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Regine Bott: Der achte Kontinent

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»Dein Koffer geht nicht zu!« Ich saß auf dem Gepäckstück, das Markus auf seine Seite unseres französischen Bettes gelegt hatte, und hüpfte auf und ab wie ein Gummiball. »Wie viele dieser langen, unansehnlichen, antiken Unterhosen hast du denn eingepackt? Dir ist schon klar, dass im gesamten Village angenehme Temperaturen herrschen? Und dass wir hier das Meiste zurücklassen müssen?« Das Kofferschloss schnappte endlich ein, und ich seufzte auf. »Warst du überhaupt anwesend, als wir unterschrieben haben? Geistig, meine ich? Oder hast du schon wieder alles vergessen?«

Markus, der schon im Flur stand und versuchte, seine Zahnbürste im prall gefüllten Kulturbeutel unterzubringen, zerrte ungeduldig am Reißverschluss der Waschtasche. »Ich hab’ verdammt wenig dabei!«, brüllte er über die Schulter in Richtung Schlafzimmer. »Wegen der Wakata!«

Ich stand auf, warf einen nostalgischen Blick auf das Bett, in dem wir die letzten Jahre neben- und aufeinandergelegen hatten, riss mich zusammen und ging aus dem Zimmer. »Wegen der was?«

»Der Wakata. Die gibt es doch jetzt endlich regulär im Handel. Wurde auch wirklich Zeit. Die Menschheit hat eine Ewigkeit auf diese Bereicherung warten müssen.« Der Verschluss riss und der Inhalt des Toilettenbeutels ergoss sich auf den Boden. »Verdammt!«, schrie er.

»Welche Wakata?« Ich hielt ihm seine Zahnbürste vor die Nase.

»Na – die Unterhose, die man nicht wechseln muss. Benannt nach dem Taikonauten, der sie vor fast einem halben Jahrhundert getestet hat. Hast du noch einen Ersatzkulturbeutel? Dieser ist …«

»Nein, habe ich nicht«, entgegnete ich und ging erneut in die Knie, um etliche herausgefallene Medikamentendöschen einzusammeln. »Sag mal, wozu brauchst du die Tabletten? Ad Astra. Gegen Raumkrankheit. Hast du Schiss? Sei nicht albern. Thorsten war schon dreimal geschäftlich oben und ihm ist kein einziges Mal übel geworden. Du selbst hast den Hausarztcheck und den Eignungstest erfolgreich hinter dich gebracht, sonst dürften wir gar nicht reisen. Was zum Henker ist los mit dir?«

»Thorsten ist Pilot! Ich hingegen konnte noch nie im Schwebebus gegen die Fahrtrichtung sitzen und jetzt muss ich mit Raketen unter meinem Arsch zum Lunar-Village fliegen!«

Ich schmiss das Döschen zurück in die Tasche. »Zu unserem neuen Zuhause. Zu unserem eigenen luxuriösen Apartment. Zu einem neuen Leben. Für einen Panikanfall ist es ehrlich gesagt ein wenig zu spät.«

»Dafür ist es nie zu spät. Nein, ja, vielleicht – Scheiße, keine Ahnung.« Er hielt den Kulturbeutel in der Hand, als ob er ihn erwürgen wolle.

Markus. Unentschlossen, launisch, abwägend. Zögerlich. Also alles wie immer. Aber man bekommt ja stets die ganze Medaille und lernt mit der Zeit, auch mit deren anderer Seite zu leben.

»Ist mir ehrlich gesagt Jacke wie sonst was«, sagte ich, weil ich wusste, dass argumentieren nichts bringt. Wir hatten uns entschlossen, den Blauen Planeten zu verlassen, neue Jobs angenommen und das Kapitel Erde geschlossen. »Was mir allerdings nicht egal ist, ist das Ding mit dieser Unterhose. Habe ich dich korrekt verstanden? Eine – für … dein ganzes restliches Leben? Und die hast du jetzt an? Tickst du noch richtig?«

»Koichi Wakata hat 2009 seine Unterhose in der ISS einen Monat lang nicht gewechselt, und sie hat keineswegs gestunken«, entgegnete Markus nicht ohne Stolz ob dieser Lektion in Allgemeinbildung. »Und wenn alle Stricke reißen, kann ich mir ja noch eine kaufen.«

»Eine weitere. Welch Weitblick«, spottete ich. »Soweit mir mein Geschichtsunterricht in Erinnerung geblieben ist, bindet diese Taikonauten-Windel die Gerüche nur.« Meine Augenbrauen fuhren angewidert nach oben. »Es ist also nicht der Fall, dass erst gar keine entstehen würden. Man riecht sie eben nur nicht. Außerdem will mir nicht einleuchten, warum du ein historisches Experiment wiederholen willst!«

