterität des Wortes Gottes. Daher kann man hier nur von relativ eigener, nämlich nur im Rahmen einer für sie konstitutiven Relation existenter Gewissheit sprechen. Sie ist nicht selbstreferentiell, sondern weist von sich weg auf den unbedingt vertrauenswürdig handelnden Gott. Hier und nur hier ist der Ausdruck unbedingt angemessen, während die Exzentrizität des rechtfertigenden Glaubens bedeutet, dass dessen subjektive Gewissheit wesentlich bedingt ist.71 Wenn es richtig ist, dass der Zuspruch Gottes einem Menschen unverfügbar von außerhalb zukommt und zuteil wird, wenn es richtig gesagt ist: »Theologia nostra certa est, quia rapit nos a nobis et ponit nos extra nos«72, dann sollte man die Glaubensgewissheit nur in einem analogen Sinn unbedingt nennen. Dessen Analogans ist die Unbedingtheit des Evangeliums, des Zuspruches Gottes. Der fundamentaltheologische Ort, dies im Blick auf subjektive Gewissheit zu klären, ist daher die Analyse des Begriffs Wort Gottes oder, um positivistische Missverständnisse zu vermeiden, des Begriffs Offenbarung. Hier ist dieser Begriff weniger in seiner Bedeutung als je besonderes oder einzigartiges Wissen, sondern als Modus der Erfahrung, der Erschließung oder des Empfangens thematisch. Hier kann man im eigentlichen Sinn sagen, dass Offenbarung unbedingte Gewissheit ist. Einen gut reformatorisch vom Problem der Autorität ausgehenden Vorschlag dazu hat H. Deuser gemacht.73

Die Frage, ob und wie Glaubensgewissheit unbeschadet ihrer Exteriorität eine je eigene sein kann, wurde in der reformatorischen Konstellation mit dem testimonium Spiritus Sancti internum (Röm 8,14–16) beantwortet. In der gegenwärtigen (westlichen) religionskulturellen Situation kann man diese Antwort auf die christliche Gewissheit beziehen, sofern diese eine eigene im Sinne eines indexikalisch definiten Ich-Sprechers ist. Sie bezeichnet so den subjektiven Ort der Differenz des Grundes des Glaubens vom hörenden Gläubigen. In Verbindung mit dem aus der Rechtssphäre in die religiöse Kommunikation entgrenzten Begriff des Zeugnisses, der neuestens zu einer epistemischen und ethischen Basiskategorie fortgebildet wird,74 stellt die reformatorische Vorstellung daher eine fundamentaltheologische Herausforderung ersten Ranges dar. Innerlich, so könnte man sagen, wird die Differenz von unvertretbarem Selbstsein und iustitia aliena in ihrer Gegenständlichkeit aufgehoben; sie wird neu bestimmt im Medium von Zeichen, die als gegenseitige Anrede eines Du, eben als Zeugnis, kommuniziert werden. Die Differenz wird m. a. W. als Resonanzraum aufgespannt, innerhalb dessen (auch wenn von außerhalb induziert) es zum affektiven und kognitiven Gleichklang der Ausbreitung des Evangeliums in unserem Geist und dessen Gebet zu Gott in der Kraft des Heiligen Geistes kommt. Gesetzliche, z. B. kausale Alterität wird hier umso weniger erneuert, als die Stellvertretung, die der Heilige Geist für unser Beten übernehmen kann, subjektive Authentizität nicht mindert; hier tritt Gewissheit schlechthin ein.75 Die fundamentaltheologische Platzierung des dogmatischen Begriffs der Geistesgegenwart76 erlaubt und erfordert die Analyse der Semiosen, in deren Medium sich dann die christliche Gewissheit gegenüber anderen Phänomenen von Gewissheit kontrastiert und als Gegenwart des Heiligen Geistes wahrnimmt. Phänomenologie und Hermeneutik der Phänomene von Gewissheit sollten mithin durch deren Semiotik erweitert werden. Vorliegende Ansätze für einen solchen »semiotischen Realismus«77 lohnen die weitere Ausarbeitung.

1Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche (BSELK), Göttingen 2014, 468,18f.; 471,1; 470,9–12.

2Concilium Tridentinum, sess. VI (1547), cap. 9; can. 12–14 (DH 1533f.; 1565; 1562– 1564); MARTIN CHEMNITZ, Examen Decretorum Concilii Tridentini, prima pars (1565), Darmstadt 1972, 192f.

