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VORWORT

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Eine Buchhandlung in einer Kleinstadt Ende der 1990er Jahre. Mit Mühe habe ich mir einen Platz in dem dazugehörigen Café ergattern können, in dem der noch unbekannte Autor Feridun Zaimoglu aus seinem Buch Kanak Sprak lesen würde. Eben hatte ich mir in einem Battle-Rap-Forum im Internet unter männlichem Pseudonym den Ärger über meine weiblich-unterdrückte Existenz in möglichst poetisch klingenden Versen von der Seele geschrieben. Hatte versucht, mein Gegenüber mit den fiesesten Reimen zu disqualifizieren. Nun saß ich eingezwängt zwischen Akademikerinnen und Akademikern aus „meiner“ deutschen Bildungsbürgerschicht und lauschte gebannt einem nicht enden wollenden Wortschwall, einem Hakan, 22, Kfz-Geselle, der sich den Frust über die Zustände in seinem Milieu genauso aus dem Körper sprechen musste, wie ich es vor ein paar Stunden noch getan hatte.

Die halbfiktiven Interviews, die Zaimoglu vorlas, erschienen fremd und gleichzeitig vertraut, erzählten von einer anderen Welt, die doch in meiner existierte, und wirkten ein auf mein bis dahin „biodeutsches“ Bewusstsein, das fortan kein solches mehr war.

Die Frage, ob das auch „deutsche Literatur“ sei, stellte sich mir damals nicht. Diese Texte sprachen mich an und stießen mich in ihrer ungewohnt derben Poesie ab, doch gerade deswegen weckten sie verstärkt mein Interesse.

„Das Fremde ist etwas, das sich zeigt, indem es sich entzieht“, so der Phänomenologe Bernhard Waldenfels, dessen Beobachtung ich Jahre später in einem der wenigen Germanistikseminare an der Frankfurter Goethe-Universität kennenlernte, die sich mit deutschen Autorinnen und Autoren beschäftigten, die nicht Goethe oder Schiller hießen, sondern zum Beispiel Yoko Tawada und Emine Sevgi Özdamar. Anspruchsvolle Literatur galt immer schon als ein Medium für Grenzüberschreitungen. Doch nun war damit vor allem der Begriff „Transkulturalität“ gemeint, der im Jahr 2009, nach der Literaturnobelpreisvergabe an Herta Müller, deutsche Schriftstellerin aus dem rumänischen Banat, in der Forschung vermehrt Beachtung fand.

Doch wie facettenreich ist die vom kulturellen und sprachlichen Reservoir mehrerer Kulturen geprägte deutsche Literatur aktuell eigentlich wirklich? Begleitend zum Literaturprojekt „TEXTLAND – Made in Germany“ erscheint mit diesem ersten Sammelband eine Auswahl an Stimmen, die in Form von Essays, Gedichten und Erzählungen Denkräume eröffnen, die in ihrer literarischen Fiktionalität vor allem starke gesellschaftspolitische Akzente setzen.

Hannah Arendt stellte in ihrer Vita Activa fest: „Eine gemeinsame Welt verschwindet, wenn sie nur noch unter einem Aspekt gesehen wird; sie existiert überhaupt nur in der Vielfalt ihrer Perspektiven.“ Genau das möchte TEXTLAND sein: ein öffentlicher Handlungsraum im Sinne der Philosophin, in dem die Vielfältigkeit der heutigen deutschen Literatur „in Erscheinung treten“ kann, um zu wirken.

Riccarda Gleichauf

Textland - Made in Germany

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