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Оглавление»Frauen und Kinder zuerst«
VON REVEREND HENRY VAN DYKE, D.D., LL.D.
Die Titanic, das größte aller Schiffe, ist in ihr Meeresgrab gesunken. Was hat sie uns vermacht? Denk gut nach.
Verluste. Wertvolle Leben und jede Menge Besitztümer wurden im Meer begraben. Einiges war versichert und wird erstattet werden. Der Rest aber ist verloren.
Erkenntnis. Das es ein Risiko ist, mit hoher Geschwindigkeit auf Nordmeerkurs trotz Eisbergwarnung zu reisen, wurde mehr als bestätigt. Dass es Grausamkeit sein muss, ein Schiff mit zu wenigen Rettungsbooten und -westen ausgerüstet auf große Fahrt zu schicken, wurde mehr als deutlich.
Trauer. Hunderte menschlicher Herzen leiden unter dem Verlust lieber Partner und Freunde. Unsere Anteilnahme, in jedem Gesicht zu lesen, in jeder Stimme zu hören, beweist, dass der Mensch weit mehr ist nur als ein Tier. Sie ist ein Beleg der Göttlichkeit im Menschen. Warum sorgen wir uns? Es gibt dafür keinen Grund auf der Welt. Außer wenn da nicht etwas in wäre ist, das anders ist als Kalk, Kohle und Phosphor, etwas, das uns Sterblichen die Fähigkeit gibt, gemeinsam zu leiden. »Auf, dass wir alle ein menschliches Herz haben«.
Aber die Tragödie der Titanic brachte uns weit mehr als die Erfahrung von Verlusten, Erkenntnissen und Trauer. Da gibt es auch noch eine große Weisheit, ganz deutlich für unsere moderne Welt erkennbar. Man kann ihr folgen oder man kann sie ablehnen. Sie heißt: »Frauen und Kinder zuerst!« Was auch immer in dieser schrecklichen Aprilnacht zwischen all dem Eis passierte; dies war der Befehl des mutigen Kapitäns; dies war das Gebot, dem all die wahren Männer auf dem verfluchten Schiff gehorchten. Doch warum taten sie es? Es gibt in der gesamten Geschichte unserer Zivilisation keine Gesetze oder Regeln, die so etwas festlegen. Keine Autorität verlangt dies von uns. Auf chinesischen Schiffen – sofern man dem Bericht eines Abgesandten glauben schenken darf – heißt die Regel sogar »Männer zuerst, Kinder danach, Frauen zuletzt.«
In rein physischer oder materieller Hinsicht gibt es kein Argument gegen so eine barbarische Regel. Im Gegenteil, ein Mann ist stärker als eine Frau, auf dem Arbeitsmarkt hat er einen höheren Wert, auch hat er eine höhere Lebenserwartung als Frauen. Weder Physik oder Ökonomie, noch Philosophie könnten den Super-Mann überzeugen, warum er seinen Platz im Rettungsboot einer Frau überlassen sollte.
Woher kommt also dieses oberste Gebot auf der sinkenden Titanic? Es kommt von Gott, durch Seine Propheten und durch die Gnade Jesu von Nazareth.
Das Vorbild der Selbstaufopferung, des Leidens des Messias‘. Die Regel, dass der Starke helfen muss, das Leid der Schwachen mit zutragen. Das göttliche Gebot, gegeben in den Worten »Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.«
Es braucht schon eine Katastrophe wie den Untergang der Titanic um im vollkommenen Gegensatz zu den Regeln des Materialismus‘ und der Selbstliebe handeln zu können.
Ich möchte nicht behaupten, dass dieses Ideal nicht auch in anderen Religionen vorkomme. Ich sage auch nicht, sie stünden dem entgegen. Ich verlange von keinem Menschen, meine Theologie (die, je älter ich werde, immer einfacherer Gestalt ist) zu akzeptieren, solange sein Herz ihn nicht zu mir führt. Aber ich sage: Das Ideal, dass den Starke die Stärke gegeben ward, um die Schwachen zu beschützen, das Ideal, dass ein Gebot wie »Frauen und Kinder zuerst« bewirken konnte, das liegt in unserer Übereinkunft zum Geiste Christi. Jeder Mann auf dem Schiff, ob Jude oder Christ oder namenloser Gläubiger, der diesem Vorbild folgte … ja, und all die Frauen, die ihr Leben für die Liebe ließen … trug ihn in sich, den gleichen Willen, den auch Jesus Christus hatte, und wurde somit zu einem Seiner Freunde.
Wenn das, was die Bibel sagt, wahr ist, dann ist auch dieses Ideal mehr als wahr. Andererseits kann man nur schwer Beweise dafür finden. Doch diese Tragödie stellt uns deutlich diese Frage. Denk darüber nach: Dient dieses Ideal dem Überleben in unserer Gesellschaft oder nicht?
Ohne es – kein Zweifel – wären wir reich und stark und mächtig. Aber was für eine Welt wäre dies! Nur durch den Glauben, dass der Starke dazu da sind, den Schwachen zu beschützen und ihm zu helfen – weil dies Gottes Wille ist – können wir selbstlos oder heldenhaft sein, lieben und all die Dinge erhalten, die uns Freude am Leben und keine Angst vor dem Tode geben.
Princeton, N.Y., 13. Mai 1912