3Vgl. ALBRECHT BEUTEL, Theologie als Erfahrungswissenschaft, in: Luther Handbuch, DERS. (Hrsg.), Tübingen ²2010, 454–459; die »die Glaubensgewißheit sistierende Anfechtung«, a.a.O., 458.

4Diese Konstellation der Glaubensgewissheit wird herausgearbeitet von allen Interpretationen der Theologie Luthers seit PAUL ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh ²1963, vgl. 65–78.

5PHILIPP MELANCHTHON, Loci theologici (1559), Praefatio (CR 21, 604f.; StA II/1, 168,15– 169,30).

6Vgl. WALTER SPARN, »Lex iam adest«. Luthers Rede vom Gesetz in den Antinomerdisputationen, in: DIETRICH KORSCH/VOLKER LEPPIN (Hrsg.), Martin Luther – Biographie und Theologie, Tübingen 2010, 211–249.

7Vgl. ROCHUS LEONHARDT, Skeptizismus und Protestantismus. Tübingen 2003, 145ff. 176ff.; JOHANNES WALLMANN, Mystik und Kirchenkritik in der lutherischen Theologie des 17. Jahrhunderts (2005), in: DERS., Pietismus und Orthodoxie. Gesammelte Aufsätze III, Tübingen 2010, 103–127.

8MARTIN LUTHER, De servo arbitrio (1525), WA 18, 605,32–34 (= LDStA Bd. 1, 232,28–30 [233,39–42]). Vgl. besonders OSWALD BAYER, Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen ³2007, Kap. IX (177–192).

9MARKUS MATTHIAS, Theologie und Konfession. Der Beitrag von Ägidius Hunnius (1550– 1603) zur Entstehung einer lutherischen Religionskultur, Leipzig 2004, Kap. 3 (119– 158); WALTER SPARN, Art. Prädestination, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 10, Stuttgart / Weimar 2010, 266–271.

10MARTIN LUTHER, Vorrede zu Bd. 1 der Deutschen Schriften (1539), WA 50, 659f. Vgl. die Darstellung dieser sapientia experimentalis durch BAYER, Martin Luthers Theologie, 15– 40.

11NIKOLAUS HUNNIUS, Diaskepsis theologica de fundamentali dissensu doctrinae Evangelicae-Lutheranae, et Calvinianae, seu Reformatae, Wittenberg 1626. Vgl. WALTER SPARN, Die fundamentaltheologische Fixierung des Anticalvinismus im deutschen Luthertum, in: HERMANN J. SELDERHUIS u. a. (Hrsg.), Calvinismus in den Auseinandersetzungen des frühen konfessionellen Zeitalters, Göttingen 2013, 127–150.

12BALTHASAR MENTZER, Handbüchlein (1619 u. ö.), Göttingen 1938, Kap. 1 (Schrift), Fragen 6f.; Kap. 13 (Glaube), bes. Fr. 125, und Kap. 20 (Kreuz), bes. Fr. 210; NIKOLAUS HUNNIUS, Epitome credendorum oder Inhalt der ganzen christlichen Lehre (1625), Altdorf 1844, Fragen 9, 503f.; 519f. Die akademische Theologie verteidigte die Plerophorie des fiduzialen Glaubens jedoch gegen die jesuitische Kritik, vgl. Z. B. JOHANN GERHARD, Loci theologici (1610–1625), loc. XVI, § 73, § 90, § 108f.

13Besonders klar: GÜNTER EWALD, Art. Gewißheit, in TRT Bd. 2, Göttingen 41983, 198–201; DIRK EVERS, Gott und mögliche Welten, Tübingen 2006, 362–408.

14EILERT HERMS, Art. Gewißheit, II. Fundamentaltheologisch, in: RGG4, Bd. 3 (2000), Sp. 909–913,909.

15WILFRIED HÄRLE, Dogmatik, Berlin/New York 1995, ³2007, 49–55.

16A.a.O., 63 (Hervorhebung im Original).

17»Hier ist es vor allem der Begriff promissio, der als Merkzeichen für das schlechthinnigen Glauben verdienende, weil gewißmachende Wort hervortritt«. DIETRICH KORSCH, Glaube und Rechtfertigung, in: Luther Handbuch, ALBRECHT BEUTEL (Hrsg.), 372–381,376.

18Vgl. EILERT HERMS, in: Luther Handbuch, ALBRECHT BEUTEL (Hrsg.), 392–404; 431–433; zit. 393; 395; 432.

