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Die ihr eintretet

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Von Dirk Braunstein

Auf den technischen Fortschritt antwortet der trotzige und bornierte Wunsch, nur ja keinen Ladenhüter zu kaufen, hinter dem losgelassenen Produktionsprozeß nicht zurückzubleiben, ganz gleichgültig, was der Sinn des Produzierten ist. Mitläufertum, das Sich-Drängeln, Schlangestehen substituiert allenthalben das einigermaßen rationale Bedürfnis.

Adorno: Minima Moralia

Man ist neu in Frankfurt, und was braucht man da dringender als alles andere? Richtig, ein von Computer- und Internetnerds so genanntes sogenanntes LAN-Kabel, sonst bekommt man keinen Kontakt zur Außenwelt, und das ist in dieser Stadt kein Vergnügen. Weil man sich nicht auskennt, stellt man sich auf die Einkaufsstraße und fragt den erstbesten Passanten, ob es hier einen Saturn oder Vergleichbares gebe. Dahinten rechts, danke, nichts zu danken. Weißgott!

Schimpf! – Schimpf und Schande über diesen verruchten Laden, dieses Geschwörl da an der auch schon betörend behämmerten Zeil, wo sie alle hinwackeln und -dackeln und ich ja auch. Neben MySpace, myToys und Mai Thai gibt’s – wie ich später erfuhr: seit dem Jahr des Herrn 2009 – auch, die Welt Mores zu lehren, MyZeil. Über die (oder das oder den?) bereits Dante Alighieri Klärendes schrieb, die Infernalität des Unflats ein Stück weit kritisch zu beleuchten. Schon klar, es macht Kapitalismus nicht nur blöd – das sowieso und Ehrensache –, sondern er produziert auch „Blödmaschinen“ (Metz/Seeßlen; Memo an mich selbst: vielleicht demnächst die Bücher auch mal lesen, die ich naßforsch herbeizitiere!), die ihrerseits als generative Agenten des allwaltenden Stoffwechsels der Gesellschaft mit sich selbst sowie der Restnatur als Scheißemacher den hinterletzten Fuck her- – und sich dergestalt dem menschlichen Fortschritt, der wirklich einer wäre, mit voller Breitseite arschlöchrig in den Weg stellen. Wem das zu kulturpessimistisch oder zu verschwurbelt dünkt, mache sich auf den Weg in die gründlich verwüstete Frankfurter Innenstadt, wo sie comme il faut et à la bonne heure ein Einkaufsparadies aufs Pflaster gerotzt haben, das die Hölle ist.

Die Fassade hat ein Loch im Kopf, und ob’s der Strudel der Verdammnis ist oder ein krankhaft erweiterter Darmausgang, läßt sich vorerst kaum entscheiden; mit dem beklemmenden Gefühl, es könnte ja, wer weiß, beides eins sein, geht’s zum Eingang, der, quatschig blau beleuchtet, jede Hoffnung sinnfällig zerstäubt: Durch mich geht man zur Stadt der Schmerzen ein; durch mich geht man zur ewgen Qual; durch mich geht man zu den Verlorenen. Dennoch frohgemut hineingeschlüpft; kann ja nicht so schwierig sein, ein Kabel zu kaufen, haben andere ja auch schon geschafft, angeblich. Lasset, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren sowie jegliches ästhetisches Urteilsvermögen obendrein.

