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Salto ecclesiale

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Von der Angst zur Motivation kommen im Umbau, Abbau, Aufbruch der Kirche im 21. Jahrhundert

Vorbemerkung: In diesem interaktiven Erlebnisvortrag sind die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eingeladen, wenn sie mögen, sich mit ihren inneren Bildern zu beschäftigen. Es wird drei Unterbrechungen geben.

Ich bin Professorin für Psychologie an der Evangelischen Hochschule in Berlin. Daneben bin ich Supervisorin, Coach und Psychotherapeutin. Mein Schwerpunkt ist es, kirchliche Mitarbeitende so fortzubilden, dass sie professionell arbeiten können und sich dabei möglichst wohlfühlen, gesund und fröhlich sein und bleiben können. Seit 2006 biete ich eine Coaching-Ausbildung für kirchliche Leitungskräfte an, die für mich unter der Überschrift steht: „Professionalität und Spiritualität führt zu Lebensfreude“.

Der aufregende Titel „Salto ecclesiale“ ist mir von der Vorbereitungsgruppe empfohlen worden, und ich habe zu der Zeit nicht lange darüber nachgedacht. Als ich mich jetzt in der letzten Zeit damit beschäftigt habe, habe ich gemerkt, dass dieser Titel für mich eine wirkliche Herausforderung ist, da ich selbst gar nicht so ein Salto-Typ bin. Ich würde mich eher in die Kategorie „Purzelbaum“ einordnen. Ich bin auch keine Extremsportlerin. Aber nun habe ich den Titel gehabt, und da ja alles, was lebt, sich verändert, und es in der nächsten Stunde nicht um Strukturreformen gehen soll, sondern um uns selbst, um uns als Akteure in diesem Prozess der Kirche im 21. Jahrhundert, werden wir jetzt also gemeinsam zum Salto aufbrechen.

1. Salto ecclesiale

In einem kleinen komfortablen Sportflugzeug sitzen zehn Mitglieder des Leitungsgremiums eines evangelischen Kirchenkreises. Sie haben in den letzten zehn Jahren viel diskutiert, umstrukturiert, reformiert. Viele Stunden ihres Lebens haben sie verbracht mit Diskussionen und Rechthaberei. Am Ende haben sie es geschafft, ein Gemeindehaus zu verkaufen, eine regionale Kirchenzeitung zu etablieren und zwei Jugendmitarbeiter auf Kirchenkreisebene sinnvoll einzusetzen. Jetzt haben sie alle einen Fallschirm auf dem Rücken, sind kurz vor dem Absprung über einer großen freien Fläche irgendwo in Norddeutschland. Sie haben bei einer EKD-weiten Ausschreibung für innovative Teams diesen Sprung gewonnen. 4000 Meter Höhe. Natürlich springen sie nicht allein, sondern mit Tandempartnern. Trotzdem, es ist Wahnsinn. Die älteren Herren, Theologen und Juristen, gucken sehr ernst. Eine junge Frau, bislang eher still, will als Erste springen. Der Trainer vom Fallschirm-Event-Team gibt letzte Instruktionen, wie der Salto gelingt, bevor sich der Schirm öffnen wird. Es geht los. Ein Duo nach dem anderen springt wirklich, dreht sich im freien Fall um die eigene Achse, atemberaubende Sekunden freier Fall auf die Erde zu. … Dann zieht der erfahrene Springer die Leine und der Schirm öffnet sich. Schweben, für eine kurze intensive Zeit in der Luft. Günstige Winde führen dazu, dass sie alle auf derselben Wiese sicher landen.

Bitte nehmen Sie sich nun ein paar Sekunden Zeit für sich selbst, sich vorzustellen, was jetzt passiert, wie die Menschen sich nach dem Salto wieder treffen. Sie wissen ja, was einem als Erstes einfällt, ist immer das Richtige.

Jetzt haben Sie Zeit, sich in den Gruppen zu dritt auszutauschen, und zwar so, wie Sie es im Seelsorgekurs gelernt haben, ohne zu diskutieren, ohne zu bewerten, bitte nur nachfragen in der Geschichte, die die andere Person erzählt. Die Erste fängt an und erzählt, die anderen beiden hören nur zu. Dann fängt der Zweite an zu erzählen, und die anderen beiden hören zu oder fragen nach. Lassen Sie sich einfach mal überraschen, wie für die Einzelnen in Ihrer Gruppe die Geschichte nach dem Salto weitergeht. Für jede Person ist zwei bis drei Minuten Zeit. Ich habe eine kleine Glocke und werde Sie an die Zeit erinnern.

