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1 Qualifikation für inklusive Kindertages- einrichtungen – Umgang mit Ambiguitäten in einer pluralen Welt Anke König Einführung

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Das Thema Inklusion in der Frühpädagogik rückt soziale Eingebundenheit und Partizipation junger Kinder ins Zentrum wissenschaftlicher und praxisbezogener Auseinandersetzung, um angemessene Bildungskonzeptionen zu entwickeln (vgl. Prengel 2014). Der Kerngedanke ist nicht neu, er ist verbunden mit der Idee einer Bildung für alle.

Erste Ansätze dazu finden sich bereits im 18. Jahrhundert bei den Philanthropen. Diese zeichnen sich nicht nur durch pädagogischen Optimismus und Menschenliebe aus, sondern sehen in Bildung und Erziehung die Ermöglichung, »ein auf praktische Lebensbewältigung ausgerichtetes, gemeinnütziges und gleichwohl individuell glückliches Leben« (Schmitt 2010, S. 120) zu führen. Eine kosmopolitische, überkonfessionelle und tolerante Erziehung war das Ziel. Bereits die Konzepte der Philanthropen sind auf den ganzen Menschen vom »pränatalen Fötus und Säugling« bis zur »Kindheit und Jugend« bezogen (vgl. ebd.).

Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird im Anschluss an die erste Bildungsreform über soziale Ungleichheit debattiert, und es kommt zur Ausdifferenzierung von integrativen und interkulturellen Programmen im Elementarbereich. Erste Bewegungen zu einer gemeinsamen Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern gehen auf den Kinderarzt Theodor Hellbrügge Ende der 1960er Jahre zurück. Für die Umsetzung seines Projekts Aktion Sonnenschein beruft er sich auf Montessori. Die Idee der gemeinsamen Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung von Anfang an beruht in dieser Zeit insbesondere auf dem sogenannten Sozialisationsansatz (vgl. Hössl 1999; Speck 1991) und der Annahme, dass aus gesellschaftlichen Zuschreibungen resultierende Vorurteile und Einstellungen den Lebensbereich des Vorschulkindes zum größten Teil noch nicht tangieren. Entsprechend wurde vorausgesetzt, dass Kinder über eine größere Unbefangenheit verfügen, mit der sie ihre eigenen Erfahrungen machen. Auch wenn solche Gedanken in der Vorschulreform der 1970er Jahre noch nahezu ausgeblendet blieben, wurden sie doch durch die Empfehlungen des Deutschen Bundesrats von 1973 unterstützt (vgl. Dichans 1990). Die Entwicklungen im Elementarbereich gingen in der Folge weit über den Modellcharakter einzelner Projekteinrichtungen hinaus, etablierten sich flächendeckend und führten Mitte der 1980er Jahren zu einem Ausbau sogenannter integrativer Einrichtungen. Seit den 2000er Jahren nimmt die internationale Bildungspolitik (UNESCO 1997) auf Grundlage der Erklärung von Jomtien über Education for All (Inter-Agency Commission 1990) verstärkt Einfluss auf den Elementarbereich und verleiht einer inklusiven Bildung Dringlichkeit, auch durch das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK 2006) im Jahr 2009.

»Inklusion wird gegenwärtig zunehmend verwendet, um sich von Verfallsformen integrativer Praxis, die mit internen Separationen innerhalb von Regeleinrichtungen einhergehen, zu distanzieren und um – über die Differenzlinie behindert/nichtbehindert hinausgehend – die Einbeziehung von pluralen Dimensionen der Heterogenität zu betonen« (Prengel 2014, S. 17).

Die Anzahl von Kindern mit Eingliederungshilfe, d. h. einer (drohenden) Behinderung in Angeboten der Kindertagesbetreuung, ist seither kontinuierlich gestiegen. 2019 besuchte fast die Hälfte der Kinder Angebote, in denen der Anteil der Kinder mit Eingliederungshilfe unter 20 % lag. Inklusive Ansätze im Elementarbereich stützen sich auf eine Diversity Education und verfolgen ein breites Inklusionsverständnis, das nicht nur Kinder mit Behinderung, sondern sämtliche Heterogenitätsdimensionen der Gesellschaft berücksichtigt, wie u. a. Migration, Sprache, Kultur, Armut oder Geschlecht (vgl. Heimlich 2013a). Inklusive Ansätze stehen daher auch in Bezug zur sogenannten interkulturellen Erziehung, die die Arbeit in Kindertageseinrichtungen seit den 1970er Jahren beeinflusst (vgl. Zimmer 2013). Dennoch bleibt zu konstatieren, dass Kinder mit Behinderungen und Kinder mit Migrationshintergrund Kindertageseinrichtungen in der Regel seltener und später besuchen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Diese Differenz ist auch darauf zurückzuführen, dass Kindertageseinrichtungen nicht universell aufgebaut sind, sondern sich am Bedarf der Eltern orientieren. Darüber hinaus finanzieren sich die Einrichtungen u. a. über Elternbeiträge.

Die Anerkennung des Elementarbereichs als Bildungsort ist in Deutschland nur halbherzig umgesetzt (vgl. König 2020b), das kommt u. a. auch im Neunten Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) zum Ausdruck. Hier werden im § 75 die Leistungen zur Teilhabe an Bildung an die Schulpflicht gekoppelt. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass der Elementarbereich international in ein inklusives Bildungssystem eingeschlossen wird (vgl. Heimlich 2013a). Die Einrichtungen sind im Vergleich zur Schule kleinräumige Organisationseinheiten. Die sozioökonomischen Verhältnisse des sozialen Umfelds spiegeln sich in der Kindertageseinrichtung unmittelbar (vgl. König 2020b), die Heterogenität der Lebensverhältnisse hingegen nur eingeschränkt (vgl. Weiß 2020). Nicht nur für junge Kinder in Armutslagen fehlt es in der öffentlichen Erziehung und Bildung (vgl. ebd.) größtenteils an Sensibilität, auch stehen Ablehnungen und Verletzungen prinzipiell noch zu selten im Fokus frühpädagogischer Auseinandersetzungen.

Der Beitrag umreißt zunächst das Inklusionsverständnis einer Frühpädagogik der Vielfalt (vgl. König & Heimlich 2020). Daran anschließend wird auf die Qualifikation und das Ausbildungssystem eingegangen. Schließlich werden anhand von Gruppeninterviews Dissonanzen bei der Umsetzung inklusiver Bildung und Erziehung in der Praxis offengelegt. Die Entwicklungslinien und die Studienergebnisse werden kritisch diskutiert. Das Fazit hebt die Implikationen für Ausbildung und Qualifizierung hervor.

Inklusion und Qualifikation

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