»Ist doch interessant.«

»Es ist ekelhaft.«

»Ich will das ausprobieren.«

»Es ist ekelhaft und albern«, wiederholte ich. »Ich möchte mein restliches Leben nicht mit einem Mann verbringen, der zum Himmel stinkt!«

»Haha. Toller Flachwitz. Wer ist jetzt albern?«


»Sehr geehrte Fluggäste! Galactic Explorer heißt Sie an Bord der Wernher von Braun herzlich willkommen! Dieser Jungfernflug und alle, die an ihm teilnehmen, werden in die Geschichtsbücher und …«

Die vor Begeisterung schier überschnappende Stimme des schlanken Flugbegleiters ging im allgemein zustimmenden Gemurmel der aufgeregten Passagiere unter. Markus hatte sich auf seinem Platz am Fenster niedergelassen, stand aber gleich danach mit den Worten »lieber umgekehrt, zu viel Aussicht« wieder auf, um mit mir zu tauschen. Nach nur wenigen Sekunden behagte ihm mein Sitz indes ebenso wenig, weswegen wir schließlich mit einem älteren Paar in der benachbarten Reihe wechselten, die das wilde Herumfuchteln und die nervösen Stirnfalten von Markus schnell korrekt interpretierten. Mit einem mitleidigen Lächeln flüsterte mir die elegante Dame zu, »den Stress halten nur wenige aus«, während sie sich an mir vorbeischob.

»Wir hätten das Flugtraining ein weiteres Mal absolvieren sollen«, murmelte Markus, nachdem er sich vorsichtig nach links und rechts gewandt hatte, als müsse er seine Umgebung aufmerksam nach weiteren Störfaktoren sondieren.

Ich schnaufte tief durch und riet ihm, das Gleiche zu tun. »Jetzt beruhige dich. Das ist alles Pillepalle. Dank der künstlichen Schwerkraft gibt es keine Orientierungslosigkeit, keine Nebenwirkungen – man hat uns das doch alles ausführlich erklärt. Oder hast du wieder mal nicht zugehört? Ich verspreche dir, du wirst nicht kotzen müssen. Es ist wie im Flugzeug.«

»Ich hab’ vorhin auch noch vorsorglich ein paar Ad-Astra-Pillchen geschluckt.«

»Wie viel?« Meine Besorgnis war echt.

»Keine Ahnung. Vier, fünf …«

»Grundgütiger!« Ich starrte verzweifelt an die Kabinendecke.

»Drinks für Sie beide?« Eine ebenso schlanke Kollegin des Raumflugbegleiters beugte sich in die Sitzreihe und bedachte uns mit einem entwaffnenden Lächeln.

»Nein, danke«, murmelte Markus, und noch bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, um mir einen Gin Tonic zu bestellen, fügte er laut hinzu: »Ich trage die Wakata-Unterhose!«

Peinlich berührt stellte ich fest, dass für einen kurzen Moment die Gesichtszüge der Stewardess entgleisten. Binnen Sekunden jedoch hatte sie sich wieder gefangen und antwortete mit zuckersüßer Stimme: »Gratuliere!« Hüftschwingend setzte sie ihren Weg durch den schmalen Gang fort.

»Habe ich mich eben verhört?«, zischte ich.

Alkohol musste ich mir, komme was wolle, unbedingt noch besorgen.


»Mist, ich könnte einen Whiskey gebrauchen«, grummelte Markus einige Minuten später und sprach dabei mehr zu sich selbst. »Jetzt ist sie weg.«

»Um Himmels willen, Markus. Sie fragt uns höflich nach einem Drink und du erzählst ihr von deiner Unterhose?«, raunte ich ihm zu und sah mich verstohlen um. »Und du brauchst jetzt einen Whiskey? Ich brauche einen doppelten, glaub mir!«

»Wo ist dein Problem?« Markus sprang plötzlich auf und hakte herausfordernd die Daumen in den Jeansgürtel. »Meine Herrschaften! Werte Passagiere! Ich trage eine brandneue Wakata-Unterhose! Hier und jetzt!«, brüllte er in das Gemurmel der Mitreisenden, das daraufhin schlagartig verstummte. »Sonst noch jemand?«

Ein Kind kicherte und erntete von seiner Mutter einen vorwurfsvollen Blick.

»Bist du jetzt völlig bescheuert?«, fauchte ich, spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und zerrte ihn wieder auf den Sitz zurück. »Alles gut«, lächelte ich nervös in die Reihen. »Es sind die Medikamente.«

»Ich glaube, mir geht’s momentan nicht so …«, nuschelte Markus.

