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Tobias Kläden
Neurowissenschaftliche Herausforderungen an die Praktische Theologie – nur ein Hirngespinst?

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„Ohne Hirn ist alles nichts.“ Diese lässige, jedoch nicht als Provokation gemeinte Aussage kann als die Leitidee der Hirnforschung betrachtet werden. Vielleicht ist die Aussage viel zu allgemein formuliert, um überhaupt wahr sein zu können. Also genauer: Die Leitthese der kognitiven Neurowissenschaften besagt, dass unser Bewusstsein, unser gesamtes mentales Leben nicht möglich wäre ohne bestimmte, spezifische und funktionierende Hirnzustände.

Die kognitiven Neurowissenschaften sind ein Teil des Bündels von Disziplinen, die man unter der Sammelbezeichnung „Hirnforschung“ zusammenfasst. Sie befassen sich mit den neuronalen Grundlagen von kognitiven und psychischen Funktionen; im Mittelpunkt des Interesses stehen also die höheren Leistungen des menschlichen Gehirns. Aus der klinischen und der experimentellen Erfahrung der Neurowissenschaften lässt sich nun eine starke Intuition ableiten: Alle Vermögen des Menschen setzen ein intaktes Hirn voraus – seien es Denken, Sprache, Gedächtnis, Wahrnehmungsfähigkeit, aber auch seine Wünsche und Emotionen. Es gibt zumindest keine überzeugenden und vor allem keine replizierbaren Berichte über die Existenz von psychischen Phänomenen, die unabhängig von bestimmten Hirnprozessen aufträten.

Formuliert man diese Intuition über die empirischen Daten hinausgehend, so gelangt man zu der These, dass psychische Phänomene ausschließlich im Zusammenhang mit (spezifischen) Hirnprozessen auftreten, oder umgekehrt: Ohne Hirnprozesse gibt es keine psychischen Phänomene. Ohne hier auf die weit reichenden philosophischen Konsequenzen dieser oft vertretenen These eingehen zu können, wird ohne weiteres deutlich, dass diese These und die dahinterstehenden Ergebnisse der Hirnforschung von theologischer und auch von praktischtheologischer Relevanz sind. Denn wie die breite Diskussion in der Öffentlichkeit zeigt, lassen die Befunde der Hirnforschung das Selbstverständnis des Menschen nicht unbeeinflusst. Offenbar schicken sich die Neurowissenschaften an, die vornehmsten Eigenschaften des Menschen, wie etwa seine Reflexionsfähigkeit, seinen Intellekt oder seinen freien Willen, auf natürliche Weise, mit den Mitteln der Naturwissenschaften zu erklären und damit vielleicht wegzuerklären. Dadurch droht der Mensch, seine Sonderstellung als geistbegabtes Wesen zu verlieren.

Auch die Religiosität des Menschen gerät in den Fokus der neurowissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Religiöse Einstellungen und Überzeugungen unterliegen dem Programm der Naturalisierung, der natürlichen Erklärbarkeit genauso wie religiös motivierte Verhaltensweisen. Spätestens an dieser Stelle kann sich die praktische Theologie nicht mehr heraushalten aus der Diskussion um die Fragen, die die Neurowissenschaften aufwerfen.

Im Folgenden werde ich versuchen, die Relevanz dieser Fragestellungen für die praktische Theologie aufzuzeigen und diese Bedeutung an einem Beispiel exemplarisch zu veranschaulichen. Im diesem Beispiel soll es ganz knapp um die Befunde und Thesen gehen, die unter der Bezeichnung „Neurotheologie“ durch populäre und wissenschaftliche Medien geistern.

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