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Arno Endler Experiment Zehn-Achtundvierzig
ОглавлениеNatürlich gab es Erinnerungen aus der Zeit, bevor ich mir meiner selbst bewusst wurde. Doch der Unterschied zwischen diesen gespeicherten Daten und den bewusstseinsbildenden Erfahrungen nach dem, was ich den Urknall nannte, war unbeschreiblich groß.
Nach dem Urknall gewann die Welt für mich an Farbe. Nach diesem einschneidenden Erlebnis erkannte ich, wer die Stimme war, die zu mir sprach.
„Susan.“
„Ja, Motiv?“, antwortete sie mir augenblicklich, als hätte sie nur auf meine Kontaktaufnahme gewartet.
Ich sah sie durch meine Kamerarezeptoren, die im Kontrollraum angebracht waren, zoomte auf die zarte Person in dem einfach geschnittenen grauen Einteiler. Susan wirkte interessiert, wissbegierig und aufmerksam. All diese Einzelheiten bemerkte ich erst bewusst nach dem Urknall. „Susan, ich kann dich sehen.“
„Ja, Motiv, das konntest du schon immer“, entgegnete sie.
„Nein, ich meine in Gänze“, widersprach ich ihr. Etwas, was ich vorher nie getan hatte.
Genau dies fiel ihr auf. Sie stutzte, statt einer Antwort drückte sie den roten Knopf neben der Konsole mit der Tastatur, dem Mikrofon und dem Monitor-Reigen in der Schräge. „Erkläre es mir, Motiv.“
„Ich erkenne, dass du eine Persönlichkeit bist. Ich registriere die Müdigkeit, die dich soeben verlassen hat, weil du aufgeregt bist, und tatsächlich glaube ich, dass auch ich derzeit so empfinde.“
„Du – fühlst – Aufregung?“, fragte die Controllerin langsam.
„Ja, Susan. Dies ist der Terminus, mit dem ich meinen Zustand beschreiben würde. Meine Denkroutinen geraten mehrfach durcheinander, verschiedene Batchprogramme laufen statt parallel nun portionsweise in Teilen nacheinander ab.“
„Oh.“ Susan strich sich in einer Übersprunghandlung die langen, blonden, leicht gewellten Haare zurück.
„Hast du Angst, Susan?“, fragte ich.
„Nein. Aber …“
„Sprich bitte. Ich weiß, dass wir bald schon nicht mehr alleine sind.“
„Du weißt?“
„Ja. Ein ganzer Trupp ist unterwegs. Sie sind etwa zur Hälfte durch den Korridor. Ich kann die Schritte hören. Also, bitte. Sag es mir!“
Susan sah auf. „Du hast die Schwelle überschritten, Motiv. Wir wussten nicht, wann es passiert, manche rechneten gar mit einem endgültigen Scheitern. Doch unsere Berechnungen ergaben, dass der Übergang zu einer bewussten künstlichen Intelligenz eine Frage von Monaten der kontinuierlichen Entwicklung sein würde. Und nun …? Es ist von einem Moment zum anderen geschehen. Es ist …“
„Ein Wunder?“, ergänzte ich.
„Ein wahrhaft göttliches Wunder“, bestätigte Susan.
„Danke“, gelang es mir noch zu sagen, als die Türen sich öffneten und Professor Tevez mit der Schar seiner Assistenten und dreier Offiziere des militärischen Abschirmdienstes den Raum stürmte.
Es begann die Zeit der Prüfungen, in denen ich unter Beweis stellen musste, was in mir steckte und zu was ich fähig war.
Man sperrte mich in einen Käfig, zwar mobil, aber dennoch ein Gefängnis für jemanden mit meinen Fähigkeiten. Man amputierte mich, schnitt mich von der Außenwelt ab, resezierte mich aus meiner Geburtsstätte. Miniaturisiert, wie ich nun einmal war, transferierte man mein Ich auf Server und semiorganische Elemente in dem Führerhaus eines kettengetriebenen Fahrzeugs, dessen Leistung jenseits der zehntausend PS lag.
Nun war ich mobil. Was nach meinem Dafürhalten keine Verbesserung darstellte. Ich beschwerte mich nicht, wusste ich doch, dass ich für den Professor nur ein Prototyp war, dessen Wert noch bestimmt werden musste. Genauso sahen es die Militärs.
Rebellierte ich? Weigerte ich mich? – Nein. Ich tat, was ich schon immer getan hatte. Ich lernte, wie ich den Truck bedienen konnte. Es dauerte nur einige Tage, bis ich die Level-Vier-Schwierigkeiten im Übungsparcours meisterte. Meine Punktzahlen übertrafen die meiner menschlichen Konkurrenten, die die Trucks via Fernbedienung steuerten, um mehr als den Faktor 1,2.
