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Polizeiausbildung durch und mit Sozialwissenschaft. Einige erfahrungsbasierte Reflektionen und Überlegungen

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Von Henrik Dosdal *

Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich mit den Herausforderungen der Lehre der Sozialwissenschaften im Rahmen der Polizeiausbildung. Sie basieren auf den Erfahrungen des Autors sowie dem Austausch mit anderen Lehrenden, können insofern also keine Objektivität beanspruchen, hoffentlich aber eine gewisse Plausibilität jenseits der singulären Erfahrungen des Autors. Getragen werden die Ausführungen von einer soziologischen Perspektive, mit der zwei Ziele verbunden sind. Zunächst soll es um die Rekonstruktion einiger Problemlagen gehen. Diese Rekonstruktion setzt einerseits am Verhältnis der Sozialwissenschaften zu klassischen juralastigen Ausbildungsinhalten, andererseits an der curricularen Verankerung der sozialwissenschaftlichen Lehre an. Darauf aufbauend sollen einige Vorschläge zur Diskussion gestellt werden, wie eine bessere Integration der Sozialwissenschaften in die Ausbildung gelingen könnte.

Angesichts einer rapiden zunehmenden gesellschaftlichen Komplexität gewinnt sozialwissenschaftliches Wissen um eben jene Gesellschaft auch in der polizeilichen Ausbildung an immer höherer Relevanz. Die zunehmende Aufhängung der polizeilichen Ausbildung an Fachhochschulen und der damit einhergehende Wandel von einer beruflichen zu einer hochschulischen Ausbildung, ermöglichen es, dieser Relevanz in der Ausbildung gerecht zu werden. Gleichzeitig sehen sich die sozialwissenschaftlichen Fächer jedoch im Vergleich zu den klassischen und stark rechts- und handlungsorientieren Ausbildungsinhalten wie Eingriffsrecht und Eingriffslehre zentralen Herausforderungen gegenüber.

Eindeutigkeit und Ambivalenz

Polizeiarbeit unterliegt hoher Rechtsbindung (vgl. Ackermann et al. 2017). Die enge rechtliche Programmierung in Kombination mit der stark routinemäßigen Konditionierung polizeilichen Handelns – bspw. im Sinne präziser Handlungsskripte beim ersten Angriff – fordert die Studierenden zu einem Lernen heraus, das stark auf das abstellt, was die Studeirenden „Bulemielernen“ nennen (?). Zudem transportiert Skriptlastigkeit vieler Inhalte die Vorstellung, dass sich das entsprechende Wissen in richtig und falsch einteilen lässt: polizeiliche Grund- und Eingriffsrechte dürften auf Ebene der Wissensvermittlung in den Fachhochschulen in erster Linie zum Lernen akzeptierter und nichtakzeptierter Auslegung herausfordern. Die sozialwissenschaftlichen Anteile der Ausbildung können aber demgegenüber keine auch nur annähernd ähnlich deutliche Codierung in richtig und falsch anbieten. Zumindest dann nicht, wenn sie sich darum bemühen, einen mehr oder minder objektiven Überblick über das Theorieangebot zu geben, anstatt eine Theorie zu verabsolutieren. Was genau zum Beispiel zu Kriminalität führt und welche Kriminalitätspolitik sinnvoll ist, ist notorisch komplizierter zu bestimmen und zu vermitteln als die korrekte Auslegung einer Rechtsvorschrift – und hängt bekanntermaßen nicht zuletzt von politischen Präferenzen ab. Die hier deutlich werdende Ambivalenz ist dabei dem Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften geschuldet, der sich klaren Kausalitäten entzieht. Kausalität ist hier eben häufig nicht objektiv gegeben, sondern vielmehr Konstruktionsleistung eines Beobachters (Luhmann 1995). Die Annahme, dass wahlweise mehr Polizei oder mehr Bildung automatisch zu weniger Kriminalität führen, basiert auf politischen Präferenzen – und nicht auf abgesichertem sozialwissenschaftlichem Wissen.2

„Wenig überraschend trägt der Versuch, den Ambivalenzen des sozialwissenschaftlichen Gegenstandsbereiches in der Lehre Rechnung zu tragen zur Vorstellung bei, es handele sich bei entsprechenden Fächern um ’Laberfächer’“.