Drinnen schwillt und schwallt ein Krach, dort war, soviel das Ohr vernehmen konnte, kein lautes Weinen, aber Seufzerklagen, von denen rings die ewge Luft erbebte. Sie nennen’s freilich Musik. Hier wird deutlich, daß der Stulp, der die Fassade verunziert, bis ins Innere rüsselt, durch die Stockwerke hindurch; offenbar sollen sich um ihn herum kreisförmig die Menschen bewegen, faktisch aber strömt eine führerlose Masse. Die man zwar nicht als solche verachten, aber auch nicht unbedingt als jene Ursuppe affirmieren muß, welcher dereinst autonome Individuen entsteigen werden. Das ganze Elend derer, die offensichtlichen Mist verkaufen, sowie das jener, die den Schnodder auch haben und ergo erwerben wollen müssen – stets in der berechtigten Angst, das morgen schon nicht mehr tun zu dürfen –, will einen anpacken. Im Fluchtweg steht eine furchtbare fruitbar, an den Seiten prangen Ladennischen für Elektronikschnickschnackdreck: T-Online, e-plus, daneben Mode für die Frau von Welt (zum Beispiel Rödelheim-Ost): Pandora, BiBA und Princesse tam-tam oder wie auch immer: „eine Frau, ein Pyjama, 1000 Möglichkeiten“. Es ist zum Fürchten! Der allgegenwärtige Lärm, der, siehe oben, aus sämtlichen Poren tropft, überkleistert jegliche Gesprächsversuche der Gepeinigten, die sich an Löchern in Fußböden vorbeidrängeln müssen, durch die ein kranker Antichrist Rolltreppen und Glaselemente gesteckt hat, schwerstvermutlich, um die Architektur des Klumpens aufzulockern – oder was weiß ich. Über die Brüstung gelinst in den Keller, offenkundig, daß ich am Rande mich befand des Tals zum schmerzenvollen Abgrund, der widerhallt von grenzenlosen Klagen. Kunststück, unten lauern Intertoys, Rewe, Xenos, Reno, dm nebst einem Verschlag mit der Beschriftung „Die Frische Story“. Ich lüge nicht! „Smoothies, Säfte, Frozen Yogurt and Bubble Smoothies“, eine richtig geile Story! Von der Langnese Happiness Station wie vom basic | hairshop lieber zu schweigen.

Die Häme übrigens, die sich, wie ich mittlerweile weiß, bei konsumkritischen Geistern angesichts des Vordachs breitmachte, welches nachträglich über dem Eingang angebracht werden mußte, weil zuvor grobschloßger Hagel, Schnee und trübes Wasser (es paßt aber auch alles) Kaufwillige angegriffen hatten – in seligen Zeiten wurden einfach Regenrinnen und Schneefänge an die Häuser gezimmert –, ist vollends fehl am Platz. Daß die Masse trotz aller Widrigkeiten ungebremst in ihren liederlichen Tempel drang, macht sie erst recht zu einer von Verdammten, die sich ihrem als Kaufvergnügen zynisierten Schicksal fügt. Sie geht halt wirklich in den Konsum wie in einen Gottesdienst.

Beziehungsweise fährt auf Rolltreppen. Denn MyZeil kann unmöglich begreifen, wem das Wesen von Rolltreppen verschlossen ist. Sinn und Zweck jener Einrichtungen ist es doch, schneller und bequemer ans Ziel zu gelangen; irgendwelche Gegenmeinungen? Gut. – Da allerdings unter den gegebenen Entwicklungsbedingungen, die einen Fortschritt nur noch als Totschlagen von Zeit zulassen, schlechter besser ist als besser, kann man zwei Techniken gegen den Progreß anwenden:

a)Man verlängert einfach die Rolltreppe ins Superlativische, und schon brauchen ihre Benutzer wieder wünschenswert lange, um anzukommen; oder –

b)– man baut für jedes Stockwerk, wie in Kaufhäusern üblich, eigene Rolltreppen, versetzt die aber in einem so großen Abstand voneinander, wie es die Größe der entsprechenden Etage gerade noch zuläßt.

Man hat sich gegen die Besucher und für beide Widrigkeiten entschieden. „Next Level Shopping“ heißt das Unkonzept im Werbesprech, will sagen: Entweder sucht und latscht man ewig, um zur nächsten Rolltreppe zu gelangen, oder man fährt bis ans Ende aller Tage die große, sämtliche Stockwerke auf einmal überwindende Rolltreppe hinauf zum „Gastro-Boulevard“. Doch, doch: „Gastro-Boulevard“. Sorry, Leute, hab’ ich mir nicht ausgedacht, ich schreib’s nur auf!

Auf der Suche nach einem – erinnert sich noch wer, worum es seinerzeit ging? – LAN-Kabel fahre ich jedenfalls oder jedenfalls immerhin in den ersten Stock. So stieg ich nieder aus dem ersten Kreis zum zweiten, der geringern Raum umfaßt, doch um so größre Qual, voll Schmerzensschreien.