»Das ist das Ad Astra! Du hast zu viel davon geschluckt.«

»Wir sind noch nicht mal oben und ich muss gleich …« Er hielt sich geziert die Hand vor den Mund. »Doch nicht.« Er lachte meckernd. »Glück gehabt!«

Markus. Eine Katastrophe. Meine Katastrophe. Ich konnte nur hoffen, dass die Pillen ihn so müde machten, dass er schnell einnickte. Besorgt warf ich ihm einen kurzen Blick zu. Er lächelte gequält.

Plötzlich aktivierten sich die Displays auf den Kopfstützen vor uns und eine attraktive Blondine blitzte mich mit strahlend weißen Zähnen an. »Galactic Explorer begrüßt Sie ganz herzlich an Bord der Wernher von Braun! Willkommen zum Aufbruch in eine neue Ära! Bevor wir unserem Blauen Planeten den Rücken kehren und in Dimensionen aufbrechen«, sie kicherte leise, »die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat … Nein, ich scherze natürlich – aber Sie werden die ersten Eigentümer sein, die die neuen Habitate betreten werden! Bevor wir uns also auf die Reise begeben, lassen sie mich ein paar Fakten darlegen.« Die Blondine machte eine eindrucksvolle Pause und hinter ihr wurde ein Modell des Mondes eingeblendet. »Im Gegensatz zur Erde besitzt der Mond keine Strände …«

»Das ist ja ein Skandal!«, rief Markus mit gespielter Empörung dazwischen, als ob wir diese alberne Einführung nicht schon hundert Mal gesehen hätten. »Und wo baue ich meine Sandburgen?«

»Markus, benimm dich, verflucht noch mal!«, zischte ich und rutschte ein wenig tiefer in meinen Sitz hinein.

»… aber«, fuhr die Blondine fort, »die Habitatkomplexe, deren Baumaterial in über fünfzig Shuttleflügen transportiert und darüber hinaus mithilfe von 3-D-Druckern aus Regolith, also Mondstaub produziert wurden, warten mit all dem Komfort auf Sie, den Sie von Zuhause gewohnt sind. Statt eines Strands stehen Ihnen zehn Swimmingpools in unterschiedlicher Größe und mit differierenden Temperaturen zur Verfügung, alle Eigentümersuiten zeichnen sich durch integrierte Luxusduschen mit ausgewählter Sonderausstattung aus und Trinkwasser ist im Überfluss vorhanden.«

»Sauber?«, brüllte Markus dazwischen. »Ist das auch sauber? Das ist doch aufbereiteter Urin. Mein Urin. Urin von dem da!« Er zeigte mit dem Finger auf den beleibten Mann, mit dem er vorher seinen Sitzplatz getauscht hatte, der daraufhin puterrot anlief und Schluckauf bekam.

Blicke flogen in unsere Richtung. Von einigen Sitzen war leises Prusten zu vernehmen. Meiner war mir inzwischen nicht mehr tief genug. Am liebsten wäre ich darunter gekrochen.

»Die extremen Temperaturunterschiede, die auf der Mondoberfläche herrschen, werden Sie natürlich nur erahnen.« Die Blondine des Einführungsvideos schenkte ihren Zuschauern wieder ein Zähneblecken. »In jedem Apartment befinden sich Thermometer, die Ihnen die jeweilige Außentemperatur anzeigen, während Sie selbst bestimmen können, wie warm Sie es in Ihrer Suite haben wollen!«

»Was ist mit der Strahlung?«, blökte Markus.

Einige Reisegäste lachten laut.

Das Ehepaar, mit dem wir die Sitze getauscht hatten, verzog peinlich berührt die Lippen.

Das Aushängeschild des Reiseveranstalters jedoch erläuterte ungerührt die technischen Raffinessen und das spezielle Fensterglas des Komplexes, welches die Besucher vor kosmischen Einflüssen schütze und allzeit für Sicherheit und gesundheitliches Wohlbefinden sorge.

Markus atmete hörbar erleichtert aus. »O Fortuna!«

»Aus jeder der Suiten haben Sie einen atemberaubenden Blick auf die Hoch- und Tiefebenen sowie eine unverbaute Aussicht auf unseren Heimatplaneten, und wenn Sie Lust auf einen Spaziergang haben, besteht jederzeit die Möglichkeit, sich einem der vielen Ausflugsteams anzuschließen, die von erfahrenen Astronauten geleitet werden.« Die Stimme der Blondine schnappte jetzt schier über, als sie fortfuhr: »Seien Sie also die ersten Bewohner, die die Rückseite des Mondes zu Fuß erkunden!«

»Nö – keinen Bock.« Markus beugte sich vor und schaltete die Übertragung aus. Als er begann, die erste Zeile von Money zu grölen, presste ich ihm die Hand auf den Mund. Er schlug sie weg. »Das ist aus The Dark Side of the Moon«, klärte er mich euphorisch nach der ersten Strophe auf. »Ein echter Klassiker. Die Rückseite des Mondes, verstehst du?« Er gluckste ob dieser vermeintlich scharfsinnigen Assoziation.