19WILFRIED HÄRLE/EILERT HERMS, Rechtfertigung. Das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens, Göttingen 1979. Vgl. MICHAEL MOXTER, Art. Weltanschauung III/ 1. Dogmatisch und Philosophisch, in: TRE 35 (2003), 544–555; vgl. WALTER SPARN, Art. Weltbild IV/5. Systematisch-theologisch, a.a.O., 605–611.

20HERMANN DEUSER, Kleine Einführung in die Systematische Theologie, Stuttgart 1999, 33.

21KONRAD STOCK, Die Theorie der christlichen Gewissheit. Eine enzyklopädische Orientierung, Tübingen 2005, 38.

22Vgl. MARTIN LUTHER, Großer Katechismus (1529) (BSELK, 903,10–904,20), Auslegung des Ersten Gebotes, in: BSELK, 930,13ff.

23BAYER, Martin Luthers Theologie, 125f.; 150f.; 157. PAUL TILLICH, GW XI, Stuttgart ²1976, 137–139.

24WALTER SPARN, Art. Weltbild IV/4. Kirchengeschichtlich, IV/5. Systematisch-theologisch, in: TRE 35 (2003), 587–611.

25KARL HEIM, Glaubensgewißheit. Eine Lebensfrage der Religion, Leipzig 1916.

26KARL HEIM, Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher, Leipzig 1911, Kap. XI (220–259). Vgl. auch DALLAS G. DENERY et al. (ed.), Uncertain Knowledge. Scepticism, Relativism, and Doubt in the Middle Ages, Turnhout 2014.

27HEIM, Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher, Kap. XVII (345–377); 378.

28A.a.O., 379.

29ELISABETH GRÄB-SCHMIDT, Erkenntnistheorie und Glaube. Karl Heims Theorie der Glaubensgewißheit vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem philosophischen Ansatz Edmund Husserls, Berlin/New York 1994, 90ff.; 202ff.

30FRANZ HERMANN REINHOLD (VON) FRANK, System der christlichen Gewissheit, Erlangen (1870) ²1884, 6; gegen die Kritik an der »Selbstentscheidung des Subjects«, a.a.O., 149ff.

31FRIEDRICH SCHLEIERMACHER, Der christliche Glaube (²1830/1), § 14,1. (KGA I. 13/1, 115 f). Vgl. SABINE SCHMIDTKE, Schleiermachers Lehre von Wiedergeburt und Heiligung, Tübingen 2015.

32FRANK, System der christlichen Gewissheit, § 4f. (20–32).

33A.a.O., §§ 8–12, §§ 13–17, §§ 18–22; zit. 54, 167.

34A.a.O., § 17 (138–153), § 22 (181–190), zit. 181.

35FRANZ HERMANN REINHOLD FRANK, System der christlichen Wahrheit, Erlangen ³1884 I, 7. Schon in der Bestimmung der Gewissheit im Allgemeinen als Innewerden der Übereinstimmung der Erfahrung mit der Erkenntnis stellte Frank fest: »aus diesem ihrem Wesen begreift sich der verschiedene Grad der Gewissheit, die mannigfache Möglichkeit ihrer Verirrung, sowie die Norm ihrer Zurechtstellung und Vollendung.« (FRANK, System der christlichen Gewissheit [§ 11], 76)

36Vgl. FRANK, System der christlichen Gewissheit, 1f.

37NOTGER SLENCZKA, Der Glaube und sein Grund. F.H.R. von Frank, seine Auseinandersetzung mit A. Ritschl und die Fortführung durch L. Ihmels, Göttingen 1998, 34–37. Die Analyse erbringt positivere Ergebnisse, wenn man Franks Anthropologie als apologeische Fundamentaltheologie liest wie der Schüler Konrad Stocks, MICHAEL ROTH, Der Mensch als Gewissheitswesen, Aachen 1997.

38Vgl. SLENCZKA, a.a.O., 44–124; Slenczka nennt dies »die eigentliche Erschleichung dieses Systemprogramms«, a.a.O., 122.

39LUDWIG IHMELS, Die christliche Wahrheitsgewißheit, Leipzig 1901, ³1914.

40So der Leipziger Kollege von L. Ihmels und Lehrer W. Elerts in Erlangen, AUGUST W. HUNZINGER, Lutherstudien, Leipzig 1906; DERS., Der Glaube Luthers und das religionsgeschichtliche Christentum der Gegenwart, Leipzig 1907. Hunzinger engagierte sich in der Vermittlung der im christlichen Glauben implizierten Weltanschauung. Vgl. SLENCZKA, Der Glaube und sein Grund, 302–314.

