Читать книгу Lebendige Seelsorge 5/2016 - Группа авторов - Страница 6
ОглавлениеMuss es immer kompliziert sein?
Die Replik von Erik Flügge auf Ute Leimgruber
Auf der inhaltlichen Ebene kann ich Frau Dr. Leimgruber gar nicht widersprechen. In meinen Augen hat sie Recht. Ich teile ihre Analysen und Argumente und frage mich dennoch: Warum ist ihr Text so kompliziert geschrieben?
Warum soll ich eine Replik schreiben, wenn wir uns doch einig sind? Das ist die Frage, mit der ich diesen Text beginne. Zur Sicherheit schlage ich das Wort „Replik“ bei Wikipedia nach. Dort steht: „Die Replik ist die Erwiderung des Klägers im Zivilprozess auf die Klageerwiderung des Beklagten.“ Blöd gelaufen, Frau Dr. Leimgruber hat mir im Kern gar nicht widersprochen. Welche Erwiderung sollte ich ihr entgegenstellen?
Wir sind uns einig in der Diagnose, dass „der Zusammenhang zwischen alltäglicher Gebrauchssprache und kirchlicher Verkündigungssprache gerissen ist“. Worin wir uns augenfällig nicht einig sind, dass es sich mit der Sprache wissenschaftlicher Theologie genauso verhält. Und an dieser Stelle wird wohl die eigentliche Unterschiedlichkeit zwischen Frau Dr. Leimgruber und mir sichtbar: Wir gehen anders mit Sprache um.
Wann immer ich einen Text schreibe, unternehme ich den Versuch, alles so einfach wie nur möglich zu formulieren. Das gelingt mir mal mehr und mal weniger gut. Aber es ist mein Anspruch. Wenn ich die Sätze lese „Das in kirchlichen Kontexten verwendete Vokabular ist oft nur noch für Menschen verständlich (und erträglich), die kirchlich sozialisiert und integriert sind. Für alle anderen wirkt es irgendwie anachronistisch, peinlich und oft sogar abstoßend“, dann denke ich: Warum so kompliziert? In meinem Buch hatte ich es so auf den Punkt gebracht: In der Kirche habe ich den Eindruck, als wandle ich ständig zwischen dem Vorlesungssaal von Habermas und der Kindertagesstätte Pusteblume hin und her. Gerade bin ich mal wieder in den Hörsaal geraten.
Während ich diesen Text schreibe, hat der Zug die Grenze zur Schweiz überschritten. Ich habe jetzt keinen Empfang mehr. Ich kann nicht mehr googeln. Was hieß nochmal ganz genau „anachronistisch“? Deshalb formuliere ich in dieser Erwiderung den gleichen Vorwurf ihrer Sprache gegenüber, den sie den Verkündigenden macht. Sie schreibt, die Worte „Agape“ und „Antlitz“ würde niemand mehr verstehen. Ich antworte ihr, dass „anachronistisch“, „Inkohärenz“, „institutionalistisch“ auch eine Form von „Wortdurchfall“ sind, wie Paul Zulehner ihn den Verkündigern vorwirft.
WARUM MACHE ICH DIESEN VORWURF?
Ich weiß, dass ich mir mit dieser Replik nicht nur Freunde mache. Natürlich klingt sie mal wieder arrogant. Aber ist es nicht die eigentliche Arroganz, einen Text so zu formulieren, dass er ohne Studium nicht verstanden werden kann? Haben wir denn ernsthaft eine Chance, diejenigen zu erreichen, die vor Ort in den Gemeinden sind, wenn wir es so kompliziert machen? Es gibt viele gute Theologen wie Arndt Bünker, dessen Kritik meines Buches gerade viele richtig gute Theologen feiern. Er kritisiert, dass mein Buch das Thema der Sprache zu unterkomplex verhandelt und stellt meinem Text eine sehr komplexe Analyse entgegen. Der Applaus an den Unis ist ihm gewiss. Nur, in den Kirchengemeinden liest das wieder keiner. Der Erfolg von „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ ist, dass man es lesen kann. Weil man das Buch auf Anhieb versteht, hat es so eine große Reichweite. Deswegen wird es nicht nur an Unis gelesen, sondern überall dort, wo verkündigt wird. Natürlich verharrt es dabei an der Oberfläche. Aber ich glaube, dass genau die Veränderung dieser Oberfläche einen tatsächlichen Beitrag dazu leisten kann, dass sich auch das große Ganze verändert.
Deshalb erlauben Sie, dass ich es jetzt auch einmal kompliziert mache: Systemtheoretisch betrachtet bedingt die Veränderung einer Systemvariablen alle abhängigen Systemvariablen mit. Da Sprache als Oberfläche ein aus dem System heraus bedingter Output ist, erfordert die Veränderung dieses Outputs auch eine vorgängige Veränderung der Systembedingungen. Damit ist die Symptombehandlung immer auch eine Systembehandlung. Weil ich es mir aber zur Aufgabe gemacht habe, das Komplizierte einfach auszudrücken, liefere ich die Übersetzung gleich mit: Wenn man beginnt darüber nachzudenken, wie die eigene Botschaft verständlich wird, stellt man schnell fest, wenn einem eine Aussage fehlt. Wofür stehe ich gerade eigentlich? Was will ich sagen? Wenn ich diese Antwort nicht finde, höre ich auf, an meiner Predigt zu feilen und fange an, nochmal in der Bibel nachzulesen. Wenn das da draußen in den Kirchengemeinden gerade passiert, dann habe ich alles geschafft, was ich erreichen wollte. ■