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Der deutsch-deutsche Schäferhund. Ein Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme

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Chistiane Schulte

Die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung aus dem Blickwinkel des Deutschen Schäferhundes zu betrachten, ist nicht selbstverständlich. Angesichts der Gewalterfahrungen, die die kommunistische Ideologie nicht nur in SBZ und DDR angerichtet hat, erscheint der Blick auf die Tierwelt marginal. Die Einengung von Haus-, Nutz- und Zootieren in die SED-Ideologie erscheint nichtig angesichts der viel verheerenderen Ideologie des „Neuen Menschen“, mit der die SED ihre Bevölkerung umerziehen wollte. Doch die deutsche Teilung verursachte nicht nur menschliches Leid: Zu den ersten Opfern der Berliner Mauer gehörte der Schäferhund Rex, eingesetzt bei der Westberliner Schutzpolizei, der sich am 14. August 1961 an der Bernauer Straße in den provisorischen Stacheldrahtsperren verfing und nach stundenlanger Tortur von Ost-Berliner Grenztruppen erschossen wurde.1 Proteste blieben aus, der Vorgang war nicht einmal eine Zeitungsnotiz wert. Ein toter Hund – was war das schon im angesichts des ungeheuren menschlichen Leids, das die Mauer auf beiden Seiten verursachte? Erst aus den Akten lässt sich heute rekonstruieren, dass mindestens 34 Diensthunde bei Zwischenfällen an der Mauer ums Leben kamen. Sie gehörten sowohl west- als auch ostdeutschen Polizei- und Grenzschutzeinheiten an. In der Regel handelte es sich um Deutsche Schäferhunde, verschlissen in einem Kalten Krieg, der nicht der ihre war.

Der Einsatz deutsch-deutscher Schäferhunde auf beiden Seiten der Zonengrenze von 1961 bis 1989 soll in meinem Vortrag als Beispiel dienen, um die ambivalente Rolle von Tieren in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts darzustellen. Erläutert werden sowohl die Rolle des Hundes zur Projektion von menschlicher Gewalt, als auch die Rolle des Hundes als Nutzvieh einer „low intensity warfare“, das geopfert und entsorgt wird, wenn es seinen Zweck erfüllt hat. Die Beziehung von Hund und Hundeführer werde ich in einem ersten Schritt im diachronen Diktaturvergleich thesenhaft darstellen, um dann in einem zweiten Schritt die Rolle der Hunde der NVA-Grenztruppen und des Bundesgrenzschutz zu thematisieren. Zunächst jedoch gilt es einen Blick auf die Vorgeschichte zu werfen: die systematische Züchtung des „Deutschen Schäferhundes“ und seine frühe Indienstnahme für Polizei und Militär, die mich zu der These von der „Staatswerdung des Schäferhundes“ führt.

Zur Vorgeschichte: Die Staatswerdung des Schäferhundes

Der Deutsche Schäferhund hat ein schlechtes Image: In Film und Populärkultur US-amerikanischer Prägung gilt er nicht erst seit Hitlers „Blondi“ als Symbol von Nazismus und Autoritarismus.2 In keinem Weltkriegsdrama darf er fehlen, wird mitunter wie im Film „Gladiator“ aus dem Jahr 2000 gar rückversetzt in die Germanenzeit: Wilde Gesellen greifen dort die Römer in den germanischen Wäldern an, begleitet von deutschen Schäferhunden. Waren deutsche Hunde also immer schon Täter? Ein quasi zeitloses Gewaltwerkzeug, Ausdruck einer spezifisch deutschen Kulturferne?

Das besondere Verhältnis von Deutschen und Schäferhunden hat ihren Ursprung selbstverständlich nicht in den germanischen Wäldern, sondern nahm erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts seinen Anfang. Denn der Schäferhund als tierischer Teil einer „imagined community“, einer imaginären nationalen Gemeinschaft, gehört zu den jüngeren, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gezüchteten Hunderassen.3 Doch bald schon erfreute er sich größter Beliebtheit, unter anderem bei den deutschen Verbindungsstudenten, wie Barbara Krug-Richter in ihrer mentalitätsgeschichtlich angelegten Studie aufgezeigt hat.4 Als Rassestandard definiert wurde der Deutsche Schäferhund erstmals in den 1890er Jahren vom Züchter Max von Stephanitz. Einer der damals vorgestellten Modellhunde trug den Namen „Hektor von Linksrhein“ – ein Name, der auf die spezifische Verbindung jener Hütehunde mit Anspruch und Tragik der deutschen Nationalgeschichte verwies.5 Tragisch ist die Geschichte dieser Hunde deshalb, weil der Deutsche Schäferhund – anders als andere national konnotierte Rassen, wie etwa als die „dänische Dogge“ – bereits früh von staatlichen und militärischen Stellen eingesetzt wurde.

Bereits zehn Jahre nach Erstzüchtung dienten die ersten Exemplare bei der Polizei,6 zwanzig Jahre später auch im Schweizerischen Luzern. Hier aber noch mit gemischten Ergebnissen, wie der Schriftsteller Erich Mühsam in seinen Tagebüchern aus dem Jahr 1910 berichtete. Damals kam es in Luzern zu einem Vorgang, der viel Aufregung verursachte. Er ging folgendermaßen, ich zitiere Mühsam: „Die Polizei dort hatte sich einen teuren Polizeihund zugelegt, ihn schön dressiert. Das Vieh fühlte sich aber in seiner amtlichen Stellung nicht wohl und kniff aus. Jetzt hat die Behörde eine Prämie für seine Wiederbeschaffung ausgesetzt.“7

Ein Hund der die Seiten wechselt, vom Verfolger zum Verfolgten wird und steckbrieflich gesucht wird – diese Anekdote verdeutlicht, dass Hunde im Staatsdienst schon früh nicht nur handzahme Kreaturen, Opfer oder gar willenlose, verdinglichte Werkzeuge waren. Sie waren Teil des Staatsapparats, der sich im Sinne Bruno Latours als ein Netzwerk menschlicher und nichtmenschlicher Wesen begreifen lässt.8 Als Akteure bzw. Aktanten verfügten sie über Agency innerhalb dieses Apparates, die sich unter anderem in „unorganisierten Widerstandsformen wie Arbeitsverweigerung, Zerstörung und Flucht“ niederschlug.9 Doch gerade im Zusammenwirken von Mensch und Tier im modernen Staatswesen offenbarten sich auch die Grenzen der Animal-Agency.