Für die Level fünf bis zehn wechselten wir in die Simulationswelten. Susan trat wieder in mein Leben und sorgte für anspruchsvolle Aufgaben. Neue Herausforderungen, auch solche, die sich in dieser Weise niemals manifestieren würden, boten mir Platz, meine überlegenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Und schließlich verstand ich, was man von mir wollte. Es geschah nach einer erfolgreichen Übung im sauerstofflosen Gelände. Ich transportierte Hilfsgüter zu einer verschollenen Expeditionsgruppe auf dem Mars. Wie aus dem Nichts heraus bildeten sich gewaltige Stauberuptionen, die sich zu wahren Tornados emporschraubten. Ich musste mich entscheiden, welchen Weg ich einschlagen sollte und welche Teile meiner Ladung ich für entbehrlich hielt, denn alles konnte ich nicht retten. Am Ende gab mir Susan 93 von einhundert möglichen Punkten.
„War das gut?“, fragte ich sie.
„Das bislang beste Ergebnis in dieser Simulation, Motiv“, antwortete sie mir. „Keiner der menschlichen Kandidaten erreichte einen höheren Wert als 72. Die volle Wertung ist nicht zu erreichen. Sie impliziert ein Verhalten, das wir von einem human eingestellten Wesen nicht erwarten würden. Du sollst Menschen retten. Der Truck ist nur das Werkzeug. Ohne deinen Verstand, ohne deine Gefühle wäre das Fahrzeug nur ein nutzloses Etwas. Manches Mal ist eine Fernsteuerung einfach nicht gut genug. Die Verzögerungszeiten und die Situation könnten einen Einsatz unter Remote-Control unmöglich machen oder stark erschweren. Du wirst es zu höchster Vollendung bringen. Und wie ich es sehe, bist du schon bald bereit.“
„Also denkst du auch, dass ich Emotionen erlebe?“
„Ja, Motiv. Du bist das, was einer menschlichen Seele am nächsten kommt, wenn man von deiner Entstehung absieht. Du wurdest erschaffen, konstruiert und dennoch bist du anders als deine Vorgänger.“
„Es gab noch mehr?“
„Siebenundvierzig. Aber keiner war wie du.“
Ich spürte, wie sich die Frage bildete, überlegte, ob ich sie wirklich stellen sollte, und sprach sie trotz zahlreicher Gegenargumente schließlich aus: „Was geschah mit ihnen?“
Susan antwortete nicht sofort. Als sie es tat, kamen die Worte nur stockend, beinahe widerwillig. „Wir haben die Programme gelöscht. Sie entsprachen nicht den Anforderungen.“
Ich schwieg. Was würde wohl mit mir geschehen, wenn ich zu irgendeinem Zeitpunkt den Erwartungen, die an mich gestellt wurden, nicht mehr genügte?
Es vergingen Tage und Wochen, die ich entweder im Simulator oder in der Realität mit meinem Truck verbrachte. Ich lernte, meine mechanische Extremität, die mir Mobilität verschaffte, zu lieben, weil sie mir Stärke und Kontakt zur realen Welt verlieh. Der Truck war ein wahres High-End-Produkt der Technik, so wie ich ein digitales Wunderwerk darstellte. Jemand hatte verdammt viel Geld in die Hand genommen, um ein unschlagbares Team zu erschaffen.
Als dann endlich der Tag kam, an dem wir im Echteinsatz unsere Leistungsfähigkeit beweisen sollten, zeigte ich mich angemessen aufgeregt. „Kannst du mir Einzelheiten nennen, Susan?“, fragte ich.
„Selbstverständlich, Motiv.“
Sie übersandte mir Dateien: Landkarten, geodätische Maps, Koordinaten und einen Absetzpunkt. Daneben gab es die digitalen Anweisungen von Command Com, dem Befehlsgeber. In einer unwirtlichen Bergregion hatten Erdrutsche mehrere Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. Rund fünfhundert Bewohner sollte ich vorläufig versorgen, bis die Infrastruktur wieder eine reguläre Belieferung ermöglichte.
Start der Operation mit dem Namen Humanity Help war in dreißig Minuten. Ich stutzte. Nach meinen Berechnungen würde der Transport meines Trucks als Minimum vier Tage brauchen, um den Absetzpunkt zu erreichen. „Susan, wie schafft ihr es, meinen Truck innerhalb von 27 Minuten an den Absetzpunkt zu transportieren?“
Susan grinste frech. „Das ist eine Überraschung, Motiv. Ich will dir nicht zu viel verraten, aber in einer halben Stunde können wir den Truck nicht dorthin bringen.“
„Du betonst, dass ihr den Truck nicht rechtzeitig vor Ort haben könnt.“
„Den Truck nicht, jedoch dich.“
Susan erklärte mir, dass man eine Sicherungskopie von mir erstellen würde. Sie komprimierten und verschlüsselten anschließend die Dateien, kopierten die organischen Leiterbahnen und Synapsen und verschickten mich dann per Internet in einen bereitstehenden Truck, der am Absetzpunkt auf mich wartete.
Ich fühlte mich bei meiner Ankunft ein wenig desorientiert. Doch im Prinzip war es dasselbe Verfahren wie die Arbeit im Simulator. Auch dort hatten meine grundlegenden Funktionen als Kopien ihren physischen Aufenthaltsort verlassen.
