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Warum gewinnt die AfD Sympathien bei konservativen Christen beider Konfessionen?
ОглавлениеWer in ein paar Dekaden auf das derzeitige Jahrzehnt zurückblickt, wird merken, dass dieses in ideengeschichtlicher Hinsicht eine Zäsur mit sich gebracht hat. Rechtes Gedankengut und rechte Bewegungen sind plötzlich fast schon salonfähig. Bis dato waren sie in der Bundesrepublik zwar vorhanden, gesellschaftlich aber marginalisiert. Unter dem berühmt-berüchtigten Motto „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ trauen viele sich nunmehr, einen völkischen Ton anzuschlagen und die etablierte Politik als „Alt-“ bzw. „Kartellparteien“ sowie die Medien als „Lügen-“ bzw. „Lückenpresse“ zu diffamieren.
Längst ist zu einer Gewissheit geworden, was der in rechten Kreisen beliebte Publizist Michael Klonovsky im Dezember 2014 auf seinem Blog „acta diurna“ („Tagesgeschehen“) voraussagte: „Es wird in den nächsten Jahren eine Spaltung dieses Landes in zwei Lager stattfinden, wie sie in den USA bereits weitgehend vollzogen ist. Die Bruchlinien sind mit Namen wie Sarrazin, Pirinçci, AfD und Pegida markiert, desgleichen gehören die Petitionsbetreiber gegen die Schulsexualisierung in bald vielen Bundesländern dazu. (…) Ich für meinen Teil werde wenig mit dieser Bewegung zu tun haben, aber ein gewisses Maß an Verständnis für sie hegen, denn mir fällt kein Argument ein, warum diejenigen, so da seit Jahren für das humanitaristische Theater blechen und sich gleichzeitig von den Lautsprechern des Zeitgeistes als dumpfdeutsche Mitte-Extremisten schmähen lassen müssen (in den Öffentlich-Rechtlichen sogar auf eigene Kosten), sich nicht endlich einmal spürbar gegen diese Plage zur Wehr setzen sollten.“
Ausgerechnet ein bestimmtes christliches Milieu hat sich als besonders anfällig für die Parolen der rechten Seite der Bruchlinie erwiesen. Dabei handelt es sich um Gläubige beider Konfessionen, die sich selbst als konservativ einordnen. Dazu zählen Katholiken, die etwa den Zölibat und eine strenge Kirchenhierarchie befürworten, sowie bibeltreue Protestanten. Letztere finden sich vorrangig im evangelikalen Milieu, also entweder in Freikirchen oder in den entsprechenden Kreisen der Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wie etwa in den pietistisch geprägten Regionen im Südwesten, aber auch in schwäbischen Gebieten in Bayern.
Man muss also inzwischen konstatieren: Nicht nur unter Konservativen insgesamt, sondern auch innerhalb des konservativen christlichen Milieus ist es zu einer Spaltung gekommen in einen moderaten Flüge einerseits und einen sich immer rechtspopulistischer bzw. neurechter gerierenden Flügel andererseits. Wie unter dem Brennglas lässt sich hier beobachten, wie sich Menschen zunehmend radikalisieren und, wie etwa der katholische Publizist Matthias Matussek in einem Artikel mit dem Titel „Die mutigen Einzelnen“, sogar Sympathien für die „Identitäre Bewegung“ zeigen. Und damit für eine Gruppierung, die seit Jahren im Visier von diversen Landesverfassungsschutzämtern steht und bereits Monate vor dem Erscheinen von Matusseks Text auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Beobachtungsobjekt eingestuft wurde. Dessen Präsident, Hans-Georg Maaßen, begründete dies im August 2016 gegenüber der „Deutschen Presseagentur“ wie folgt: „Wir sehen bei der ‚Identitären Bewegung‘ Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. So werden Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten in extremistischer Weise diffamiert. Deshalb beobachten wir die Bewegung nun auch.“
Moderat-konservative Christen stecken in einem Dilemma. Ihnen ergeht es oftmals so wie vielen in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. „Gemäßigte Konservative hatten es schwer gegen die aggressive Rhetorik“, schrieb der Journalist Johannes Saltzwedel in einem 2015 erschienenen Essay in dem bei DVA erschienenen Sammelband „Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie“. Zwar ist der prozentuale Anteil der radikalisierten Christen gemessen an der Gesamtzahl kirchennaher Christen gar nicht einmal besonders groß. Jedoch verfügen sie über einige bekannte Aushängeschilder, treten lautstark in Blogs und sozialen Medien auf und unterhalten diverse Netzwerke. Zum Teil nehmen sie auch Einfluss auf die Politik oder versuchen es zumindest.
Wie konnte es so weit kommen? Diese Entwicklung ist keineswegs zufällig. Denn es gibt seit Jahrzehnten enge Verbindungen zwischen christlichen Milieus und der „Neuen Rechten“, die nun in aller Öffentlichkeit Frucht tragen.
Die Neue Rechte entstand Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre als „Nouvelle Droite“. Ihr Gründungsvater ist Alain de Benoist, ein ehemaliger Rechtsextremist. De Benoist hatte erkannt, dass das rechte Denken mit seinem Hang zum Extremismus bis hin zum manifesten Neonazismus keine Zukunft hatte. Also grenzte er sich davon ab. Stattdessen knüpfte er an die Vordenker der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Republik an, also an völkische und antidemokratische Intellektuelle wie Arthur Moeller van den Bruck (Hauptwerk: „Das dritte Reich“), Carl Schmitt, der ein striktes Freund-Feind-Denken in der Politik propagierte, und an Edgar Julius Jung (Hauptwerk: „Die Herrschaft der Minderwertigen“). Nur die wenigsten von ihnen wie namentlich Carl Schmitt schlossen sich später den Nationalsozialisten an. Gleichwohl waren sie Wegbereiter für die Abschaffung der Weimarer Demokratie. Mit ihrem Gedankengut, etwa der Diffamierung des Reichstags als „Schwatzbude“, hatten sie die Weimarer Republik sturmreif geschossen.