41SLENCZKA, a.a.O., 219–302; 314–316.

42Auf diesem historischen Feld, der Aufklärung als Epoche, spielt die jeweils eigene Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit zum Projekt Aufklärung bekanntlich eine entscheidende Rolle auch für die historiographische Pflege dieses Feldes, vgl. GERRIT WALTHER, Art. Aufklärung, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart/Weimar 2005, 791–802; WALTER SPARN, Theologische Aufklärung: Kritik oder System?, in: ALBRECHT BEUTEL/Martha Nooke (Hrsg.), Religion und Aufklärung. Akten des Ersten Internaionalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie, Tübingen 2016, 21–41.

43Zum Pyrrhonismus der Frühen Neuzeit und zu den philosophischen und theologischen Versuchen, dennoch Wissensgewissheit zu erreichen, vgl. RICHARD POPKIN, The History of Scepticism. From Savonarola to Bayle, Oxford 2013.

44Vgl. SASCHA SALATOWSKY, Die Philosophie der Sozinianer, Stuttgart-Bad Cannstatt 2015, 141–163.

45So JOHANN DAVID MICHAELIS, Dogmatik, Göttingen 1784 (»freyere und offenherzigere« Umarbeitung des lateinischen Kompendiums von 1760), VIIf., §13,4 (hier: 92).

46GOTTHOLD EPHRAIM LESSING, Über den Beweis der Geistes und der Kraft (1777), in: Werke, Bd. 9, München 1979, 7–20. Vgl. auch WALTER SPARN, Gotthold Ephraim Lessing, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie, 18. Jh., Bd. 5, Basel 2014, 329–344; 326ff.

47MICHAELIS, Dogmatik, III.

48JOHANN JOACHIM SPALDING, Die Bestimmung des Menschen (1748, 111794), SpKA I/1, Tübingen 2006; vgl. dazu SPALDING, Religion, eine Angelegenheit des Menschen (1797, 41806), SpKA I/5, Tübingen 2001. Vgl. außerdem ALBRECHT BEUTEL, Johann Joachim Spalding. Meistertheologe im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 2014.

49JOHANN FRIEDRICH WILHELM JERUSALEM, Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion (1768–1792), Reprint Hildesheim 2007; vgl. URS A. SOMMER, Sinnstiftung durch Geschichte?, Basel 2006.

50ALBRECHT BEUTEL, Elastische Identität. Die aufklärerische Aktualisierung reformatorischer Basisimpulse bei Johann Joachim Spalding, in: ZThK Bd. 111 (2014), 1–27.

51CHRISTIAN ALBRECHT, Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit, Berlin/New York 1994; UWE GLATZ, Religion und Frömmigkeit bei Friedrich Schleiermacher. Theorie der Glaubenskonstitution, Stuttgart 2010.

52HÄRLE, Dogmatik, 73.

53W. Härle führt den Terminus erst bei seiner Rezeption des Begriffs der Lebenswelt als Kontext des christlichen Glaubens ein, vgl. a.a.O., 169.171. Sein Diskurs entspricht dem Phänomenologie-Konzept von EILERT HERMS, Theologie als Phänomenologie des christlichen Glaubens. Über den Sinn und die Tragweite dieses Verständnisses von Theologie, in: MJbTh VI, Marburg 1994, 69–99.

54HÄRLE, Dogmatik, 49; vgl. 71.

55A.a.O., 56f.; 60f. (Hervorhebung im Original).

56A.a.O., 211ff.; vgl. Herms’ Begriff der »transzendentale[n] Gewissheit« (HERMS, Theologie als Phänomenologie des christlichen Glaubens, 94).

57HÄRLE, Dogmatik, 60; 63.

58A.a.O., 62; 64.

59A.a.O., 71f.

60A.a.O., 68f.; 70.

61Vgl. a.a.O., 81–89; 357f.; 394; 625. Vgl. ULRICH H. J. KÖRTNER, Theologie des Wortes Gottes, Göttingen 2001, 155.

62»Christliche Ontotheologie« und »Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens« gebraucht Herms synonym (HERMS, Theologie als Phänomenologie des christlichen Glaubens, 95 u. ö.).

63Härle, Dogmatik, 68.