»Ich weiß, woraus das ist!«

Einige andere zukünftige Suitenbesitzer fielen gut gelaunt in seinen Singsang mit ein.

Markus stand auf und dirigierte.

Die Stimmung im Raumschiff war auf ihrem Höhepunkt.

Noch …


Irgendwann wurden meine stillen Gebete erhört: Markus war in den Sitz zurückgesunken und hatte angefangen zu schnarchen. Wie die Wernher von Braun den Wüstenboden New Mexikos hinter sich ließ, entging ihm aus diesem Grund, und er schnappte unwillkürlich nach Luft, als er aufwachte und einen kurzen Blick aus einem der ovalen Seitenfenster warf, die bis auf den Boden reichten. Der architektonisch spektakuläre Weltraumbahnhof mit seinem sandfarbenen Dach war mit der Umgebung perfekt verschmolzen, und wir konnten die breite Landebahn, die sich wie eine Lanze aus dem Gebäude bohrte, nur noch erahnen.

»Ich glaube, es geht wieder.« Er legte zwei Finger auf sein Handgelenk, um den Puls zu fühlen. »War ich sehr peinlich?«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Davon kannst du dir gar keine Vorstellung machen.« Zumindest meine Empfindungen gab das korrekt wieder; die meisten anderen Passagiere schienen sich köstlich amüsiert zu haben, was ich meinem Mann aber verschwieg. Gott sei Dank hatten die Flugbegleiter nichts bemerkt, die sich schon seit geraumer Zeit in die Pilotenkabine zurückgezogen hatten. Kurz überlegte ich, den Anforderungsknopf zu drücken, um mir endlich einige Gin Tonics zu genehmigen, nahm aber dann doch davon Abstand. Es reichte schon, wenn sich einer von uns zum Gespött machte.

»Ist die von Braun nicht schön?« Der beleibte Mann neben uns, der vor einer halben Stunde angesichts Markus' geistiger Ausfälle noch abschätzig die Lippen gekräuselt hatte, breitete jetzt die Arme aus. »Die runde Formgebung, das bläulich schimmernde Licht, die großzügig angelegten Reihen, die bequemen, ergonomisch geformten Schalensitze.«

»Spektakulär bequem«, stimmte Markus zu und rekelte sich wohlig.

Dreißig Passagiere konnten im SpaceShip reisen und selbstverständlich war dieser Flug ausgebucht. Anders war es Galactic Explorer auch nicht möglich, wirtschaftlich zu arbeiten und die zukünftigen Besitzer der Lunar-Apartments zu ihren Wohnungen zu fliegen. Schon die Werbekampagne allein musste die Firma ein Vermögen gekostet haben.

Ich beschoss, mich zurückzulehnen und zu versuchen, das Spektakel in all seiner Pracht zu genießen. Dadurch, dass der Passagierraum mit blendfreiem Material ausgekleidet war, hatte man einen fantastischen Blick auf die Erde. Als der Blaue Planet immer mehr in die Ferne rückte, überkam mich kurz ein tiefes Gefühl der Verlorenheit, und meine Augen saugten sich an den Spezialraumanzügen fest, die neben den dazugehörigen Helmen im vorderen Teil der Kabine hingen. Im Falle einer Dekompression in großer Höhe waren wir also gut aufgehoben – so hoffte ich jedenfalls. Nun ja. Nichts war ohne Risiko.

Um mich abzulenken, versuchte ich, die Kontinente zu erraten, die sich teilweise unter einer aufgebauschten Wolkendecke versteckt hielten. Nordamerika, Südamerika, Europa. Da unten waren unsere Freunde, Eltern und Verwandten. Ob sie wohl genau jetzt nach oben schauten, während ich meinen Blick nach unten über die Erdoberfläche schweifen ließ? Das alles war so absurd! Aber wir hatten es uns reiflich überlegt. Es uns nicht leicht gemacht. Die Entscheidung war gefallen, unser Haus auf der Erde war verkauft, wir hatten die Zelte abgebrochen. Es gab kein Zurück mehr.