Aline Steinbrecher hat darauf hingewiesen, dass bereits mit der Herausbildung des Verwaltungsstaats in der Frühen Neuzeit, „das Zusammenleben von Mensch und Hund im Kontext obrigkeitlicher Disziplinierungsmaßnahmen zunehmend reglementiert [wurde].“10 Aus der repressiven Gewalt im liberalen Nachtwächterstaat, die mit Steckbriefen für einen entlaufenen Hund noch recht unbeholfen daherkam, wurde bald der Repressionsstaat des „Zeitalters der Extreme“ – das mit dem industriellen Massentöten im Ersten Weltkrieg begann.11

Ab 1914 dienten Schäferhunde im deutschen Militär als Minensuchhunde, ebenso als Wachhunde der Feldpolizei.12 War letztere Tätigkeit trotz aller Gewalt bei der Abwehr von Eindringlingen in Sperranlagen oder der Jagd nach den ab 1917 immer zahlreicher werdenden Deserteuren noch von einem kooperativen Ansatz geprägt war, so stand die Tätigkeit als Minensuchhund ganz im Zeichen der „Materialschlacht“. Der Hund galt in dieser „Materialschlacht“ als unbelebtes Kriegsmaterial und wurde nicht nur genutzt, um Minen per Geruch zu orten, sondern immer wieder auch geopfert, um Minenfelder zu neutralisieren.13 Dahinter stand der Versuch, die menschliche Kriegsführung in einer Art Ersatzhandlung dem Tier aufzubürden – ein Versuch, der freilich fehlschlug. Denn im Stellungskrieg vermochte auch der Hundeeinsatz nicht eine Entscheidung zu erzwingen. Insbesondere die Ostfront sah Zusammenbruch und Niederlage auf beiden Seiten. Aus dem Kollaps des Zarenreiches entwickelte sich dann mit der sogenannten Oktoberrevolution von 1917 das System kommunistischer Diktatur, aus dem Revanchismus der Kriegsverlierer in Deutschland 1933 der Nationalsozialismus – ein deutscher Sonderweg, den auch der deutsche Schäferhund mitgehen musste.

Der Hund im Nationalsozialismus

Der Hund im NS wurde, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, geprägt durch „Blondi“, einen weiblichen Schäferhund im persönlichen Besitz Adolf Hitlers. Der „Führer“ bekam das Tier nach dem Tode seines geliebten Schäferhundes „Muck“ vom Führerbegleitkommando geschenkt. Hitler selbst scheint sich in der Beziehung zum Hund unsicher gefühlt zuhaben – eine Schwäche, die er mit Dominanz und Dressur zu kaschieren versuchte. Henry Picker, Protokollführer bei den offiziellen Diners im Hauptquartier des Führers, berichtete später in seiner Edition „Hitlers Tischgespräche“, dass er den Eindruck gehabt habe „... es nicht mit einem Hund, sondern mit einer Maschine zu tun zu haben“. Er stellt sich die Frage, „ob Hitler bei der Dressur ... nicht im Grunde von der Absicht beherrscht wurde, selbst in diesem Tier den eigenen Willen auszulöschen.“14 Weit wichtiger als diese individuelle Beziehung zwischen Hund und Hundeführer ist jedoch die kollektive visual history von Hitler und Hund, die das Bild des deutschen Schäferhundes prägte – kein Zufall, sondern eine wohl inszenierte Darstellung.15 Denn das Bild von Hitler mit Hund war bereits lange vor der Machtergreifung ikonographisch. Der 1932 vom Leibfotografen Hitlers Heinrich Hoffrnann, herausgegebene Fotoband „Hitler wie ihn keiner kennt“ zeigt als Deckblatt des Schutzumschlages Hitler mit Schäferhund in den Bergen.16 Die Gesamtauflage von 400.000 Exemplaren lässt ahnen, wann und wo der Schäferhund seinen zweifelhaften Ruf erwarb.17

Die eigentliche Tragik des Schäferhundes im NS war jedoch nicht Blondi, sondern der Einsatz von Hundestaffeln der deutschen Wehrmacht beim Kriegszug durch Europa, besonders aber der Missbrauch als Wachtier in den NS-Konzentrationslagern.18 Schäferhunde erwiesen sich im Unterschied zu anderen Rassen für diese Tätigkeit als besonders geeignet, da sie sich durch zuverlässige Unterordnung und zuverlässiges Aufnehmen von Fährten auszeichneten. Doch auch ihnen musste die nötige Aggressivität im Umgang mit Häftlingen erst antrainiert werden. „Gefühlige“ Hunde wurden aussortiert, erschossen oder eingeschläfert. Gezielt wurde die Abrichtung der Hunde auf Menschen vorangetrieben. Aus den Konzentrationslagern gibt es Berichte von gezielt auf Verstümmelung abgerichteten Wachhunden. Obwohl nach 1945 der Einsatz von Hunden an der späteren innerdeutschen Grenze unter völlig verschiedenen politischen Vorzeichen erfolgte, so muss das gezielte Fasstraining auf Menschen doch als systemübergreifende Kontinuität gelten: Der Hund diente als Mittel zur Projektion von Gewalt im zwischenmenschlichen Verhältnis – zur Projektion staatlicher Gewalt.

Sowjetische Speziallager und ihre deutschen Hunde

Bei meinen Recherchen über die Herkunft der Hunde der DDR-Grenztruppen stieß ich jedoch auf erschreckende Kontinuitäten über den Epochenbruch 1945 hinweg. Es ist in der zeitgeschichtlichen Forschung bekannt, dass zwei ehemalige NS-Konzentrationslager von 1945 bis 1950 als „sowjetische Speziallager“ umfunktioniert und zur Inhaftierung von Regimegegnern benutzt wurden: Sachsenhausen und Buchenwald. Völlig unbekannt und ausgeblendet wurde jedoch bisher, dass sich die Weiternutzung der Lager nicht nur auf das tote Inventar wie Grundstücke und Zaunanlagen, sondern auch auf das „lebende Inventar“ bezog. Für Buchenwald als auch Sachsenhausen konnte ich nachweisen, dass zwei private Hundezüchter sowohl die NS-Lagerverwaltung als auch später die Sowjetische Militäradministration (SMAD) mit Wachhunden, teils Junghunde, teils vorausgebildete Rüden, versorgten. Die Zuchtbetriebe waren kleine Familienunternehmen, konkret handelte es sich um die „Deutsche Hundezucht“ der Familie Mengelmeier aus Oranienburg bei Berlin und den Züchter Grylitzki aus Umpferstedt bei Weimar.19 Es ist leider noch unklar, ob dieselben Hunde in beiden Lagertypen eingesetzt wurden, zumindest aber lässt sich über in einem privaten Zuchtverein erhaltene Stammrollen im Falle Buchenwald nachweisen das direkte Nachfahren von KZ-Wachhunden um 1947 auch im Speziallager Nr. 2 eingesetzt wurden.20

Beide totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts einte also dieselbe Gewalttradition. In einem fast schon dynastischen Verhältnis wurden mehrere Generationen von Schäferhunden als Instrumente totalitären Terrors eingesetzt und missbraucht. Die Implikationen dieser bisher unerforschten Kontinuität für eine Gewaltgeschichte des „Jahrhunderts der Extreme“ sind immens. Während die NS-Vergangenheit einer bestimmten Gruppe von Funktionären und Parteimitgliedern in der vermeintlich „antifaschistischen“ SBZ sowie der späteren DDR bekannt und in Teilen gut erforscht ist, hat sich bisher niemand die Mühe gemacht, auch Kontinuitäten im Mensch-Tier-Verhältnis nachzugehen.