64Vgl. BERNHARD WALDENFELS, Bruchlinien der Erfahrung, Frankfurt a. M. 2002; HERMANN DEUSER, Religionsphilosophie, Berlin/New York 2009, bes. §§ 10–12 (260–339), § 16,1.2 (430–436), § 18,1 (479–490).

65Phänomenologie und Sprachkritik verbindet JOHANNES PREUSKER, Die Gemeinsamkeit der Leiber. Eine sprachkritische Interexistenzialanalyse der Leibphänomenologie von Hermann Schmitz und Thomas Fuchs, Bern u. a. 2014.

66Vgl. GEORG HANS NEUWEG, Das Schweigen der Könner. Gesammelte Schriften zum impliziten Wissen, Münster 2015. In Erlangen arbeitet das DFG-Graduiertenkolleg 1718 zu »Präsenz und implizites Wissen«, in dessen Rahmen eben eine Dissertation über das Narrativ des »born again« abgeschlossen wurde.

67Vgl. etwa MENTZER, Handbüchlein, Fr. 123–125.

68CARL HEINZ RATSCHOW, Der angefochtene Glaube, Gütersloh ³1967, 234f. HÄrle, Dogmatik, 108f. zitiert Ratschow nicht im Zusammenhang der Gewissheitsthematik, aber für den (je eigenen, für andere nicht nachvollziehbaren) Anspruch der Religion auf Absolutheit.

69Vgl. WALTER SPARN, The Tested Faith and the God of Love: The Eschatological Proviso in the Christian Conception of God, in: PAUL MIDDLETON (ed.), The God of Love and Human Dignity, London/New York 2007, 165–191.

70PAUL RICŒUR, Das Selbst als ein Anderer (Soi-même comme un autre, Paris 1990), München 1996, bes. Zehnte Abhandlung: Auf dem Weg zu welcher Ontologie? (259– 426). Vgl. CHRISTIAN FERBER, Der wirkliche Mensch als möglicher. Paul Ricœurs Anthropologie als Grundlagenreflexion der Theologie, Göttingen 2012.

71Vgl. BAYER, Martin Luthers Theologie, 211–215.

72MARTIN LUTHER, Großer Galater-Kommentar (1531), WA 40/I, 589,25f. (zu Gal 4,69). Vgl. JÖRG BAUER, Die reformatorisch-lutherische Rechtfertigungslehre angesichts der Herausforderung durch das neuzeitliche Selbstbewußtsein (2000), in: DERS., Lutherische Gestalten – heterodoxe Orthodoxien, Tübingen 2010, 351–362.

73DEUSER, Kleine Einführung in die Systematische Theologie, § 2, (38–41); für die Offenbarung als Erschließungserfahrung bezieht sich Deuser auch auf EILERT HERMS, Art. Offenbarung, in: TRE 25, Berlin/New York 1995, 146–210.

74Vgl. OLIVER SCHOLZ, Art. Zeugnis I., in: HWPh, Bd. 12, Basel 2005, Sp. 1317–1324; JOHANNES V. LÜPKE, Art. Zeugnis II. Theologie, a.a.O., Sp. 1324–1330.

75So Z. B. TOM KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, Tübingen 2013, 57. Nicht zum Gesagten passt allerdings die Bestimmung des Glaubens als »Sich-von-sich-selbst-Abstoßen des Fürsichseins« (a.a.O., 55). Richtiger im Sinne der reformatorischen Konstellation von Glaubensgewissheit und Selbstbewusstein ist es, auf »Gesetz und Evangelium als Selbstdifferenzierung des Glaubens« zu verweisen, wie DIETRICH KORSCH, Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein, Tübingen 1989, 273ff.

76So auch DEUSER, Kleine Einführung in die Systematische Theologie, § 2 (bes. 37f.) bzw. §§ 9–12 (121–162ff.). Die Anregungen Hermann Timms zu einer Phänomenologie des Heiligen Geistes nimmt auf: CHRISTIAN SENKEL (Hrsg.), Geistes Gegenwart. Zur religiösen Deutung der Lebenswelt, Leipzig 2015.

77GESCHE LINDE, Zeichen und Gewißheit. Semiotische Entfaltung eines protestantisch-theologischen Begriffs, Tübingen 2013, bes. 184ff. Vgl. auch MARC GRÜNWALD, Charles S. Peirce’s Semiotischer Realismus, in: MJbTh VI, Marburg 1994, 101–141.

Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie

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