Das war der erste Teil. Auf den Salto komme ich am Ende noch einmal zurück.

2. „Kirchenangst“

Was ist los mit Angst in der Kirche? Es scheint eine typische „Kirchenangst“ zu geben, German Angst? Ich möchte nach dem Salto den Unterschied zwischen Furcht als Angst vor einer realen Gefahr und neurotischer Angst verdeutlichen. Diesen Unterschied kennen Sie alle. Einmal echte Furcht vor etwas Realem gehabt zu haben, so wie vor einem Fallschirmsprung, stärkt in der Regel das Selbstbewusstsein. Furcht zu überwinden tut gut. Deshalb machen viele Menschen Abenteuer jeder Art und deshalb erzählt man auch Kindern Gruselgeschichten, dass sie sich so richtig fürchten. Das stärkt.

Hier soll es, beim Thema „Kirchenangst“, um die unnötige neurotische Angst gehen. „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voller Unruhe“ (Hiob 14,1). Ein bemerkenswerter Spruch, lassen wir die feministische Analyse einmal beiseite.

„Der Mensch vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voller Unruhe.“ Dass wir geboren werden, können wir nicht ändern, dass wir nach kurzer Zeit sterben werden, können wir auch nicht ändern. Aber ob wir in unserer Lebenszeit immer unruhig und ängstlich sind, darauf haben wir Einfluss. Einen Teil dieser anthropologischen Unruhe kann man auch neurotische Angst nennen. Wir machen uns unnötig Sorgen, statt zu vertrauen, dass sich die Erde am Ende schon irgendwie weiterdrehen wird. Viele Äußerungen aus der Kirche über die Kirche sind wie neurotische Angstsymptome. Vergleichen wir Kirchenangst mit den Beschreibungen von Angst aus der klinischen Psychologie: Ein Zustand dauernder Besorgnis ohne ersichtlichen Grund. Angst vor Kontrollverlust, Ruhelosigkeit, Unfähigkeit zu entspannen, Schlaflosigkeit, frei flottierende Angst, Angst um die Zukunft generell, Angst, dass alles so bleibt, wie es ist, Angst, dass nichts so bleibt, wie es ist, Angst um den materiellen Besitz.

Wir, die wir die Rechtfertigungslehre predigen, glauben und fühlen sollten, sind wohl die angstbesetztesten Bundesbürger. Die sprichwörtliche protestantische Krankheit, das protestantische Arbeitsethos nagt an uns. Das zu wissen, macht es schon gar nicht leichter. Auch das ähnelt vielen psychisch Kranken, die sich für ihren schlechten Zustand sogar noch selbst anklagen, statt sich zu bedauern und verwöhnen zu lassen. Wenn uns die Kirche, eine Institution, die eigentlich zu unserer Seelenruhe beitragen sollte, am meisten Unruhe bereitet, dann ist etwas sehr falsch. Wenn das Geben und Nehmen zwischen mir und meiner Kirche nicht stimmt, dann bin ich in der falschen Kirche oder ich mache etwas falsch. Nochmal anders ausgedrückt, wenn wir als Einzelne der Kirche als Institution und Organisation mehr geben, als sie uns gibt und nützt, dann fragt man sich, wofür sie gut sein soll. Dann sollten wir auch nicht im Ernst für sie werben. Oder: „Wenn dein Pferd tot ist, dann steig ab“, wie die Cowboys und Cowgirls sagen.

