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„Föhr, Insel des Lächelns” – Lorenz-Peter Andresen

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Eigentlich wollte ich ja meine Chinareise vom letzten Jahr fortsetzen, bis man mir erzählte, Asien läge eigentlich direkt vor meiner Tür, und zwar mitten in der Nordsee.

Zu dieser Auffassung waren zwei meiner Freunde gekommen, die auf der Insel Föhr ihre Zelte für eine Woche aufgeschlagen hatten. Sie verbrachten dort scheinbar recht seltsame, aber auch sehr amüsante Tage. Ich wollte den Vermutungen der beiden auf den Grund gehen und buchte kurzentschlossen drei Tage Inselfeeling im „friesischen China”.

Schon bei der Überfahrt, wie von meinen Kumpels bereits vorhergesagt, bemerkte ich, dass etwas sehr ungewöhnlich war. Auf der Fähre „Uthlande” hatte ich das Gefühl, auf einem Luxusliner gelandet zu sein mit großen Panoramafenstern, Liegestühlen davor und freier Sicht auf die See.

Was hatten Fred und Jochen da so alles behauptet? Viele der Alteingesessenen sprächen nur „außerfriesisch”, oder meinten sie vielleicht, sie sprächen nichts anderes außer „friesisch”? Vielleicht hatten die beiden aber auch nur nicht genau hingehört und es handelte sich hierbei um einen noch unbekannten altchinesischen Dialekt? Ich nenne ihn als Entdecker schon mal im Vorwege „Föhrdarin“ oder „Mandafriesisch“. Und in dem kleinen Dorf Alkersum gäbe es „Eisenbesohlte mit tragenden Eigenschaften“. Aber noch ein viel größeres Geheimnis verbarg sich wohl tief verborgen im Inneren dieser kleinen Gemeinde. Meine Hoffnung stieg, dort vielleicht einen versteckten Ableger des chinesischen Kaiserpalastes zu finden.

Die nächste der unbeantworteten Fragen war: Warum lächeln hier eigentlich ständig alle Insulaner und was bedeutet das mir noch unbekannte „Insel Jing & Jang”? Wieso gibt es hier einen großen Drogenreichtum, der auf der Insel in all seinen Variationen offen an den Mann und vor allem an die Frau gebracht wird? Hat damit auch der sagenumwobene friesische Deichgraf etwas zu tun, oder ist es vielleicht ein chinesischer Deichkaiser? Ich musste in meiner Ahnungslosigkeit zugeben, dass mir doch ein wenig mulmig wurde, in einem Vorort von Shanghai zu landen, im Land des Lächelns mit seinen asiatischen Lebensweisheiten und den berühmt berüchtigten Opiumhöhlen.

Dann konnte ich aus meinem Panoramafenster auch noch deutlich die scheinbar harmlosen Halligen in Reih und Glied am Horizont erkennen. Ich spürte plötzlich Angstschweiß auf meiner Stirn. Diese Miniinselkette sah für mich ganz eindeutig aus wie die extreme Verlängerung der chinesischen Mauer mit ihren Wachttürmen. Hatte sich die ostasiatische Grenze etwa unbemerkt so weit in unseren hohen Norden verschoben?

Kurz bevor wir im Hafen von Wyk anlegten, erhielt ich dann meinen ersten echten Kulturschock. Nur wenige Meter von der Fähre entfernt konnte ich einen alten Kutter entdecken, der mich doch wirklich sehr an eine umgebaute Dschunke erinnerte. Neben seinen wohl nur zur Tarnung aufgehängten Fischernetzen beherbergte er auch noch etwas ganz Unerwartetes an Deck, nämlich jede Menge Flüchtlinge. Es mussten mindestens zwei Dutzend dieser armen Menschen gewesen sein, die sich an Deck drängelten und in ihrer Not heftig zu uns herüberwinkten. Auch deren große Sonnenhüte erinnerten mich sehr an die der chinesischen Bauern auf den Reisfeldern. Später wollte man mir tatsächlich weismachen, es handelte sich dabei lediglich um Ausflügler, die das Treiben der hiesigen Unterwasserwelt erkunden wollten und uns freundlich gesinnt einen schönen Tag gewünscht hätten. Überzeugt war ich davon jedenfalls nicht.

