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Das muss man sich einmal vorstellen: In der kunterbunten Kirche, die ihren Namen der unvergleichlichen Pippi Langstrumpf verdankt, muss der Michel aus Lönneberga nicht mehr in den Tischlerschuppen, um seine Figuren zu schnitzen. Er sitzt ja jetzt zwischen Willkommens-Gummibärchen und Werkstatt-Gottesdienst mit seinem – gar nicht so griesgrämigen – Vater an einem Tisch. Dort zeigt der Michel dem – gar nicht so geschickten – Vater, wie man den verlorenen Sohn schnitzt, während der sich noch an seinem Kollegen aus Lukas 15 abplagt, der dem Sohn entgegenrennt. Und dann gibt es irgendwann sogar noch …, aber nein, Blutsuppe (wie bei Astrid Lindgren) würden wir wahrscheinlich in der deutschen Variante der Messy Church nicht reichen, durchaus aber die aus einem schwedischen Möbelhaus vertrauten Kottbullar und natürlich Zimtschnecken.
Damit dürften Sie, liebe Leserin, lieber Leser, schon einmal zwei wichtige Informationen besitzen. Erstens: dass ich noch mehr als die Pippi Langstrumpf meinen strohblonden Namensvetter aus Lönneberga mag. Und zweitens: dass ich die „Kirche Kunterbunt“ für eine sehr gute Idee halte.
Und damit bin ich bei meinem eigentlichen Handwerk: dem Erkunden von Zukunftschancen der christlichen Gemeinde. Wenn wir uns in unserem Greifswalder Institut die Lage des christlichen Glaubens in Ost und West anschauen, dann gibt es immer wieder eine Beobachtung, die uns besonders bewegt. Und das ist die merkwürdige Spannung zwischen Aufwand und Ergebnis, wenn es um den Dienst der Gemeinden an Kindern und Jugendlichen geht. Gewiss ist auch da nicht alles Gold, was glänzt, aber eines kann man schlecht bestreiten: Sehr viele Gemeinden legen sich mächtig ins Zeug, um Kindern und Jugendlichen den Glauben ans Herz zu legen. Da gibt es (wenn auch mancherorts seltener als früher) Kindergottesdienste, da werden Kinder in christlichen Kindergärten mindestens mit den großen Festen vertraut gemacht. Da singen Kinder in kirchlichen Chören oder gehen in die Jungschar beim örtlichen CVJM. Da erleben sie den Religionsunterricht in der Schule, erleben ihre Erstkommunion oder die Konfirmation. Vielleicht waren sie Pfadfinder oder sind auf eine Jugendfreizeit in Astrid Lindgrens Heimat gefahren. Alles prima, mit großem, nicht zuletzt ehrenamtlichem Einsatz. Und es wäre natürlich ungerecht und auch undankbar zu sagen, dass das alles nichts austrägt. Das tut es – und wie sähe es um die Zukunft der Gemeinden aus, würde all das eingestellt! Aber es gibt dennoch diese Diskrepanz: Je jünger die Altersgruppen sind, die in großen Studien von Meinungsforschern befragt werden, desto größer ist ihr Abstand zum Glauben, ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche und ihre Bereitschaft, aus der Kirche auszutreten. Die letzte große Untersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland hat das vor einigen Jahren überdeutlich gezeigt. Je jünger, desto kirchenferner. Sie hat auch gezeigt, dass immer weniger junge Menschen sagen können, dass sie zuhause eine Erziehung im Glauben, so etwas wie eine Weitergabe von Wissen, Übungen und Lebenspraktiken erlebt haben. Anders gesagt: Eltern tun sich damit immer schwerer. Oder sie haben gar kein Interesse daran. Oder sie empfinden schon, dass sie ihren Kindern auch in Sachen Glauben etwas mitgeben sollten, wissen aber nicht wie. Oder sie denken in stillen Momenten daran, dass sie selbst gerne wissen würden, was und wie man glauben könnte.
Stop! Nein, so meine ich es nicht: Die kunterbunte Kirche ist nicht die Rettung der Kirche, deren jüngste Mitglieder auf dem Absprung sind. Auch wenn uns die Zukunft unserer Gemeinden nicht ganz egal sein dürfte, ist die Idee der „messy church“ nicht so platt „taktisch“ ausgerichtet – ich könnte auch sagen: nicht so selbstbezüglich. Aber es kann uns ja nicht egal sein, ob Eltern und Kinder den christlichen Glauben kennenlernen, ihn als wichtig, spannend, hilfreich und orientierend erleben und sich im Glauben mit den anderen zusammen beheimaten, die auch nach Gott fragen und Jesus folgen. Das kann uns nicht egal sein. Und vielleicht brauchen wir doch noch einmal einen neuen, einen ganz anderen Ansatz.