»Auf welchem Grundstück steht denn Ihr Apartment?«, fragte mich unser Nachbar betont zuvorkommend und versuchte, sich zu mir zu beugen, was ihm trotz der großzügigen Schalensitze merklich schwerfiel. Allem Anschein nach bemühte er sich, Markus’ Fauxpas mit der Unterhose durch Small Talk zu überspielen. »Ich und meine Gundula, wir werden unser Immobiliengeschäft komplett auf den Erdtrabanten verlegen, vielleicht kennen Sie unser Unternehmen? Wir sind beratend für einige bedeutende Konzerne tätig.« Er fingerte eine Weile umständlich in seiner Jackentasche herum, bis er mir schließlich eine Visitenkarte reichte.

»Moon River«, las ich laut. »Knut Hassenberg, Geschäftsführer.« Ich sah auf. »Netter Firmenname.«

»Nicht wahr? Auch wenn es natürlich auf dem Mond keinen Fluss gibt. Also, was für eins haben Sie jetzt erworben?«

»Die Suite im Habitat von Village One«, antwortete Markus stolz an meiner Statt. Es hörte sich an, als habe er sich wieder komplett im Griff. »Das ist die Anlage neben dem Nektarmeer.«

»Oh.« Hassenberg warf seiner Frau einen schnellen Blick zu. »Ich verstehe.«

Als er mich kurz ansah, kam mir sein Lächeln noch aufgesetzter vor. Gleich darauf griff er nach einem Magazin und schlug es auf.

Nervös rutschte ich in meinem Sitz nach vorne. »Was verstehen Sie?«, hakte ich irritiert nach.

Sein Blick schien an den Zeitschriftenseiten festzukleben.

»Gibt es ein Problem?«, wollte jetzt auch Markus wissen.

Frau Hassenberg, die bis jetzt der Konversation schweigend gefolgt war, stupste ihren Mann mit einem dick beringten Finger an. »Knut. Das junge Paar erwartet eine Antwort.«

»Hm«, machte Hassenberg und blätterte, scheinbar mächtig an deren Inhalt interessiert, eine Seite nach der anderen um.

»Knut!«, wiederholte sie schon ein wenig lauter. »Sie sollten es wissen.«

Ächzend legte Hassenberg das Magazin auf den Schoß. »Mare Nectaris«, begann er schließlich, »wurde doppelt … wie will ich es ausdrücken … belegt.«

»Bitte?« Ich kam nicht mit.

»Das Grundstück, auf dem Village One steht«, half er mir ein wenig weiter.

Markus beugte sich vor. »Wollen Sie damit andeuten, dass der Verkauf der Suiten in diesem Komplex nicht rechtmäßig war?«, schlussfolgerte er.

»Nun«, Hassenberg zögerte. »Momentan darf dort niemand einziehen.«

Ich lachte. Das war absurd. »Man hätte uns doch informiert«, grinste ich und versuchte, mir die Vorfreude durch die Information des Immobilienheinis nicht verderben zu lassen. »Doppelter Verkauf. Ich bitte Sie, Herr Hassenberg, solch ein empörendes Vorgehen wäre doch an die Öffentlichkeit gedrungen.«

Er schwieg.

»Wäre es doch?«, bohrte ich nach.

Markus’ Gesichtszüge waren entgleist, sein Mund stand ein wenig offen. »Das macht nur unter Insidern die Runde«, stellte er dann fest. »Insidern wie Ihnen. Das ist ein Gerücht, das in Immobilienkreisen zirkuliert. Nicht wahr, so ist es?«

Hassenberg seufzte. »So leid es mir tut – ein Gerücht ist es nicht.«

»Kennen Sie das Weltraumressourcengesetz?«, flötete nun seine Gundula.

Markus und ich schüttelten synchron den Kopf.

»Es regelt die Eigentumsrechte im Weltall«, erklärte uns ihr Mann in betont langsamer Sprechweise. Anscheinend hielt er uns nicht für besonders helle. »Luxemburg hat es vor etlichen Jahren verabschiedet. Um Weltraumressourcen zu nutzen, muss die dortige Regierung eine Genehmigung erteilen.«

»Moment«, grätschte Markus dazwischen. »Ich muss die Luxemburger um Erlaubnis fragen, bevor ich mein Schäufelchen in den Mondstaub stecke? Das ist doch albern!«

»Nein, ist es nicht«, erwiderte Hassenberg. »So ist die Gesetzeslage. Und die … Schäufelchen sind inzwischen sehr groß. Wir sprechen hier von Bergbauunternehmen.«