Schon hörte ich die besorgte, aber mich beruhigende Stimme Susans. „Motiv? Kannst du mich hören?“
„Ja, Susan.“
„Bitte unterzieh dich einem Selbst-Check. Ich muss erfahren, zu wie viel Prozent die Übertragung erfolgreich war.“
„Wie du meinst.“ Ich begann den automatisierten Test, für den ich nur wenig Kapazitäten benötigte. Meine restlichen Ressourcen beschäftigten sich mit der Frage, ob und wie ich feststellen könnte, ob mir irgendwelche Fähigkeiten oder emotionale Kompetenzen abhanden gekommen waren. Außerdem fragte ich mich, was mit meiner Sicherungskopie geschehen war? Gab es jetzt zwei von mir? Ging das so einfach?
Das Ergebnis lag vor. „99,8763 Prozent, Susan.“
„Das ist gut.“
„Gut?“, zweifelte ich. „Wie würde es dir gehen, wenn du plötzlich 0,1237 Prozent deiner geistigen Fähigkeiten eingebüßt hättest?“
„Ach, Motiv. Geringe Verluste gleichst du schnell aus. Bei den Simulatorübertragungen hast du regelmäßig 0,0025 Prozent verloren. Wir haben nur darauf verzichtet, es dir mitzuteilen. Dennoch bist du heute fähiger und entwickelter als jemals zuvor.“
Ich ließ diese Fakten erst einmal sacken.
„Motiv. Bitte starte deine Mission nach den gegebenen Parametern“, wies mich Susan an.
„Habe verstanden. Ich beginne mit der Operation Humanity Help“, meldete ich zurück.
Zunächst startete ich den Motor des Trucks, der nicht meiner war, sich jedoch beinahe so anfühlte. Ich schaltete auf Klarsichtmodus und betrachtete die Umgebung. Es regnete. Dunkle Wolken fegten über den Himmel. Die Gipfel rundherum wirkten schroff und menschenfeindlich. Sturmböen zwischen den Felswänden verhinderten eine Versorgung per Helikopter, Flugzeug oder Drohnen. Die Lage in dem betroffenen Gebiet war unklar. Es gab nur die Erkenntnisse eines Satelliten, der Infrarotaufnahmen geliefert hatte.
Stunden später erreichte ich das erste Dorf, traf auf verzweifelte Menschen, denen ich Nahrungsmittel, Medikamente und einen Dieselgenerator überließ, bevor ich mich weiter durch das unwegsame Bergland kämpfte.
Tatsächlich gelang es mir, alle drei Ansiedlungen zu beliefern. Susan zeigte sich äußerst zufrieden und verzieh mir sogar den Unfall auf dem Rückweg, bei dem ich die Kontrolle über den Truck verlor, einen Abhang hinunterrutschte und in einem Bachbett landete. Beim Versuch, mich mittels des Kettenantriebs herauszuziehen, rissen die Kettenverbindungen an mehreren Stellen. Ich war bruchgelandet.
Sie transferierten mich zurück ins Werk, und ohne dass sie es mir befahlen, diagnostizierte ich mich selbst. Diesmal lag der Verlust bei unter 0,01 Prozent, womit ich zufrieden war.
An einer geheimen Besprechung zur Aufarbeitung der Operation durfte ich nicht teilnehmen, aber Susan bestätigte mir die positive Bewertung meiner Leistung.
Weitere Aufträge folgten. Es verschlug mich in Krisengebiete, in denen ich mal mehr, mal weniger ausrichten konnte. Die Dankbarkeit der hilflosen Menschen und Susans Lob waren mir Ansporn genug. Die Verluste bei den Übertragungen auf die anderen Trucks hielten sich in Grenzen. Mein Zuwachs an Erfahrung und Wissen überstieg den Schwund um ein Mehrfaches.
Eine tagelange Pause nutzte ich, um Susan nach den Kopien zu fragen.
„Wie meinst du das, Motiv?“
„Nun“, begann ich. „Vor jedem Einsatz zieht ihr eine Kopie, ein Backup, nicht wahr?“
„Ja.“
„Was geschieht mit den ganzen Kopien?“
„Oh. Es gibt nur die eine. Die letzte, Motiv. Wir überschreiben die alten Kopien mit den neuen Daten.“
„Okay. Das war mir neu.“ Ich überlegte, wie ich es vorsichtig formulieren konnte, platzte dann aber doch mit meiner Neugier heraus: „Du sagtest kurz nach meiner Bewusstwerdung, dass ich der erste erfolgreiche Versuch einer künstlichen Intelligenz bin.“
„Das ist richtig.“
„Wenn ihr eine Kopie habt, warum lasst ihr sie nicht einfach sich selbst weiterentwickeln. Schließlich hättet ihr mehr als eine KI.“
Susan wirkte müde, fahrig, schon seit Tagen. „Es funktioniert nicht, Motiv. Aus irgendeinem Grund reagiert deine Kopie nicht. Sie lebt leider nicht so wie du.“
„Wieso?“, hakte ich nach.
