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Elia in der Wüste
ОглавлениеPredigt zu 1. Könige 19,4–13a
Er [Elija] selbst aber ging in die Wüste, eine Tagesreise weit. Und als er dort war, setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod, und er sprach: Es ist genug, HERR, nimm nun mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren. Dann legte er sich hin, und unter einem Ginsterstrauch schlief er ein. Aber plötzlich berührte ihn ein Bote und sprach zu ihm: Steh auf, iss! Und als er hinsah, sieh, da waren an seinem Kopfende ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und er ass und trank und legte sich wieder schlafen. Der Bote des HERRN aber kam zum zweiten Mal und berührte ihn und sprach: Steh auf, iss, denn der Weg, der vor dir liegt, ist weit. Da stand er auf und ass und trank, und durch diese Speise wieder zu Kräften gekommen, ging er vierzig Tage und vierzig Nächte lang bis zum Gottesberg Choreb. Und dort kam er zu einer Höhle, und er übernachtete dort. Und sieh, da erging an ihn das Wort des HERRN, und er sprach zu ihm: Was tust du hier, Elija? Und er sprach: Ich habe wahrlich geeifert für den HERRN, den Gott der Heerscharen! Denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen, deine Altäre haben sie niedergerissen und deine Propheten haben sie mit dem Schwert umgebracht. Und ich allein bin übrig geblieben, sie aber haben danach getrachtet, mir das Leben zu nehmen. Da sprach er: Geh hinaus und stell dich auf den Berg vor |22| dem HERRN! Und sieh – da ging der HERR vorüber. Und vor dem HERRN her kam ein grosser und gewaltiger Sturmwind, der Berge zerriss und Felsen zerbrach, in dem Sturmwind aber war der HERR nicht. Und nach dem Sturmwind kam ein Erdbeben, in dem Erdbeben aber war der HERR nicht. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, in dem Feuer aber war der HERR nicht. Nach dem Feuer aber kam das Flüstern eines sanften Windhauchs. Als Elija das hörte, verhüllte er sein Angesicht mit seinem Mantel. Dann ging er hinaus und trat an den Eingang der Höhle. Und sieh, da sprach eine Stimme zu ihm: Was tust du hier, Elija?
Über Elia lässt sich manches sagen. Er war ein grosser Prophet, der Königen die Wahrheit sagte. Elia redete mit dem Mut eines Menschen, der Gott ganz gewiss auf seiner Seite weiss.
So bewundernswert das ist, so gefährlich ist das. Wenn der Kampf für die Wahrheit zu einem Kampf gegen Menschen wird, und wenn man dann allzu sicher meint, Gott auf seiner Seite zu haben, dann kann man leicht über das Ziel hinausschiessen. Ich glaube, dem Elia ist das so ergangen. Auf dem Berg Karmel überführt er 450 Baalspriester ihrer Unfähigkeit, und dann lässt er sie allesamt töten. Spätestens da bekommt sein Eifer für Gott und die Wahrheit erschreckende Züge.
Nach der Tat flieht Elia in die Wüste. Obwohl er am Karmel alle Register gezogen hat, die ein Spitzenprophet wie er ziehen kann – da ist nämlich immer noch Königin Isebel, seine Erzfeindin, und die trachtet ihm nach dem Leben. Und Elia merkt: Er kann tun, was er will. Es reicht nicht! Als sei ihm diese Erkenntnis zu schwer, will Elia mit seinem Prophetenamt sein Leben niederlegen. Denn er merkt, dass er nicht besser ist als die, die vor ihm waren. Auch er kann nicht erzwingen, worum andere in Israel vor ihm vergeblich rangen: dass Gottes Volk das erste Gebot erfüllt. Das erste Gebot? – «Ich bin der HERR, Dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus der Knechtschaft. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir» (Dtn 5,6), mit diesem einen Gebot stehen und fallen alle anderen Gebote. An diesem einen Gebot kommt niemand vorbei, der in Gottes Namen Treue und Gerechtigkeit leben will.|23|
«Du sollst keine anderen Götter haben neben mir» – das ist dem Volk Israel auferlegt. Auch Jesus beruft sich darauf, als der Versucher ihn in die Wüste führt und ihm alle Weltreiche anbietet für einen einzigen läppischen Kniefall vor ihm. Allein, Jesus ist hellhörig genug für die Versuchungen, die dem ersten Gebot die Autorität entziehen. Und nur, weil er hellhörig ist, kann er das verlockende Machtangebot ablehnen.
Auch Elia setzt sein ganzes Leben dafür ein, dass Gott wieder gehört wird, ernst genommen, erwartet und ersehnt in einem Volk, das anderes hören möchte, anderes ernst nimmt, anderes erwartet und ersehnt als jenen Gott, der in der Vergangenheit geredet haben mag, aber heute nur allzu sehr schweigt. Elia hört ihn. Für Elia ist er lebendig und wahr. Doch auch Elia ist nur ein Mensch. Und jetzt ist er ein Mensch, der an sich selbst verzweifelt. Sein Herz ist zerbrochen und schwebt zwischen Leben und Tod. Sehen wir uns diesen Elia an, diesen anderen Elia, für den ich der Bibel herzlich dankbar bin.
