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An die Grenzen der menschlichen Existenz

Die Replik von Thomas Schmitt auf Ulrich Feeser-Lichterfeld

Ulrich Feeser-Lichterfeld hat sich von der Theologie herkommend intensiv und gewinnbringend in aktuelle Debatten der Humangeographie eingearbeitet, und so kann ich seinen Ausführungen, soweit sie die Geographie betreffen, über weite Teile zustimmen. Er greift dabei auch Themen auf, welche die Geographie als Ganze umtreibt, etwa die Frage nach Ausmaß, Folgen und Auswegen aus dem Klimawandel. Wenn ich seinen Beitrag zutreffend verstehe, kann ich den für Geographen wie Theologen sicher ungewöhnlichen Begriff der „Pastoralgeographie“ übersetzen bzw. als Kurzform ansehen für eine geographisch informierte Reflexion pastoraler Praxis.

Die Humangeographie beschreibt sich heute selbst als eine multiparadigmatische Sozial- und Kulturwissenschaft, d. h. eine Wissenschaft, in welcher eine Reihe sehr unterschiedlicher Ansätze und Herangehensweisen gleichzeitig ko-existieren und von Fachvertretern prinzipiell als legitim erachtet werden. Im Sinne einer solchen multiparadigmatischen Betrachtung könnten auf ein und dasselbe Problem, welches sich Praktiker/innen der Pastoral stellt, durchaus unterschiedliche Antworten gegeben werden.

Auf die Frage der Neuorganisation von Pfarreien infolge des Priestermangels und sinkender Mitgliedszahlen mögen etwa raumwissenschaftliche Ansätze (wie sie in den 1970er Jahren en vogue waren, gerade in angewandten Zusammenhängen der Planungspraxis jedoch weiterhin respektiert und tradiert werden) Hilfestellung leisten bei der bestmöglichen territorialen Abgrenzung neuer größerer Pfarreiverbünde, etwa unter Berücksichtigung von Pendlerbeziehungen.

Die Sozialraumanalyse wiederum kann aufzeigen, aus welchen vergleichsweise sozial und baulich homogenen Gebieten eine Stadt sich zusammensetzt. Pastorale Praktiker können dann für solche Quartiere, welche sich durch bestimmte soziale, ökonomische oder kulturelle Probleme oder Besonderheiten auszeichnen, spezifisch angepasste pastorale Ansätze entwickeln und verfolgen. Neuere Kulturgeographen könnten im Gegensatz zur oben erwähnten raumwissenschaftlichen Optimierungsstrategie fragen, ob territorial definierte pastorale Einheiten gerade für Großstädte mit ihren unterschiedlichen sozialen Milieus überhaupt Sinn machen und nicht andere Organisationsansätze kirchlicher Pastoral eingeführt werden sollten – man denke hier etwa an die City-Kirchen-Projekte.

Die großen Kirchen waren es gewohnt, dass die Menschen quasi automatisch zu ihnen kommen – zumindest zur Feier der großen Übergänge des Lebens. Vergleichbar zu (anderen) sozialen Einrichtungen kann es sie beschäftigen, wie heute Menschen zu ihnen finden: etwa durch „Schwellensenkungen“ beim Betreten der eigenen Räume; oder durch die gehaltvolle Präsenz in den Räumen des Internets.

Vielleicht könnten die Kirchen sich vornehmen, – und nicht nur zu ausgewählten Festtagen wie an Fronleichnam – die eigenen Räume zu verlassen und zum Beispiel samstags im öffentlichen Raum, in den Fußgängerzonen zum Dialog präsent zu sein? Oder überwiegt dann die Angst, mit anderen gesellschaftlichen Gruppen – Parteien im Wahlkampf, den Zeugen Jehovas oder einer Naturschutzgruppe – in einen Topf geworfen zu werden?

Ulrich Feeser-Lichterfeld öffnet in seinem Beitrag die Perspektiven auf globale Zusammenhänge wie den Klimawandel oder globale Ungerechtigkeiten, wie sie Geograph/innen mit anderen Wissenschaftler/innen erforschen. Zugleich sind diese Themen über die Arbeit der großen kirchlichen Hilfswerke und ihre Aktionsangebote auch in den Ortskirchen präsent. Materialien zu den Misereor-Fastenaktionen oder der GEPA stellten die Ungerechtigkeiten im globalen Kaffee- und Kakaohandel dar, noch bevor die Wirtschaftsgeographie mit dem Konzept der Globalen Warenkette Anfang der 1990er Jahre Instrumente zu deren sozialwissenschaftlicher Analyse entwickelte.

Das von Ulrich Feeser-Lichterfeld wiedergegebene Zitat von Kardinal Bergoglio/Papst Franziskus, „nicht nur an die geographischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz zu gehen“, ist nicht nur für die Kirche, sie kann auch für die Wissenschaften eine Herausforderung ausdrücken.

Aus dem von Feeser-Lichterfeld angeregten Gespräch zwischen Geographie und kirchlichen Mitarbeitenden können also potentiell beide Seiten Nutzen ziehen. Den Beitrag von Ulrich Feeser-Lichterfeld erachte ich somit insgesamt als sehr instruktiv. Ich möchte jedoch dazu anregen, zwischen verschiedenen Bedeutungsebenen von „Raum“ (und von verwandten Begriffen wie etwa „Platz“) deutlicher zu unterscheiden, auch wenn dabei die Sprache etwas von ihrem suggestiven Charakter verliert.

Lebendige Seelsorge 4/2017

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