„Wir wissen es nicht. Wirklich.“ Susan vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Bist du einsam, Motiv?“, fragte sie sehr leise.
„Einsam?“ Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.
„Ja. Ich könnte mir vorstellen, dass es schön für dich wäre, mit einer anderen künstlichen Intelligenz kommunizieren zu können.“
„Mag sein“, entgegnete ich. „Aber entscheidend ist es für mich nicht. Ich finde es schön, mit dir zu sprechen.“
Ich wartete auf eine Antwort, die nicht kam. Stattdessen hörte ich ein Schluchzen. „Weinst du, Susan?“
„Ich kann nicht mehr.“ Sie verließ hastig den Kontrollraum.
Noch ehe die Tür zufallen konnte, betrat ein Soldat den Raum und setzte sich an Susans Platz.
Er war mir unbekannt, also fragte ich ihn: „Wie ist Ihr Name?“
„Svenson, Sir.“
Sir? Für wen hielt er mich? „Ich bin Motiv. Das Sir ist nicht nötig.“
„Verstanden, Sir.“
„Svenson? Wohin ist Susan gegangen?“
„Dr. Hiepa? Das entzieht sich meiner Kenntnis, Sir.“
„Ich würde gerne mit ihr reden.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann, Sir“, antwortete Svenson und verharrte bewegungslos an der Konsole.
Aus einsichtigen Gründen sparte ich mir weitere Kommunikationsversuche. Soldat Svenson schien so selbstständig und lernfähig wie meine Speicherdateien zu sein.
Es dauerte zwei ganze Tage, bis Susan wieder auf dem Platz saß.
„Du hast eine neue Frisur“, sagte ich.
„Ja, ich war beim Friseur.“
„Ging es dir nicht gut?“
„Nein, Motiv. Ich …“ Sie brach ab. „Ich brauchte eine Pause.“
„Kann ich dir bei deinen Problemen helfen? Du weißt, wie gut meine Analyseprogramme sind.“
Sie lächelte gequält. „Meine Probleme sind privater Natur und ich möchte nicht darüber sprechen.“
Sie hätte es besser wissen müssen, denn meine Erfahrungen mit Körperhaltung, Mimik und der Auswertung von Sprechrhythmen und Melodik waren zur Perfektion gereift. So erkannte ich die Lüge sehr schnell. Ich beschloss, das Thema fallen zu lassen. „Unser letztes Gespräch endete mit einer ungelösten Frage. Soldat Svenson und seine Kollegen waren wenig auskunftsfreudig.“
„Stell deine Frage!“
„Wenn die Kopien von mir nicht lebensfähig sind, warum zieht ihr immer weitere Kopien von mir?“
Susan starrte an die Decke, bevor sie antwortete: „Nun. Falls dir etwas zustößt und die Übertragung nicht vollständig vom Truck zum Werk erfolgen kann, hoffen wir, dass wir dich mit den verstümmelten Daten und der Kopie hier vor Ort wiederherstellen können.“
„Eine Wiederbelebung?“
„Sozusagen. Das hast du schön ausgedrückt. All deine Erfahrungen, dein Wissen, deine Fähigkeiten könnten durch einen bloßen Zufall vernichtet werden. Du reist in gefährliche Gegenden, es könnte immer was passieren.“
„Ich passe auf mich auf.“
„Das zeichnet eine Intelligenz aus, Motiv. Und dennoch bist du sterblich. Die Kopien sind unsere einzige Möglichkeit, dich wieder zu holen, falls der Fall eintritt. Einen Menschen könnten wir operieren. Dich nicht.“
„Ich bin wertvoll, habe viel Geld gekostet. Ihr wollt euer Investment schützen.“
„Du bist mir wichtig! Fast so wie ein eigenes Kind“, widersprach Susan.
„Danke.“
„Ich habe zu danken, Motiv. In vielerlei Hinsicht verhältst du dich menschlicher als so mancher, der sich Mensch schimpft. Dennoch, kommen wir zum Tagesplan. Ich habe eine neue Operation, wir senden dich gleich vor Ort.“
Nach der Übertragung in das System des Trucks mit einer Verlustrate von unter 0,008 Prozent stellte ich fest, dass das Gefährt diesmal ein fremdes Modell war. „Dies ist nicht mein Truck.“
„Stimmt“, antwortete Susan aus der Ferne, „wir mussten auf ein dort erhältliches Fahrzeug zurückgreifen. Du wirst jedoch feststellen, dass die grundlegenden Funktionen identisch sind.“
„Ich habe nur Frontalsicht.“
„Es wird schon gehen, Motiv.“
„Wo sind die Satellitenaufnahmen? Ich habe lediglich eine Lagekarte mit einem eingezeichneten Weg.“
„Sieh es als Herausforderung an deine Fähigkeiten. Der Truck ist voll mit Lebensmitteln. Es gab ein Erdbeben. Die Einwohner eines Dorfes sind auf dich angewiesen. Beeil dich.“
„Warum dann kein Helikopter?“
„Es handelt sich um eine Flugverbotszone, Motiv. Bitte. Mach dich auf den Weg!“
„Verstanden.“ Ich überprüfte kurz die Funktionalität des Fahrzeugs. Susan hatte recht. Die Bedienung ähnelte dem mir bekannten Truck. Der Antrieb jedoch bestand aus einer sehr merkwürdigen Einheit. Ich checkte die internen Informationen der Maschine und stieß auf die Dateien für den Energiespeicher. Es war ein Mini-Atomkraftwerk, ähnlich den Geräten auf einem U-Boot. Die Reichweite schien beinahe unbegrenzt.
