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Fliegende Hunde Heinz Bohn

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Heiß, unerträglich heiß und drückend ist es. Seit gut zweieinhalb Stunden hänge ich in diesem Stau. Ich bin auf dem Heimweg von meiner Ausbildungsstaffel, auf der Autobahn Richtung Norden, zwischen Münster und Osnabrück. Trotz heruntergekurbelter Seitenscheiben ist es in meinem alten Daimler kaum noch auszuhalten. In der letzten Stunde bin ich gerade mal hundert Meter gefahren. Auf der Rückbank hechelt Arry, mein zwei Jahre alter Deutscher Schäferhund, gequält vor sich hin. Ein langer und harter Tag liegt hinter uns: Heute Morgen mussten wir dreihundert Kilometer von zu Hause zu unserer Ausbildungsstaffel in ein anderes Bundesland fahren, dann von neun Uhr bis zum Mittag ein „Intensiv-Training“ absolvieren, wie Max, unser Ausbilder, die schweißtreibenden Übungen nennt. Diese bestanden aus einigen Anzeigen des Hundes an einer Betonröhre – dabei muss der Hund seinen Fund verbellen –, dann sollte er das Gleiche sechs– bis achtmal hintereinander an einer freiliegenden Person ausführen, damit er den Ablauf „im Schlaf“ kann.* Danach ging es auf die Trainingsgeräte: Wippe, Rollen oder Fassbrücke, Zweimetergerüst, Kriechtunnel, Leiter waagerecht, Leiter senkrecht, Hängebrücke – all das musste bewältigt werden. Ich drehe mich kurz zu meinem Hund um und sage mehr für mich als zu ihm:

Es ist ein wunderschöner Samstag mitten im Juni und ich kann mir etwas Leichteres vorstellen. Zum Beispiel sehne mich nach einer angenehmen kühlen Dusche oder danach, an einem schattigen Plätzchen in unserem Garten im Liegestuhl zu liegen mit einem schönen kühlen Bier in der Hand. Arry träumt bestimmt von einem Baum und natürlich auch von einer Schüssel, gefüllt mit klarem, kühlen Wasser.

Himmel, Arm und Zwirn! Dieser dunkelblaue BMW da vorn versucht nun schon zum dritten Mal, seine Spur zu wechseln. Sicher glaubt er, dass er dann schneller vorankommt, denke ich. Immer wieder müssen die Fahrer hinter ihm Platz machen und vielleicht sogar bremsen, gewinnen kann man damit sowieso nichts. Es werden nur alle anderen Verkehrsteilnehmer nervöser bei dieser Hitze. Arry brummelt, über mein plötzliches Schimpfen unzufrieden, vor sich hin. „Ja ja, ich bin schon ruhig und schimpfe nicht mehr. Du kannst ja nichts dafür!“, sage ich zu ihm. Und ich überlege mir, dass ich vielleicht an der nächsten Raststelle zu Hause anrufen sollte. Meine Familie machte sich bestimmt unnötig Sorgen und wartete mit dem Abendessen auf mich. Weit vor mir kommt plötzlich Bewegung in diese Blechlawine hinein. In einer lang gestreckten Rechtskurve, wo in der flimmernden heißen Luft die weiß und rot gekennzeichnete Hochspannungsleitung die Autobahn kreuzt, bewegen sich die Fahrzeuge etwas schneller. Kaum merklich klettert die Tachonadel höher. Zwanzig, vierzig … Ich kurbele die Seitenscheiben hoch, damit Arry auf der Rückbank keine entzündeten Augen bekommt. Achtzig, hundert. Der Lüfter, den ich wieder angeschaltet habe, bringt endlich kühle Fahrtluft in das Wageninnere. Der Verkehr rollt, als ob es nie einen Stau gegeben hätte. Meine Tachonadel zeigt jetzt einhundertunddreißig Stundenkilometer an. Das ist meine Reisegeschwindigkeit, denn schneller zu fahren würde nur zusätzlichen Stress bedeuten. Morgen ist Sonntag und ich werde mit meinen Kindern ins Freibad gehen, wenn das Wetter so bleibt, am Nachmittag wollen wir dann gemeinsam im Garten hinter unserem Haus gemütlich grillen. Arry bekommt dann bestimmt wieder die „Reste“. Noch eintausendfünfhundert Meter sind es bis zur nächsten Raststelle, zeigt mir ein blaues Autobahnschild an. „Ich werde hier kurz anhalten und telefonieren, du bekommst dann auch deine Schüssel Wasser!“, sage ich zu Arry.

