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Der Nobelpreis

Kristallisationspunkt von Röntgens Karriere

Wer sollte ihn bekommen? Im September 1900 machte sich das Komitee der Akademie der Wissenschaften in Stockholm erstmals daran, Vorschläge für die Vergabe des Physiknobelpreises einzuholen. Der Preis war von dem inzwischen verstorbenen schwedischen Industriellen Alfred Nobel gestiftet worden. Der kinderlose Wissenschaftler hatte verfügt, von seinem Vermögen eine Stiftung zu gründen. Deren wichtigste Aufgabe, die Verleihung der Nobelpreise, bewegt bis heute die Welt. Seit 1901 fiebert die Öffentlichkeit alljährlich der Bekanntgabe der bedeutendsten Ehrung für Literaten, Chemiker, Physiker, Mediziner und Friedensaktivisten entgegen. Der erste Physiker, der diesen Preis erhielt, war Wilhelm Conrad Röntgen.

Die von ihm entdeckten X-Strahlen können als ein Wendepunkt der Wissenschaftsgeschichte bezeichnet werden. Seine Entdeckung war nicht nur für die Physik wichtig, sondern eroberte sich bald in angrenzenden Bereichen wie der Medizin und damit im Alltag von Millionen Menschen ihren Platz. Damit entsprach die Entdeckung Röntgens exakt den Vergabekriterien der Stiftung, die wissenschaftlichen Fortschritt im Sinne des Humanismus honorierte. Die Nobelpreisverleihung war einer der Kristallisationspunkte im Leben des damals 56-jährigen Physikers. Röntgen war auf dem Olymp der Wissenschaft angekommen. Gleichzeitig wurde mit der Preisverleihung die Fähigkeit der Menschen zu ständigem Fortschritt gefeiert. Röntgens X-Strahlen waren für diese optimistische Weltsicht eine direkte Übersetzung mit Symbolwirkung: Die Strahlen erlaubten sprichwörtlich Einsicht in bislang Verborgenes. Der Blick in den Menschen war dabei der spektakulärste Anwendungsbereich, der sich mit den Strahlen auftat. Denn bis zur Entdeckung der Röntgenstrahlen blieb der Blick in den lebenden Körper fast unmöglich. Es gab nur wenige diagnostische Geräte, wie z. B. das Endoskop, mit dem seit Beginn des 19. Jahrhunderts der Magen-Darm-Trakt durch die Körperöffnungen »gespiegelt« werden konnte. Schon dadurch verlor die Vorstellung von der Abgeschlossenheit des Körpers mehr und mehr an Bedeutung. Mit den X-Strahlen wurde die Körperoberfläche schließlich durchsichtig, das Körperinnere öffentlich.


Wilhelm Conrad Röntgen, ca. 1914

Dass die Entdeckung der Strahlen, für die Röntgen berühmt wurde, auf Vorarbeiten anderer beruhte und zu einem Teil Zufall waren, ließ seine Kritiker immer wieder laut werden. Allen voran der Physiker Philipp Lenard (1862–1947), der Röntgens Ruhm Zeit seines Lebens für sich beanspruchte und seiner Umgebung sogar verbot, das Wort »Röntgenstrahlen« auch nur auszusprechen. So verfolgte ihn der Streit um die Erstentdeckung der Strahlen bis ins hohe Alter. Da die Röntgenstrahlen schon immer existiert hatten, Röntgen sie also nur als Erster wahrgenommen und untersucht hatte, erhoben einige Forscherkollegen ebenfalls Anspruch auf die Entdeckung. Deshalb war die Nominierung Röntgens für den Nobelpreis nicht unumstritten. Die Nominierungsgeschichte zeigt deutlich: Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts fand bereits nicht mehr im geheimen Kämmerlein einzelner genialer Wissenschaftler statt. Wissenschaft war vielmehr ein komplexes, aufeinander aufbauendes Kommunikationssystem mit vielen Akteuren.