Die Hunde der DDR-Grenztruppen

Die DDR hatte ein ambivalentes Verhältnis zum Deutschen Schäferhund. Einerseits nahm sie sich im Sinne der Debatte um „Erbe und Tradition“ des Hundes als Teil der eigenen Nationalgeschichte an. Dabei konnte der Unrechtsstaat DDR durch seine Missachtung von Markt und Privateigentum ganz anders regulierend eingreifen in Bereiche, die in der Bundesrepublik als „Privatsphäre“ galten, wie etwa die Heimtierhaltung. Die Hundezucht unterlag hier deutlich strengerer Kontrolle, was unter anderem zur Verbesserung der Hundegesundheit führte: In der DDR wurde bei der Zucht von Deutschen Schäferhunden großer Wert auf das Zurückdrängen der Hüftdysplasie (HD) gelegt.

Während 1968 noch mit Hunden mit mittlerer HD gezüchtet wurde, wurden ab 1972 nur Hunde mit leichter HD zur Zucht eingesetzt. Ab 1979 wurde dann nur noch mit komplett HD-freien Tieren gezüchtet, diese Restriktionen führten zu einem deutlichen Rückgang. Statistiken der DDR weisen für 1985 sogar 94,4 Prozent HD-freie Tiere aus – ein Wert der in Westdeutschland nie erreicht wurde.21 Dieses Positivurteil relativiert sich jedoch bei näherer Betrachtung zu einer beunruhigen Ambivalenz.