Für mich ist dieser Test von Geben und Nehmen, für die einzelnen Menschen, die in der Kirche arbeiten, wichtig für meine Tätigkeit als Supervisorin. Überall wird über die gegenwärtigen oder zukünftigen Probleme der Kirche gesprochen. Es ist Alltag, dass ich Menschen begegne, die irgendwie ziemlich erschöpft sind und immer das Gefühl haben, der Kirche noch mehr geben zu müssen, damit dieses Wunder geschieht, das vielleicht geschieht, aber das wir eben zum Teil nicht beeinflussen können. Ein Risikofaktor für diesen Stress und diese Angst ist auch der Größenwahn vieler kirchlicher Mitarbeiter. Früher haben wir in der Pastoraltheologie viel über das Helfersyndrom diskutiert. Heute wird dieses Helfersyndrom nicht mehr so viel diskutiert, weil es andere Probleme gibt. Schauen wir auf unser Tagungsmotto „Siehe, ich will Neues schaffen. Erkennt ihr es denn nicht?“. Dieses Ich in dem Spruch wird von vielen Kirchenmenschen missinterpretiert. Sie meinen sich selber: Siehe, ICH will Neues schaffen, ICH muss Neues schaffen. Und wer sich unter diesen Druck setzt, der hat sich schon sozusagen über die Institution gestellt, die eigentlich für sein Seelenheil da sein sollte. Siehe, ich muss das stützen und erhalten, was mich ernährt. Das ist ein bisschen so traurig wie Kinder, die sich die ganze Zeit um ihre Eltern kümmern, damit die Eltern noch halbwegs funktionieren. Wenn diese Verdrehung der Rollen da ist, dann ist wirklich psychisch etwas falsch.

Ein weiterer Punkt zum Thema Angst ist der Zusammenhang zwischen Angst und Stress. Physiologisch ist Angst ein hohes Erregungsniveau. Ein bestimmtes hohes Erregungsniveau ist positiver Stress, Adrenalin, das uns bewegt und Energie gibt. Aber wenn irgendwann dieses Adrenalin zu sehr steigt, dann ist physiologisch echte Angst da bzw. im schlimmsten Fall eine Panikattacke, die einen überfällt und überfordert. Und aus diesem hohen Erregungsniveau, das auf die Dauer krank macht, kommen Menschen nur heraus, wenn sie lernen, die eigene körperliche Erregung wieder herunterzufahren und sich zu entspannen. Und wenn ich es mit meiner Selbstregulation schaffe, mich herunterzuregulieren und einen normalen entspannten Grundton zu haben, dann kann der nächste Stress mich auch nicht so kalt erwischen. Wenn ich aber schon im Dauerstress bin, und irgendjemand kommt noch mit irgendetwas am falschen Punkt, fragt mich, kritisiert mich und hat noch eine Anforderung, dann kann ich mich sozusagen nicht mehr beherrschen, dann ist der Stress oder die Angst, dass alles nicht mehr klappt, nicht mehr zu verhindern. Dazu kommt, wenn man in diesem Hoch-Erregungs-Angst-Stress-Zustand ist, dass die Gedanken auch immer um negative Dinge kreisen. Man nennt das in der Psychotherapie „Katastrophenscanning“. Das finde ich ein ganz großartiges Wort, wenn wir uns die Diskurse in der Kirche angucken. „Katastrophenscanning“. Jetzt sind zwar unsere Kassen noch voll, aber wehe, in zehn Jahren werden sie leer sein. Rechnet es euch aus, dann und dann wird das Schlimme passieren!

Denken Sie an ein Individuum, das Ihnen sagt: „Du, mir geht es heute total gut, wirklich, mir geht es gut, es ist alles schön, aber es könnte sein, dass ich in zehn Jahren krank werde und deshalb mache ich heute ganz viele Sachen und denke immer daran.“ Da würde man therapeutisch sagen: „Stimmt das denn?“ Das würde man im schlimmsten Fall eine generalisierte Angststörung nennen, wenn jemand seine Aufmerksamkeit in allem darauf richtet, was schiefgehen könnte und wo die Klippen des Lebens sind. Leider ist diese generalisierte Angststörung sehr häufig beim Homo sapiens. Denn der Homo sapiens hat ja leider dieses besondere Gehirn. Dieses Gehirn hat die Fähigkeit, im Gegensatz zu Tieren, ein Bewusstsein zu haben und die Zukunft zu antizipieren. Das ist unsere menschliche Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken und für die Zukunft zu planen. Es ist unser evolutionäres Erbe, dass wir Problemsucher sind. Und leider antizipieren wir die Probleme von in 10, 20 oder 30 Jahren, aber selten antizipieren wir die Glücksgefühle von in 10, 20 oder 30 Jahren. Wenn wir uns hier einmal treffen würden zu einer gut besetzten, qualifizierten und hoch besetzten Tagung und nur darüber reden würden: „Was glauben Sie, worüber Sie sich in zehn Jahren freuen werden, oder was könnte sein, wenn wir gesund sind, und was könnte in 20 Jahren chic sein, und wie können wir uns darauf vorbereiten, dass das passieren wird, und wie können wir uns innerlich gemeinsam darauf einstellen?“ Stattdessen machen wir, aus guter Gewohnheit und hohem Verantwortungsgefühl, das Katastrophenscanning für in 20 Jahren.