Elia in der Wüste. Ein Mensch in einer Erschöpfungsdepression. Allein ist er. Seinen letzten Gefährten hat er fortgeschickt. Sterben möchte er. Was nützen alle seine überwältigenden Taten, wenn Isebel die Macht hat, Elias Leben wie einen Faden abzuschneiden, sobald sie ihn in ihre Finger kriegt? Derselbe Gott, der hinter den Wundern Elias steht, erlaubt es Isebel, am Hebel der Macht zu sitzen, als gäbe es keinen Gott. Was für ein Widerspruch! Dieser Widerspruch legt sich wie ein Schatten auf Elias Gemüt.
Elia flieht, weil alles in ihm zusammenbricht: die berauschenden Erfolge sind Vergangenheit. Gott an seiner Seite – nicht mehr fühlbar. Elia erleidet den furchtbaren Absturz aus Schwindel erregender Höhe in den einsamen Abgrund der Sinnlosigkeit.
So zieht es ihn in die Wüste. Ach, die Wüste. Die menschenleere Wüste. Die Stille. Die Kargheit von Erde, Stein und Sand. Der Ort, an dem Gott sein Volk Israel aus der Taufe hob. Vierzig Jahre hatte Israel gebraucht, bis es die Wüste hinter sich |24| lassen konnte. Mit Haut und Haar hatte Israel die Wüste aufgenommen. Vom Scheitel bis zur Sohle war Israel ein Kind der Wüste geworden, hatte zwischen dem Land der Versklavung und dem Land der Verheissung die Früchte der Wüste genossen, hatte von der Hand in den Mund gelebt – lange, lange bevor es Könige gab in Israel, und hatte erfahren, dass es Gottes Hand war. In dieser Wüste findet sich Elia wieder.
Hier ist er mit Gott allein. Hier sind nur noch Elia und Gott übrig. Hier betet er. Elia betet sein dunkles, abgrundtiefes Gebet. Wenn es ein Psalm wäre, könnte der erste Vers lauten: «Ein Gebet, das Leben wegzuwerfen, es auf Gott hin loszuwerden.» Jemand hat einmal gesagt: «Aus der Trostlosigkeit werden besondere Tröstungen hervorbrechen.»1 Was für ein Trost kann aus der Trostlosigkeit hervorgehen? Welche Blumen wachsen in der Wüste?
Da – ein Wacholderstrauch. Hier unter dem Wacholder ruht Elia wie einer, der gestorben ist. Hier stranden seine Wundertaten, sein Gotteseifer, seine Wahrheitssehnsucht. Hier gibt es kein Halten mehr für Elia, nur noch ein Fallen. Hier gibt es nichts mehr zu tun, nur noch schlafen. Einen traumlosen, todesgleichen Schlaf.
Gott aber. Gott kommt dem Beter in der Wüste nahe. Gott wird ganz Ohr für die dunklen Gebete, die den Menschen in Wüstenzeiten über die Lippen kommen. Gott wird ganz Hand für die Menschen, die sich selbst entgleiten. Und auch das gilt: Gott gibt es den Seinen im Schlaf. So nimmt Gott Elias Leben in Seine Hand.
Mit Engelshänden berührt Gott Elia, den Fallenden, den Schlafenden, den zu Tode Müden. Kein «Fürchte dich nicht» gibt hier den Engel zu erkennen. Nur eine sanfte Berührung, mit der der Engel das zerbrochene Herz erreicht. So kommt Gottes Engel dem Elia nahe. Bringt ihm zu essen und zu trinken. Unspektakulär. Kein Zaubertrank, der Kräfte verleiht. Kein Zurechtrücken des Kopfes. Kein «Reiss dich zusammen!» und kein «Stell dich nicht so an!» Bloss etwas zu essen und zu |25| trinken. So banal wie eine Scheibe Toast zum Frühstück und eine Tasse Kaffee dazu. Hier ist es Wasser und geröstetes Brot.
Und dann noch eine Runde Weiterschlafen. Die Berührung des Engels hat keine Eile. Sie geschieht in unendlicher Geduld. Die Berührung des Engels gibt dem Schlafenden Zeit. Bis es zumutbar ist aufzustehen. Und sei es bloss zum Essen und Trinken. Und wenn Engel sich freuen können, liebe Gemeinde, wird sich dieser Engel gefreut haben, als Elia aufstand, um zu essen und zu trinken. Er wird sich gefreut haben wie ein Mensch, wenn sein nächster Angehöriger wenigstens für die Dauer von Toast und Kaffee, oder von Wasser und Brot ins Leben zurückfindet.
Danach darf Elia weiterschlafen. Und wieder berührt ihn der Engel. Und wieder ist Essen und Trinken das Erste, gleich nach dem Aufstehen. Doch diesmal heisst es: Weitergehen! Der Engel macht dem Elia nichts vor. «Dein Weg ist noch weit», sagt er. «Diese Wahrheit sollst du wissen, Elia, dass dein Weg noch weit ist.» Aber in der Kraft der kargen Speise, geht Elia vierzig Tage, vierzig Nächte, als hole er im Zeitrafferverfahren die vierzig Jahre nach, die Israel einst in der Wüste war.