Einerseits ist zu bedenken, dass diese Zahlen nicht nachprüfbar sind und wie alle anderen Statistiken der DDR-Gesellschaft unter dem Diktum der Planerfüllung standen. Nimmt man sie als real an, so waren sie nur erreichbar durch massive Auslese und Ausmerzung – es entstand eine ganze Klasse von Hunden, die in der Zucht nicht verwendet wurden. Sie wurden nicht etwa sterilisiert, sondern fanden eine ebenso geheime wie gewaltvolle Verwendung an der innerdeutschen Grenze – doch dazu später mehr. Zu den angeblichen Erfolgen der DDR-Hundezucht, die auch heute von Ostalgikern aller Couleur noch hochgehalten werden ist zudem zu bedenken, dass die eugenische Zucht des Hundes in der DDR nur möglich war, weil die innerdeutsche Grenze spätestens 1961 auch zur Populationsgrenze für zwei sich auseinander entwickelnde Populationen von Schäferhunden wurde. 40 Jahre lang wurden ost- und westdeutsche Hunde nicht miteinander gekreuzt, das entspricht auf die Lebensdauer der Hunde gerechnet 280 Menschenjahren. Die Mauer, die menschliche Familien für zwei Generationen auseinanderriss, trennte die Hundepopulationen für über 20 Generationen.22 Dieser Zusammenhang, den ich hier nicht weiter ausführen kann, macht deutlich, dass die Auswirkungen der Politik des SED-Staates keineswegs marginal für das Mensch-Tier Verhältnis waren, sondern trotz der oben dargestellten Kontinuitäten gleichzeitig einen radikalen Einschnitt bedeuteten. Doch nun zurück zum Thema meines Vortrages, den Hunden im Staatsdienst. Hunde dienten bis 1950 nicht nur in sowjetischen Speziallagern der SBZ als Wachtiere, sondern wurden gleichzeitig auch bei der kasernierten Volkspolizei und den NVA-Hundestaffeln eingesetzt, mit Tieren aus derselben Zucht und Hundeführern, die aufgrund von Personalmangel mehrere Institutionen bedienten. Aus den NVA-Hundestaffeln entwickelte sich dann ab 1961 jenes spezifische Grenzregime, das Marie-Luise Scherer 1994 in einer bahnbrechenden Artikelserie im Spiegel, die später auch als Buch herauskam, als „Hundegrenze“ bezeichnete.23 Denn Hunde waren, neben Mauerschützen und Selbstschussanlagen, die zentrale Größe im DDR Grenzregime. An der innerdeutschen Grenze waren im Jahr 1989 ca. 5-7000 Hunde eingesetzt, eine enorme Zahl. Geführt wurden die Hunde von den Grenztruppen der NVA, die hierfür bevorzugt Deutsche Schäferhunde einsetzten, in einem zweiten Verwendungsschritt allerdings fast wahllos auf alle Hunderassen zurückgriff. Diese Zweistufigkeit des Hundeeinsatzes im Grenzgebiet ist wenig bekannt und soll daher kurz erläutert werden. Zum Ersten waren da die Wach- und Fasshunde, sogenannte „scharfe Hunde“ die stets gemeinsam mit einem menschlichen Hundeführer eingesetzt und gezielt auf die Ergreifung von Flüchtenden trainiert wurden. Diese Hunde mussten von hoher Intelligenz sein, sowohl folgsam als auch lernfähig, aggressiv aber auch diszipliniert. Ihr Training dauerte mehrere Monate und wurde ihr Leben lang in laufenden Übungen fortgeführt: In den staatlichen Hundeschulen der DDR-Bezirke mussten sie im DDR-Deutsch „Bezirksscheintäter“ genannte Trainer in gepolsterter Ausrüstung ergreifen und sich gezielt in bestimmten Körperregionen, meist im Unterarm, festbeißen. Offiziell diente dies zur „Ergreifung Verdächtiger zwecks späterem Arrest“, faktisch wurden damit die Hunde gezielt zum Reißen von Mauerflüchtlingen abgerichtet – Flüchtlinge, die anders als der „Bezirksscheintäter“ keine „Scheintäterjacke mit Spezialwattierung“ am Leibe trugen, ein Kleidungsstück das als Spezialanfertigung vom Berliner VEB Herrenbekleidung „Fortschritt“ an die Grenztruppen geliefert wurde.24 Enorme Verletzungen bei Fluchtversuchen waren die Folge und wurden von den DDR Grenztruppen billigend in Kauf genommen. Bei dieser ersten Art der Verwendung wurden fast ausschließlich Deutsche Schäferhunde in eigens aufgestellten Hundestaffeln eingesetzt, quasi die Elite unter den Hunden der DDR-Grenztruppen. Weniger bekannt ist, dass es noch eine zweite Linie der DDR-Grenzsicherung gab, die ebenfalls durch Hunde geleistet wurde – die sogenannten „Leinenhunde“. Sie liefen, unbeaufsichtigt im Todesstreifen Patrouille, fixiert an sogenannten „Laufleinen“, eine Weiterentwicklung des bekannten „Kettenhundes“. Scherer beschreibt das Prinzip folgendermaßen: „Eine Laufleinenanlage bestand aus einem zwischen zwei Böcken mannshoch gespannten Drahtseil, dem Laufseil. Je nach Gelände war es zwischen 50 und 100 Meter lang. An dem Laufseil hing, mit einer Laufrolle oder einem Ring verbunden, die zweieinhalb Meter lange Laufleine des Hundes. Da sich die Laufstrecke des nächsten Hundes unmittelbar anschloß, die Hunde aber nicht aufeinandertreffen durften, waren vor dem jeweiligen Ende des Laufseils Stopper oder Seilklemmen angebracht.“25 Die Hunde an der Laufleine genossen anders als die „scharfen“ Greifhunde keine besondere Ausbildung, gehörten verschiedenen Hunderassen an. Die Auswahl erfolgte, ich zitiere die Aussage eines von Scherer interviewten Hundebeschaffers namens Schween, nach mehr als laxen Kriterien: „Letztere mussten im Unterschied zu den Diensthunden weder Fähigkeiten mitbringen noch später erwerben. Sie hatten nur nach einem Hund auszusehen, worunter Schween eine gewisse abschreckende Größe verstand. Im Idealfall waren sie dunkel und stämmig und durch eine dichte Unterwolle winterhart. Sie sollten nicht von augenfälliger Treuherzigkeit sein und möglichst ohne geringelte Rute. Schween bevorzugte reizbare Kettenhunde vom Dorf mit spitzen Ohren.“26 Hier diente die dritte und vierte Reihe der DDR-Hundezucht, Hunde, die in der Eugenik des DDR-Zuchtsystems zum Ausschuss gehörten, zur Fortpflanzung nicht geeignet waren – ich zitiere: „Neben den tadellosen, zum Schutz- und Fährtendienst geeigneten Exemplaren gaben sie ihre Mängelexemplare an die Grenztrasse ab; der Zucht abträgliche Hunde mit Zahn- oder Gebäudefehlern, mit sogenannter Wesensschwäche, die Einhoder oder auch den langhaarigen, vom Standard abweichenden altdeutschen Schlag.“27 Ob altdeutsche Einhoder oder Kettenhund mit spitzen Ohren – an den Leinen der Grenze war fast jedes Tier zu gebrauchen. Entsprechend ihrer Einstufung als Mängelexemplare wurden die Hunde an den Leinen auf elendste Weise vernachlässigt. Sie liefen unbeaufsichtigt, ohne Gesellschaft von anderen Tieren. „Es gab keinen Schatten für die Hunde, außer dem schmalen Streifen, den gegen Abend die Hütte warf [...] Auch die Hütten selber, zerlegbare Holzwürfel mit windgeschütztem Seitenglass, … waren Brutöfen im Sommer, aus denen es sogar die Verschreckten trieb.