Und da kommen wieder einmal unsere englischen Freunde ins Spiel. Seit etlichen Jahren inspirieren uns die Überlegungen von der Insel, wie denn „fresh expressions of church“ aussehen könnten. Nicht zuletzt geht es um neue Formen von Kirche für Menschen, die in keine Kirche gehen. Eine echte „Fresh X“ müsste ja da ansetzen: bei denen, die bisher keinen Zugang fanden. Verankert in ihrem Leben. Förderlich für ihr Dasein. Einladend im Blick auf lebendiges, mündiges Christsein. Eine vollwertige Weise, Kirche zu sein (und nicht nur eine Brücke in traditionelle Gottesdienste). Wir wissen, dass es Tausende solcher „Fresh X“ auf der Insel gibt. Verschiedenste Modelle, wie das aussehen kann, haben sich mit der Zeit entwickelt. In den am wenigsten erwartbaren Zusammenhängen: bei Surfern vor der Küste von Cornwall, bei Polizisten in der Wache von Merseyside in Liverpool oder in einem sozialen Brennpunkt am Stadtrand von London.
Aber am häufigsten ist von einer bestimmten Form von „Fresh X“ die Rede: von der „Messy Church“. Keine andere „Fresh X“ ist so verbreitet und offenkundig wirkungsvoll wie diese. Dabei ist die Idee recht einfach: nicht noch ein neues Kinderprogramm, sondern eine neue Form von Kirche, in der Kinder und Erwachsene miteinander den Glauben erkunden und hoffentlich entdecken, feiern und üben. Und darin liegt nach meiner Überzeugung die Pointe: Kinder und Erwachsene erleben miteinander Kirche, und das kunterbunt. Sie erleben eine gastfreundliche Gemeinde. Sie können miteinander kreativ sein. Sie feiern Gottesdienste in verträglichem Umfang. Sie essen miteinander und mit anderen. Das ist ja im Grunde so naheliegend, dass man sich fast fragt, warum man darauf nicht schon eher gekommen ist. Unser Lebenstempo ist so hoch, dass für viele Familien gemeinsame Zeit das Wertvollste ist, was sie haben können. Und Eltern machen in aller Regel gerne mit, wenn ihren Kindern etwas Gutes angeboten wird – zumal wenn sie selbst auch etwas davon haben. Und hier wird nicht nur Eltern (wie bei landeskirchlichen Taufen) das Versprechen abgenommen, die Kinder im Glauben zu erziehen. Hier ist vielmehr ein Raum, in dem alle miteinander mit dem Glauben anfangen können. Oder ihn mindestens einmal kennenlernen.
Das Buch, dessen erste Seiten Sie gerade lesen, wird Sie mit auf die Reise nehmen: nicht nach Lönneberga, aber in die kunterbunte Kirche. So übersetzen wir die „unordentliche Kirche“ („messy church“). Sie werden die Idee genauer kennenlernen, die vier Phasen eines monatlichen Treffens als „Kirche Kunterbunt“, die Werte, die hinter dieser Idee stecken, die Vorbereitung, bevor es losgeht, die Anforderungen an ein Team, das diese schöne Arbeit tragen soll. Sie werden auch praktische Materialien finden mit konkreten Entwürfen für verschiedenste Gelegenheiten. Dieser Band ist keine trockene Theorie. Man merkt, dass die, die hier mitgeschrieben haben, Erfahrung und Herzblut investieren.
Eine Kirche mit Michel, an einem Tisch mit Anton und Alma, seinen Eltern. Ohne Tischlerschuppen. Wie hießen wohl die, die Sie jetzt vor Augen haben, für Ihre kunterbunte Kirche?
Wir haben keine Garantie, dass damit alle Probleme gelöst wären, aber es wäre doch einen Versuch wert. Warum sollten wir nicht auch gute Erfahrungen machen, wie unsere Freunde in England, wenn Kinder und Erwachsene zusammen Jesus kennenlernen? Wirklich: Einen Versuch ist es wert!
Weitenhagen, im September 2018
Michael Herbst