Als ich auf den Parkplatz der Raststelle zurolle, sehe ich fünfzehn bis zwanzig Reisebusse dort stehen. Langsam fahre ich an den Telefonzellen vorbei. Hier ist es auch brechend voll, fast in Dreierreihen stehen die Leute davor. Ich beschließe, zur nächsten Raststelle weiterzufahren. Arry dreht sich seufzend zur Seite. „Keine Angst, ich vergesse dich schon nicht. Aber sag doch mal ehrlich:

Hast du Lust, zwischen all den schwitzenden Menschen deinen Wassernapf leer zu trinken?“ Arry hebt noch nicht einmal seine Augenlider und harrt ergeben der Dinge, die da noch kommen. Arry ist ein toller Hund. Er hat ein ausgesprochen gutes Sozialverhalten seinen Artgenossen gegenüber. Auch mit den anderen Rüden in unserer Ausbildungsstaffel hat er keine Probleme. Arry ist schon vom Welpenalter an bei mir und ich hatte früh erkannt, dass er sehr neugierig, unerschrocken und nervenfest ist. Das sind alles Eigenschaften, die einen guten Rettungshund auszeichnen. Er hat eine gute Auffassungsgabe und lernt die ihm gestellten Aufgaben schnell. Auch das Suchen, also die Arbeit mit der Nase, macht ihm zunehmend richtig Spaß.

Von der Ausfahrt der Raststelle komme ich gut wieder in den fließenden Verkehr hinein. Nach kurzer Fahrtzeit finde ich einen kleinen Parkplatz, allerdings ohne Telefonzelle und Toilette. Hier ist alles ruhig, keine Menschenseele ist weit und breit zu sehen. Den Wagen abstellen, den Gurt lösen, die Fahrertür und die Hintertür öffnen – das geschieht in Sekundenschnelle. Wir beide, Arry und ich, stürzen auf die nächsten Bäume zu und mit einem erlösenden Schnaufen werden diese „gedüngt“!

Über mir am herrlich blauen Himmel ziehen von Südosten her Schönwetterwolken auf. Als ich mich wieder umdrehe, sitzt Arry erwartungsvoll neben dem Auto. Aus der Kühlbox im Kofferraum nehme ich den Wasserkanister, die Wasserschüssel stelle ich auf den Asphalt und warte geduldig, bis der Hund mit dem Trinken fertig ist. Mein kleines Einsatzgepäck und eine Flasche Mineralwasser hole ich auch noch aus dem Auto heraus. Für einen Rettungshundeführer ist es wichtig, dass er sein Einsatzgepäck immer griffbereit und in Ordnung hat. Er enthält neben dem Erste-Hilfe-Material noch einen Schreibblock, einen Bleistift, einen Kompass, einen faltbaren Trinknapf für den Hund, eine Trillerpfeife, einen Leuchtstab, Ersatzbatterien für die Taschenlampe, Traubenzucker und vielleicht noch etwas zum Knabbern.

Zwischen den Büschen ist etwas Schatten und auch der Rasen scheint sauber zu sein, Arry folgt mir dorthin. Meistens sind solche Parkplätze richtige Müllhalden. Hier jedoch liegen weder Müll noch Flaschenscherben herum. Der Hund legt sich ins Gras und ich setze mich neben ihn. Nach dem ersten Schluck aus der Flasche fühle ich mich frischer, obwohl die Flüssigkeit nicht gerade eiskalt ist. Aus dem Einsatzgepäck nehme ich mir die beiden Schokonussriegel und lege mich ebenfalls ins Gras, wobei ich das Proviantpaket als Kopfkissen benutze. Genüsslich esse ich die Schokolade und es tut richtig gut, nach der langen Fahrt die Beine auszustrecken. Über mir ziehen die Schäfchenwolken dahin. Ich denke gerade daran, wie ich mit der Rettungshundearbeit begonnen habe, als Arry neben mir lauthals zu schnarchen anfängt. Der Auslöser war ein Artikel in einer Hundezeitschrift. Die Überschrift lautete „Fliegende Hunde“ oder so ähnlich. Der Artikel beschrieb die Ausbildung von Rettungshunden und ich las unter anderem, dass sie auch flugtauglich sein müssen, um schnell zur Einsatzstelle gebracht werden zu können. Irgendwann einmal während eines Ausbildungstages habe ich mit Max über dieses Thema diskutiert. „Das Fliegen selber ist eigentlich nicht das Schlimmste für den Hund, ist es wie Autofahren. Nur das Ein– und Aussteigen ist das Problem!“, erklärte mir Max damals.

Neben mir im Gras beginnt eine Grille mit ihrem Abendlied. Von der Asphaltpiste der Autobahn ertönt monoton das Rauschen der vorbeifahrenden Autos. Wenn man etwas Fantasie hat, kann man in den Wolken, die immer noch über mir vorbeiziehen, Formen, Gebilde oder sogar Tiere erkennen. Gerade erkenne ich ein Huhn, da drüben sogar einen Schwan oder eine Katze und einen Hund. Einen fliegenden Hund sogar, ja richtig, dort ist ein fliegender Hund und hinter diesem folgen noch viele andere. In breiter Suchkette schwärmen sie über den blauen Himmel, von Westen nach Osten: fliegende Hunde im Flächeneinsatz, so weit das Auge reicht. Zeitweilig kann ich sogar ihr aufgeregtes Hecheln und Jaulen hören. Bestimmt sind sie auf der Suche nach einem Menschen, der sich in Not befindet. Aber komisch, ich sehe nirgendwo einen der Hundeführer. Urplötzlich höre ich dann den Standlaut, mit dem der Hund anzeigt, dass er den Vermissten gefunden hat. Aber wo denn nur? Immer noch ist keiner der Rettungshundeführer zu sehen. Die endlos lange Suchkette der fliegenden Hunde ist zum Stehen gekommen. Der Hund bellt immer noch, aber nicht freudig erregt, sondern böse und aggressiv. Das allerdings kenne ich überhaupt nicht von einem Rettungshund. Rettungshunde werden grundsätzlich menschenfreundlich erzogen und ausgebildet! Doch jetzt höre ich auch den Hundeführer sprechen: „Hallo, hallo Sie da, sind Sie in Ordnung, fühlen Sie sich gut?“