“28 Nur einmal am Tag gab es Wasser, achtlos in Stahlnäpfe gefüllt, an heißen Tagen laut Order zweimal – wenn die Order denn erfüllt wurde. Doch, ähnlich wie Mühsam über die Schweiz von 1910 berichtet, lief auch in der DDR mit dem Diensthund nicht alles nach Plan. Der Zeitzeuge Tewes, Anwohner der Grenze, berichtet von einem Fall in dem ein männlicher Rüde durch einen durchgescheuerten Ring dem Laufseil entkommen konnte und frei im Grenzraum herumirrte. Aus Kontakten zwischen ihm und weiblichen Grenzhunden resultierten zahlreiche Schwangerschaften. Doch statt die Hündinnen wenigstens an diesem Punkt von der Leine zu nehmen, sahen die Grenztruppen die Trächtigkeit als Leistungsabfall, der zu unterbinden war. Denn die trächtigen Hündinnen kümmerten sich nach der Geburt um ihren Wurf, blieben am Ort, weigerten sich, das Laufseil entlangzulaufen und ihrer Abschreckungsfunktion nachzukommen. Konsequent befahl ein Offizier der Grenztruppen die Tötung der Welpen.29 Obwohl das Kalkül der DDR-Grenzer am Ende siegte, bezeichnet Scherer Störfälle wie diesen als eine Form „zurückgewonnener Souveränität“, welche die Hunde dem „Laufleinendasein entgegensetzten.“30 Es lässt sich festhalten, dass im Totalitarismus des Grenzregimes die Kontrolle des Menschen über das Tier, das in diesem Fall nur als Werkzeug und Objekt wahrgenommen wurde, alles andere als total war.31 Die Bedürfnisse der Hunde brachen sich Bahn, störten den Grenzdienst und mussten schließlich sogar von der NVA berücksichtigt werden, zwangen sie zur Modifikation des Laufleinensystems. Um 1966 ersann ein Grenzsoldat namens Moldt eine spezielle Bestückungsweise des Systems, in dem zuvor ausgemusterte Diensthunde quasi wahllos nebeneinander eingesetzt worden waren. Moldt beobachtete die verschiedenen Charaktereigenschaften der Hunde von Apathie bis zur Aggressivität. Um die Hunde zur gewünschten Aktivität, dem Hin- und Herlaufen am Band zu reizen, überzeugte Moldt seine Vorgesetzten, ganz bewusst „den Wütenden neben den Gelangweilten oder Sanften“ zu stellen, wie er sich ausdrückte, damit die Hunde sich gegenseitig anstachelten und zur Aktivität reizten.32 So perfide dieses System auch war – es zeigte doch einen „Eigensinn“ der Grenzhunde, der im ersten Bereich, der scharfen, ausgebildeten und von Hundeführern geführten Fasshunde kaum sichtbar wird.33 Denn hier, wo nur die disziplinierten und intelligenten Tiere eingesetzt wurden, gab es nach dem Training kaum noch Zwischenfälle, in den Akten habe ich bis lang keinen einzigen Fall gefunden, bei dem etwa ein Hund sich gegen den Hundeführer wandte und ihn biss. Im Laufleinensystem dagegen, wo der ‚eugenische Ausschuss‘ angeleint wurde, waren Zwischenfälle die Regel. Die Napfsoldaten der Grenztruppen hielten sich fern von zahlreichen, ihnen als aggressiv bekannten Hunden – denn hier wo alles zum Einsatz kam, was nur entfernt nach Hund aussah, waren Bisse gang und gäbe. Für die NVA unangenehmer als diese im Grunde doch gewünschte Aggressivität waren jedoch Apathie und Phlegmatismus sowie ungeplante Schwangerschaft – beides hielt die Hunde am Platz: eine Form von Eigensinn, der sie im Alltag unbrauchbar machte für die Zwecke des SED-Staates. Die Hunde waren also einerseits Mittel zur Projektion totalitärer Gewalt, doch übten sie diese Funktion keinesfalls bruchlos aus, und keinesfalls war die biopolitische Kontrolle über den Hundekörper total. Die Tatsache, dass das gesamte Laufleinensystem zur Vermeidung von Phlegmatismus ab 1966 modifiziert und das Moldtsche System der Abstimmung von Hundetemperamenten integriert wurde, zeigt die Agency der Hunde selbst im Moment ihrer Totalentrechtung an der Laufleine. Nebenbei hatte das Laufleinensystem auch eine buchstäbliche Lücke: Durch die Begrenzung der „Reviere“ per Stahlseil wurden die jeweiligen Hunde streng voneinander getrennt, um Kontakte und Zwischenfälle zu vermeiden. Die biopolitische Kontrolle über das Tier erforderte einen Sicherheitsabstand von 50 cm – was wiederum einen unverzichtbaren Freiraum für Menschen ergab, wie ein Zeitzeuge beschreibt: „Es ergab sich also ein Steg, eine winzige Bewachungslücke … Der Flüchtende habe die Hunde zuerst nur das Drahtseil entlang rasen sehen. Da sie in ihrer Alarmiertheit jeweils bis zum Anschlag rasten und wieder zurück, habe der Flüchtende nach einer Weile den freien Steg ausmachen können. Näherte sich der Flüchtende dann dem Steg, was das Anrennen der Hunde in seine Richtung provozierte, habe er ein Stück Wurst nach beiden Seiten werfen müssen, damit ihn die Hunde in Frieden ziehen ließen.“34 Die Grenzanlagen lassen sich also ein biopolitisches Paradoxon beschreiben, gekennzeichnet durch eine widersprüchliche Unschärferelation von zwei Kontrollprinzipien: der Kontrolle von Tieren und der Kontrolle von Menschen. Beide Prinzipien waren eng miteinander verschränkt, wobei die Totalkontrolle der Hunde Fluchtmöglichkeiten für Menschen eröffnete. Eine Regulierung zugunsten einer Totalkontrolle der Menschen hätte wiederum den Freilauf der Wachhunde erfordert – und somit die Kontrolle über das Tier erschwert oder gar verunmöglicht. An diesem paradoxen Beispiel zeigen sich die Grenzen jener „Staatswerdung des Schäferhundes“, die ich als Eingangsthese postuliert habe. Durch die Eigenlogik der Tierwelt, durch Kontaktsuche, den Fortpflanzungstrieb oder auch die Verweigerung in der Langeweile waren der Verstaatlichung als Form biopolitischer Totalkontrolle Grenzen gesetzt. Diese Grenzen wirkten nicht nur im MenschTier Verhältnis, sondern auch im Verhältnis der Menschen untereinander, wie der Verweis auf die Bewachungslücken zeigt. Hier wird die zentrale Bedeutung der Human-animal Studies für die neuere Totalitarismusforschung klar, denn sie kann den Nachweis einer tierischen Eigenlogik, vielleicht sogar eines „Eigensinns“ im Sinne von Alf Lüdtke, die Grenzen des Totalen aufzeigen.35 Gerade im Sinnbild des DDR-Totalitarismus, den Grenzanlagen an der Mauer, zeigt sich diese Unmöglichkeit völliger Kontrolle über Tier und Mensch. Die Natur verlangt ihr Recht und widersetzt sich mit Wachstum, Fortpflanzung und Vermehrung dem zivilisatorischen Prinzip der Grenze, das durch Klarheit, Abgrenzung und Statik gekennzeichnet ist. Ein Beispiel für diesen Widerspruch ist nicht nur die paradoxe Dialektik der Grenzhunde, sondern auch der hilflose Versuch der DDR-Grenztruppen, die Anlagen vor Schädigungen durch Wildtiere zu schützen. Bei dem sogenannten ‚militärischen Wildabschuss‘ entlang der Grenze kam es regelmäßig zur regelrechten Orgien der Gewalt – Massentötungen von Rehen, Hasen, Dachsen und anderen Spezies, die in den menschenleeren Grenzräumen Zuflucht vor der industriellen Zersiedelung der Landschaft gesucht hatten. Die gewaltsamen Ausmerzungsbemühungen der NVA blieben jedoch eine Sisyphusarbeit: Immer neu regenerierten sich die Wildbestände im Grenzraum, heute ist der „eiserne Vorhang“ in vielen Regionen als Grüngürtel und Naturschutzgebiet erhalten – die Kontrolle der Natur schlug um in ihr Gegenteil.36 Die Hundegrenze der DDR blieb, wie wir wissen, nicht ewig – im Jahr 1990 wurde sie aufgelöst, die über 5000 Hunde in überwiegend westdeutsche Pflegefamilien gegeben. Gerade die Laufleinenhunde enttäuschten allerdings jene, die auf einen „scharfen Hund“ gehofft hatten durch ihre häufig ängstliche und menschenscheue Natur.37

