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Dogdancing

Dogdancing einmal anders: Wer tanzt mit wem?

Anke Höhl-Kayser

Begrüßungs-Cha-Cha-Cha

Stellen Sie sich vor: Sie gehen durch die Straßen einer Großstadt und sehen in einiger Entfernung eine Frau in mittleren Jahren, die einen weißschwarzen, langfelligen Hund an der Leine führt. Der Hund ist ein Landseer, nur unwesentlich kleiner als diese Frau, und mit Sicherheit etliche Kilogramm schwerer.

Sie kommen näher. Der Hund guckt wie ein Kuschelbär, der dringend mal gedrückt werden muss, seine Augen sind konzentriert auf Sie gerichtet, er beginnt schon elegant die Rute hin- und herzuschwingen, als Sie noch fünfzig Meter entfernt sind. Die Frau verkrampft daraufhin, sie fasst dem Hund ins Geschirr und macht noch ein paar Stolperschritte. Ihre Augen sind auch auf Sie gerichtet, mit leicht panischem Ausdruck.

Sie kommen noch näher. Der Hund macht einen eleganten Sprung, er steht nun vor seinem Frauchen. Die Leine ist straff gespannt. Die Frau steht auf den Hacken, leicht hintenüber gebeugt. Sie wirkt wild entschlossen. Der Hund auch.

Sie sind bei beiden angekommen. Die Frau ruft: „Nein!“ und zerrt an der Leine. Der Hund tänzelt elegant auf Sie zu, als ob es ein anderes Ende dieser Leine gar nicht gäbe, streckt Ihnen die Schnauze entgegen, wedelt ekstatisch. Zum Glück sind Sie ein Hundefreund oder eine Hundefreundin! Die Frau versucht zu verhindern, dass er Sie ansabbert, aber er tanzt um Sie herum, ohne seine Besitzerin und die Leine weiter zu beachten. Die Hundehalterin folgt dabei jedem seiner Schritte, seitwärts, seitwärts, seitwärts: ein unfreiwilliger Cha-Cha-Cha. Dogdancing, schießt es Ihnen durch den Kopf. Das ist doch diese Hundesportart, bei der der Hund mit Herrchen oder Frauchen zu Musik eine Choreografie vorführt. Aber das hier sieht nicht sehr synchron aus. Wer tanzt wohl mit wem? Der große weißschwarze Hund freut sich wahnsinnig, dass Sie ihn streicheln, und wickelt Sie in die Leine. Sein Hecheln klingt eindeutig: Tanz mit, den Cha-Cha-Cha. Die Frau hat inzwischen einen hochroten Kopf und Schweißperlen auf der Stirn, während sie mit in den Boden gestemmten Schuhsohlen versucht, den Hund zurückzuziehen. „Aber das macht doch gar nichts“, sagen Sie und entlocken ihr damit ein Lächeln.

Konnten Sie sich in diese Szene hineinversetzen? Schön! Dann kennen Sie jetzt Moritz, den Landseer. Er ist ein im wahrsten Sinne des Wortes hundsmiserabler Tänzer und trifft bei jedem Schritt die Zehen. Übrigens: Die Frau am Ende der Leine, die so aussieht, als hätte sie ihre Tanzstundenzeit lange hinter sich – die bin ich.

Tango Katastrophale

Moritz ist eine Naturgewalt. Oder eine Naturkatastrophe. Ein Jahr alt, 72 Kilogramm schwer, ein Meter Stockmaß. Weiß mit vielen schwarzen Flecken. Stellen Sie sich einfach eine Friesenkuh vor. Das kommt in etwa von der Größe her hin, und tanzen können Kühe auch nicht. Er hat eine charmante Art mit Menschen. Oder das, was er persönlich dafür hält. Und er ist ein uneingeschränkter Bewunderer weiblicher Schönheit.

Leider schätzen nicht alle Menschen seinen Tangotänzercharme. Die Joggerin zum Beispiel, der er im Vorbeigehen mit der langen rosa Zunge einmal zärtlich über die rechte Pobacke gefahren ist, schätzte ihn definitiv nicht.

Polonaise

Auch das Menuett ist ein Gruppentanz, aber es wird viel zu organisiert und ordentlich getanzt. Nein, Moritz mag lieber das, was nach allgemeinem Chaos aussieht: die Polonaise. Bei ihm sind das Tänzchen mit anderen Hundebesitzern und ihren Vierbeinern.

„Das ist ein aggressives Verhalten“, belehrte mich die Frau mit dem Jack-Russel-Terrier, als Moritz sich beim Anblick des Hundekumpels platt auf den Bauch legte, um danach schlagartig wie ein Harlekin aus der Box hochzuspringen. Ich weiß nicht genau, wer nun wirklich aggressiv war, denn der auf diese Weise erschreckte Jack-Russel-Terrier hing Sekunden später knurrend in Moritz’ rechtem Ohr. Moritz schaute etwas verwundert. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. An dem Harlekin-aus-der-Box-Verhalten arbeite ich noch. Ich möchte ja nicht, dass irgendwann mal ein Chihuahua mit Herzversagen am Wegesrand liegen bleibt.