Hm. Daß es in der oder dem vermessenen MyZeil nun ausgerechnet nach oben hin immer schlimmer und effektiv höllischer wird, haut ja nun nicht recht mit der ganzen edelfedrigen Dante-Analogie hin, mit der ich, sei’s mehr schlecht als recht, den ganzen Popel hier zu verklammern und zu verklempnern und äh … – –

Andererseits kommt es mir, wo ich’s gerade so hinschreibe und notgedrungen zugebe, auch als selbstreflexiver Stilwechsel, oder nennen Sie’s, wie Sie wollen, so postmodern vor, meint: formal verhauen, daß es schon wieder paßt wie Arschloch auf Zeil.

Also ungeniert weiter:

Im Niemandsland zwischen Pepe Jeans, promod, comma, Passionata, PicturePeople, Shit&Fuck, New York Nails, O2 und Replay firmiert ein Jochen Schweizer, der es augenscheinlich auch nicht leicht hat. „Schenken Sie Erlebnisse“, blafft ein Plakat: „Genug geträumt“, nämlich alp, „jetzt wird erlebt“ – das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Zwei gelangweilte Hipsterbartträger muffeln derweil sinnlos an der Verkaufs- oder Besprechungs- oder halt Muffeltheke, diese Unselgen, die lebend nie gewesen. In die Mitte der Etage haben sie eine Frozen Coffeebar gerammelt, die coffreez zu nennen niemanden derartig beschämte, daß verhindert worden wäre, was fühlenden Menschen abwegig erscheint. Müssen sie ja wissen. Am Rand west ein Bekleidungsgeschäft herum: „one green elephant“: „innovative fashion made by little geniuses“. Hier ist man kreativ, hier sprudeln die Ideen, hier wummert Lärm aus den Lautsprechern, „hurra, die Waldfee!“ (Jürgen Klopp)

Nächste Rolltreppe, nächster Stock, nächster Schock: vodafone, Kult, das selbst für hiesige Verhältnisse sehr lärmige Schuhgeschäft elleez und ein Elend namens Napapijri – „wir suchen“, deliriert dort ein Aushang, „sportliche Mitarbeiter (m/w) in Voll- und Teilzeit sowie geringfügig Beschäftigte“. Sowie des weiteren Abnehmer für die lizensierten North-Face-Outdoormüllsäcke, mit denen die moralisch schwer derangierte deutsche Mittelschicht sich in ihre Familien-SUVs und -Kleinbusse quetschen kann, um dergestalt als Kaufzwangkranke die Landschaft mit sich vollzumachen und zu verschönern. – Nein, nein, ich mach’ nur Spaß, sieht super aus, ehrlich! – Wohin wollte ich eigentlich? Die Rolltreppen zu erlangen eilen sie, es spornt sie göttliche Gerechtigkeit, so daß Furcht sich wandelt in Verlangen. Na logo, nach immer neuem alten Tand und Schmutz und Leckmichamarsch. Icke mittenmang.

Korrekt: dritter Stock, Saturn. Die Kunden dort, die haben keine Todeshoffnung mehr; und also niedrig ist ihr dunkles Leben, daß jedes andere Schicksal sie beneiden, etwa das des Nachbarn, der das Smartphone Samsung Galaxy 3 abgegriffen hat. 655,– Euro, kann man für den Preis nicht selber machen. In die Melancholie des Konsums versinkt, wer sich durch diese – ach was! Kein weiteres Wort hierüber.

Der Vollständigkeit halber noch hoch auf den, wie erinnerlich, gastroenteritischen „Gastro-Boulevard“. Dort hört man durch den tosenden Radau verschiedne Zungen, grauenvolle Reden. Und muß es lesen, beispielsweise „sushi to go“, also kalter Fisch zum Davonlaufen. Aber wohin? Hier ist alles dicht verbaut und verrätselt, und die Oberfläche ist hermetisch verfugt und überhaupt so bedenklich opak und alles so tralala, und beim Widerkehren meiner Sinne erblick’ ich neue Qualen, sehe neue Gequälte rings, wie ich mich auch bewege und wie ich mich auch wende, wie ich schaue: Klopse – Gute Burger. Aha! Swiss Break. Soso! Mongol. Gewiß! coa – cuisine of asia. Asian Feelgoodfood with, u. a., „colorful salads“, auf deutsch: Hegt keine Hoffnung, je zu sehn den Himmel. Eingekreist von Comedor – Bestes aus Spanien, Papillon und einem posthumanoiden Trupp Pommes Freunde, gewahre ich mit Grausen, wo es eine „asiasnackbox“ hat, die mit prostitutionsgewerblicher Idiomatik beworben wird: „schnell … lecker … günstig … perfekt zum Mitnehmen“. Dahinter ein halbversteckter Eingang: halligalli Kinderwelt, das muß der Limbus sein, „über den Dächern von Frankfurt“: „Birthday Partys, powered by Langnese“. Wie alle Erzbösewichter machen auch sie nicht vor Kindern halt. „Spiel, Spaß, Abenteuer auf 1.500 m2“.