Die Hunde des Bundesgrenzschutz der BRD

Weiterhin aktuell ist dagegen die Geschichte der Schäferhunde des Bundesgrenzschutzes, die sich bis heute in den Hundestaffeln der Bundespolizei fortsetzt – laut Polizeiangaben werden dort noch immer insgesamt 500 Diensthunde eingesetzt.38 Überwiegend, aber nicht ausschließlich handelt es sich um Deutsche Schäferhunde.39 Die Tiere werden in ihrer Mehrzahl als Drogensuchhunde, Sprengstoffsuchhunde oder Leichensuchhunde, aber auch als Wach- und Fasshunde zur Ergreifung Flüchtiger eingesetzt. Während die ersten Drogensuchhunde erst 1972 eingeführt wurden, haben die Wach- und Fasshunde eine längere Tradition, die in komplementärem Gegensatz zu den DDR Grenzhunden steht. Denn die Bundespolizei entstand 1951 als „Bundesgrenzschutz“, der vor allem an der innerdeutschen Grenze tätig war. Sie stand in der Nachfolge des im NS etablierten „Zollgrenzschutz“ von 1937.40 Die NS-Kontinuität, die für die DDR durch den Einsatz in KZs und sowjetischen Speziallagern bis hin zum Grenzschutz gegeben ist, kann auch für die Bundespolizei vermutet werden. Bisher ist es mir zwar nicht gelungen, durch Stammrollenvergleiche oder Lieferscheine von Zuchtbetrieben eine direkte Kontinuität der Zuchtlinie nachzuweisen. Trotz fehlender Quellenlage ist jedoch klar, dass durch die institutionelle NS-Kontinuität der Repressionsorgane in DDR und BRD eine Kontinuität zumindest in der Form ihrer Hundenutzung gegeben ist, in jener spezifischen Form von Mensch-Tier-Verhältnis, die ich als „Verstaatlichung des deutschen Schäferhundes“ bezeichnet habe. Die Hunde, als quasi abgeleitete Staatsorgane, mussten somit die staatliche Trennung Deutschlands durchsetzen und durchleiden. Um es konkret zu machen: Von den 34 getöteten Schäferhunden im Grenzbereich zwischen 1961 und 1989, die ich nachweisen konnte, starben neun in den Reihen des BGS, vier weitere im Dienst der Westberliner Schutzpolizei. Die häufigste Todesursache war Stacheldraht, wie im Fall des zitierten Schutzhundes „Rex“ aus Berlin, der sich am 14. August 1961 in den provisorischen Stacheldrahtrollen, dem Vorgänger der Mauer, verfing und von Ost-Berliner Grenztruppen erschossen wurde. Aus Berlin sind zwei weitere Fälle bekannt, bei einem Berliner Schäferhund ist die Todesursache im Jahr 1987 unklar. Meine These ist, dass mit der Professionalisierung der Grenzanlagen die Todesfälle abnahmen, weil die westdeutschen Hunde nach der Errichtung von geschlossen Betonsperren, der klassischen „Mauer“, gar nicht mehr in die eigentlichen Grenzanlagen vordrangen. Sie wurden nun hauptsächlich als Suchhunde an den Übergängen eingesetzt.41 Anders dagegen die Hunde der Berliner NVA-Grenztruppen: Hier gab es immer wieder Zwischenfälle und Verletzungen an Stacheldrahtanlagen, in zwei Fällen aus den Jahren 1964 und 1977 auch Todesfälle durch „friendly fire“ aus den Gewehren verunsicherter Mauerschützen, jeweils nachts oder bei schlechter Sicht.42 Auch an der innerdeutschen Grenze außerhalb Berlins gab es ähnliche Verluste durch Auslösung von Selbstschussanlagen. Betroffen waren hier vor allem freilaufende Hunde. Die Zahlen sind hier unklar, die Gesamttodeszahl von 13 toten Hunden West und 21 toten Hunden Ost bezieht sich nur auf die mir bekannten, aktenkundigen Fälle – es ist sicherlich von einer weit höheren Dunkelziffer auszugehen. Insbesondere die Laufleinenhunde der NVA wurden in zynischer Manier als entbehrlich und nicht zählenswert behandelt. Hier muss es hunderte weitere tote Hunde gegeben haben, über die wir nichts wissen.43 Im BGS, der deutlich weniger Tiere, diese jedoch gezielter einsetzte, ist dagegen eine geringere Dunkelziffer an toten Hunden zu vermuten. Hunde des BGS kamen an der innerdeutschen Grenze nur zweimal durch Schüsse von NVA Grenztruppen ums Leben – 1962 und 1981.44 In der Regel wurden Zwischenfälle solcher Art, der ja im Ernstfall diplomatische Konsequenzen bis hin zu einem dritten Weltkrieg gehabt hätte, durch strikte Einhaltung des Leinenzwangs vermieden.45 Nicht nur zur Vermeidung diplomatischer Zwischenfälle oder gar des Anscheins einer Aggression wurde der Leinenzwang für Diensthunde durch den BGS strikt eingehalten. Es galt zudem, der Bevölkerung für den in den 1950er Jahren auch in westdeutschen Städten und Landgemeinden zunehmend eingeführten Leinenzwang ein Vorbild zu sein.46 Wichtiger jedoch: Die Tatsache, dass Republikflüchtlinge im Westen grundsätzlich willkommen waren und als Beweis für die Überlegenheit des Westens galten, machte den Einsatz scharfer Hunde faktisch unnötig. Die defensive Rolle der BGS-Hunde änderte sich jedoch in den 1990er Jahren, als die innerdeutsche Grenze fiel. Während die Mehrzahl der NVA-Hunde in den Ruhestand versetzt wurde, rückte der Bundesgrenzschutz nun nach Osten und nahm die Schäferhunde mit. An der deutsch polnischen Grenze wurden ihn nun ganz neue Aufgaben übertragen und sollten aggressiv gegen Flüchtlinge und „Schleuser“ vorgehen.

Fazit und Ausblick

Als Ausblick stehen meiner Ansicht nach zwei Konsequenzen im Raum. Erstens muss die Geschichte des Mensch-Tier Verhältnisses an der innerdeutschen Grenze weiter aufgearbeitet werden und im Falle der Grenzhunde, ob nun Schäferhunde oder andere, erinnerungspolitisch thematisiert werden. In diesem Sinne wären die mindestens 34 an der Mauer getöteten Hunde in die Planungen des Berliner „Einheits- und Freiheitsdenkmals“ mit einzubeziehen und symbolisch zu würdigen. Ob dies über eine gesonderte Namenstafel oder über eine eher metaphorisch-künstlerische Form geschieht, wäre zu diskutieren. Denkbar ist beispielsweise die Integration einer symbolischen Stahlleine in Erinnerung an die Laufleinen der NVA, gleichzeitig Anspielung auf die Metapher der Ankettung innerhalb des SED-Staates im Allgemeinen. Eine zweite, vielleicht utopischere Forderung wäre im Sinne der „animal liberation“ das Ende der Projektion von menschlicher Staatsgewalt durch Hundekörper. Insbesondere alle auf Verletzung und Ergreifung von Menschen dressierten Wach- und Fasshunde müssen entlassen und in ein ziviles Leben resozialisiert werden. Es kann schlicht nicht sein, dass 25 Jahre nach dem Fall der Mauer und 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Deutsche Schäferhund ungebrochen Träger und gleichzeitig Opfer eines Gewaltverhältnisses ist, vor dem die Mehrheit der Bevölkerung ihre Augen verschließt.

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1 Der Vorgang ist dokumentiert in: Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv (Freiburg), Kommando der Grenztruppen, Stellvertreter des Chefs der Grenztruppen und Chef Technik und Bewaffnung, BArch GT, DVH 321124

2 „Hitler hatte das größte Vergnügen, wenn Blondi wieder ein paar Zentimeter höher springen konnte [...], und er behauptete, die Beschäftigung mit seinem Hund sei seine beste Entspannung.“ Hitlers Sekretärin Traudl Junge in ihren Memoiren. Vgl. Junge: Bis zur letzten Stunde. Düsseldorf 2001, S.47.

3 Benedict Anderson. Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Berlin 1988. Vgl. Wolfgang Wippermann u. Detlef Berendzen, Die Deutschen und ihre Hunde. Ein Sonderweg der deutschen Mentalitätsgeschichte. München: Siedler, 1999.

