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Vor der Show

Röntgens Entdeckung und Berthas Hand

Im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zu stehen, ist nie das Ziel des Würzburger Professors gewesen. Die öffentlichen Huldigungen standen im krassen Gegensatz zu seinem Lebensstil. Nicht der eigene Bekanntheitsgrad in der breiten Öffentlichkeit zählte für ihn, sondern die fachliche Reputation und wissenschaftlicher Fortschritt an sich. Die kommerzielle Verwertung eigener Forschungsergebnisse stand weit im Hintergrund. Öffentlichkeit bedeutete für Röntgen wie für den deutschen Durchschnittsprofessor der damaligen Zeit: die Studentenschaft in den Vorlesungen, die Leser der einschlägigen wissenschaftlichen Zeitschriften und Besucher akademischer Konferenzen, auf denen man seinesgleichen regelmäßig zum Wissensaustausch traf. Innerhalb dieser akademischen Öffentlichkeit spielte sich Forschung und Lehre ab. Röntgens Weg zum Medienstar hatte jedoch eine eigene Geschichte, bei der nach damaligen Maßstäben die Normalität des akademischen Getriebes mächtig durcheinandergebracht wurde. Folgen wir den Spuren, die uns nach Würzburg in den 1890er Jahren führen, zum Arbeitsplatz von Röntgen. An der Würzburger Universität hatte Röntgen nach Stationen in Hohenheim, Straßburg und Gießen endlich eine seinen Vorstellungen entsprechende Arbeitsstätte gefunden. Er befasste sich intensiv mit Fragen, die auch viele andere Physiker beschäftigten.


Entdeckung hinter verschlossener Tür: Die Labortür des Würzburger Instituts, Aufnahme von Röntgen …


… und die geröntgte Labortür mit Bleifällungen


Mit diesem Versuchsaufbau entdeckte Röntgen 1895 die Strahlen: Funkeninduktor, Deprez-Unterbrecher mit Röhre und Vakuumpumpe, 1896

Ende des 19. Jahrhunderts fragten sie sich, inwieweit Gase elektrischen Strom leiten könnten. Eine Frage, die es experimentell zu untersuchen galt. Unterschiedliche Versuchsaufbauten kamen zur Anwendung. Viele – wie auch Röntgen – verwendeten einen Glaskolben, in den zwei Elektroden eingeschmolzen waren. Man füllte den Glaskolben mit einem Gas und legte an die beiden dort eingeschmolzenen Elektroden eine Spannung an. Oberhalb einer gewissen Spannung entlud sich ein Strom über die Elektroden durch das Gas. Mit dieser Versuchsanordnung konnte die Leitfähigkeit von verschiedenen Gasen bewiesen werden. Man nannte die verwendeten Glaskolben daher auch Gasentladungsröhren. Die Entladung erfolgte über einen Strahl aus Elektronen, der als Kathodenstrahl bezeichnet wurde. Gasentladungen sind meist mit faszinierenden Leuchterscheinungen verbunden. Heute finden sie u.a. Anwendung in Leuchtstoffröhren, Glimmlampen und Hochdrucklampen.

Auch Röntgen experimentierte mit Gasentladungsröhren. Seinem Freund und Kollegen Ludwig Zehnder teilte er 1894 mit, »dass ich die Kathodenstrahlen in Luft und in Wasserstoff […] gesehen habe, und von dem schönen Versuch ganz begeistert bin.« Röntgen experimentierte weiter. So auch im Herbst 1895, dem Jahr, das ihm den späteren Weltruhm einbrachte. Über die genauen Umstände in der Entdeckungsnacht vom 8. November 1895 herrscht bis heute Unklarheit. Fest steht: Röntgens Entdeckung war nicht das Ergebnis zielstrebiger Untersuchungen. »Ich dachte nicht, ich untersuchte« – nichts ist bezeichnender als dieser von Röntgen geäußerte Kommentar.

Aber was passierte in der Nacht der Entdeckung? Zur Rekonstruktion der Ereignisse ist detektivische Kleinarbeit notwendig. Wahrscheinlich ist, dass Röntgen beim Experimentieren mit Kathodenstrahlen zufällig das rätselhafte Leuchten eines mit einem lichtempfindlichen, fluoreszierenden Stoff (Bariumplatinzyanür) beschichteten Papiers sah. Es befand sich in einiger Entfernung von einer Gasentladungsröhre, mit der er gerade arbeitete. Selbst nachdem Röntgen die Röhre mit Karton abgeschirmt hatte, endete das fluoreszierende Leuchten nicht. Der Forscher erkannte, dass er hier auf etwas völlig Neues gestoßen war. Zunächst registrierte er die bloßen Phänomene: Anders als Lichtstrahlen durchdrangen die neuen Strahlen andere Körper und wurden nicht komplett absorbiert. Das lichtempfindliche Papier reagierte auf die Strahlen und war der Beweis für das Durchdringungsvermögens der Strahlen.

In den Tagen und Nächten nach seiner Entdeckung erforschte Röntgen penibel die Eigenschaften dieser Strahlen. Röntgen untersuchte sie sieben Wochen lang, Tag und Nacht. Er hinterfragte und prüfte seine Versuchsergebnisse so genau, wie es die damaligen Standards zuließen. Um sich ganz dieser Arbeit widmen zu können, ließ er sich Bett und Essen ins Labor bringen.