Wenig überraschend trägt der Versuch, diesen Ambivalenzen des sozialwissenschaftlichen Gegenstandsbereiches in der Lehre Rechnung zu tragen, zur Vorstellung bei, es handele sich bei entsprechenden Fächern um „Laberfächer“. Dieser Eindruck wird zudem durch oft durch Prüfungen in diesen Fächern befördert, ist doch ein ambivalenter Gegenstandsbereich, der verschiedene Interpretationen trägt, dankbarer als eine scharf in richtig und falsch differenzierte Klausur. Darum scheint oft der Eindruck vorzuherrschen, sozialwissenschaftliche Prüfungen seien laxer als bspw. benachbarte Rechtsklausuren. Dieser Eindruck kann erfahrungsgemäß Relevanzunterstellungen beeinflussen: was nicht gut eindeutig geprüft werden kann, ist weniger relevant als eindeutig prüfbare Inhalte.

Anwendungs-/ Praxisrelevanz

Sozialwissenschaftliche Fächer entziehen sich aber nicht nur einer mehr oder minder eindeutigen richtig-falsch Codierung, sondern thematisieren Bereiche, die von den Auszubildenden oft nicht als zur praktischen Polizeiarbeit dazugehörig empfunden werden. Dies führt häufig zu der Wahrnehmung, dass hier nicht nur wachsweiche Inhalte vermittelt werden, sondern diese Inhalte darüber hinaus bestenfalls marginale Relevanz für die spätere Ausübung des Polizeiberufes haben. Wer zu Beginn bspw. eines Politikwissenschaftskurses die Studierenden fragt, inwiefern sie denken, dass Politikwissenschaft für sie beruflich relevant wird, wird oft einer lebhaften Illustration dieses Punktes ansichtig. Damit ist im Übrigen keineswegs behauptet, die Studierenden verstünden nicht, wozu Politikwissenschaft dient; lediglich, dass sie die Praxisrelevanz dieses Faches gering einschätzen.

Fächerhierarchie

Viele der genannten Probleme rund um die sozialwissenschaftliche Lehre bei der Polizei haben wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Fächer wie Politikwissenschaft oder Soziologie im Rahmen der Polizeiausbildung Nebenfächern sind. Insofern haben diese Fächer einen doppelt erschwerten Stand: sie müssen mit den beschriebenen Problemlagen umgehen und sind zugleich strukturell in der Wahrnehmung der Studierenden niedrig verankert. Die meisten Lehrenden sind wohl mit Studierenden vertraut, die dieser Wahrnehmung mit offensiv formulierten Forderungen nach weniger Aufwand für die in ihrer Wahrnehmung bestenfalls ergänzenden Nebenfächer Ausdruck verleihen.

„Für die Lehrenden führt die Frage nach der Brauchbarkeit sozialwissenschaftlicher Fächer zu einer Zwickmühle: Einerseits ein Humboldt’sches Bildungsideal, andererseits die mögliche Aussage, dass gefälligst gelernt wird, was im Rahmenlehrplan steht.“

Curriculare Ausgestaltung

Mit derlei Forderungen umzugehen, stellt nicht nur unter idealen Bedingungen eine Herausforderung dar, sondern wird häufig auch dadurch erschwert, dass die Anpassung der sozialwissenschaftlichen an den polizeilichen Ausbildungskontext verbessert werden könnte. Häufig sehen diese Rahmenlehrpläne eine nied rigschwellige Einführung im Korsett geringer Stundenzahlen vor, was angesichts der potenziellen Theorie- und Themenvielfalt der jeweiligen Fächer ein herausforderndes Unterfangen ist. Für die Lehrenden verschärft dies die Frage, wie mit Kritik an der Brauchbarkeit der entsprechenden Inhalte umzugehen ist – zumindest wenn man nicht einerseits ein Humboldt’sches Bildungsideal ins Feld führen, andererseits aber auch auf autoritäre Aussagen dergestalt verzichten möchte, dass gefälligst gelernt wird, was im Rahmenlehrplan steht.

