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THEMA

Kommunizieren in der Glaubwürdigkeitskrise

Die Katholische Kirche hat ein Problem. Man glaubt ihr nicht mehr. Ihre Vertreter gelten bei vielen Menschen als verlogen, ihre Theologie als nicht mehr relevant. Wer dagegen mit wissenschaftlich hochtrabenden Theorien anschreiben will, wird scheitern. Erik Flügge

Mein Name ist zurzeit unter Theologen in aller Munde. Ich habe einen SPIEGEL-Bestseller über die kirchliche Unfähigkeit, sich einfach auszudrücken, geschrieben. Der Erfolg des Buches ist leicht erklärt. Der Text ist so geschrieben, dass Menschen ihn lesen wollen, anstatt lesen zu müssen. Dieser Satz klingt gleich so arrogant. Dabei sollte er eine Selbstverständlichkeit sein. Leider ist das zu oft nicht der Fall. Viel zu viele Texte über Gott versuchen das Einfache möglichst kompliziert auszudrücken. Das empfinde ich als die eigentliche Arroganz.

ENTWISSENSCHAFTLICHUNG VON GLAUBENSTEXTEN

Ich möchte, dass die Theologie sich sprachlich entwissenschaftlicht, ohne sich zu verblöden. Dabei bin ich einigermaßen stolz auf das Wort „Entwissenschaftlichung“. Es ist so dermaßen überflüssig überkomplex, dass es als wunderbare ironische Brechung der gesamten wissenschaftlichen Selbstüberhöhungstendenz theologischer Kreise den Spiegel vorhält. Mit dem Wort Selbstüberhöhungstendenz verhält es sich genauso. Jemand, der beispielsweise von der „Gottesgegenwärtigkeit“ (ev. Landesbischof Dröge) spricht, nimmt sich selbst zu wichtig.

Mit derlei Sprache hebt man sich ab von der Zuhörerschaft. Man wird vielleicht als Experte wahrgenommen, aber sicherlich nicht als Freund. Ein Umstand, der besonders dramatisch ist in einer Zeit, in der Expertise immer weniger zählt. Der Verlust der Glaubwürdigkeit der Expertise ist ein internationaler Prozess. Während des Volksentscheides über den BREXIT zählten Fakten genauso wenig wie bei Donald Trump. Die AfD begründet ihren Erfolg auf Ängsten vor Entwicklungen, die gar nicht stattfinden. Stuttgart 21 wird entgegen jedweder Kostenrechnung und Expertenmeinung weiter gebaut. Auch in der Finanzmarktkrise 2008 reichte die gemeinsame Aussage von Angela Merkel und Peer Steinbrück „die deutschen Einlagen sind sicher“, um eine Massenpanik zu verhindern. Wäre die Panik eingetreten, niemand hätte die Sicherheit der Einlagen garantieren können. Das faktenbasierte Argument hat seine Macht verloren. Es gewinnt die überzeugend-starke Meinung.

Erik Flügge

Geschäftsführer der SQUIRREL & NUTS Gesellschaft für Strategische Beratung mbH; berät Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Großorganisationen bei der strategischen Aufstellung und Optimierung ihrer Kommunikation; veröffentlichte 2016 den SPIEGEL-Bestseller „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ im Kösel-Verlag.

Im Grunde müsste dieser Trend der Theologie in die Hände spielen. Sie verhandelt seit jeher einen Glauben, der mehr den Charakter einer Meinung als den Charakter eines Faktums hat. So viele intellektuelle Pirouetten wir auch drehen, Gott bleibt wissenschaftlich nicht beweisbar. Ohne Glaube gibt es keinen Gott.

Es läge eine so große Chance darin, schlicht den eigenen Glauben zu formulieren. „Ich glaube an Gott“ – „Ich folge seinen Geboten“. Aussagen, die in unserer Zeit schon genügend Sprengkraft besitzen, weil sie längst nicht mehr selbstverständlich sind. Doch statt den Trend der Zeit zu begreifen, entwickelt sich kirchliches Sprechen immer weiter in die genau gegenteilige Richtung. Starke Meinung und schlichte persönliche Glaubenszeugnisse treten immer mehr zurück hinter einer hochtrabenden Theoretisierung Gottes.