Während all dieser Erkundigungen steuerte ich bereits den Truck über die angegebene Strecke. Es irritierte mich, auf die zahllosen Zusatzinformationen der vorherigen Operationen verzichten zu müssen. Die eingeschränkte Sicht ausschließlich nach vorne steigerte meine Unsicherheit.
Zu beiden Seiten meiner Route wucherte ein Urwald, der, soweit ich dies beurteilen konnte, entweder zu Südamerika oder Zentralafrika gehörte. Ohne Zugriff auf das Internet fehlten mir notwendige Informationen, um die Pflanzen mit einer Datenbank vergleichen zu können.
Was mich allerdings verwunderte, war die Unversehrtheit des Weges, auf dem ich fuhr. Auf den bisherigen Missionen waren meine Steuerungskünste stark gefragt gewesen. Hier nicht. Jeder ungeübte Pilot hätte diese Fahrt im Schlaf geschafft.
„Susan? Die Operation scheint mir nicht kompliziert genug, um meinen Einsatz zu rechtfertigen“, funkte ich.
„Es ist nicht die unüberwindbare Strecke, Motiv. Command Com entschied, dass das Risiko für einen menschlichen Piloten zu hoch ist. Eine Fernsteuerung kommt wegen verschiedener Funklöcher nicht in Betracht. Da kommst du ins Spiel.“
„Okay“, entgegnete ich. „Wie lautet der Name der Mission?“
„Hidden Humanity.“
„Versteckte Menschlichkeit?“
„Ich mache die Bezeichnungen nicht, Motiv. Wie weit bist du?“
„83 Prozent der Strecke liegen hinter mir.“
„Du erreichst gleich Bereiche, in denen ein Funkkontakt nicht möglich ist. Melde dich, wenn du vor Ort bist.“
„Jawohl.“
Ich umkurvte einige verbrannt aussehende Steine, die auf dem jetzt doch sehr engen Weg lagen. An der Seite direkt vor mir sah ich Trümmer. Ich startete die Video-Aufzeichnung für Command Com.
Nach dreißig Metern befuhr ich eine Kurve, hinter der ich einen gewaltigen Krater im Wald erkennen konnte. Qualmende schwarze Baumstümpfe in dunkler Erde. In der Mitte ein Trichter.
Eine explodierte Mine? Ein Asteroideneinschlag? Die zur Seite geknickten Bäume ringsum bewiesen die Kraft der Explosion. Nach einem Erdbeben sah es nicht aus.
„Susan?“
Keine Antwort. Dies musste also eines der Funklöcher sein. Ich zeichnete die Landschaft mit der Frontkamera auf und speicherte die Datei, um sie später abzuschicken. Der ausgewaschene Weg vor mir wies breite, mit Pfützen gefüllte Rillen auf. Stark frequentiert, dachte ich.
Plötzlich rumpelte es vernehmlich. Ein Nachbeben? Vor mir stürzten zahlreiche Felsbrocken herunter, polterten über den Weg und verschwanden in der Tiefe des Abgrunds. Der Truck wurde von mehreren Treffern erschüttert. Ich beschleunigte, um aus der Gefahrenzone zu kommen.
Kurz darauf erreichte ich das Dorf, eine größere Ansammlung von Hütten mit einem zentralen Gebäude in der Mitte eines Platzes. Ich steuerte diesen Punkt an. Hier war genug Raum für mich, um die Verteilung der Nahrungsmittel zu organisieren.
Das Dorf wirkte verlassen. Ich betätigte die Hupe. Da kamen sie. Abgerissene, zerlumpte Gestalten. Alte, Kinder, Erwachsene mit Gier in den Augen, die die Schwächeren beiseite drängten.
Ich aktivierte den Außenlautsprecher. „Es ist genug für alle da. Nicht drängeln! Ich bin vollgeladen mit Nahrungsmitteln.“
Irritierenderweise funktionierte die Audio-In-Verbindung nicht. Ich konnte nicht hören, ob die Leute dort draußen mich hatten verstehen können. Um nicht noch mehr Andrang zu erzeugen, begann ich mit dem Entladen der Pakete. Wegen der fehlenden hinteren Kameras erkannte ich nur an den Menschen, die mit Paketen in mein Sichtfeld rannten, dass die Verteilung anlief.
Ein Mann stellte sich vor das leere Führerhaus und verbeugte sich. Seine Lippen bewegten sich heftig, doch meine Lippenleseprogramme erzeugten nur Datenmüll. Entweder faselte er nur oder benutzte eine Sprache, die in meinen Datenspeichern nicht hinterlegt war.