3. Worst Case

Eine wichtige Therapiemethode in der Verhaltenstherapie gegen die Angst, und jetzt komme ich schon zum Einstieg in die nächste Murmelgruppe, nennt man Flooding – Überfluten. Denken Sie z. B. an Menschen, die sich fürchten, auf einen hohen Turm zu gehen, weil sie die Angst haben, herunterzufallen und zu Schaden zu kommen. Die werden in der Therapie begleitet und vom Therapeuten auf diesen hohen Turm geführt. Das heißt, man führt sie mitten hinein in die angstauslösende Situation. Dann, das können Sie sich leicht vorstellen, steigt das Erregungsniveau auf eine unerträgliche Höhe. Aber da der Körper so gebaut ist, dass die Erregungskurve von einem bestimmten Punkt an von alleine fällt, kann der Patient oben auf dem Turm erleben, dass er diese Besteigung überlebt hat, und kann mit einer ziemlich großen Erleichterung wieder heruntersteigen. So funktioniert diese Überflutungstherapie.

Und etwa in diesem Sinne möchte ich Sie jetzt zu einer eigenen Reflexion einladen, bevor Sie sich wieder zu dritt darüber austauschen: „Was ist eigentlich wirklich Ihre persönliche größte Angst? Worst Case? Was wird mit dieser Ihrer Kirche passieren, wenn es so schlimm kommt, wie es nur schlimm kommen kann, und wir nichts dagegen tun?“

Eine Minute Stille, dann Murmelgruppen. Gegenseitig berichten, welche Bilder und Befürchtungen dabei gekommen sind.

Da also unser Gehirn, wenn wir es zulassen, sich immer irgendwelche Probleme sucht, gibt es den schönen Satz: „Lassen Sie Ihr Gehirn nicht unbeaufsichtigt!“ Man muss eine Distanz dazu bekommen, was das Gehirn alles so macht und sagen: Tja, tja, danke, liebes Gehirn. Du hast dir wieder schön Sorgen gemacht, aber das ist jetzt gar nicht nötig. So ähnlich, wie man vielleicht einem Hund, der beim Klingeln aufgeregt zur Tür läuft, sagt, danke, alles in Ordnung, ich habe mitgekriegt, du hast deine Arbeit gemacht, so kann man auch mit seinem Gehirn umgehen und liebevoll versuchen, dieses Gehirn positiv zu beschäftigen, mit positiven Dingen zu beschäftigen. Viele von uns praktizieren, glaube ich, diesen deutschen Satz „Arbeit ist die beste Therapie“. Ich ertappe mich auch selbst immer wieder dabei, wenn ich missmutig bin und nicht so recht weiß, dass ich mir dann eine interessante Arbeit nehme und dass die Arbeit mich ablenkt. Das ist natürlich, wenn man an den vorhin beschriebenen Stresslevel denkt, nur manchmal eine gute Idee. Man sollte das nicht als Hauptbewältigungsstrategie nehmen, sich vor dem Grübeln mit der Arbeit zu retten.