SPRECHEN VOR DEM KREUZ

Was mich im Kern an dieser sprachlichen Selbstüberhöhung stört, ist, dass sie sich selbst theologisch widerlegen müsste. Ich frage mich immer wieder, wenn ich Predigten höre oder Hirtenbriefe lese, wieso man meint, auf eine hochtrabende Sprache zurückgreifen zu dürfen im Angesicht des Kreuzes.

Zuletzt begegnete mir ein Beispiel dafür in Bischof Osters Überlegungen zum Beichtrückgang. Er schreibt, die Beichte sei für den erlösungsbedürftigen Menschen „ein völlig unverdientes und unangemessenes Gnadengeschenk, immer neu im Sakrament der Versöhnung alles vor den Vater hinlegen zu können“. Ich verstehe diesen Text. Ich habe ausreichend viele Semester Theologie studiert. Das Bildungsbürgertum versteht diesen Text. Es kann mit schweren Formelsätzen und starker Verdichtung umgehen. Meine Großmutter versteht den Text nicht. Sie geht nicht mehr zur Beichte. Man kann Bischof Oster nicht unterstellen, dass er keine streitbaren Thesen hätte. Er hebt sich wohltuend ab vom Einheitsbrei der abgeschliffenen Positionen, die immer allen gefallen wollen. Er polarisiert, statt sich zu Tode zu differenzieren. Er provoziert mit dem, was er sagt und stößt Debatten an, auch wenn mir nicht jede Position gefällt. Einzig die breite Masse versteht ihn nicht.

Wenn ich Texte über „Gnadengeschenke“, das „Sakrament der Versöhnung“ oder über die „Gottesgegenwärtigkeit“ lese, dann stelle ich mir immer eine Frage: Warum tretet ihr vor das einfache Kreuz aus Holz und macht Euch sprachlich so groß? Welcher Text könnte Euch groß genug machen, um mit dem Kreuz auf Augenhöhe zu kommen? Müsstet Ihr Euch nicht klein machen vor dem Kreuz? Wie begründet ihr theologisch Eure hochgestochene Sprache?

GOTT ANDERS VERKÜNDEN

In der Katholischen Kirche falle ich seit einigen Monaten als starker Kritiker auf. Nicht selten wird mir gesagt, „dann mach es halt besser!“. Oftmals schwingt ein beleidigter Unterton mit. Was nur wenigen in der Kirche bekannt ist: Vier Tage vor meinem Buch startete die Veröffentlichung eines Verkündigungsprojektes, das ich über Jahre entwickelt habe und mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Auftrag des Zentrums für Berufungspastoral der Deutschen Bischofskonferenz produziere. Es heißt „Valerie und der Priester“. Daran darf man mich gerne messen.

Das vielfach besprochene Dokumentationsprojekt Valerie und der Priester entsteht bei uns im Haus. Die Journalistin Valerie Schönian ist meine Angestellte, die mit einem journalistisch freien Auftrag für ein Jahr den Priester Franziskus von Böselager begleitet und ungefiltert portraitiert. Der Kerngedanke des gesamten Projektes ist es, sich klein zu machen vor dem Kreuz. Weder handelt es sich bei Valerie Schönian um eine theologisch geschulte Fragende, noch bei Franziskus von Böselager um einen universitär sattelfesten Theologen. Keiner von beiden beherrscht die Kunst, Gott kompliziert zu machen. Das Projekt erzielt Reichweiten im Millionenbereich. Es wird seit Projektstart ständig wieder in säkularen Medien aufgegriffen. Es wird innerhalb der Kirche diskutiert und vielfach kommentiert. Das Projekt erreicht eine riesige Zielgruppe außerhalb der geschlossenen innerkirchlichen Kreise. Das Feedback, das aus diesen außerkirchlichen Kreisen zurückkommt, ist durchweg ein positives. Man glaubt dem Priester Franziskus von Böselager, dass er glaubt. Welch ein wohltuender Unterschied zu den vielen Kommentaren über Priester, die nicht leben, was sie sagen. Welch ein wohltuender Unterschied zu dem ständigen Stellungskrieg zwischen überzeugt Glaubenden und überzeugt nicht Glaubenden. Valerie Schönian wird in Berliner Diskotheken genauso positiv auf Valerie und der Priester angesprochen wie Franziskus in seiner Kirchengemeinde in Münster Roxel. Einzig, das gebe ich gerne zu, an den katholischen Fakultäten im ganzen Land leidet man unter diesem Projekt. Nicht selten höre ich, Franziskus sei kein guter Theologe. „Hättet ihr da keinen besseren finden können?“ Zuweilen bekommen Valerie oder ich sogar Texte geschickt, was Franziskus theologisch-wissenschaftlich korrekter hätte sagen müssen. Da machen sich Menschen die Mühe, zu recherchieren, was nicht ganz exakt stimmte in seinen spontanen Worten, wenn man sich die Zeit nimmt, die Konzilstexte genau zu lesen. Der häufigste Vorwurf jedoch ist, dass Franziskus als „der Priester“ portraitiert wird, obwohl er doch nur einer unter sehr vielen Priestern ist. Oder sogar in der Erweiterung, warum nur ein Priester gezeigt wird, obwohl doch so viele andere Berufungen auch existieren.

