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Spiritualität in Berufung und Sendung

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Peter Schallenberg

1. Zunächst sollen zwei Vorbemerkungen das Thema näher bestimmen und skizzieren. Klaus Demmer MSC, ehemals an der Gregoriana in Rom lehrender und jetzt im Ruhestand in Münster lebender Moraltheologe, notiert in seinem Buch „Gottes Anspruch denken“: „Die Trennung der Spirituellen Theologie von der Moraltheologie hat zu einem reduktiven Verständnis der schöpferischen Einbildungskraft sittlicher Vernunft geführt. Vorgängig zu allem Arbeiten an Normen ist es ihr aufgetragen, Inseln der Sinnhaftigkeit zu entdecken, die Normen lebbar machen.“1 Das meint mit Blick auf das Thema der Berufung: Berufung und Sendung des getauften Christen ist ein Thema der richtigen und guten Lebensführung, und damit ein genuines Thema der spirituellen Moraltheologie, die vor jedem normativen Anspruch Tugendethik ist, sich also als Anleitung zum guten und gottgewollten Leben versteht. Dass ein Mensch und zumal ein getaufter Christ in seinem Leben einen letzten, absoluten und von Gott gestifteten Sinn, also eine von Gott geschenkte Berufung entdeckt und sich von dieser Berufung her versteht, bildet den unhintergehbaren Kern der individuellen Moralität, weit vor jeder Erfüllung von Gesetz und Norm. Und nochmals ist es Klaus Demmer, der unterstreicht: „Es gilt als ein theologischer Gemeinplatz, dass die sittliche Praxis des Christen Antwort auf Gottes zuvorkommendes Heilshandeln ist. Der Theologe führt ihn wie selbstverständlich im Munde (…) Wenn er seinen Glauben ernst nimmt und den geforderten Lebenseinsatz leistet, dann kann es nur die eine Frage sein: Wie erfahre ich Gott in meinem Leben, wo zeichnen sich Entsprechungen ab zwischen der denkerischen Zumutung des Glaubens und meiner Lebensgeschichte?“2 Moralität des von Gott zugemuteten Lebens ist also nichts anderes als die Antwort auf Gottes Zumutung und Ruf, so dass die Lebensgeschichte Züge einer Berufungsgeschichte annimmt und sich versteht als von Gott geschenkter Freiheitsraum einer sich entfaltenden Individualität – so geschieht Gottes Wille!

2. An der Wurzel einer Berufungsgeschichte steht stets die Grundentscheidung der Person, die sich und ihre Geschichte vor Gott bedenkt und versteht. Im Hintergrund wird eine bestimmte Metaphysik der Person sichtbar, die das Grundverständnis der in Frage stehenden Berufung erhellt. Person wird nämlich verstanden als „gelebte Relation, Entwurf auf Gott als die Vollkommenheit aller Vollkommenheiten“3, und dies im Sinn des anselmischen Gottesbeweises und seiner Zuspitzung auf Gott als „id quo maius cogitari nequit“4, also auf den, über den hinaus Größeres und Besseres der menschliche Geist nicht denken kann. Eine solche sittliche Grundentscheidung ist letztlich immer Gestalt gewordene Identität ihres Trägers; in ihr kondensiert sich mithin ein tragendes Lebensprojekt oder ein allmählich ans Tageslicht tretender Lebensentwurf. Damit geht es um eine reflexive Psychologie der Gnade5, und zwar mit Blick auf das spezifisch christliche Selbstbewusstsein des gerechtfertigten, getauften Christen, das dem vollkommenen Selbstbewusstsein Jesu als des „homo perfectus“6 gleichgestaltet wird. Was aber ist jene Perfektibilität, jene Vollkommenheit des Gottmenschen Jesus Christus? Sie besteht in nichts anderem als in seinem Bewusstsein seiner selbst als unbedingt und unzweifelhaft vom Vater geliebt; dies Bewusstsein wird dem Christ in der Taufe als neues Sein geschenkt, oder anders: Jene Transformationskompetenz des neuen Lebens in der Nachfolge und in der Sendung Christi verdankt sich der Taufe.

3. An dieser Stelle nun muss unterschieden werden zwischen einer transzendentalen Gutheit der Motivation, gleichsam als Möglichkeitsbedingung der Erfüllung von Normen, und der daraus folgenden kategorialen Richtigkeit der Einzelhandlungen. Auf diesem Hintergrund ist dann die Grundentscheidung der „transzendenzverwiesene(n) Ausgriff der Freiheit auf das Gute, als Möglichkeitsbedingung für die gute und richtige Verwirklichung kategorialer Güter.“7 Hier setzt eine richtig verstandene katholische Existentialethik als Ethik der Entscheidung an;8 gedacht ist an eine schrittweise Umsetzung der sittlichen Vorentscheidung9 und der daraus folgenden Grundentscheidung in konkrete Einzelentscheidungen; der Last des notwendigen Kompromisses kann dabei nicht ausgewichen werden.