4. Wie funktionieren Veränderungen? Von der Angst zur Motivation

Grundsätzlich wichtig für den autonomen Menschen ist die sogenannte Selbstregulation. Die bewusste Selbstregulation ist etwas, das man lernen kann. Wie gehe ich mit mir um? Diese Art der psychologischen Selbstbetrachtung ist aus meiner Sicht genau das, was Religionen immer schon geleistet und gelehrt haben. Wie gehe ich mit meiner Seele um? Welche Möglichkeit habe ich, mich innerlich auszurichten? Wie richte ich den Raum meiner Seele ein? Wenn ich mir vorstelle, meine Seele ist ein Raum: Habe ich nur Räume, in denen Sorgen, Sorgen, Sorgen sind, oder habe ich Räume, in denen Licht ist und Freiheit und Musik und Gemeinschaft und was es alles so Schönes gibt? Je bewusster ich mir mache, dass ich meinen seelischen Zustand immer ein Stück regulieren kann, selbst gestalten kann, je mehr, je häufiger, kann es mir gut gehen. Entspannungsübungen jeder Art, Fokussierung auf Ressourcen, das haben Sie alles schon einmal gehört. Wenn das so einfach wäre, würde es Millionen Menschen besser gehen. Aber so einfach ist es nun einmal leider nicht. Unsere Gewohnheiten sind wirklich stark und die Frage ist, was muss überhaupt passieren, damit Menschen sich ändern?

Eine Art von Veränderung ist schleichend und fortlaufend, zum Beispiel wie man altert. Das merkt man gar nicht, und ab und zu stellt man fest, dass sich etwas verändert hat. Das ist die eine Form von Veränderung, die auch seelisch so mit uns passiert. Interessant ist die andere Form von Veränderung, nämlich dass wirklich schwere Krisen, schwere Erkrankungen, Naturkatastrophen oft zu Veränderungen führen, die die Menschen hinterher positiv bewerten. Katastrophen, echtes Leid, wirkliches an den Rand des Lebens Kommen, hilft den Menschen irgendwie, zur Besinnung zu kommen und in ihrer Seele so weit aufzuräumen, dass sie sagen: Danke, dass ich überhaupt noch lebe. Danke für jede kleine Erfahrung, die ich machen kann. Etwas Leckeres essen, wie schön. Einfach auf zwei Beinen die Straße entlanggehen können, wie schön. Das sind immer wieder die Menschen, die in den Talkshows das Bedürfnis haben, es allen zu erzählen. Zuletzt ist es jetzt Guido Westerwelle. Von schwerer Krankheit genesen, predigt er das.1

Es ist sehr wertvoll, sich klarzumachen, dass Menschen tatsächlich in der Lage sind, plötzlich wahrzunehmen, wie kostbar und schön das Leben eigentlich ist. Bei den meisten Menschen, die zum Glück nicht so tragische Sachen erleben, funktionieren Veränderungen auf eine weitere, ganz einfache Art: Man ändert sich dann, wenn man etwas Besseres kriegen kann. Denken wir an das Thema Umzug. Man wohnt vielleicht in einer Wohnung, die einem nur durchschnittlich gefällt, und sagt sich, man müsse mal umziehen. Wenn man dann aber den Wohnungsmarkt sieht und sein Portemonnaie kennt, sinkt vielleicht die Motivation zu der Veränderung sehr schnell, und man arrangiert sich mit der bisherigen Wohnung. Aber wenn einem jemand ein schönes Haus anbietet und meint, ob man nicht in dieses Haus ziehen möchte, es koste sogar noch weniger Miete als die jetzige Wohnung, dann packt man ganz schnell und zieht um.

Menschen lieben es durchaus, sich zu verändern, wenn sie sich verbessern können. Und solange sie nicht wissen, ob sie sich verbessern können, sitzen sie in ihren Wohnungen, über Jahrzehnte. Warum auch nicht? Wo steht denn geschrieben, dass sich jeder verändern sollte? Wer sagt das denn? So geht es auch vielen Kirchenmenschen, die sich fragen, warum sie sich verändern sollten. Meine Wohnung gefällt mir ganz gut. Nur weil jetzt hier irgendjemand von einer Tagung kommt, soll ich etwas anders machen? Was soll mir das bringen? Und so geht es den vielen, die sich bisher nicht für die Kirche interessiert haben und sich fragen, was sie davon haben sollten.

