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Der elektrische Hund Kerstin Brose
ОглавлениеMeine fünfjährige Tochter Julia kam zu mir in die Küche. Mit kindlicher Sorgfalt legte sie zwei ihrer Barbiepuppen auf unseren runden Küchentisch und schob sich danach auf den Stuhl, was nicht ganz unkompliziert ist, wenn man noch ein Barbiepferd und eine kleine Haarbürste bei sich hat. Daraufhin begann sie liebevoll, die Mähne und den Schweif des stolzen Plastiktieres zu kämmen.
Ich stand am Herd und kochte, während sie mir Gesellschaft leistete, und miteinander redeten wir über dies und jenes. Plötzlich hörte ich ihre bittenden Worte: „Du, Mami, ich möchte einen kleinen Hund haben, den ich dann auch so bürsten und pflegen kann. Solch einen gaaanz Kleinen, mit dem ich auch alleine spazieren gehen darf.“
„Meinst du solch einen Spielzeughund mit Batterie?“
„Keinen elektrischen Hund, Mama!“, kam es aus tiefster Seele zurück. „Ich meine einen echten!“
„Aber Julia“, entgegnete ich, „wir haben doch Charlie. Der ist so lieb und bürsten kannst du ihn auch.“
Unseren Hund Charlie hatten wir aus dem Berliner Tierheim geholt, als unsere Tochter drei Monate alt war. Ich konnte den Tod meines Collie-Mischlings Pit nicht anders überwinden, als mir eine Woche später dieses schlaksige schwarze Etwas in unsere Familie zu holen. Es war eine höchst anstrengende Zeit, denn einen sechs Monate alten Setter-Schäferhund-Mischling zu erziehen und ausreichend zu bewegen, wenn man dazu noch ein eigenes Baby hat und sich mitten im Studium befindet, ist eine Herausforderung, die ich nicht empfehlen möchte. Den Tennisball in der einen Hand, den Kinderwagen in der anderen, versuchte ich auf langen Spaziergängen – vergeblich –, Charly müde zu spielen. Und ich erinnere mich noch gut an die Bemerkung einer älteren Frau, deren liebevolles Mitgefühl rauszuhören war, als sie sagte: „Wenn man nicht genug Arbeit hat, schafft man sich einen jungen Hund an.“
Unser Charly entwickelte sich prächtig wie unsere Tochter auch und eines Tages übte sie sogar ihr erstes Stehen an Charlie, indem sie sich an seinem seidigen Fell festhielt und sich auszubalancieren versuchte. Mein Stolz auf Julias Können vermischte sich bei mir mit dem Mitleid für Charlie, der mich Hilfe suchend ansah und die „Zieperei“ heroisch ertrug, bis ich ihn von Julia befreit hatte.
Charlie war unser Familienhund und ich war doch sehr verwundert über Julias Anliegen, einen kleinen Hund haben zu wollen.
„Mit Charlie kann ich nicht alleine spazieren gehen, der ist mir zu groß. Ich möchte einen kleinen Hund für mich alleine, mit langen Haaren, damit ich ihn kämmen kann. Er soll Flöckchen heißen“, erklärte mir Julia voller Überzeugung.
Nun hatten wir in der Zwischenzeit noch einen kleinen Sohn bekommen und deshalb hatte ich wirklich genug zu tun. Auch waren die Erinnerungen an Charlies erste Zeit bei uns noch sehr lebendig. Also brachte ich mein mühsam anstudiertes pädagogisches Geschick auf, um Julia klar zu machen, dass ein zweiter Hund für unsere Familie zu viel sei, zumal wir auch noch unsere alte Katze Sina hatten. Verständnisvoll sah Julia die Situation ein, aber das Gespräch rührte mich doch sehr, sodass ich abends meinem Mann davon erzählte. Wir sind beide große Tierfreunde und der Wunsch unserer Tochter löste eine gewisse Ambivalenz in uns aus, wenngleich uns meine getroffene Entscheidung gegen einen Zweithund als durchaus vernünftig erschien.
Mein Mann ist Tierarzt und behandelte in dieser Zeit schwerpunktmäßig Pferde. Viele Pferdehalter haben noch weitere Tiere, sodass es keine Seltenheit war, wenn er ein paar Hunde medizinisch mitversorgte. So hatte er auch von einer sechzehnjährigen Hündin berichtet, die noch mal Welpen bekommen hatte – ganz niedliche Dinger! Das war monatelang her und untergegangen in unserem Alltag, der immer – berufsbedingt – voller tierischen Geschichten ist.