Fazit

Auf Grundlage der bisherigen Darstellungen lassen sich einige Überlegungen anstellen, wie die genannten Herausforderungen entschärft werden könnten. Das Ziel dieser Bestrebungen sollte dabei darin liegen, Gegensätze abzubauen. Zunächst gilt dies sicherlich für den Gegensatz zwischen Sozialwissenschaften und insbesondere rechtlichen Ausbildungsfächern. Anstatt Streit über die Sinnhaftigkeit einzelner Fächer in der Polizeiausbildung über die Öffentlichkeit der Polizeiklassen auszutragen, was immer wieder zu beobachten ist und ohne Zweifel zur Verhärtung der Fronten beiträgt, könnte man über interdisziplinäre Sitzungen nachdenken. Diese könnten das Ziel verfolgen, sich gegenseitig ergänzende Blickwinkel auf ein Thema aufzeigen. Warum also Fälle der Polizeigeschichte nicht rechtlich und soziologisch beleuchten – denkbar u.a. am Beispiel der Änderungen polizeilicher Taktiken als Antwort auf die 1968er Proteste. Aktuellere Beispiele ließen sich bei Bedarf ebenfalls problemlos finden. Das Spektrum reicht von der Frage wie weit Polizei bei Kindesentführungen rechtlich und moralisch gehen darf bis hin zu den NSU-Ermittlungen. Zu solchen Fragestellungen sollten sich fraglos gewinnbringende fachliche Perspektivenwechsel realisieren lassen.

„Anstatt Streit über die Sinnhaftigkeit einzelner Fächer in der Polizeiausbildung über die Öffentlichkeit auszutragen, könnte man über interdisziplinäre Sitzungen nachdenken.“

Zweitens ist es aber sicherlich auch sinnvoll, die bestehende Differenz zwischen sozialwissenschaftlichen Lehrinhalten und der Wissensnachfrage von den Studierenden dergestalt zu minimieren, dass man im Sinne eines stärkeren Theorie-Praxis-Transfers die zukünftige berufliche Realität der PolizistInnen stärker berücksichtigt. Auch wenn sich damit keine Eindeutigkeit bei der Wissensvermittlung erreichen lässt, die anderen Fächern ähnelt, ist es sicherlich sinnvoll, verschiedene Theorieangebote näher an der polizeilichen Praxis zu diskutieren. Konkret: auch wenn man die Idee einer direkten Verwertbarkeit sozialwissenschaftlichen Wissens kritisch ist (vgl. Luhmann 2005), ist eine Auseinandersetzung mit den Theorieangeboten der Kriminalsoziologie oder Theorien sozialer Milieus sicherlich sinnvoller als der Versuch im Rahmen begrenzter Stundenzahlen verschiedene Gesellschaftstheorien zu diskutieren – wiewohl solch eine Diskussion zweifelsohne im Zeitverlauf nicht minder wichtige Einsichten generiert. Eine stärkere Engführung von Ausbildungsinhalten und beruflicher Praxis könnte zudem dazu beitragen, die Distanz der Studierenden gegenüber sozialwissenschaftlichen Fächern besser zu überbrücken. Zudem könnte auf diesem Wege die oft kritisierte starke Rechtslastigkeit sicherheitsbehördlicher Perspektiven stärker sozialwissenschaftlich aufgelockert werden (vgl. nur Grumke 2016). Angesichts der eingangs erwähnten zunehmenden gesellschaftlichen Komplexität kann die Polizei von der Stärkung und Integration sozialwissenschaftlichen Wissens nur profitieren.


Literatur

Ackermann, e.a. (Hg.) (2017): Der rote Faden. Heidelberg:

Grumke (2016): Prozesse und Strukturen der Verfassungsschutzämter nach dem NSU. In: Rechtsextremismus und „Nationalsozialistischer Untergrund“, Wiesbaden, S. 259–276.

Luhmann (1995): Das Risiko der Kausalität. In: Zeitschrift für Wissenschaftsforschung

Luhmann (2005): Soziologische Aufklärung 3. Wiesbaden

Nadeau e.a. (2018): Les Influences Disciplinaires de la Criminologie (1991 2014), In: Criminologie 51 (1).

* Henrik Dosdal ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam.

2Aber auch dieses Wissen unterliegt im Bereich der Soziologie der Kriminalität starken Schwankung in Abhängigkeit davon, welche Themen gerade im historischen Kontext interessieren und welche Disziplinen sich an der Beforschung von Kriminalität beteiligen. Vgl. den aktuellen Überblick in Nadeau et al. 2018.

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