In diesem Vorwurf zeigt sich in meinen Augen eine fatale Tendenz innerhalb kirchlicher Kommunikation. Die Angst vor einer spannungsreichen Geschichte. Valerie und der Priester widersprechen sich. Sie verkörpern die Konfrontation zweier Lebenswelten, die wenig bis gar nichts gemeinsam haben. Diese Unvereinbarkeit macht die Erzählung überhaupt erst erzählenswert. Der ständige Wunsch von Theologen, man möge doch auch zeigen, dass es auch andere Meinungen gibt, dass alles viel differenzierter sei, ist die Achillesferse jeder kirchlichen Kommunikation: Man differenziert sich zu Tode. Die Gegenfrage sei erlaubt: Wie viele Personen sind denn adäquat? Wie viele Charaktere sollten die Leserinnen und Leser kennenlernen, um ein ausreichend differenziertes Bild von der Kirche zu erhalten? Jedes Quartal jemand neuen? Jeden Monat? Jede Woche? Jeden Tag? Ab der wievielten eingeführten Person wird eine Geschichte nur noch verwirrend statt lesenswert?

EIN MENSCH STATT EINER BEHÖRDE

Was wir bei Valerie und der Priester betreiben, ist, der Kirche eine andere Oberfläche zu geben. Von außen sieht unsere Kirche nämlich recht kalt aus. Sie besteht als alten Steinbauten oder mittelalten Betonbauten. Sie geriert sich wie eine Behörde. Sie tritt auf in seltsamen Riten und Gewändern. Sie spricht in kompliziert wissenschaftlichen Formeln. Sie erscheint wie ein undurchsichtiger Kosmos einer gigantischen Behörde, wie Kafka sie nicht besser hätte erfinden können. Diesem Bild stellen wir mit Franziskus von Böselager ganz und gar einen Menschen entgegen. Einen Menschen, der auch mal völlig absurde Dinge erzählt. Beispielsweise, dass er im Theater die Augen zumacht, wenn die Schauspieler auf der Bühne nackt sind, damit der Teufel ihn nicht verführt.

Ja, ich bin genauso irritiert wie alle anderen Leser auch. Aber ich bin als Produzent begeistert, dass da plötzlich zwischen all diesen Formalien und gesetzten Formen, zwischen all der differenzierten Wissenschaftlichkeit ein

Mensch durchschimmert und sichtbar wird. Ich will diesem Menschen keinen Gegenmenschen entgegenstellen. Ich will keinen zweiten Priester daneben platzieren, der dieser menschlich-pointierten Position sofort eine Relativierung zur Seite stellt. Ich halte es aus, dass der Glaube an Gott unterkomplex einfach bleibt – denn für die allermeisten Menschen ist er genau das. Ein schlichtes „ich glaube an Gott“ – und das vielleicht nicht immer korrekt.