Er untersuchte sie so genau, dass seine Ergebnisse erst 17 Jahre später um weitere wesentliche Erkenntnisse ergänzt wurden. Zu den grundsätzlichen Feststellungen gehörte, dass die Strahlen nahezu alles durchdringen können – auch die Hand seiner Frau Bertha, nicht aber deren Knochen. Sie hinterließen auf einer fotoempfindlichen Platte einen Schatten. Bertha war die erste Versuchsperson ihres Mannes.


Berthas Hand: Aufnahme Röntgens von der Hand seiner Frau, angefertigt am 22. Dezember 1895. Berthas Hand ist eine der ersten Röntgenaufnahmen überhaupt

Röntgen beschrieb seine Forschungsergebnisse in der elfseitigen Veröffentlichung »Über eine neue Art von Strahlen. Vorläufige Mitteilung« vom 28. Dezember 1895. Darin notierte Röntgen bereits die wesentlichen Eigenschaften der neuen Strahlen. Dass sie den Eintritt in eine neue Zeit und Weltsicht sowie einen ersten Schritt zur Atomphysik signalisierten, war ihm jedoch selbst nicht klar.

Der Fall X – Entstehung der Röntgenstrahlung

Die neue Art von Strahlen entstand, wie Röntgen präzise beschrieb, als Nebenprodukt in Gasentladungsröhren bei sehr hohen Spannungen. In Gasentladungsröhren werden Elektronen von der Kathode zur Anode hin beschleunigt. Treffen die Elektronen auf die Anode, werden sie abgebremst und geben ihre Bewegungsenergie ab – ähnlich einem bremsenden Auto, das seine Bewegungsenergie durch Reibung in Form von Wärme an die Umwelt abgibt. Fliegende Elektronen aber können ihre Energie nicht durch Reibung abgeben. Der Großteil ihrer Energie wird durch Stöße mit dem Anodenmaterial in Wärme umgewandelt. Deshalb erhitzt sich die Anode stark und muss gekühlt werden. Ein kleiner Teil, nur etwa ein Prozent der ursprünglichen Bewegungsenergie der Elektronen aber wird in Form von elektromagnetischer Strahlung abgegeben. Ist die Bewegungsenergie der Elektronen sehr groß, so ist die abgegebene Strahlung entsprechend energiereich und damit sehr kurzwellig. Bei Beschleunigungsspannungen im Kilovoltbereich (etwa 5 kV – 100 kV) erhält man so die kurzwellige energiereiche X-Strahlung.


Erste Seite des handschriftlichen Manuskripts »Ueber eine neue Art von Strahlen« vom 28. Dezember 1895, in dem Röntgen seine Forschungsergebnisse vorstellt


Eine frühe Röntgenröhre der Firma Goetze aus dem Jahr 1896

Stationen auf dem Weg zur Entdeckung der Röntgenstrahlen

»… der größte Entdecker (…) ist im wesentlichen das Produkt seiner Zeit, in die er geboren ist.« (S. P. Thompson, 1897) Zahlreiche Wissenschaftler und Experimentatoren haben durch ihre Untersuchungen den Weg zur Entdeckung der Röntgenstrahlung geebnet. Erst die Entwicklung verschiedener technischer Geräte und die Erforschung zahlreicher physikalischer Phänomene machten die Versuche Wilhelm Conrad Röntgens überhaupt möglich. Hierzu zählen wichtige Erkenntnisse auf den Gebieten der Elektrizität, der Vakuumerzeugung, der Herstellung von Entladungsröhren, der Fluoreszenzuntersuchung und der Fotografie.

Röntgen forschte auf dem Gebiet der Kathodenstrahlen, die – wie wir heute wissen – aus Elektronen bestehen. Die Entdeckung der Elektrizität geht in das Jahr 1600 zurück, in dem der Engländer William Gilbert durch Reiben von Bernstein erste elektrostatische Phänomene entdeckte. Gilbert prägte dafür den Begriff »Elektrizität« (aus dem griechischen »Elektron« = »Bernstein«). Die Erklärung der Elektrizität durch geladene Teilchen, denen man den Namen Elektronen gab, erfolgte 1882 durch Hendrik Antoon Lorentz. Dass es sich bei den von Röntgen untersuchten Kathodenstrahlen um eben solche elektrisch negativ geladenen Teilchen handelte, wurde zeitgleich mit deren Entdeckung durch Jean Baptiste Pervin nachgewiesen.


Wilhelm Conrad Röntgen lässt sich mit einer Röntgenröhre porträtieren, 1900

Erst die Technik der Vakuumerzeugung machte Untersuchungen an Kathodenstrahlen in einer evakuierten Glasröhre möglich, wie sie Physiker zu Röntgens Zeit praktizierten. Bereits 1643, also gut 250 Jahre vor Röntgens Entdeckung, hatte der Italiener Evangelista Torricelli mit der Erforschung und Erzeugung des Vakuums begonnen, also eines annähernd luftleeren Raums. Die von Röntgen verwendete Pumpe zur Erzeugung eines Vakuums stammte aus dem Jahr 1874, entwickelt von dem deutschen Ingenieur August Raps. Die Herstellung von Vakuum-Entladungsröhren begann 1855 durch Heinrich Geißler und wurde in den folgenden Jahren immer weiter verbessert.

Die Entdeckung der Fluoreszenz ermöglichte es, die unsichtbaren X-Strahlen sichtbar zu machen. 1852 entdeckte Georges Gabriel Stokes, dass manche Materialien (u. a. das von Röntgen verwendete Bariumplatinzyanür) bei Bestrahlung UV-Licht aussenden – ähnlich den Leuchtziffern einer Armbanduhr. Die Entwicklung der modernen Fotografie im 19. Jahrhundert machte es erst möglich, Röntgenbilder herzustellen.

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