Übrigens, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben, dann müssen Sie sich die neuen Fähren „Uthlande” und „Schleswig-Holstein” unbedingt einmal ganz genau vom Strand aus anschauen, wenn sie fahren. Dann sehen die beiden fast so aus, als ob dicke Wollkrabben (übrigens eine Leibspeise der Asiaten) seitlich übers Watt laufen. Doch zurück zu meinem eigentlichen Problem.

Auch die Menschenmassen, die Föhr nach unserem Anlegen geradezu fluchtartig und mit traurigen Gesichtern wieder verließen, machten mir Angst. Na, wenn das keine Flüchtlinge waren, wer denn dann? Irgendetwas Eigenartiges musste sie ja schließlich von hier vertrieben haben. Allerdings konnte ich keine Zeichen der chinesischen Triaden am Fähranleger oder am Eingang zur Stadt finden. Auch hier wollte man mir weismachen, dass es sich lediglich um Menschen handeln würde, die ihren Urlaub beendet hatten. Ich wollte das Abenteuer auf jeden Fall bestehen und nicht als Hasenfuß zu Fred und Jochen zurückkehren. So betrat ich schließlich mit wackeligen Füßen diese fremdartige Insel.

Natürlich hatte ich mich reichlich mit allem möglichen Infomaterial eingedeckt und wagte zu behaupten, hier schon jetzt nahezu jeden Stein und jede Muschel zu kennen. Doch weit gefehlt. Kennenlernen muss man das Eiland, das auch schon die Piraten gern heimsuchten, wohl direkt vor Ort, um es zumindest teilweise zu verstehen.

Auf dem Programm für mich stand jedenfalls eine Inselrundfahrt wie auch der Besuch der Seehundsbänke und anderer Sehenswürdigkeiten. Wieder musste ich meinen Freunden Recht geben. Die Seehunde, wie auch die allgegenwärtigen Schafe hier, schienen genauso wie die Einheimischen ein ständiges Lächeln auf den Lippen zu tragen. Einen Grund hierfür sah ich im bereits erwähnten übermäßigen Genuss von Drogen, … die ich allerdings noch nicht gefunden hatte. Doch das sollte sich bald ändern.

Auf einer Landkarte erkannte ich schnell das besagte „Insel Jing & Jang”, denn Föhr teilt sich wirklich in zwei Gebiete auf. Einmal in die mit und in die mit ohne Deich. Einmal in die mit und in die mit ohne Menschen … oder Schafe, Kühe, Strand, Seehunde usw.

In der Mitte der Insel macht sie tatsächlich diesen komischen Schlenker, den man durchaus und mit etwas Fantasie als Trennungslinie zwischen Schwarz und Weiß, Menschen und Schafen und all dem anderen erkennen konnte. Auf der Strecke habe ich sogar einen von den beiden Punkten, ich glaube den von Jing (oder war es doch der von Jang?), entdeckt. Die Lembecksburg oder -warft oder so.

Betrachtet man diese Anhäufung von Erde und Gras zu einem großen Kreis allerdings etwas genauer, könnte es durchaus auch ein Ufo-Landeplatz gewesen sein. Ich denke dabei an die unheimlichen Reisfeldkreise, die ich schon in China vergeblich erforscht habe. Und so ist es vielleicht doch nicht, wie bescheidenerweise beschrieben, nur ein ehemaliger Zufluchtsort der Inselbewohner vor Störtebeker und seinen Spießgesellen. Trotz der Ungewissheit war ich von diesem Ringwall schwer beeindruckt. Plötzlich meinte ich Störtebeker rufen zu hören: „Rum oder Leben!“, bis ich hinter mir einen vor Wut schnaubenden riesigen Bullen entdeckte, der bereits mit seinen Hufen scharrte. Er erinnerte mich sofort an einen feuerspeienden chinesischen Neujahrsdrachen. Da gab es für mich nur noch eines: „Scheiß auf den Rum und ab durch die Mitte!”

Mitte – da war doch auch noch was?

