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1.1.3 Nationalsozialismus bis Ende des Zweiten Weltkriegs

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Mit Aufkommen des Nationalsozialismus kommt es zu einer »Gleichschaltung« und »Machtkonzentration« (beide Müller 2003, 266) zu Gunsten der Nationalsozialisten, die alle Bereiche umfasst (Abel 1998). Als einzige Partei ist die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei erlaubt. Die allein verbleibende Gewerkschaft ist die Deutsche Arbeitsfront. Jugendverbände gehen in der Hitlerjugend auf (Müller 2003). »Die Umgestaltung der Wohlfahrtspflege im Sinne der NS-Ideologen erfolgte insbesondere durch die Gründung einer ›freien nationalsozialistischen Volkswohlfahrtsorganisation‹, abgekürzt: NSV« (Geib et al. 1994, 277ff.). Nicht mehr das Individuum mit eigenem Handlungsspielraum steht im Fokus, sondern das »Wohl der Gemeinschaft« (Abel 1998, 30), die Nützlichkeit und der Wert fürs Ganze sowie die Erziehung in »›nationalsozialistischem Geist‹« (Müller 2003, 269; Geib et al. 1994; Gröning 2010). Dies hat starke Auswirkungen auf die Beratungslandschaft, deren Inhalte und Ziele nun ebenfalls vorgegeben werden. Seit den 1930er Jahren arbeiten vermehrt Psychologen in Beratungseinrichtungen. Mit ihnen werden sowohl »der Bereich der psychologischen Messung und Diagnostik« als auch »psychotherapeutische (…) Verfahren« (beide Schröder 2007, 50, Hervorhebungen im Original) ausgeweitet. Beides wird genutzt, um »institutionelle (…) Hilfestellungen zu flankieren und die (…) Beratungsangebote theoretisch und methodisch zu fundieren« (a. a. O.). Die erste Gründungsphase und Institutionalisierung der Beratungseinrichtungen wird durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen (Großmaß 2007). Auch »die Tatsache, dass führende Theoretiker/innen (…) ins Exil gehen mussten, verhinderte (…) eine wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung der Beratung bis in die Nachkriegszeit hinein« (Sickendiek, Engel & Nestmann 2008, 25).

Berufsberatung wandelt sich. Mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung ist ihr Verlauf ab 1935 nicht mehr ergebnisoffen. Vielmehr kommt es zu einer Lenkung durch die Reichsanstalt. In Abhängigkeit von zentral festgelegtem wirtschaftlichem und kriegsbedingtem Bedarf werden Arbeitsplätze zwangsweise zugeteilt (vgl. Krämer 2010; Gröning 2009; Gröning 2010). Nach einer 1938 erlassenen Anordnung müssen »(…) sämtliche Schulabgänger bei den zuständigen Arbeitsämtern gemeldet und Einstellungen von Lehrlingen, Praktikanten oder Volontären von diesen genehmigt werden« (Krämer 2001, 1101; Gröning 2010). Ab 1939 muss auch Kündigungen von Arbeitsämtern zugestimmt werden (Krämer 2010). Um für offene Stellen den passenden Arbeitnehmer zu finden, wird Berufsberatung noch mehr als zuvor von Eignungsdiagnostik, sogenannter »Psychotechnik«, bestimmt (Gröning 2009). Psychotechnik ist ein Vorläufer oder auch ein veralteter Begriff für Arbeitspsychologie (vgl. Gröning 2010). »Die Berufsberatung erlebt so den Konflikt zwischen Beratung und Berufslenkung wie auch den Konflikt zwischen personenzentrierter Beratung und funktionaler Diagnose, ein geradezu klassischer Konflikt im Arbeitsfeld Beratung« (Gröning 2010, 18). Während des Nationalsozialismus geht dieser Konflikt zugunsten von Diagnostik und daraus folgender Lenkung zu einem bestimmten Arbeitsfeld aus. Beratung im Sinne einer Unterstützung zur eigenen Entscheidungsfindung gibt es nicht mehr.

Geburtenkontrolle widerspricht den nationalsozialistischen Zielen. Auch daher werden Sexualberatungsstellen und -institute ab 1933 verboten (Großmaß 2000; Gröning 2010). »Die deutsche Sexualreformbewegung wird zerschlagen« (Gröning 2010, 88). Eheberatungsstellen bestehen unter neuer Zielsetzung von Erb- und Rassenpflege weiter (vgl. Gröning 2009, Großmaß 2000). Das Zeugnis zur Ehefähigkeit wird zur Pflicht vor einer Hochzeit (vgl. Gröning 2009). Bei nachgewiesener Erbgesundheit können die Überprüften mit Privilegien rechnen. Umgekehrt können Kranke und Personen, die in ihren Anlagen vom Nationalsozialismus abgewertet werden, sanktioniert werden (ebd.). Im Fokus steht das »Volksganze (…)« (a. a. O., 112). In diesem Kontext wird alles bekämpft, was dem nationalsozialistischen Gedankengut entgegensteht, wie u. a. Homosexualität und Abtreibung. Durch eine zentrale »Erbgesundheitsdatei« (a. a. O., 111, zitiert nach Czarnowski 1991) kommt es zu einer totalen Überwachung. Eheberatungsstellen fungieren mit dem Auftrag »zur eugenischen Zwangsberatung« (Struck 2007, 1018).

Auch Erziehungsberatung wird zentralisiert. »Die Jugendämter beschränken die EB-Arbeit weitestgehend auf die Diagnostik. Die freien Träger vertreten zum Teil noch therapeutische Ansätze. Die ›neuen‹ Aufgaben der Erziehungsberatung übernimmt die NSV (…)« (Abel 1998, 33). Ihr werden die meisten freien Träger zwangsweise angeschlossen. Alternativ bleibt die Schließung der Einrichtungen (Abel 1998). Erziehungsberatung bekommt »rassische und eugenische Selektionsaufgaben« (Sickendiek, Engel & Nestmann 2008, 25). Ein »umfangreiches Hilfs- und Kontrollsystem« (Geib et al. 1994, 278) entsteht, das hierarchisch auf drei Ebenen strukturiert ist. Während auf unterer und mittlerer Ebene Mitarbeiter der NSV als Einzelhelfer handeln, wird Erziehungsberatung als Institution allein auf Gau-Ebene umgesetzt (vgl. Geib et al. 1994; Abel 1998). Kinder und Jugendliche werden nach nationalsozialistischen Werten in Kategorien unterteilt (Gröning 2009). Nach den Vorstellungen des Dritten Reichs werden »erbgesunde« (Abel 1998, 33) als »wertvoll« (Gröning 2010, 65) eingestufte junge Menschen unterstützt und gefördert. Die anderen jedoch werden »›ausgeschieden‹ und nach Sterilisation der ›Bewahrung‹ übergeben (Bewahrung in kirchlichen Anstalten, Arbeitshäusern, später auch in Jugendschutzlagern)« (Geib et al. 1994, 279). Diese Kategorisierung wird von Psychologen vorgenommen, welche die Leitung der Beratungsstellen auf Gau-Ebene übernehmen. »Der psychologische Berufsstand gewinnt erst im Nationalsozialismus und konkret mit dem Aufbau der NSV an Bedeutung« (Abel 1998, 35). Im Nationalsozialismus hat daher auch die Arbeit in Erziehungsberatungsstellen nicht viel mit Beratung zu tun.

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