5. Kirche „in eigener Kontrolle“

Deshalb empfehle ich uns, die wir als Individuen hier sind und bewusst mit uns selbst umgehen können, uns nur die Ziele und Dinge auszudenken, die in unserer eigenen Kontrolle sind. Immer dann, wenn ich Kirche für andere bauen will, wird meine Angst wieder größer. Weil ich ja nicht weiß, ob das klappt und ob ich ankomme mit meiner tollen Idee. Dann habe ich mir wieder so viel Mühe gegeben für andere, für all die, die noch gar nicht wissen, dass sie uns brauchen, oder die vergessen haben, dass sie uns brauchen. Ich habe noch eine Aktion gemacht, habe mich aus dem Fenster gelehnt, aber es kann trotzdem durchaus sein, dass das gar nicht ankommt. Da lauern Depression und Angst.

Meine Empfehlung ist, dass wir die Kirche so gestalten sollten, dass sie uns erst einmal selbst gefällt, und darauf unsere Energie richten. Wir sollten uns in möglichst vielen Situationen fragen, ob uns das hier eigentlich Freude macht. Ist das etwas, das meine Seele erhellt, erleichtert, lüftet, durchweht, und möchte ich das öfter haben? Würde ich mich freuen, wenn diese Veranstaltung, dieser kirchliche Termin morgen schon wieder wäre, oder bin ich froh, dass er erst in zwei Monaten wieder stattfindet? Das Wesentliche, das man zur Angstbewältigung im klinischen Sinne tun kann, ist, die eigenen Maßstäbe auch wirklich anzulegen und es umzusetzen, dass man sich dort engagiert und darauf konzentriert, wo Prozesse in eigener Kontrolle sind.

Menschen, denen diese Selbstregulation bezüglich ihrer Angsterregung aus dem Ruder gelaufen ist, können wieder lernen, ihren eigenen inneren Level unter Kontrolle zu kriegen. Sie können auf sich achten, wie sie mit sich umgehen. Man kann wohltuende Dinge nicht nur kurz einmal machen, sondern immer. Ich achte nicht nur kurzzeitig auf mich, weil ich gerade etwas Schlimmes überstanden habe, sondern das wird zu meiner Lebensqualität. Deshalb möchte ich auch den Einladenden im „Zentrum für Mission in der Region“ einen sprachlichen Vorschlag machen. Wenn es um die Neuauflage dieses tollen Projektes geht, könnte man den schwierigen Missionsbegriff einfach beiseitelassen und die Arbeit nennen: „Zentrum für Lebensqualität in der Region im 21. Jahrhundert, Zentrum für Lebensqualität in der Kirche“.

Wenn manche Protagonisten in der Kirche das traurige Gefühl haben auszusterben, dann kann ich das nicht ändern. Ich glaube, bestimmte Milieus und Dinge, die es lange gab, sterben aus, zum Beispiel Pfarrherrlichkeit ohne Kommunikationskompetenz, Pfarrherrlichkeit ohne Prozesssteuerungskompetenz. Das stirbt aus. Die neuen Verantwortungsträgerinnen und -träger brauchen die Personalkompetenz der Seelsorge und darüber hinaus Organisationskompetenz. Sie können die Sprache der Organisationsberatung sprechen oder zumindest verstehen. Die Verantwortungsträgerinnen des 21. Jahrhunderts können die Gehirne ihrer Mitstreiterinnen mit positiven Dingen beschäftigen. Sinn statt neurotischen Grübelns. Die Reise antreten und fröhlich miteinander Erfahrungen sammeln.

Und das ist jetzt mein letzter Impuls für Ihre Dreiergruppen, dass Sie sich nochmal kurz überlegen, bevor Sie miteinander sprechen:

Welche Situationen in Ihrem kirchlichen Leben sind oder waren für Sie wirklich beglückend und so großartig, dass Sie sagen, davon wollen Sie mehr, freiwillig, auch wenn andere nicht kommen? Tut mir leid für die anderen, wenn sie das verpassen, da haben sie Pech gehabt. Aber ich will das haben. Ich engagiere mich da, wo ich in der Kirche etwas wirklich erleben möchte.

6. Nach dem Salto

Noch einmal zurück zum Anfang. Was passiert nach dem Salto mit der Gruppe?

Vielleicht geht der eine oder die andere einfach seiner Wege und verliert das Interesse an der kirchlichen Welt. Viele aber treffen sich auf der Wiese wieder, setzen sich zusammen, reden, streiten und singen zusammen, weil sie das mögen.

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