4. Daraus lässt sich nun ein erster Ansatz zu einer Theologie der Berufung, verstanden als lebensgeschichtliche Entfaltung einer Grundentscheidung zum Guten10, skizzieren: Eine so verstandene „Berufung zum Heil aus Gnaden prägt dem Gesamtspektrum sittlichen Handelns das unverwechselbare Profil ein; der Christ handelt immer als Christ, und das ist zunächst eine ontologische Aussage.“11 Und das heißt jetzt näherhin und mit Blick auf das neue Selbstbewusstsein des Christen, das im theologischen Begriff des Glaubens gefasst wird: „Wenn Gnade darin besteht, Gott auf den Spuren Christi denken zu können, und wenn im Gefolge dessen anthropologische Grunddaten mit den ihnen gemäßen ethischen Zielsetzungen entdeckt werden, dann agiert die Grundentscheidung als Impulszentrum dieses Vorgangs. Sie speichert das durch den Glauben erwirkte Vorwissen von der ewigen Vollendung und schmilzt es handlungsrelevant um.“12 Nochmals anders gewendet: „Die Naturneigung zum Guten erscheint als personale Befindlichkeit, die zur expliziten Stellungnahme nicht nur herausfordert, sondern im Verlauf der Lebensgeschichte jeweils unterschiedliche Thematisierungsgrade annehmen kann, Persönlichkeitswerdung bindet sich an diesen Prozess.“13

5. Der Grundentscheidung folgt dann die Lebensentscheidung als erste konkretere Ausformung der grundsätzlichen Entschiedenheit zu einem Leben nach dem Willen Gottes. Dabei steht die Lebensentscheidung in einer Linie mit der geglückten Annahme seiner selbst als von Gott gewollte und in Freiheit gesetzte Persönlichkeit. Diese Selbstannahme aber vollzieht sich ja gerade im Medium der Zeit und angesichts der Vergänglichkeit, ja letztlich des Todes. So verdichtet sich die Lebensentscheidung zur Annahme des eigenen Todes und eines Lebens in der Hoffnung auf die Vollendung des fragmentarisch bleibenden Lebens bei Gott.14 „In ihr verdichtet sich auf exemplarische Weise das Verhältnis des Menschen zu seiner ihm zubemessenen Lebenszeit. Deren gnadenloses Auslaufen stimuliert das Denken, schließlich ist nichts beklemmender als der missliche Verdacht, ein bedeutungsloses Leben, jenseits des tiefen Wunsches nach Erfüllung, gelebt zu haben. Der Schatten des Todes darf nicht die Oberhand behalten, und die Lebensentscheidung stellt sich diesem Verhängnis in den Weg. Der Vergänglichkeit muß ein Projekt eingeprägt werden, dessen Sinnhaftigkeit den Tod überlebt.“15 Die Berufung zu solch einem unvergänglichen Lebensprojekt bindet sich an die unwiderrufliche Wahl eines Lebensstandes, klassisch in den „Exerzitien“ des hl. Ignatius von Loyola im Medium der einzuübenden Indifferenz16 und hin zur Wahl der sakramental bindenden Ehe17 oder des im Gelübde bindenden Rätestandes. „Ein konkreter Rätestand muß so beschaffen sein, dass er persönliche Entwicklungen auffängt und in ein fest umrissenes Bett lenkt. Es gibt eine gesunde Reibung an den Grenzen, die er vorzeichnet und Entwicklungen nicht ins Uferlose schießen läßt.“18 Der von Gott zu einer konkreten Lebensentscheidung berufene Mensch ist daher zutiefst immer ein jenseitiger und aus der Hoffnung auf ewige Vollendung lebender Mensch. „In das Rohmaterial der Zeit wird ein Projekt einskulpiert. So zerfließt es nicht richtungslos, sondern steht im Banne einer klaren Zielsetzung, die für den Glaubenden die Form einer Verheißung annimmt.“19