Eines Tages rief mein Mann von unterwegs an und fragte mich, ob ich mir vielleicht doch einen kleinen Zweithund vorstellen könnte. Der Besitzer der sechzehnjährigen Hündin hatte ihm sein Leid geklagt: Die Leute wollten die Welpen nur geschenkt haben, aber keiner wäre bereit, wenigstens die Kosten für Impfungen und Entwurmung zu übernehmen. Von solchen zukünftigen Haltern hätte man nichts Gutes zu erwarten und ob mein Mann nicht jemanden wüsste, der einen kleinen Hund haben wollte. Die Welpen wären jetzt schon vier Monate alt.
Völlig überrumpelt, wenn auch freudig gab ich zu bedenken, ob der neue Hund denn auch ins Auto passen würde bei der nächsten Fahrt in den Urlaub. Man stelle sich vor: zwei Kinder, Gepäck, ein Setter-Schäferhund-Mischling und …
„Keine Sorge“, hörte ich durchs Telefon, „der Hund hat Handtaschenformat!“ Mein Mann machte eine bedeutungsvolle Pause. „Und wolltest du nicht auch schon immer solch einen kleinen Hund?“
Natürlich wollte ich! Mein Herz machte Freudensprünge, als mir die Ernsthaftigkeit der Situation langsam bewusst wurde.
„Wie sieht er denn aus?“, wollte ich aufgeregt wissen.
„Na gefleckt, so grau-schwarz-weiß.“
„Wie gefleckt, wie ein Dalmatiner?“, hakte ich nach.
„Nö, so eher wie – ’ne Kuh.“
„Wie eine Kuh???!“, fragte ich leicht irritiert nach.
„Lass dich überraschen. Es ist eine Hündin. Wirklich ganz niedlich.“
Wenn wir Julia jemals einen eigenen Hund schenken wollten, gab es da einen besseren Zeitpunkt als ihren sechsten Geburtstag? Dann hätte sie ihn ihre Kindheit hindurch, und bis sie eines Tages ihre unvorhersehbaren eigenen Wege gehen würde, wäre die Lebensspanne des Hundes erschöpft und sie würde ihn nicht bei uns zurücklassen müssen. „Doch, das ist gut“, sagte ich zu mir selbst und legte mir dabei die Argumente passend zurecht.
„Dann bringe ich ihn heute Abend mit und Julia bekommt ihn zum Geburtstag. Es kann aber 22 Uhr werden.“
Ich war total aufgeregt, aber durfte mir nichts anmerken lassen. Zum Glück war der Geburtstag schon am nächsten Tag. Es war nicht mehr auszuhalten: Ein Hund mit Kuhflecken, wie mochte der wohl aussehen? Für unsere Tochter würde er das schönste Geschenk überhaupt sein, und damit er auch als solches zu erkennen war, musste eine rote Schleife her. Ich zog meine beiden Kinder an und fuhr mit ihnen ins Kaufland, um Schleifenband zu besorgen.
Es war schon dunkel und ich stand ungeduldig in der Haustür, als mein Mann den Motor seines Autos abstellte. Während er auf mich zukam, verdeckten seine Hände den kleinen Hund, sodass von ihm nicht viel zu sehen war. Aufgeregt tippelte ich meinem Mann in die Küche hinterher, wo er mir den kleinen Wuschel entgegenhielt wie einen Schatz.
„Ist der niedlich!“, entfuhr es mir. Meine Bedenken, das Hündchen könnte doch einer Kuh ähneln, waren verflogen. Ich hatte noch nie einen dermaßen putzigen Hund gesehen. „Und er ist richtig flauschig mit seinen langen Haaren! Da kann Julia aber bürsten!“, freute ich mich.
„Und Julia kann die kleine Hündin Flöckchen nennen“, stellte mir mein Mann seine neueste Errungenschaft vor.
Neugierig sahen mich zwei dunkle Augen in einem weißen Hundegesicht an, umrahmt von etwas zu groß geratenen grauen Schlappohren. Die kleine schwarze Nase stupste in meine Hand, während die winzige Zunge mich freudig anleckte. Auf weißem Untergrund waren drei große schwarze „Kuhflecken“ gleichmäßig über das Hündchen verteilt.