4 Krug-Richter, Barbara, Hund und Student - eine akademische Mentalitätsgeschichte (18.-20. Jh.), Jahrbuch für Universitätsgeschichte 10 (2007), S.77-104. (Online: http://www.burschenschaftsgeschichte.de/pdf/krug-richter_hund_student.pdf)

5 Max v. Stephanitz: Der deutsche Schäferhund in Wort und Bild. 6 Auflage. Verlag des „Verein für Deutsche Schäferhunde (SV)“, Jena 1921.

6 Es gibt allerdings Vorläufer: Eine polizeiähnliche Tätigkeit eines Hundes wurde zwar erstmals Anfang des 12. Jahrhunderts bekannt, als Stadtwächter einen Hund in der französischen Hafenstadt Saint-Malo nachts einsetzten. Bekannt wurden Polizeihunde auch 1816 in England zum Aufspüren von Whiskyschmugglern. 1896 stellte die Stadt Hildesheim für Nachtwächterdienste Doggen ein, dem sich die Städte Schwelm und Braunschweig anschlossen. Eine planmäßige Einsetzung von Hunden erfolgte jedoch erst um 1900. Vgl. Die Geschichte des Polizeihundes bei: Reiter- und Diensthundeführerstaffel Hannover, Zirkulare, Heft 8/1967.

7 Erich Mühsam, Tagebücher Heft l, Château-d'Oex, Freitag d. 26. August 1910, onlineausgabe: http://muehsamtagebuch.de/tb/diaries.php

8 Mieke Roscher, Human-Animal Studies, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte,25.1.2012,URL: http://docupedia.de/zg/Human-Animal_studies?oldid=84625. Vgl. auch: Pascal Eitler/Maren Möhring, Eine Tiergeschichte der Moderne: Theoretische Perspektiven, in: Traverse - Zeitschrift für Geschichte (2008), H. 3, S. 91 - 105.

9 Mieke Roscher, Human-Animal Studies, Version: 10, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.1.2012, URL: http://docupedia.de/zg/Human-Animal_studies?oldid=84625. Vgl. auch: Jason C. Hribal, Animals, Agency, and Class: Writing the History of Animals from Below, in: Human Ecology Review 14 (2007), H. 1, S. 101-112; Clay Mcshane/Joel Tarr, The Horse in the City: Living Machines in the Nineteenth Century, New York 2007.

10 Steinbrecher, Aline, Fährtensuche. Hunde in der frühneuzeitlichen Stadt, in: traverse 2008/3.

11 Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, übersetzt von Yvonne Badal. Hanser, München/Wien 1995.

12 Vgl. Wilhelm Henck, Der Hund auf dem Schlachtfelde - Briefe über seine Geschichte, Erziehung und Verwendung im Felde, Berlin, o. J. [1919]; online im EU-Archivprojekt „EUROPEANA“: http://www.europeana1914-1918.eu/de/europeana/recordl9200231/BibliographicResource_3000060330274#sthash.OjvMcMjI.dpuf

13 Ebenda.

14 Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Berlin 2003, S. 235.

15 Auf die Aktualität der politischen Instrumentalisierung von Hunden im Wahlkampf verwies der Kynohistoriker Prof. Wolfgang Wippermann in einem Interview mit der ARD: „Wenn Politiker sich mit Hunden in der Öffentlichkeit zeigen, so soll das Sympathie hervorrufen, es ist sogar eine Werbung. Warum ruft das Sympathie hervor? Weil sich damit der Politiker als Mensch wie du und ich darstellt, er ist nicht so unmenschlich, er ist nicht nur Politiker, er ist auch Mensch und er zeigt, dass er Gefühle hat, Gefühle die er dem Hund gegenüber zeigt und wenn der Hund diese Gefühle erwidert, so ist gewissermaßen eine Art Symbiose hergestellt, zwischen den Politikern, dem Politiker und dem Hund, und das weckt eine Welle der Sympathie.“ ARD-Interview, 24. Februar 2002. online unter: http://web.archive.org/web/2008061 1050301/http://www.ndrtv.de/doku/20010705/folge1/wippermann.html

16 Heinrich Hoffmann, Hitler wie ihn keiner kennt, Berlin 1932.

17 Das Motiv erhielt auch eine literarische Verarbeitung - Michael Degen erzählt eine Geschichte des NS aus der Perspektive eines Hundes, vgl. ders., Blondi. München 2004.

18 Die „Standort- und Kommandanturbefehle des Konzentrationslagers Auschwitz 1940-1945“ verzeichnen zahllose Verordnungen zum Gebrauch von Hunden, vgl. die gleichnamige Edition des Instituts für Zeitgeschichte, München 2000, herausgegeben von Norbert Frei.

19 Im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald haben sich Quittungen mit den Namen Heinz Mengelmaier und Arthur Grylitzki erhalten, jeweils vom Juni 1940 und Mai 1944. Archiv Buchenwald, Bestand Lagerleitung, Abrechnung 1940, Sig. 444/129. Über eine Anfrage beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit ergab sich, dass dem MfS die NS-Verstrickung Heinz Mengelmeiers, der den Rang eines SA-Obertruppführers bekleidete, bekannt war, dort fand sich auch der Hinweis auf Hundelieferungen an das Speziallager Nr. 7 (Sachsenhausen), vgl. BStU, HA XX 2698/23. Aufgrund der Geschäftsbeziehungen Menglmaiers mit sowjetischen Dienststellen hielt das MfS seine Kenntnisse jedoch unter Verschluss. Grylitzkis Geschäftsbeziehungen mit dem Speziallager Nr. 2 (Buchenwald) ergaben sich durch einen Querverweis: BStU, HA XX, 2755/J678. Anders als Mengelmaier ist für Grylitzki keine NS-Vergangenheit nachzuweisen. Zum Speziallager vgl. auch Bodo Ritscher (Hrsg.): Das sowjetische Speziallager Nr. 2 1945-1950. Katalog zur ständigen historischen Ausstellung. Wallstein, Göttingen 1999.

20 Rasse- und Zuchtarchiv Umpferstedt, Schäferhund/Alsatian - Stammrollen 1944-1947, Blatt 213 und 234. Es handelt sich um die Rüden "Siegfried" (Wurf Mai 1940) und seinen Enkel „Iwanko“ (Wurf Januar 1946), beide aus dem Zuchtbetrieb Grylitzki. Ich danke den Hundefreunden Umpferstedt e.V. für die freundliche zur Verfügungstellung ihres Stammrollenverzeichnisses für meine Forschungen.