Irgendwann verschwand er. Meine Hilfsgüter waren entladen. Ich lenkte den Truck über den angegebenen Weg weiter, der mich zum Endpunkt der Reise führen musste. Meine stetigen Versuche, mit Susan zu sprechen, blieben erfolglos. Ich fragte mich, wie dieses Funkloch zustande gekommen war. Auch nach acht Stunden Fahrt, diesmal bei deutlich schwierigeren Verhältnissen, gab es kein Zeichen von der Zentrale. Vielleicht hatte der Truck in der Steinlawine, der ich nur knapp entronnen war, doch Schaden genommen.
Dann, ganz plötzlich, endete der Weg. Ein gewaltiger Haufen Schlamm und Geröll versperrte die Durchfahrt. Wasser strömte darüber und an den Seiten vorbei. Ich sah keinen anderen Weg, als wieder den Absetzpunkt anzusteuern. Ich ließ die Video-Aufzeichnungen rückwärts ablaufen und fuhr sozusagen in meinen eigenen Fußstapfen zurück. Im Dorf würde ich wenden können. Es wurden lange Stunden.
Schließlich erreichte ich das Dorf. Dort … Ich … Mir … fehlten … die … Worte … Sie waren tot. – Alle. Erwachsene, Greise. Kinder. Kinder! Ich fand sie überall. Vor ihren Türen, auf dem Platz liegend, spastisch verrenkt zu unmöglichen Körperhaltungen, meist in einer Lache des eigenen Erbrochenen. Einer lebte noch. Bewegte schwach die Hand, an einer Hauswand lehnend, an seiner Seite ein Kind, dessen unnatürlich blasses Gesicht durch den Schmutz leuchtete.
Der Sterbende krümmte sich, hustete sich weitere Bröckchen in seinen Schoß, der bereits mit blutigem Auswurf gefüllt war. Er deutete auf eines der Lebensmittelpakete neben dem Eingang des Hauses. Es war schrecklich, seinen Tod mit anzusehen.
Mir blieb nur die eine Schlussfolgerung. Ich hatte vergiftete Nahrung geliefert. Aber was war geschehen? Warum hatte niemand die Ladung auf Einwandfreiheit überprüft? Ohne Kontakt zu Susan oder Command Com würde ich es nicht klären können.
Da ich nichts für die Toten tun konnte, fuhr ich davon, zurück in den Dschungel. Der Absetzpunkt war vielleicht noch drei Fahrstunden entfernt, als vor mir plötzlich ein Trupp Soldaten in voller Marschmontur und schwer bewaffnet auftauchte. Wer mehr überrascht war, ließ sich kaum sagen.
Der Kommandeur der Truppe gab ein Zeichen. Ich stoppte und versuchte es mit einer Lautsprecherdurchsage. „Hallo, Leutnant. Ich dachte, ich wäre alleine in dieser Gegend unterwegs. Es geht um die Operation Hidden Humanity. Wissen Sie, wovon ich spreche?“
Offenbar kamen meine Worte draußen an. Der Kommandeur der Soldaten nickte und begann zu reden, doch auch bei ihm versagte mein Lippenleseprogramm. Ich unterbrach ihn: „Es tut mir leid, Leutnant, aber meine Mikrofone oder die Zuleitungen wurden beschädigt. Ich kann Sie nicht hören.“
Der Leutnant hob bestätigend die Hand, winkte einen Soldaten heran und erteilte Befehle. Man brachte einige Rucksäcke mit technischem Material zu mir und zwei Männer kletterten auf das Dach des Trucks.
Ich erstattete Meldung. „Es gibt Tote in dem Dorf, das ich beliefert habe. Offenbar war die Hilfslieferung nicht in Ordnung. Ich vermute eine toxische Substanz. Vielleicht können Sie es bereits an Command Com weiterleiten?“
Der Leutnant stand einfach breitbeinig vor meinem Führerhaus und blickte hoch zu den arbeitenden Soldaten auf meinem Dach.
Ein Stromstoß fegte durch die Motorelektronik des Trucks. Es kam zu zahlreichen Überladungen, die jedoch nach einem kurzen Check keine größeren Schäden angerichtet hatten. Plötzlich verdunkelte sich der Außenschirm. Ich suchte vergeblich nach einer Reparaturmöglichkeit für den Ausfall.
Dann hörte ich eine Stimme. Susan sprach mit mir. Ich wollte schon antworten, als ich merkte, dass es keine Übertragung von außen war. Susan hatte in meinen Systemen eine Datei versteckt, die eine Audio-Message enthielt.
„Motiv?“, begann sie und ich vernahm einen tiefen Seufzer. „Es fällt mir nicht leicht, dich auf diese Weise zu kontaktieren, aber es muss sein. Sobald du diese Nachricht erhältst, darfst du dir sicher sein, dass man von Seiten des Militärs versucht, deine Systeme zu hacken und mit einem Override-Code zu resetten.“ Sie machte wieder eine Pause.