Andere Besitzer kleiner Hunde gehen die Sache offensiv an: „Meine mag keine großen Hunde, sie schnappt“, rief mir der nette Herr schon von Weitem zu. Er blieb mit seiner Rehpinscherhündin mittig auf dem Weg stehen. „Gehen Sie doch bitte einfach an uns vorbei.“ Aha, einfach dran vorbei. Versuchen Sie mal, einen Landseer zur Seite zu schieben. Sie können alternativ auch versuchen, Berge zu versetzen. Auf meine Frage, warum ich denn mit meinem Schwertransport an seinem Kleinwagen (um ein Beispiel aus der Automobilwelt zu bemühen) vorbeimanövrieren müsse, antwortete er mir: „Wenn sie nicht will, geht sie halt nicht weiter.“

Treppen-Zitter-Jitterbug

Wie spielt ein Landseer? Indem er Hindernisse aus dem Weg räumt. Nicht Rudolf Nurejews Schweben, nein, Panzerkreuzer Potemkin, unterwegs im heimischen Wohnzimmer. Das bedeutet: Stühle fallen um, wenn sie im Weg stehen, ebenso wie Menschen. Und weil Menschen beim Umfallen viel lustigere Geräusche als Stühle machen, hat Moritz einen Lieblingstanz entwickelt: den Treppen-Zitter-Jitterbug. Der Tanz hat zwei Varianten. Die erste ist die harmlose Leinenvariante: Anlauf nehmen, Leine straff spannen, die letzten sechs Treppenstufen springen und das Wunder der Schwerkraft bestaunen. Die zweite Tanzvariante hat es in sich, sie ist die mit dem lateinamerikanischen Körperkontakt. Dazu umfasst Moritz mit der linken Pfote das Bein des auf der Treppe stehenden Opfers (im Notfall darf es auch die Oma sein) und zieht, während er mit dem Kopf in die Kniekehle drückt. Im Paartanz gäbe die Eleganz dieser Figur mit Sicherheit eine Zehn. Wenn der Partner es denn schaffen sollte, dabei stehen zu bleiben.

Sabber-Charleston

Einer der schnellsten Gesellschaftstänze ist der Charleston. Und Moritz hat ihn perfektioniert: immer dann, sobald Süßigkeiten ins Spiel kommen. Salami lässt ihn kalt. Aber wenn jemand eine Tafel Schokolade aufreißt, dann fängt er an zu zittern und zu zucken. Der Kopf ruckt auf und ab (es könnte ja was runterfallen, dann muss die Schnauze immer in der passenden Höhe sein), die Pfoten tanzen, mal rechts, mal links. Die Rute wedelt voller Vorfreude. Die Sabberfäden um sein Maul werden immer länger.

Die größte Versuchung ist Sahne aus der Sprühflasche. Wenn das typische Sprühgeräusch ertönt, sabbert er so, dass man damit die Sahelzone bewässern könnte. Und wenn ein Familienmitglied dann einen Löffel aus dem Schrank holt und etwas Sahne darauf spritzt, gerät er völlig aus dem Häuschen und tanzt seinen ganz persönlichen Sahne-Charleston: Er macht Sitz, er gibt Pfote, er macht Platz und schleckert währenddessen hektisch mit der Zunge, damit ihm nur ja von dieser Köstlichkeit nicht das kleinste Häppchen verloren geht.

Solo für Frauchen

Nicht alle Tänze mache ich mit Moritz gemeinsam. Ich habe auch meine Solo-Einlagen. Wenn ich mit ihm spazieren gehe, wenn wir mit ihm Freunde besuchen oder Gäste haben, verfalle ich sehr schnell in den verbalen Moritz-Walzer. Immer im Dreivierteltakt! Achten Sie auf den Refrain.

„Er hat dir bei der Begrüßung das gute Kaffeeservice vom Tisch gewedelt, obwohl du alles schon in die Mitte gestellt hast? – Tut mir leid.“

„Er hat den Grill umgeworfen und alle Würstchen einmal angeleckt? – Tut mir leid.“

„Er hat in eurem Gartenteich gebadet, nun sind Wasser und alle Fische draußen und nur der Hund ist noch drin? – Tut mir leid.“

„Er steht auf Ihrem kleinen Hund? – Das tut mir wirklich sehr, sehr leid, würden Sie mir nur rasch sagen, mit welcher Pfote?“


Abschlussball

Irgendwie hat mich Moritz schon intensiv auf seinen Rhythmus eingestimmt. Ich mag Leute, die ihn mögen. Es gibt wirklich nette Menschen, solche mit Hunden (auch mit kleinen Hunden) und solche ohne Hunde, die vor Freude juchzen, wenn sie seiner ansichtig werden und uns mit den Worten begrüßen: „Was für ein wunderbarer Bär! Darf ich den mal streicheln?“

Und der schönste Satz, den mir jemand im Hinblick auf Moritz sagen kann, ist folgender, geäußert mit fröhlichem Gesicht während des Begrüßungs-Cha-Chas – und damit sind wir wieder am Anfang! Sie erinnern sich: dieser Satz, als Sie Moritz und mir begegnet sind und Sie sagten: „Aber das macht doch gar nichts!“

Dann brauche ich keinen Moritz-Walzer mehr, keinen Samba und keinen Cha-Cha-Cha. Dann lasse ich die Leine locker, Sie dürfen ihn ausgiebig streicheln, er freut sich über Sie, Sie freuen sich über ihn, und ich freue mich von Herzen, einen so freundlichen großen Hund zu haben. Und achten Sie mal drauf, wenn wir dann weitergehen, Moritz und ich: Die nächsten Schritte sind ganz und gar im Takt. Fast wie beim richtigen Dogdancing.

HUNDE JA-HR-BUCH VIER

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