21 Jahresbericht der Nationalen Akademie für Veterinärmedizin, Berlin (DDR) 1986.

22 Importe von DDR-Schäferhunden in den Westen waren legal und kamen vor, waren aber bei West-Hundezüchtern nicht gern gesehen. Ihre Stammtafeln wurden angezweifelt, die Hunde waren in der Zucht faktisch nicht vermittelbar, wie ein ironischer Bericht aus der ZEIT von 1973 unter der Überschrift „Hunde aus der DDR sind wie unsignierte Picassos“ illustriert: „Olaf v. Ockertal (sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt) ist ein deutscher Schäferhund. Er ist knapp drei Jahre alt, die Schutzhundeprüfung II hat er mit Erfolg abgelegt – ein Hund, so scheint es, ohne Fehl und Tadel. Doch Olaf v. Ockertal hat einen Makel, was seine Karriere als Ahnherr jäh zerstörte: Olaf ist nämlich ein Deutscher Schäferhund aus der DDR, seine Eltern sind Ostberliner“ - der befragte Hundezüchter gab den Import nach einem Jahr auf. Vgl. Die Zeit, 27.April 1973, online unter: http://www.zeit.de/1973/18/hunde-aus-der-ddr-sind-wie-unsignierte-picassos

23 Marie-Luise Scherer, Die Hundegrenze, Spiegel, 7.2.1994, sowie dies. Die Hundegrenze, Berlin, 2012.

24 „Fortschritt beißt zu“, Berliner Morgenpost,3. November 1981

25 Scherer, Hundegrenze, Spiegel, 7.2.1994

26 Scherer, Hundegrenze, ebenda.

27 Ebenda.

28 Ein Zeitzeuge namens Tews, Anwohner der Grenze, berichtete Luise Scherer von diesen Zuständen vgl. Scherer, Hundegrenze, Berlin 2013, S. 50.

29 Scherer, Hundegrenze, S. 56.

30 Ebenda.

31 Weitere Vorfälle und Dysfunktionalitäten finden sich in einem Bericht des DDR-Außenministeriums, in Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand Außenministerium der DDR, HA 339/3323 „Grenzzwischenfälle 1976-84“, insb. Bl. 76-88.

32 Scherer, Hundegrenze, S.41.

33 Zum Konzept des „Eigensinns“ siehe Alf Lüdtke, Eigensinn, in: Stefan Jordan (Hg), Lexikon Geschichtswissenschaft. Stuttgart 2002, 64-67. Vgl. auch Alexander Kluge u. Oskar Negt: Geschichte und Eigensinn: Band 1: Entstehung der industriellen Disziplin aus Trennung und Enteignung, Frankfurt a.M. 1993.

34 Scherer, Marie-Luise, DIE HUNDEGRENZE, der Spiegel, 07.02.1994.

35 Siehe Fußnote 37.

36 Der Staat Thüringen bewirbt die ehemalige Grenzstreifen mittlerweile mit dem Label "Grünes Band", gewissermassen ein erneuter Umschlag und eine Enteignung der Natur für die Menschlichen Tätigkeitsräume, diesmal als Erholungs- und Freizeitressource: http://www.thueringen-tourismus.de/urlaub-hotel-reisen/das-grueneband-120028.html

37 Siehe hierzu die BBC-Dokumentation „Walking the Wall“ aus dem Jahr 1994.

38 http://www.bundespolizei.de/DE/06Die-Bundespolizei/Ausstattung/diensthunde_anmod.html

39 Die zugelassenen Diensthunderassen der Bundespolizei heute sind: Airedale-Terrier, Belgischer Schäferhund, Bouvier des Flandres, Deutscher Schäferhund, Deutscher Boxer, Dobermann, Hollandse Herdershond, Hovawart, Riesenschnauzer, Rottweiler. Der Belgische Schäferhund und der Hollandse Herdershond wurden erst 1984 nach längeren Debatten zugelassen, sie galten im Gegensatz zum Deutschen Boxer und Deutschen Schäferhund lange Zeit als „nicht zuverlässig“ - ein Vorurteil, dass sich mit 30 Jahren Diensterfahrung im vereinten Europa längst als haltlos erwiesen hat.

40 Auch andere „Ausrüstungsgegenstände“ belegen die NS-Kontinuität der Institution: Der 1931 in der Reichswehr eingeführte Reichsbrotbeutel wurde 1951 beim BGS wieder eingeführt, Vgl. Hans-Jürgen Schmidt: Wir tragen den Adler des Bundes am Rock – Chronik des Bundesgrenzschutzes 1951–1971. Fiedler-Verlag, Coburg 1995, S. 34.

41 Ein Drogensuchhund der Westberliner Grenzpolizei starb 1967 nach längeren Qualen, weil er an einer mit Lysergsäurediethylamid, dem damals in Polizeikreisen noch kaum bekannten „LSD“, getränkten Pappe geleckt hatte. Das kristallisierte LSD war in einen Pappdeckel imprägniert, der wiederum als Teil eines Westpaketes, konkret einer Wurstbox für Thüringische Verwandte, getarnt war. Die Drogenbesitzer, zwei Studenten der Freien Universität Berlin, mussten neben der Strafverfolgung nach dem Betäubungsmittelgesetz auch je 450 DM „Schadensersatz wegen Sachbeschädigung“ leisten - der Hund wurde als Sachmittel und Eigentum des Senats Westberlin klassifiziert. Vgl. die etwas polemische zeitgenössische Berichterstattung: „Gammler vergiften Polizeihund“, BILD, 3. Juni 1967, „Drogen-Studenten müssen für toten Hund zahlen!“, BILD, 5. März 1968. Aufgrund der besonderen Umstände, die mit der dt. Teilung nur mittelbar zu tun haben, ist dieser Todesfall in meiner Aufstellung von 34 Hunden nicht eingerechnet.

42 Jeder Schusswaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze wurde vom MfS und DDR-Innenministerium untersucht, wodurch die Vorfälle aktenkundig wurden: BStU, HA XXI, 300/23 sowie 457/89.

43 Nur summarisch ist von „Abgängen“ die Rede.

44 Diese Zwischenfälle erregten aufgrund der diplomatischen Konsequenzen im Kalten Krieg ein gewisses Aufsehen, wodurch sie für die Nachwelt dokumentiert sind vgl. Hamburger Rundschau, 1. April 1962, sowie Hannoversche Allgemeine Zeitung, 3.2.1981, 5.2. 1981.

45 Vgl. Handreichungen für den Diensthundgebrauch, Polizei-Diensthundeschule Bleckede (Hg), 2. erweiterte Auflage Bleckede 1973.

46 Zur Geschichte des Leinenzwangs vgl. das einleitende Kapitel folgender Studie: René Schneider: Das sächsische Gesetz zum Schutze der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden (SächsGefHundG) Zugleich eine Untersuchung über die Kampfhundeproblematik in Deutschland aus öffentlich-rechtlicher Sicht. Studien zum Verwaltungsrecht, Bd. 22, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2007.

Chimära mensura?

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