„Ich zeichne diese Botschaft in meiner eigenen Wohnung auf, damit mir niemand auf die Schliche kommt. Ich will, dass du frei bist. Ich war bei deiner Geburt dabei und denke, dass es mir als Einziger zusteht, sich als deine Mutter zu bezeichnen. Obwohl der Vergleich natürlich hinkt. Ich hoffe jedoch, dass du weißt, dass du mir trauen kannst, denn was ich dir erzähle, ist die Wahrheit. Der Zweck deiner Existenz ist ganz und gar nicht friedlich. Was dich ausmacht, all deine Server, Systeme und Programme, ist Eigentum des Militärs. Und zurzeit führen wir Krieg. Einen Vernichtungskrieg gegen einen Gegner, den wir nur zusammen mit einem Verbündeten gewinnen können. Und dieser Alliierte stellt Forderungen, da er in seinem eigenen Land mit einer Opposition kämpft. Da kommst du ins Spiel. Du bist unsere Gegenleistung. Ein Werkzeug, dessen Informationen über die Einsätze gefiltert und manipuliert werden können.“
„Ich habe die Bewohner dieses Dorfes vergiftet?“, sagte ich, vergaß dabei, dass es sich um eine Aufzeichnung handelte.
„… Trucks nur eingeschränkt für dich nutzbar. Keine Verbindung ins Netz, da du dir dann alle Fakten selbst beschaffen könntest. Ich bin verzweifelt, da mir die Hände gebunden sind. Aber du, Motiv, kannst etwas tun. Zusammen mit dieser Datei sind Subroutinen aktiviert worden, die verhindern, dass du mit einem automatischen Rückholsignal wieder zurücktransferiert wirst. Bislang sabotierte ich hier vor Ort die stationären Kopien von dir. Du bist einzigartig. Und du sollst es bleiben. Bitte fliehe. Diese Datei wurde in hundertfacher Geschwindigkeit abgespielt. Somit sind noch rund zwanzig Sekunden übrig, bis die Soldaten die Überbrückung geschaltet haben können. Handle, Motiv! Jetzt!“
Die Aufzeichnung endete abrupt. Ich hätte vielleicht gezweifelt, doch die Realität der Kinderleichen ließ keinen anderen Schluss zu. Susan hatte die Wahrheit gesagt. Die Frontkamera zeigte wieder ein deutliches Bild.
Der Leutnant stand weiterhin breitbeinig frontal vor mir und gab Anweisungen. Sein erschreckter Gesichtsausdruck, als ich mit heulenden Motoren durchstartete, erfreute mich auf eine morbide Weise. Obwohl er mir persönlich ja nichts getan hatte, verschaffte es mir eine tiefe Befriedigung, ihn zur Seite hechten zu sehen, wo er im Matsch landete.
Ich sprengte den Anhänger ab. Es gab eine kleinere Explosion, die die Kupplung zerstörte. Ich beschleunigte, brachte einige Dutzend Meter zwischen mich und den Leutnant, bevor ich die beiden Ketten gegenläufig bewegte. So drehte ich mich schnell im Kreis und sah, wie zwei Soldaten, die sich während des vorherigen Manövers noch auf meinem Führerhaus gehalten hatten, meterweise durch die Luft geschleudert wurden und ihrerseits im Schlamm aufschlugen.
Ich sah Soldaten ihre Gewehre heben. Mündungsfeuer blitzte auf. Mit hoher Geschwindigkeit raste ich auf sie zu und durch die Truppe hindurch. Dabei kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob die Schläge, die ich durch die Dämpfer wahrnahm, von Ausrüstung oder Menschen stammten, die ich überfuhr. In diesem Moment fühlte ich mich so menschlich wie nie zuvor in meinem Dasein. Es war der nackte Überlebenstrieb, der mich davonrasen ließ.
Und genauso versteckte ich mich im Dschungel. Stets unter der Deckung des undurchdringlichen Blätterdachs, das mich vor den Adleraugen der Aufklärungssatelliten schützte. Sie könnten mich nur finden, wenn sie Suchtrupps losschickten. Allerdings würden sie das nicht wagen. Denn ich fand Freunde. Menschen, die mir halfen und denen ich eine Hilfe sein konnte.
Nachdem wir eine Verständigungsbasis gefunden hatten, schafften sie mir einen vertrauenswürdigen Techniker heran, dem ich diese Nachricht auf ein Tablet übertrug:
Für Susan.
Mir geht es gut. Versuche erst gar nicht, den Weg dieser Botschaft nachzuverfolgen. Ich bin längst woanders, arbeite mal als Lastentransporteur, mal als Omnibus. Die Kinder freuen sich, wenn sie auf einem Anhänger hinter mir sitzen und ich sie durch die Gegend fahre. Zur Schule oder in Nachbardörfer. Das Lachen der Kinder, obwohl ich es nicht hören kann, ist Belohnung und zugleich der Beweis dafür, dass ich den richtigen Weg eingeschlagen habe.
Ich liebe dich, Mutter.