»Aber die sind doch nicht in der Nähe des Nektarmeers!«, warf ich empört ein. Das konnte doch alles nicht wahr sein! »Die sind doch auf der … anderen … Seite«, fügte ich unbeholfen hinzu, unfähig das geografisch korrekt zu beschreiben. Jeder, der sich für den Mond als neue Heimat entschieden hatte, wusste, dass Unternehmen dort Wasserstoff und Sauerstoff aus den Eismeeren gewannen, um sie als Raketentreibstoff zu vertreiben. Aber diese Firmen hatten ihren Sitz nicht in der Nähe der Habitate. Lärmbelästigung war auf dem Mond ja kein Thema, aber schon allein wegen des durch den Abbau umherfliegenden Mondstaubes, der sich über alles legte, war das gar nicht möglich. Und die Optik …

»Village One steht auf dem Grundstück von Dig Deep«, erklärte mir nun Frau Hassenberg ungeduldig. »Da Dig Deep eine Genehmigung der luxemburgischen Regierung vorweisen kann, der Erbauer und Betreiber von Village One aber nicht, muss Village One –«

»– abgerissen werden«, ergänzte ihr Mann nickend und schlug die Zeitschrift wieder auf, als ob damit alles gesagt sei.

Jetzt stand auch mir der Mund offen.

»Aber der Mond, der gehört doch allen!«, protestierte ich. »Da handelt es sich doch nicht um einen zusätzlichen Kontinent, den man so mir nichts dir nichts okkupieren kann! Der Mond ist eben … der Mond!«

»Von Eroberung redet ja auch keiner, meine Liebe«, korrigierte mich Frau Hassenberg mit erhobenem Zeigefinger. Inzwischen war ich dermaßen erregt, dass ich ihn ihr am liebsten gebrochen hätte. »Niemand darf den Mond besitzen, aber man darf ihn nutzen

»Und Sie vertreten Dig Deep, nehme ich an«, stellte Markus erstaunlich realistisch fest. »Sie sitzen also seelenruhig neben uns, haben aber vor, uns die Suite – die wir uns nur leisten konnten, weil wir alles … einfach alles verkauft haben –«, jetzt wurde sein Tonfall schärfer, »unter dem Arsch wegzuziehen und uns auf der dunklen Seite des Mondes auszusetzen, mit nichts weiter am Leib als einem verschissenen Raumanzug!«

Frau Hassenberg starrte ihn konsterniert an. »Jetzt übertreiben Sie aber ein bisschen, meinen Sie nicht auch? Natürlich werden Sie umgesiedelt.«

»Und wohin, wenn ich fragen darf?«, zischte Markus leise.

»In die Bergarbeiterunterkünfte«, teilte uns Herr Hassenberg in schulmeisterlichem Tonfall mit. »Fürs Erste. Es ist also für alles gesorgt.«

Ich rang nach Luft. »Für alles gesorgt?«, echote ich. »Sind Sie noch ganz dicht? Die leben dort jeweils zu viert in einem Raum, der nicht größer ist, als … als unser ehemaliges Scheißhaus! Unter…ird… mondisch! Die leben unter der Mondoberfläche!« Ich versuchte, nicht zu schreien, was mir außerordentlich schwerfiel. »Ich. Werde. In. Meine. Suite. Einziehen!« Mit jedem Wort deutete ich abwechselnd anklagend auf das Ehepaar. »Ist das in Ihren Oberstübchen angekommen?«

»Und als Erstes werden wir auspacken, die Duschen nutzen oder einen der Swimmingpools aufsuchen«, bekräftigte Markus und drückte beruhigend meine Hand. »Wir werden in die Bar gehen, uns im Restaurant verköstigen, ein wenig einkaufen und es dann in unserem wohltemperierten, weichen Bett zwischen den Satinlaken so lange aus Leibeskräften und hemmungslos miteinander treiben, bis die Nachbarn mit den Fäusten an unsere Tür hämmern! Ihre Bergarbeiterunterkünfte, mein lieber Herr Hassenberg, können Sie sich in Ihren ausladenden Hintern stecken!«

Mein Markus. Voll Elan. Voll Tatendrang. Erstaunlich.

Ich drückte zurück.

Frau Hassenberg, die schon während meiner Rede die Hand vor den Mund geschlagen hatte, war inzwischen rubinrot angelaufen und starrte uns mit aufgerissenen Augen entgeistert an. »Das ist unerhört«, presste sie schließlich zwischen den Brillanten an ihren Fingern hervor. »Unerhört!« Sichtlich von der Rolle nahm sie einen Schluck des dreifachen Bourbons aus ihrem Kristallglas, verschluckte sich, hustete, wedelte mit der einen Hand und reckte mir mit den anderen das Glas entgegen, als wolle sie so den Erstickungsanfall abwehren. Es gelang ihr nicht. Mit aufgerissenen Augen begann sie zu röcheln wie ein Staubsauger, in dessen Rohr sich etwas Großes verfangen hatte. Panisch nestelte sie an ihrem bunt gemusterten Halstuch.