Franziskus und Valerie emotionalisieren. Die beiden wecken Gefühle bei denen, die ihrer Geschichte folgen. Es sind Gefühle von Begeisterung, Wut, Irritation und Nähe. Sie verkörpern Glaube und Nichtglaube in solcher Form, dass Menschen beginnen, sich dazu zu positionieren. Das ist kein Hexenwerk, sondern schlicht eine Art der Kommunikation, die anerkennt, dass Emotionen und nicht komplexe Argumente handlungsauslösend auf Menschen wirken. Deshalb ist Franziskus der Priester und Valerie die Journalistin. Deshalb schmirgeln wir ihre Geschichte nicht zurecht, damit auch noch der Letzte in der Kirche zustimmend nickt. Uns schreiben Menschen, dass sie wegen Valerie und der Priester mal wieder in eine Kirche gegangen sind. Was könnten wir uns mehr erträumen? Die geweckte Emotion bedingt eine Reaktion. Nicht anders verhält es sich mit meinem Buch. Es weckt Begeisterung und Wut und damit bringt es konkrete Handlungen hervor. Menschen schreiben Lob und Kritik, sie überprüfen sich selbst mit ihren Predigten oder bestärken sich selbst darin, nichts ändern zu wollen. Für beide Seiten findet eine Selbstvergewisserung statt. In jedem Fall werden sie nicht kalt gelassen wie von universitärer Intellektualität.

Es muss einen produktiven Mittelweg geben zwischen dem Universitär-Komplexen und dem religionspädagogischen Tücherwerfen.

NICHT VERBLÖDEN

Die zentrale Herausforderung bei der Neugestaltung von Kommunikation basierend auf einfacher Emotion statt komplexer Theoretisierung ist, dabei nicht zu verblöden. Denn das ist das zentrale Risiko. Der Hang zur Verwissenschaftlichung Gottes scheint mir nicht selten auch eine Gegenbewegung gegen die sinnentleerte Emotionalisierung in Katechesen aus den 1970ern zu sein. Eine fundierte historisch-kritische Analyse einer Bibelstelle hebt sich geradezu wohltuend ab von den Bergen aus Tüchern und Kerzen und den salbungsvoll-inhaltleeren Worten religionspädagogischer Peinlichkeit. Aber die Gegenbewegung gegen die noch immer gelebte übertriebene Emotionalisierung der 1970er, die häufig ganz auf ihren Christentumsbezug verzichtet, darf nicht sein, zu einer grauen Behörde zu verkommen. Es muss einen produktiven Mittelweg geben zwischen dem Universitär-Komplexen und dem religionspädagogischen Tücherwerfen.

Für mich sind die Lesungen und das Evangelium des 26. Sonntages vom 18. September dieses Jahres ein gutes Beispiel dafür, wie das gelingen kann. Es war die seltsam verstörende Kombination aus einer Amos-Lesung (Am 8,4-7) über das Stehlen der Reichen von den Armen mittels ihrer wirtschaftlichen Übermacht, das in die Hölle führt, einer Paulus-Lesung (1 Tim 2,18) darüber, dass man für die Mächtigen beten solle und eines Evangeliums, in dem Jesus im Gleichnis vom unzuverlässigen Verwalter (Lk 16,1-13) erklärt, dass der Raub an den Reichen und Mächtigen ins Himmelreich führt.

Mich zumindest ließ diese Kombination einigermaßen verwirrt zurück. Eine Verwirrung, die emotional stark genug war, um mich zur Recherche zu ermuntern. Wie standen die Texte in anderen Bibelübersetzungen? Wie erklären Wissenschaftler dieses seltsame Gleichnis Jesu? In welchem Kontext steht der Paulusbrief? Wie geht das alles überein mit dem Gebot gegen das Stehlen? Mich ermunterte diese Recherche dazu, über diese drei Texte mit Jesuiten zu sprechen. Und zwar über die Frage, wie sie mich verloren zurücklassen, über meine Suche und am Ende auch über mein Finden. Eine Geschichte, die ich einer Kirchengemeinde erzählte und der sie aufmerksam zuhörte. Weil es die Verbindung war von echter Emotion und einfacher Überforderung im Angesichts der biblischen Überlieferung und gleichzeitiger Suche nach einer Antwort mit Hilfe wissenschaftlicher Methode.

Mein Versuch einer Antwort war nicht, das ganze Dilemma auflösen zu wollen, sondern die Irritation in den Mittelpunkt zu rücken. Die Frage, wie man angesichts so vieler konkurrierender Ansprüche im Sinne Gottes handeln soll. Welchen Zweck die Überforderung hat und wessen Wort denn nun mehr zählt: Das der Propheten, das der Apostel, die Gebote Gottes oder das Wort seines Sohnes? Ein Kleinmachen vor dem Kreuz, ohne vor lauter Demut nicht mehr zu wagen, eine Antwort zu suchen. ■

Lebendige Seelsorge 5/2016

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