»Ihr Kommen dringend erwünscht« – Telegramm an Röntgen anlässlich der bevorstehenden Nobelpreisverleihung in Stockholm 1901

Auch das Nobelkomitee mutmaßte in der Begründung seiner Entscheidung offen darüber, ob Lenard die X-Strahlen nicht schon vor Röntgen entdeckt haben könnte. Diese Diskussion barg Sprengstoff in sich. Die Akademie in Stockholm setzte sich schließlich über die Empfehlung des Preiskomitees hinweg, auch Lenard den Nobelpreis zuzusprechen. Es gab am Ende nur einen Preisträger für Physik: Wilhelm Conrad Röntgen.


Die Nobelpreis-Zeremonie in Stockholm 1901, Röntgen ganz rechts im Bild, Illustration aus dem Svenska Dagbladet vom 11.12.1901


Große Ehrung: Wilhelm Conrad Röntgen erhält 1901 als erster Physiker den neu gestifteten Nobelpreis für Physik, Illustration aus dem Svenska Dagbladet vom 11.12.1901

Die Krönung des Wissenschaftlers

Das winterlich verschneite Stockholm empfing Wilhelm Conrad Röntgen und die anderen Nobelpreisträger am 10. Dezember 1901 feierlich. Der Große Saal der Musikakademie war vom bekannten Hofarchitekten Agi Lindegren reich dekoriert worden. Die Halle füllte sich am Abend mit Gästen in Frack und Abendkleidern. Darunter waren Repräsentanten der Akademien und Universitäten, Diplomaten, Vertreter des Adels und sonstige Spitzen der Gesellschaft. Schließlich traten die Preisträger ein. Allen voran ging Röntgen. Danach begann das Orchester mit einer pompösen Festival-Ouvertüre. Es folgten Reden und Rezitationen von Gedichten, bevor die Preisverleihung aus der Hand von Kronprinz Gustav begann. Den Abschluss der Zeremonie bildete ein Marsch des Komponisten Johann August Södermann. Im nahe gelegenen Grand Hotel gingen die Feierlichkeiten weiter.

Entgegen seiner Gewohnheit ergriff Röntgen beim Bankett vor den Gästen das Wort. Das war eine Seltenheit. Es gibt nur wenige Nachweise darüber, dass Röntgen außerhalb seiner eigenen Lehrveranstaltungen an der Universität öffentlich sprach. Es folgte eine brillante Ansprache. Darin beschrieb er die Preisverleihung als ein »skandinavisches Abenteuer«, das für ihn wie ein Traum sei. Das Publikum dankte mit anhaltendem Applaus. Dennoch, im Mittelpunkt der großen Aufmerksamkeit zu stehen, hatte ihm nicht gefallen: »Da die Feier sich auf drei oder eigentlich vier Leute verteilte und ich nur 1 ½ Tage mitmachte, ließ sich das Gefeiert werden noch aushalten«, schrieb Röntgen an seine Frau Bertha. Am nächsten Tag reiste Röntgen wieder ab. Allerdings blieb er zeit seines Lebens der Nobelstiftung etwas schuldig: Den nach den Statuten geforderten Vortrag hat er nie gehalten und fand immer wieder neue Ausreden. Er hatte »Lampenfieber«, wie er in einem Brief zugab. Ihm muss aber spätestens zu diesem Zeitpunkt klar geworden sein, dass gerade durch ihn Wissenschaft und Öffentlichkeit zu einem neuen Verhältnis gefunden hatten. Röntgen hatte Lampenfieber – dieses Eingeständnis unterstrich nur ein weiteres Mal, wie sehr der Naturwissenschaftler auf einer Bühne stand, auf die das Publikum erwartungsvoll blickte und huldvoll applaudierte. Röntgen machte das Schauspiel um seine Person allerdings nur wider Willen mit.


Die Nobelpreisurkunde von Wilhelm Conrad Röntgen, 1901


Die Augen des Professors

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