Und über allem, „5. und 6. Etage“, thront eine Muckibude, der FitnessFirst der Dunkelheit. Ich sah hier Leute, mehr an der Zahl wie sonst, von einer Seite her und von der andern laut brüllend Lasten wälzen mit der Brust. Neben prospektiven Freitödlern, denen die Höhe nur mehr letztes Versprechen ist, existiert hier der Frankfurter Leistungspöbel, um seine Schwell- und Prellkörper für das ubiquitäre survival of the fittest zu formen. Was stemmt ihr euch entgegen jenem Willen, dem niemals kann sein Ziel verwehret werden und der schon oft die Qualen euch vermehret? Kaufhausimmanente Negation der Vernunft? Schön wär’s ja schon, ginge man eben nicht mehr hin – und fertig. Leider ist es aber nicht abwegig, unterdessen davon auszugehen, daß der Kapitalismus nicht nur die Insassen MyZeils blöd gemacht, sondern zugleich das menschliche Vermögen der Erkenntnis a priori in von Imm. Kant et al. ungeahnte Tiefen geführt hat.

So, wie zur Herbsteszeit die Blätter fallen, eines ums andre, bis der dürre Ast der Erde wiedergab sein ganzes Laub, wollen auch wir zurück ins ewge Nichts, präzise: auf die leider ja ebenfalls gottnegierende Zeil und dann aber hurtig nach Hause.

Kurzinfo zum Beschluß: Daheim Kabel in PC und Wand gerammt, „MyZeil“ gegoogelt und was gelesen? Folgendes: „Für die internationale Vermarktung von MyZeil wurde 2013 ein Imagefilm gedreht, der potentiellen Mietern die Qualitäten des Einkaufscenters in trendiger Form präsentiert und den Anspruch als erste Destination für international angesagte Labels und Markteintritte in Deutschland unterstreicht.“

Satan!

Wessen Zeil das Ganze ist, konnte dank „internet connectivity“ oder wem ebenfalls ermittelt werden: Die Wegelagerei gehört der PalaisQuartier Asset Management GmbH, deren „Center-Manager Olaf Deistler über die Vermarktungsstrategie“ strategisiert: „Unsere Maxime heißt ‚Next Level Shopping‘ – das ist nicht bloß ein Slogan, sondern beschreibt unser ständiges Bestreben, dem Einzelhandel ein erstklassiges Umfeld mit einem modernen Serviceangebot auf internationalem Top-Niveau zu bieten.“ Daß Sie’s nur wissen: Die Maxime ist kein Slogan, sondern eine Beschreibung. Und der Architekt des Murkses – an dessen frankfurterisch-internationalem Topniveau offenbar mitschrauben durfte, wer irgend sich berufen fühlte –, Massimiliano Fuksas, meinte, sich äußern zu wollen: „Die Architektur ist ein Beruf des Friedens und des Teilens.“

Wer so dermaßen einen an der Waffel hat, ist natürlich auch vom Vorwurf befreit, einen fußgängerzonalen Stumpfsinn wie MyZeil in die Innenstadt zu krempeln. Aber was sagt es über die Stadt Frankfurt aus, die sich derlei gefallen läßt? Oder über uns, die wir wider besseres Wissen etwa in den Saturn fahren und laufen und laufen und fahren, um dort ein gigantisch blödes LAN-Kabel zu erstehen, und die wir schließlich, nach Beendigung des oben messerscharf diagnostizierten Stoffwechselvorgangs, den Laden wieder verlassen, geschlagen und beschämt? Sowie, seien wir ruhig einmal ehrlich, dreckig und häßlich und stinkend.

Und ich sank hin, gleich wie ein Toter hinsinkt.


Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten

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