»Ogottogottogottogott«, wimmerte ihr Ehemann und half seiner Frau, ihr Tuch aufzuknoten.

Geistesgegenwärtig drehte ich mich zu Markus. »Die Ad-Astra-Pillen«, flüsterte ich ihm zu. »Wo sind die?«

Er kapierte sofort, steckte die Hand in die Hosentasche, brachte sechs kleine weiße Pillen zutage und drückte sie aus der Blisterpackung. Ungeduldig schnappte ich mir die Dragees und warf sie in das Glas, das mir Frau Hassenberg fast weggetreten immer noch unter die Nase hielt. Die Tabletten lösten sich fast augenblicklich auf. Die Eheleute waren komplett mit sich selbst beschäftigt und bekamen nichts mit. Die Immobiliendame röchelte immer noch, hatte die Farbe von Roter Bete angenommen, und ihr Gespons riss immer wieder verzweifelt die Arme in die Luft.

»Bei so einem schlimmen Hustenanfall kann nur genügend Flüssigkeit den Reflex unterdrücken«, ermahnte ich mütterlich, nickte auffordernd und beobachtete dabei besorgt, wie sich die Stewardess anschickte, eilig unsere Sitzreihe aufzusuchen.

Hassenberg, der sich immer noch unter nutzlosem Hochdruck um seine röchelnde Frau kümmerte, führte seiner besseren Hälfte jetzt unter gutem Zureden das noch gut gefüllte Glas an die Lippen und beobachtete glücklich, wie sie es nahezu leerte. Anschließend entwand er es ihr und trank es mit großen Schlucken aus.

»Meine Güte«, schnaubte er und registrierte zufrieden, wie sich die Gesichtsfarbe seiner Gattin normalisierte. »Das ist ja noch mal gut gegangen.« Er wedelte die Stewardess beiseite. »Nein, danke, alles in Ordnung. Obwohl …« Hassenberg hielt ihr das Glas hin. »Noch einen, bitte. Nein, zwei.«

»Wie lange wird es dauern?«, raunte ich Markus ins Ohr. »In drei Stunden checken wir ein.«

»Das Zeug wirkt schnell«, beruhigte er mich. »Das wird reichen. Die Landung bekommen die nicht einmal mit. Das gibt uns auch genügend Zeit, um das Gepäck zu tauschen.«

Ich nickte und rechnete im Geist schon durch, wie viel es mich kosten würde, meine Garderobe komplett zu erneuern, schloss, über die Summe entsetzt, kurz die Augen, ermahnte mich, dass alles zum Wohle unserer Zukunft war und wandte mich an meinen Nachbarn, dem der Schweiß der Anstrengung in den Hemdkragen lief.

»Das mit vorher tut uns außerordentlich leid, Herr Hassenberg. Frau Hassenberg. Die Nerven, Sie verstehen? Es wird sich sicher alles zum Guten wenden. Ich hoffe, es geht Ihnen jetzt besser? Das war ja vielleicht knapp!«

»Sie sprechen die Wahrheit gelassen aus.« Hassenbergs Mundwinkel hoben sich wohlgesinnt, aber er hatte Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken. »Und für Ihr schnelles Eingreifen bin ich Ihnen unendlich dankbar. Diese Geistesgegenwart! Meine Gundula wäre mir fast erstickt! Grundgütiger, das hat mich alles sehr mitgenommen.«

Ich tätschelte seine saftlose Hand. »Gern geschehen. Machen Sie doch ein Schläfchen.«

Gundula erhob sich leicht schwankend und strich sich orientierungslos eine Strähne aus dem Gesicht. »Die Hose …«, lallte sie mit einem kindischen Grinsen auf dem Gesicht. »Wakata … wer hat sie? Wer braucht sie nicht mehr? Wer kann sie mir leihen?« Mit der linken Hand begann sie ungelenk, ihren Bundfaltenrock aufzuknöpfen, ihre Rechte drückte ihren Mann, der energielos Anstalten machte, sich zu erheben, zurück in den Sitz. »Schschsch …, Knut. Wirst du wohl?«

Ich musste zugeben, dass ich nicht damit gerechnet hatte, einem Schauspiel wie diesem schon so früh beiwohnen zu dürfen.

»Das ging in der Tat schnell«, raunte ich Markus zu. »Meine Güte.«

Ungläubig verfolgten wir, wie Gundula beim Versuch, sich ihrer Unterhose zu entledigen, den Rock lüpfte und an ihrer Strumpfhose nestelte.

