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Grauer Grund

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Von Stefan Geyer

„This is German architecture“, meinte der englischsprachige Besucher zu seinem Begleiter und wies mit einer ausladenden Bewegung des rechten Arms über das Gelände. Dann kreuzten sie den Platz zügigen Schrittes in Richtung Steinweg. Es gibt Frankfurter, die diesen Platz noch nie gekreuzt haben, weil sie seit Jahren die Innenstadt meiden und lieber in ihren Quartieren verweilen, im Gallus etwa oder in Ginnheim.

Man kann es verstehen. Menschen, die sich beispielsweise auf den sogenannten Roßmarkt verirren, werden sich unweigerlich fragen, was zum Teufel sie dort machen. Wer hier ist, will woanders hin. Der Roßmarkt ist kein Ort zum Verweilen. Allenfalls dient er ab und an als Aufmarschgelände für Fußballfans, Apfelweintrinker und Salafisten.

In den sechziger Jahren – damals fuhren über den Roßmarkt noch Straßenbahnen und Autos – ließen die Stadtoberen den Platz für Fußgänger untertunneln. Die Fußgängerunterführung fand freilich keine Akzeptanz und wurde irgendwann durch Vandalismus zerstört. In den neunziger Jahren zog die Disko U60311 in den ehemaligen Tunnel, die mittlerweile, nach einem Todesfall und Drogenrazzien und erheblichen Mietrückständen, wieder geschlossen ist. Nur der graffitibeschmierte Eingang am Rande des Roßmarkts erinnert noch an den einst berühmten Club. Er hat die Anmutung einer verranzten Pommesbude und bildet nun so etwas wie das Entree zum Roßmarkt, zu dieser riesigen anthrazitgrauen Fläche im Zentrum der Stadt.

Das leichte Gefälle des Geländes wird mittels einiger Stufen ausgeglichen, über die gelegentlich unaufmerksame Passanten stolpern, und dominiert wird die graue Ödnis vom Gutenberg-Denkmal in der Mitte. Kein Zweiglein, kein Strauch stellt diese Dominanz in Frage. Lediglich an der Ecke zur Kaiserstraße stehen verschämt drei Platanen – als hätte man vergessen, sie zu fällen. Was der gute Gutenberg allerdings auf dem Roßmarkt zu suchen hat, bleibt ein Rätsel, war der Platz doch, wie der Name schon sagt, ein Großhandelsplatz für Pferde.

Im 17. und 18. Jahrhundert diente er als Richtstätte. Hier wurde zum Beispiel am 28. Februar 1616 der antisemitische Aufrührer Vinzenz Fettmilch hingerichtet. Er hatte den sogenannten Fettmilch-Aufstand angezettelt, der zur Vertreibung der Frankfurter Juden und zur Plünderung der Judengasse führte. Das scheint die Planer dieser Innenstadtwüste inspiriert zu haben, denn der Ort verströmt in der Tat den Charme einer Hinrichtungsstätte. Ein Guillotinendenkmal oder ein Henkerbeil in Bronze würde sich gut machen. Alternativ hätte man mit Strohballen ein Geviert markieren und einen Ponyreitplatz für Kinder einrichten können. So würde wenigstens an den ursprünglichen Zweck des Ortes erinnert.

Nein, der Platz dient einzig als Transitraum, den man durcheilt, um zu den Luxusgeschäften in der Goethestraße zu gelangen, in die Freßgass’ oder zur „Flagshipstore“ genannten Kapselkaffeebude gegenüber dem Goetheplatz. Da werden Menschen hofiert, die locker um die achtzig Euro für ein Kilo Aluminiumkaffee ausgeben.

Das, was in Frankfurt gemeinhin als Roßmarkt bezeichnet wird, besteht genaugenommen aus drei Plätzen. Am Nordende des Areals schließt sich der Goetheplatz an. Und man staune und reibe sich die Augen, lungern da doch wahrlich ein paar mickrige Bäume herum.

In der Mitte des mit Steinquadern begrenzten Rechtecks thront die Dichterstatue, die seit Kriegsende und bis zur Fertigstellung dieses städtebaulichen Monstrums im Jahr 2008 die Taunusanlage zierte und dort über Junkies wachte. Dem Roßmarkt wendet Goethe den Rücken zu, er blickt nach Norden. Was er sieht, dürfte ihn allerdings kaum erfreuen. Die anschließende Steinwüste heißt: Rathenauplatz. Ein Denkmal hat man Walther Rathenau jedoch nicht spendiert, dafür ragt am – aus Goethes Sicht – rechten Rand eine etwa zehn Meter hohe, nächtens leuchtende Röhre schräg aus dem grauen Grund. Ein Lüftungsrohr? Kunst? Der Stinkefinger für den Dichter?

Eingefaßt wird auch dieser Teil des Platzes von hellgrauen Betonquadern, die wohl zum Verweilen einladen sollen. Natürlich verweilt hier nur, wer von einem Wadenkrampf gequält wird, einen Schuh binden muß oder seine prallen Tüten voller Billigklamotten, die er auf der Zeil zusammengerafft hat, vorzeigen möchte.

Während der Roßmarkt untertunnelt ist, wurde unter dem Goethe- und dem Rathenauplatz eine Tiefgarage verbuddelt. Auch am Eingang an der Ecke Goetheplatz/Roßmarkt hat Goethe als Dekor herzuhalten, in Schwarzweißgrau. Die schmale Schicht Erde über der Tiefgarage läßt selbstverständlich nicht zu, daß irgend etwas angepflanzt werden könnte, das Ähnlichkeit mit einem Baum hätte. Also hat man sich der Einfachheit halber für anthrazitfarbene Pflastersteine entschieden, die bei längerer Sonneneinstrahlung die Hitze äußerst effektiv speichern. Zwecks Erfrischung schießen einige dürre Fontänen aus dem Boden.

Karl Kraus schrieb mal: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ Im Krausschen Sinne wäre es demnach konsequent gewesen, das gesamte Gelände gleich als Parkplatz zu nutzen. Die umliegenden Einzelhändler wären entzückt gewesen, und die Stadt hätte nicht so tun müssen, als wolle sie Stadtplanung für Menschen betreiben.

Wie heißt es bei Goethe? „Schönheit ist überall ein gar willkommener Gast.“ Genau. Und so fügt sich der Roßmarkt, die verschenkte Mitte der Stadt, nahtlos in eine endlose Reihe architektonischer Innenstadtgrausamkeiten ein – weshalb sich der gar beliebte Vergleich Frankfurts mit New York („Mainhattan“) abermals strengstens verbietet. In New York wäre dieser Platz grün.


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