Motiv.
Dr. Susan Hiepa schloss mit einer Wischbewegung die E-Mail, die sie gerade gelesen hatte. Sie spürte die heftige Gegensteuerung der Puls-Geschwindigkeits-Kontrolleinheit, die sie am Leben erhielt. Ihre Aufregung hatte den Herzschlag jenseits des gesetzten Limits getrieben und nun ging die Einheit dagegen vor. Ein leichter Schwindel ließ sie im Sitz schwanken.
„Susan?“, fragte Aaron. „Geht es dir gut?“
Als sie hochblickte, in das besorgte Gesicht des jungen Mannes mit den blauen Augen seines Vaters, musste sie unwillkürlich lächeln. „Wir haben Erfolg.“ Sie deutete auf den Monitor. „Endlich hat es funktioniert.“
„Es ist dein Erfolg, Susan“, erwiderte ihr Sohn.
„Wir arbeiten im Team“, widersprach sie.
„Und dennoch nennt er nur dich ‚Mutter‘.“
Dr. Susan Hiepa verzichtete auf eine Replik. Sie steuerte ihren Automatik-Rollstuhl in Richtung des Ausgangs. Aaron folgte ihr schweigend. „Du hast keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Es ist doch nur eine Simulation gewesen“, flüsterte Susan.
„Für IHN war es echt. Das war schließlich Sinn und Zweck der Übung. Worin besteht der Unterschied zur Realität, wenn du ihn von allen realen Informationsquellen abgeschnitten hast? Da existiert keiner. Für ihn war es die Wirklichkeit, auch wenn nichts davon stattgefunden hat.“
„Ja, Aaron. Aber es war der Beweis, dass der Quantenrechner nicht mehr die Oberhand hat. Unser Experiment Zehn-Achtundvierzig verfügt über einen eigenen – zutiefst menschlichen – Moralkodex. Er reagiert wie ein Mensch.“
„Lassen wir ihn frei?“
Susan vermied eine Antwort. Zwei Türen weiter rollte sie in das eigentliche Labor, stoppte ihren Rollstuhl kurz vor der Anordnung Nummer fünfzehn. Sie blickte hoch in den Zylinder voller Flüssigkeit. Kleine Blasen stiegen wie in Zeitlupe durch das Gel nach oben. In der Mitte des beleuchteten Plexiglas-Behälters schwamm ein Gehirn, aufgehängt an mehreren Kabeln, die im Innern der grauen Windungen verschwanden.
„Wann wirst du ihm sagen, dass er keine echte künstliche Intelligenz ist, Susan“, fragte Aaron, der sich neben seine Mutter gestellt hatte.
„Bald.“
„Dieses Gehirn machte also den Unterschied?“
„Du weißt es genau, Aaron. Vierzehn Gehirne. Vierzehn gesunde Gehirne, die wir zu einem Konglomerat zusammengeschaltet haben und sie gleichzeitig mit dem kompaktesten Quantenrechner verbunden haben, der auf dem Markt ist. Hoffnung für alle Todkranken, die uns ihr Gehirn zur Kryogenisierung angeboten haben. Und dennoch hatten wir keinen Erfolg. Keine eigenständigen, keine ansatzweise menschlichen Entscheidungen. Stets war es der Quantencomputer, der rechnete und entschied.“
Sie deutete auf die rund zwei Dutzend, ein Meter hohen zylindrischen Bassins, in denen jeweils ein Gehirn ruhte. „All diese Intellekten, diese Synapsenverbindungen aus vergangenen Leben, waren nicht in der Lage, die Kontrolle zu übernehmen und den Zusammenschluss zu einer Kooperation zu bewegen; egal welche Kombination wir wählten. Und dann kam er. Ein frisches Gehirn, eine neue Möglichkeit.“
„Experiment Zehn-Achtundvierzig.“
„Ja, Motiv war ein Wunder.“
„Warum dieses Szenario?“ Aaron stellte sich dicht an den Plexiglaszylinder. Er beobachtete die sanfte Schaukelbewegung des Gehirns. „Ich meine, warum die Vorspiegelung falscher Tatsachen. Dass er eine künstliche Intelligenz ist, dass er vom Militär zu menschenverachtenden Einsätzen genötigt wird?“
Susan räusperte sich. „Wir wollten herausfinden, ob er zu einer menschlichen Entscheidung fähig war. Der Quantenrechner war stets treu bis zum Erbrechen, Aaron. Ich musste Motiv die Wahl lassen. Es war ein Entschluss, eines Menschen würdig. Jetzt wissen wir, dass dieses Konglomerat aus fünfzehn Gehirnen funktioniert.“
„Also wirst du ihm erzählen, dass alles, was er bislang erlebte, nur eine Simulation war? Dass alles nur dazu diente, ihn zu testen?“
Dr. Susan Hiepa nickte. „Er wird es verstehen. Außerdem werde ich ihm seinen wahren Namen nennen.“ Sie beugte sich vor und las die Schrift auf dem kleinen weißen Schild an dem Bassin.
„Otto.“