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Werden alle Menschen die gleichen Chancen haben? // MICHAELA MOSER

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Manchmal stehen die Chancen tatsächlich für alle ziemlich gleich. Ob wir vom Blitz getroffen werden, hängt nicht davon ab, wie alt wir sind, in welcher Stadt wir wohnen, mit welcher Hautfarbe wir geboren wurden, wen wir lieben, ob wir einen Job haben oder nicht – dem Blitz ist all das egal. Und wen es trifft, ist – abgesehen davon, dass er oder sie in die Gelegenheit kommt, sich einem Gewitter auszusetzen und vielleicht durch mehr oder weniger Bildung oder Informationen, das Risiko vermindern kann – ganz zufällig.

Ganz anders sieht es mit sozialen und wirtschaftlichen Chancen aus. Hier sind die bestehenden Ungleichheiten von vielen Faktoren und stark von unserer Herkunft abhängig. Und sie haben sich seit über 100 Jahren nicht verbessert, mehr noch: In den letzten Jahrzehnten hat die Kluft zwischen Arm und Reich zugenommen. Auch wenn es unglaublich scheint, die Welt ist heute nicht gleicher als vor über 200 Jahren, das belegen u. a. Studien renommierter Organisationen wie der Vereinten Nationen, der Weltbank oder OECD. Und sie zeigen auch, dass dieser Zustand schädlich und eines der fundamentalsten Probleme unserer Zeit ist. Denn die Auswirkungen sind auf vielfältige Weise desaströs. Experten wie der Ökonom Branko Milanovic sind davon überzeugt, dass wachsende Ungleichheit destruktive Kräfte freisetzt, die nicht nur für politische „Phänomene“ wie Trump und Brexit verantwortlich sind, sondern das Leben von Millionen Menschen vernichten, die trotz immensen globalen Reichtums in Armut und Elend leben. Und es sind nicht nur die Ärmsten, die darunter leiden, vielmehr wird die ganze Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen. Mehr soziale Ungleichheit bedeutet mehr Krankheiten, geringere Lebenserwartung, mehr Statusstress, weniger Vertrauen, mehr Gewalt und mehr soziale Ghettos, so die Zusammenfassung des Epidemiologen Richard Wilkinson, der gemeinsam mit seiner Kollegin Kate Pickett zahllose Studien zum Thema analysierte. Eine sozial polarisierte Gesellschaft bringt Nachteile für fast alle, selbst für die Wohlhabenderen. Dort, wo die Ungleichheit geringer ist, da ist auch die Lebensqualität für fast alle besser. Niemand kann also mehr Ungleichheit für die Zukunft wollen. Doch was tun, um die Entwicklungen umzukehren?

Ob zukünftig alle gleiche Chancen für ein gutes Leben haben, hängt von einer Vielzahl an Entscheidungen ab, von Maßnahmen der Politik, aber auch vom Verhalten jeder und jedes Einzelnen. Zunächst muss klar sein, was wir mit Chancengleichheit meinen. Und auch, dass die gleiche Startposition allein nicht ausreicht. Nicht nur, weil sie kaum herzustellen ist, sondern auch, weil Leben sich ganz unterschiedlich entwickeln kann und weil nicht alle das gleiche brauchen, um gut leben zu können. Wichtige Leitlinien für die entsprechenden Rahmenbedingungen für ein gutes Leben aller bietet hier der von der US-amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum vorgelegte „Capabilities-Ansatz“ mit seinen allgemeinen Kriterien für Lebensqualität. Dabei geht es nicht nur darum, wie viele Ressourcen jemand hat, sondern was er oder sie sein und tun kann. Denn Ressourcen nutzen nur, wenn wir auch in der Lage sind, sie entsprechend umzusetzen.

Zum guten Leben gehören folglich nicht nur Gesundheit und physische Integrität, sondern auch Sinne, Vorstellungskraft und Gedanken, die Fähigkeit, Gefühle ausdrücken und empfinden zu können, sich eine Vorstellung vom eigenen guten Leben zu machen, gute Beziehungen zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur Natur zu pflegen, sich irgendwo zugehörig, sich „daheim“ zu fühlen, den eigenen Lebenskontext mitgestalten zu können, Möglichkeiten und Anlässe zum Lachen, Spielen und zum Entspannen zu haben. Und die Gemeinschaft hat durch entsprechende Politik zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass es diese Verwirklichungschancen für alle gibt.

Darüber hinaus braucht es den aktiven Einsatz aller füreinander. Wechselseitige Fürsorge und Verantwortung wie sie im Konzept einer „Care“-Ethik und -Ökonomie seit über 20 Jahren entwickelt und diskutiert werden. Das englische Wort „care“ steht dabei für das Bewusstsein unserer Abhängigkeit und Bezogenheit aufeinander, aber auch für konkrete fürsorgliche Aktivitäten im Sinne einer Sorge füreinander und um die Welt. Dabei geht es nicht nur um Pflege, Sozialarbeit oder Hausarbeit, sondern auch um den Einsatz für politischen und kulturellen Wandel. Es geht um ein umfassendes „aufeinander achten“, über die eigenen Familie hinaus, im nachbarschaftlichen und gemeinschaftlichen Miteinander, das auch globale Auswirkungen des eigenen Handelns mitbedenkt.

Und das respektiert, dass wir als einzelne nur durch und mit fürsorglichen Beziehungen mit anderen gut leben können. Wodurch sich auch neue Prioritäten für die Politik ergeben, die Neubewertung und Verteilung verschiedener Formen von Arbeit und eine bessere, weil achtsameren Verteilung von Ressourcen und Möglichkeiten und damit mehr Chancengleichheit im Sinne eines guten Lebens aller.

Ob das die Zukunft bringen wird? Das liegt allein an uns, an unserem Willen, unserem Handeln und an der Politik, wie wir sie alle mitgestalten. Chancengleichheit und gutes Leben für alle? Yes, if we want, we can!

Werden wir auf dem Mars leben?

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