Von einer Sekunde auf die andere werde ich wach und richte mich, noch etwas benommen, auf.

Sofort erkenne ich die Situation, in der ich mich befinde, die Realität hat mich wieder. Etwa zwei Meter von mir entfernt steht Arry und bellt herausfordernd, als wollte er sagen: „Komm bloß nicht näher, ich warne dich, mein Herrchen macht gerade Siesta und möchte nicht gestört werden!“ Drei bis vier Meter hinter dem Hund steht ein Herr in einer khakifarbenen Uniform und mit einer weißen Mütze auf dem Kopf sowie einem Revolver am Gürtel. Es ist ein Beamter von der Autobahnpolizei, sein Kollege befindet sich neben dem Streifenwagen auf dem Parkplatz vor meinem Auto. Ich rufe Arry: „Aus und Platz!“ Arry legt sich sofort auf der Stelle hin und ist ruhig. Ich stehe, immer noch leicht benommen, auf und gehe an meinem Hund vorbei zu dem Polizisten. „Guten Abend!“, sagt dieser freundlich zu mir, „wir haben von einem Autofahrer einen Anruf bekommen, dass hier auf dem Parkplatz ein Mitarbeiter des ADAC verletzt liegen soll. Der Anrufer sagte, er hätte ihn an seinem orangefarbenen Overall erkannt!“

Jetzt muss ich lachen. Ich erkläre den beiden Beamten, dass ich Rettungshundeführer und dieser orangefarbene Overall meine Dienstbekleidung sei. Ich würde mich auf dem Heimweg befinden und hier nur eine kurze Rast machen. Außerdem zeige ich noch meinen Personalausweis vor. Sichtlich beruhigt lassen sich die beiden Beamten von mir etwas über die Rettungshundearbeit erzählen. „Interessant“, meint der, der mich zuerst angesprochen hat, „und das machen Sie alles in Ihrer Freizeit?“ „Ja“, erwidere ich, „meistens am Wochenende, bloß heute war es ganz schön nervig auf der Autobahn und deshalb habe ich hier eine Pause gemacht.“ „OK“, meint nun der andere Polizist, der beim Fahrzeug geblieben war, „hier ist alles in Ordnung, wir wünschen noch eine angenehme Weiterfahrt und ein schönes Wochenende!“ Ich bedanke mich bei den beiden und schaue ihnen hinterher, während sie den Parkplatz verlassen.

Als die beiden fort sind, drehe mich zu meinem Hund um, der die ganze Zeit brav im Platz liegen geblieben ist. Ich knie mich hin, nehme seinen Kopf in beide Hände und schaue ihm in die bernsteinfarbenen Augen. „Danke, dass du mich wach gemacht hast. Brav war das, es hätte ja auch jemand anderes sein können!“ Mein Einsatzgepäck hebe ich auf und gehe zu meinem Auto zurück.

Dort nehme ich noch einen langen Schluck aus der Mineralwasserflasche, während der Hund den erneut gefüllten Wassernapf leer macht. Kurze Zeit später rolle ich wieder mit meiner Reisegeschwindigkeit von einhundertdreißig Stundenkilometern über die immer noch heiße Asphaltbahn Richtung Norden. Arry hat sich wieder auf der Rückbank zusammengerollt. Es sind noch etwa zweihundert Kilometer bis nach Hause. Der kurze Schlaf hat mich wieder einigermaßen fit gemacht. Bei der nächsten Raststelle werde ich zu Hause anrufen, damit meine Familie weiß, wo ich mich im Augenblick befinde. Vor mir sehe ich das endlose Band der Autobahn, schnurgerade, und am Horizont den blauen Himmel mit den Schönwetterwolken. Ich lächele den Schäfchenwolken oder den „fliegenden Hunden“ zu.

Diese Geschichte ist mir wirklich passiert. Damals gab es in meinem Bundesland noch keine Rettungshunde. So fuhr ich fast drei Jahre regelmäßig jeden Monat sechshundert Kilometer bis zu meiner Ausbildungsstaffel! Arry war der erste Rettungshund in Niedersachsen. Er wurde am 3. Juni 1984 nach den Richtlinien des Bundesverbandes für Rettungshunde geprüft.

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