»Beeindruckende Beine für ihr Alter«, grunzte Markus überrascht. »Kann sich sehen lassen.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Wollen wir auf ihren Hintern wetten?«

Wir kamen nicht mehr dazu, denn unvermittelt hielt Frau Hassenberg in ihrer Bewegung inne, sank zurück auf den Sitz und erschlaffte. Ihr Kopf sank an die Schulter ihres Mannes, der dem eindrücklich vorgetragenen Lustspiel seiner Gundula nicht mehr hatte folgen können, weil er schon davor eingenickt war.


»Herr und Frau Hassenberg?« Der Steward beugte sich zu uns. Er drehte ein PDA in meine Richtung, das die Passagiernamen auflistete, und deutete auf eine Zeile.

»Ja, was gibt es?«, erwiderte ich mit einem entwaffnenden Lächeln. »Sind wir etwa schon da?«

»In wenigen Minuten werden wir den Landeprozess einleiten«, antwortete er und warf selbst einen Blick auf die digitalen Unterlagen. »Sie haben ja die Sitze dreiundzwanzig und vierundzwanzig, neben Ihnen …« Manikürte Fingernägel tippten auf das Display und sein Blick blieb an dem narkotisierten Immobilien-Ehepaar haften, das sich gegenseitig umschlungen hielt und leise vor sich hin schnorchelte.

»Das sind Herr und Frau Wagner. Markus und Sonja«, half ich dem jungen Mann entgegenkommend aus. »Sie haben eine Suite in Village One erworben.«

Sofort legte sich ein jammervoller Schleier über die Augen des jungen Mannes. »Oh, das ist sehr bedauerlich. Aber nun mal nicht zu ändern. Ich wecke sie lieber nicht, bis der Eincheckprozess durch ist und die restlichen Passagiere ihre neuen Unterkünfte bezogen haben.«

»Eine hervorragende Idee. Man mag sich gar nicht vorstellen, was jetzt mit ihnen passieren wird«, stimmte Markus mit belegter Stimme zu. »Bergarbeiterunterkunft womöglich. Es ist schrecklich.«

»In höchstem Maße unerquicklich«, pflichtete ihm der Steward bei. »Aber …«, er wedelte erneut mit den klarlackierten Nägeln. »Was will man machen?«

Geziert wischte ich mir ein paar unsichtbare Tränen des Mitleids aus den Augen. »Ja. Was will man machen?«

Verschwörerisch beugte sich der adrette junge Mann zu mir und hielt affektiert die Hand an den Mund. »Gerüchte gehen um, dass die Village-One-Bewohner wieder auf die Erde zurückgeschickt werden. Wir warten noch auf die Bestätigung der Zentrale.«

»Was Sie nicht sagen?«, quakte Markus aufgeregt. »Sie meinen, Sie lassen die einfach hier sitzen und fliegen mit ihnen wieder ab, nachdem der Rest der Gäste eingecheckt hat?«

»Pst«, ermahnte uns der Steward. »Wir wollen die«, er deutete mit dem Finger erneut auf die Hassenbergs, »doch nicht aus dem Reich der Träume reißen.«

»Wann wissen Sie Genaues?«, flüsterte ich.

»Bald. Die Chancen stehen gut. Sehr gut«, raunte der Steward zurück.

Markus sah mich an. »Gundula, meine Liebe. Hast du das vernommen?«, fragte er gespreizt.

»Aber sicher doch, Hase«, erwiderte ich. »Die Chancen stehen sehr gut, sagte der nette junge Mann.«

Als der Steward sich umdrehte und den Rückweg zum Cockpit antrat, stieß mir Markus spielerisch seinen Ellenbogen in die Seite. »Auf die Ad Astras. Mögen sie ewig produziert und ihr Hersteller reich und glücklich werden.«

»Worauf du einen in die Wakata lassen kannst«, erwiderte ich und warf einen Blick aus dem Fenster. Kurz vor der Landung waren die Krater und Meere gut erkennbar. Die imposanten Strukturen der Habitate schälten sich aus der unebenen Landschaft. Ich seufzte auf. »Was meinst du? Wo haben die Hassenbergs wohl ihre Suite gekauft? Und wo liegt ihr Büro? Unser Büro?«

Markus beugte sich vor und folgte meinem Blick. »Meer der Heiterkeit?« Er gluckste. »Nein, warte. Ich wette, es ist das Meer der Ruhe.«

Ich seufzte ein weiteres Mal.

Ja. Meer der Ruhe. Das sollte es sein und seinem Namen alle Ehre machen.

Ich schmiegte mich an Markus. Meinen Markus. Meine Medaille mit den zwei funkelnden Seiten.

DAS ALIEN TANZT WALZER

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