„Sie wollte nicht auf dem Beifahrersitz bleiben und ist mir auf den Schoß geklettert. So bin ich den halben Berliner Ring mit ihr entlanggefahren.“
„Du bist aber ein anhängliches Hundchen“, lobte ich daraufhin die Kleine, was mir mit Fiepen und Schlecken gedankt wurde. Charlie begrüßte die Kleine auch freudig und das Fellknäuel sprang immer an ihm hoch, um zu spielen.
Ich weiß nicht mehr, wie wir den ersten Gassigang hinter uns gebracht haben, aber an die erste Nacht erinnere ich mich gut. Mein Mann hatte unserer neuen Mitbewohnerin einen Platz neben unserem Bett auf seiner Seite zugewiesen. Es war sehr spät und ein aufregender Tag war vorbei. Die Kleine wurde auf ihr Lager gebettet. Kaum war das Licht aus, fiepte das kleine Ding herzerweichend. Sogleich streichelte mein Mann das Hündchen, was mit Stille belohnt wurde. Leider schlief er aber ab und zu ein, woraufhin der Hund immer lauter winselte. Irgendwann im Morgengrauen hatten die beiden eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Position gefunden: Mein Mann schlief auf dem Bauch, seine große Hand lag auf dem kleinen Hund.
Am Geburtstagsmorgen stand ich früh auf und band der kleinen Hündin ihre rote Schleife um den Hals. Sie sah damit aus wie ein niedliches Stofftier. Mein Mann nahm das Fellknäuel und versteckte es mit der linken Hand hinter seinem Rücken. Wir gratulierten unserer Tochter der Reihe nach und Julia wollte sich schon ihrem Geburtstagstisch zuwenden, als mein Mann das Hündchen mit der roten Schleife in seiner Hand hinter seinem Rücken hervorholte und ihr hinhielt. Die Kinderhände nahmen das Wesen und drückten es vorsichtig an die Brust. Unaufhörlich streichelte Julia ihren neuen Hund und sagte dabei kein Wort. So ging es einige Zeit, nur ihre Gesichtsfarbe wechselte von weiß nach rot und zurück. Ich war verwirrt. Nach ein paar Minuten fragte ich unsicher: „Freust du dich denn gar nicht, Julia?“
Es dauerte eine Weile, bis die Antwort kam.
„Doch Mama, ich kann es gar nicht glauben. Als Papa den Hund hinter seinem Rücken hervorgeholt hat, habe ich gedacht, der ist nicht echt. Das ist ein elektrischer Hund mit Batterie! Du hast doch gesagt, wir können keinen zweiten Hund haben.“ Als sich das Gelächter gelegt hatte, wollte ich wissen, wie ihr neuer Hund heißen sollte. „Na, Flöckchen!“
Von unserer Nachbarschaft wurden wir oft gefragt, ob dieser Hund einem Disneyfilm entsprungen sei. Oder wir wurden mit den Worten begrüßt: „Wie geht es denn eurem Meerschweinchen?“ Die Aufmerksamkeit der Nachbarskinder für Flöckchen war so groß, dass ich Regeln einführen musste, damit die Kleine keinen Schaden nahm.
Mit der nächtlichen Ruhe gab es in Zukunft kein Problem mehr. Flöckchen hatte ihr Körbchen vor Julias Bett. In der Nacht holten wir sie zum Gassigehen noch mal heraus. Eines Nachts schaute ich später erneut ins Kinderzimmer und sah, dass Flöckchen nicht in ihrem Körbchen lag. Weil ich sie im Dunkeln nicht fand, schaltete ich das Licht ein und entdeckte sie an Julias Beinen, in eine Bettfalte versteckt. Das kleine Schlitzohr hatte gelernt, dass nach dem letzten Gang die Luft rein war und sie in Julias Bett weiterschlafen konnte. Bei den weiteren nächtlichen Kontrollen hörte ich schon ein plumpsendes Geräusch, wenn ich auf der letzten Treppenstufe war. Ich konnte Flöckchen nie wieder überführen, denn sie lag immer ordentlich in ihrem Körbchen, nachdem ich die Kinderzimmertür geöffnet hatte.
Mittlerweile sind Julia und Flöckchen elf Jahre lang miteinander liebevoll verbunden und unzertrennlich. Und irgendwie ist sie doch ein elektrischer Hund, denn sie bekommt seit jungen Hundejahren Herztabletten und es geht ihr mit diesen „Batterien“ – glücklicherweise – richtig gut.