6. Im Hintergrund steht eine ausgeprägt neuzeitliche Gnadentheologie, wie sie nach dem Konzil von Trient sich entfaltet hat, nämlich der Molinismus. Dies wird etwa auch in den „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ in den schon erwähnten „Exerzitien“ des hl. Ignatius von Loyola deutlich20: Gottes Wille offenbart und konkretisiert sich in der individuellen Willensentscheidung auf der Grundlage des Dekaloges. „Der Christ versteht seine Wahl, jenseits aller menschlichen und inner-weltlichen Bindungen, als Antwort auf Gottes Treue, wie sie sich ein für alle Mal in Jesus Christus erwiesen hat.“ Das heißt dann konkret Nachfolge Christi: „Die Bedingungen der Nachfolge werden sich exemplarisch auf dem Feld der Lebensentscheidung und der Treue zu ihr zur Geltung bringen. So bleibt die Theologie der Berufung in eine Anthropologie lebensgeschichtlicher Bewährung umzuschmelzen.“21

1 K. Demmer, Gottes Anspruch denken. Die Gottesfrage in der Moraltheologie, Freiburg i. d. Schw. 1993, 120, Anm. 28.

2 Ders., Die Wahrheit leben. Theorie des Handelns, Freiburg i. Br. 1991, 33.

3 Ders., Fundamentale Theologie des Ethischen, Freiburg i. d. Schw. 1999, 243.

4 Anselm von Canterbury, Proslogion II.

5 Vgl. P. Fransen, Pour une psychologie de la grace divine, in: Lumen vitae 12 (1937) 209–240.

6 Vgl. II. Vaticanum, Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ Nr. 22.

7 K. Demmer, Fundamentale Theologie des Ethischen, 244; vgl. auch H. Reiners, Grundintention und sittliches Tun, Freiburg i. Br. 1966.

8 Vgl. J. Brantl, Entscheidung durch Unterscheidung. Existentialethik als inneres Moment einer medizinischen Ethik in christlicher Perspektive, Münster 2007; daneben D. J. Dorr, Karl Rahner’s „Formal Existential Ethics“, in: Irish Theological Quarterly 36 (1969) 211– 229; B. Fraling, Vermittlung und Unmittelbarkeit. Beiträge zu einer existentialen Ethik, Freiburg i. d. Schw. 1994; D. M. Nelson, Karl Rahner’s Existential Ethics, in: The Thomist 51(1987) 461–479.

9 Vgl. H. Kramer, Die sittliche Vorentscheidung. Ihre Funktion und ihre Bedeutung in der Moraltheologie, Würzburg 1970.

10 Vgl. zum Hintergrund M. Flick / Z. Alszeghy, L’opzione fondamentale della vita morale e la grazia, in: Gregorianum 41 (1960) 593–619.

11 K. Demmer, Fundamentale Theologie des Ethischen, 244.

12 Ebd., 245; vgl. auch ders., Treue zwischen Faszination und Institution, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 44 (1997) 18–43.

13 Ders., Die Wahrheit leben, 191; vgl. auch G. Höver, Sittlich handeln im Medium der Zeit, Würzburg 1988.

14 Vgl. N. Hinske, Todeserfahrung und Lebensentscheidung, in: Trierer Theologische Zeitschrift 82 (1973) 206–227.

15 K. Demmer, Fundamentale Theologie des Ethischen, 249.

16 Vgl. neuestens dazu D. Terstriep, Indifferenz. Von Kühle und Leidenschaft des Gleichgültigen, St. Ottilien 2009; klassisch immer noch E. Przywara, Majestas divina, Augsburg 1925.

17 Vgl. K. Demmer, Die Ehe als Berufung leben, in: Intams Review (Brüssel) 2 (1996) 39–62.

18 Ders., Fundamentale Theologie des Ethischen, 251, Anm. 43; ders., Die Lebensentscheidung. Ihre moraltheologischen Grundlagen, Paderborn 1974.

19 Ders., Gott denken – sittlich handeln. Fährten ethischer Theologie, Freiburg i. d. Schw. 2008, 247.

20 Vgl. L. Bakker, Freiheit und Erfahrung. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen über die Unterscheidung der Geister bei Ignatius von Loyola, Würzburg 1970; A. Keller, Zur „Unterscheidung der Geister“ in den Ignatianischen Exerzitien, in: Geist und Leben 51 (1978) 38–54; M. Schneider, „Unterscheidung der Geister“. Die ignatianischen Exerzitien in der Deutung von E. Przywara, K. Rahner und G. Fessard, Innsbruck 1987; G. Switek, „Discretio spirituum“. Ein Beitrag zur Geschichte der Spiritualität, in: Theologie und Philosophie 47 (1972) 36–76.

21 K. Demmer, Fundamentale Theologie des Ethischen, 253; vgl. auch ders., Treue zur empfangenen Berufung, in: IKaZ 36 (2007) 362–370.

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