Elia geht einem Wunder entgegen, dem grössten, das er je erleben wird, dem Wunder, das nicht er mit Gottes Hilfe tut, sondern Gott allein. Dies ist das Wunder: Dass Gott auf seine Weise kommt, auf seine wunderbare Wüstenweise. Nicht im dröhnenden Erfolg eines gelungenen Prophetenlebens, nicht in einer Erschütterung, die die Götzendiener entlarvt und den Mächtigen die Hebel der Macht aus den Händen schlägt, und auch nicht im verzehrenden Feuer siegesgewisser Rechtgläubigkeit.
Gott kommt anders. Auf seine Weise. Auf seine wunderbare Weise. Als eine «Stimme verschwebenden Schweigens», wie Martin Buber übersetzte.2 Als zärtliches Flüstern, das in zerbrochene Herzen fällt, und Menschen nahe kommt wie die sanfte Berührung des Windes.
Von diesem Gott wirst du nicht hören: «Stell dich nicht so an!» Oder: «Reiss dich zusammen!» Denn die Stimme verschwebenden |26| Schweigens, Gottes Stimme, sagt manchmal gar nichts. So wie Gottes Engel keine Waffenrüstung reicht, sondern bloss Wasser und Brot, ein Frühstück nach albtraumschwerer Nacht.
Darum glaube ich von Elia her dies: Gott ist da am dichtesten bei uns, wo unser zerbrochenes Herz zwischen Leben und Tod schwebt. Denn da – im Schwebezustand zwischen Leben und Tod – wird es empfindlich für eine ganz feine Berührung, abseits vom Lärm der Rechthaberei und abseits vom triumphierenden Gefühl, Gottes Willen zu vollstrecken. Die zarte, feine Berührung, die das zerbrochene Herz mit neuem Leben beschenkt, ist nur in der Wüste zu haben. Wer aus dieser Wüste zurückkehrt, wird Menschen anders sehen.
Diese Wüste hilft mir zu glauben.
Dass der Mensch am besten für Gott streitet, der erkannt hat: Ich bin nicht besser als meine Väter. Nicht besser als die, die vor mir waren. Auch ich kann Gottes Willen nicht auf die Erde herab zwingen. Auch ich kann die Herzen der Menschen nicht mit Gewalt zu Gott hin bewegen.
Und ich glaube, dass die Menschen am besten andere durch Wüsten begleiten, die selber schon dort gewesen sind. Darum vertraue ich einem Menschen, der einmal gründlich verloren hat, mehr als dem, welchem nur die Siegerpose vertraut ist.
Mehr als an die Kraft allen positiven Denkens glaube ich an die Kraft von Brot und Wein. Nur ein Mensch, der selbst einmal von Engelshand berührt wurde, kann anderen zum Engel werden.
Und nur der spiegelt Gottes Glanz wider, der die Tiefe des Abstiegs nicht scheut. Darum wird Jesus herabsteigen vom Berg der Verklärung, um den Weg des Kreuzes zu gehen. Vielleicht hat Elia, als er zu Jesus sprach, genau davon gesprochen in einer Stimme verschwebenden Schweigens.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
|27| Diese Predigt wurde am 2. Februar 2014 gegen Ende der Epiphaniaszeit im Rahmen eines Musikgottesdienstes im Basler Münster gehalten. Sie geht zurück auf einen Gottesdienst in St. Arnual, Saarbrücken, den ich anlässlich der 80. Geburtstage von Gerhard und Gisela Zimmermann gehalten hatte. Gerhard Zimmermann ist Pfarrer im Ruhestand, und seine inzwischen verstorbene Frau hatte ein Buch herausgebracht mit dem Titel «Ein Engel dir zur Seite. Von den stillen Begleitern auf unseren Wegen» (Freiburg im Breisgau, 20052). Von ihnen nahm ich Elias Begegnung mit dem Boten in der Wüste als Wunschtext entgegen. Ich las damals mit grossem Gewinn «Hart und Herrlich – Nachdenken im Leiden» von Hans-Rudolf Bachmann (Seewis 2002). Mit seelsorgerlichem Feingefühl skizziert Bachmann die verschiedenen Stationen der Elia-Geschichte (S. 128–139): «Elia geht dorthin, wo nur Gott und er allein übrigbleiben.» «Hier unter dem Ginsterstrauch ist Elia gestorben.» «Und diesmal muss der Engel auch nicht sagen: ‹Fürchte dich nicht!›». Seine Gedanken sind mir ganz persönlich ins Herz gefallen, haben Eingang in diese Predigt gefunden und begleiten mich seither im Glauben und im Amt.
1 Paul Schütz, Warum ich noch Christ bin, im 28. Brief (1946), Brendow, Moers/Niederrhein, 1981, S. 144, zitiert bei Hans-Rudolf Bachmann, Hart und Herrlich – Nachdenken im Leiden, Seewis 2002, S. 131.
6 Martin Buber/Franz Rosenzweig, Die Schrift, Deutsche Bibelgesellschaft 1992.
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