Weiter auf der Rundfahrt vorbei an einigen anderen kleinen Ortschaften kommt wohl keiner um den Ankerplatz des kleinen Dorfes Nieblum herum, wo auch bekannterweise der Drogenkonsum und dessen Verkauf in ungeahnter Höhe betrieben wird. Weltweit werden von hier aus kleine Pakete verschickt, ohne dass dem verbotenen Treiben Einhalt geboten würde. Kein Inselpolizist war weit und breit zu sehen. Vielleicht hatten die ja gerade wieder einmal mit illegalem Schafhandel zu tun. Ich schätze außerdem, dass das Gebiet vollständig in den Händen der Inselmafia ist. Noch während sich meine Nackenhaare aufstellten, konnte ich bereits die erste Opiumhöhle geruchsmäßig entdecken. In diesem Falle gut getarnt als Teekontor. Innen wurde ich fast erschlagen von den wunderbarsten und herrlichsten Düften aus aller Welt. Ich spürte bereits nach wenigen Minuten die ersten typischen Anzeichen für einen Drogenrausch. Meine Sinne vernebelten sich, als ich von der natürlich ebenfalls dauerlächelnden Verkäuferin eine Sorte nach der anderen zum Berauschen vor die Nase gesetzt bekam. Dann flößte man mir das Zeug auch noch aufgelöst in heißem Wasser ein. Irgendwelche süßlichen braunen Würfelstücke machten mich zusätzlich recht benommen. Alles in allem ebenfalls eindeutig ein Indiz dafür, dass meine Freunde schon wieder recht behalten haben. In jedem der zahlreichen schönen Ortschaften gab es solche Schlürfoasen, allesamt getarnt als kleine, schnuckelige Cafés. Wer hier nicht süchtig wurde, der war wohl resistent dagegen.

Nachdem ich mich, natürlich beim Asiaten, mit Reis und knuspriger Ente gestärkt hatte, führte mich meine Tour auf ganz andere Wege. Ich war einem der größten deutschen Rätsel auf der Spur und landete hierbei im bereits erwähnten Alkersum, einer eher beschaulichen Gemeinde im Herzen dieses sonderbaren Fleckens in der Nordsee. Hier gibt es, wie bereits scherzhaft von meinen beiden Freunden erwähnt, so einige „Eisenbesohlte mit tragenden Eigenschaften“, womit Fred und Jochen natürlich einen Teil der Alkersumer Bevölkerung meinten, nämlich deren Pferde. Ein wirklich lächerliches Rätsel, wobei das zweite wahrlich viel interessanter und weitaus schwieriger zu lösen war. Alkersum hat nämlich ein wunderbares Museum mit unendlich vielen tollen Bildern von allen möglichen bekannten Künstlern wie Emil Nolde usw. (zugegeben, die restlichen kannte ich allesamt nicht). War Nolde nicht auch einmal in Asien gewesen?

Wie mir meine Bekannten verraten hatten, wähnten sie dort ebenfalls noch einen großen Geheimraum, der bestens für das seit Jahrzehnten verschwundene Bernsteinzimmer geeignet wäre. Schließlich passen Bernstein und Nordsee ja wunderbar zusammen, oder? Und wer würde schon in einem Inseldorf wie Alkersum danach suchen? Ich bin mir gar nicht mal so sicher, dass die Chinesen nicht auch hierbei ihre Finger im Spiel haben! Schließlich lieben sie diesen geheimnisvollen, brennbaren Stein und benutzen ihn bestimmt zum Anzünden ihrer Opiumpfeifen!

Während meiner kurzen Zeit auf der Insel habe ich noch viele Ungereimtheiten gesehen: Menschen, die nicht nur im Watt herumliefen, sondern bei Utersum im Schlick auch noch Golf spielten. Oder Muscheln sammelten im Regen. Die gibt es schließlich in jedem Souvenirladen auf der Insel in kleinen Netzen. Bei der Gelegenheit bin ich gleich in Utersum geblieben und verstand am Abend, warum Föhr neben „friesischem China“ auch noch die „friesische Karibik” genannt wird. Denn der Tag endete mit einem gewaltigen Sonnenuntergang vor prachtvoller Kulisse, nämlich den Schwesterinseln Amrum und Sylt. Apropos Sylt, sieht diese Insel nicht ein wenig wie Japan aus?

Ich glaube, ich muss wohl doch noch einmal hierher zurückkehren, denn zu vieles blieb ungeklärt auf Föhr, der Insel des Lächelns.

Nordlichter erzählen - Band II

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