Die Neue Rechte konnte schnell auch in Deutschland Fuß fassen. Doch sie unterschied sich in einem zentralen Punkt von den Vorgaben de Benoists. Anders als er, der das Christentum ablehnt, gaben sich viele ihrer deutschen Protagonisten von Anfang an dezidiert christlich. Sie legten somit letztlich den Grundstein dafür, warum so viele konservative Christen heutzutage so anfällig für neurechtes Gedankengut sind – und nicht einmal merken, wie sehr sich dieses Denken abhebt von dem bundesrepublikanischen Konservativismus der Nachkriegszeit, den Politiker wie Konrad Adenauer oder Franz-Josef Strauß prägten.
2006 erschien ein Gesprächsband namens „Unsere Zeit kommt“ mit einem Austausch zwischen zweien der bis heute wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten, nämlich dem Geschichtslehrer Karlheinz Weißmann und dem Verleger Götz Kubitschek. Weißmann sagt dort über die „Nouvelle Droite“: „Was mich von Anfang an irritierte, waren die Schlüsselinhalte – positive Wertung des Rationalismus, die Fixierung auf das Indoeuropäische, die Feindseligkeit gegenüber dem Christentum, die Begeisterung für die ‚Biopolitik’, fasziniert war ich dagegen von dem Projekt, eine Gegenideologie aufzubauen, um der Linken Paroli zu bieten.“ Und weiter: „Sicherlich kann es auch ein Christentum ohne Europa geben, aber kein Europa ohne Christentum.“
Die angebliche Islamisierung war 2006 unter den Neuen Rechten noch kein Thema. Aber der Umstand war schon damals angelegt, dass ausgerechnet sie mit ihrer spezifischen Weltsicht eine Dekade später als „Verteidiger des christlichen Abendlands“ in Erscheinung treten und letztes zu einem rechten Kampfbegriff machen würden. Vielleicht erklärt diese Betonung des Christentums auch, warum jemand wie der katholische Publizist Klaus Kelle, selbst CDU-Mitglied, keine Berührungsängste mit Weißmann hat. Er stellte im Herbst 2015 in einer Radiosendung Weißmanns Buch „Deutsche Geschichte für junge Leser“ vor und interviewte Weißmann dazu.
2003 hatten Kubitschek und Weißmann gemeinsam die neurechte Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ gegründet. Inzwischen, genauer seit 2014, gehen sie getrennte Wege. Weißmann begründete dies im Dezember 2015 in der „Jungen Freiheit“ u.a. mit Kubitscheks „permanenter Grenzüberschreitung, etwa im Hinblick auf die Faschisten des 21. Jahrhunderts“. Gemeint ist damit Kubitscheks positive Haltung gegenüber der italienischen neofaschistischen Gruppierung „Casa Pound“. Rund um Kubitschek hat sich inzwischen der radikale Teil der neurechten Szene versammelt. Dagegen hat sich die 1986 gegründete Wochenzeitung „Junge Freiheit“, die oft als „Mutterschiff“ der neurechten Publizistik bezeichnet wird, unter ihrem Chefredakteur Dieter Stein vor allem seit dem Herbst 2015 deutlich gemäßigt. Mittlerweile zählt sie zu den schärfsten Kritikern von Kubitschek und dessen engem Weggefährten, dem Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke. Deshalb ist sie aber noch nicht zu einer harmlosen Zeitung geworden. Neben klassisch konservativen Texten finden sich dort nach wie vor Beiträge mit neurechtem Gedankengut. So unterhalten etwa Weißmann und auch de Benoist eine regelmäßige Kolumne. Vom völkischen Rechtsradikalismus allerdings distanziert sich das Blatt klar.
Auch die „Junge Freiheit“ gibt sich christlich. So heißt es im Leitbild der Zeitung: „Die europäische und deutsche Kultur sind mit dem Christentum auch in seiner säkularen Form unauflöslich verwoben. Wir begegnen religiöser Indifferenz durch einen festen, christlichen Standpunkt, der im Jahreslauf wiederkehrend einen deutlichen Vorrang erhält.“ Da wundert es kaum, dass viele der Protagonisten des sich selbst für konservativ haltenden christlichen Milieus dort seit Jahren veröffentlichen. Zu ihnen zählen die katholische Publizistin und „Gender“-Kritikerin Birgit Kelle (auch sie ein CDU-Mitglied) und Martin Lohmann, der Organisator des jährlichen „Marschs für das Leben“, einer Initiative gegen Abtreibung. Im Jahre 2009 erhielt Helmut Matthies, der Leiter des evangelikalen Medienunternehmens „idea“, den Gerhard-Löwenthal-Preis, den die „Junge Freiheit“ gemeinsam mit der „Förderstiftung Konservative Bildung“ vergibt. Nun ist die Mäßigung der Zeitung anzuerkennen. Deshalb etwa verteidigte die Verfasserin dieses Textes die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, als diese der „Jungen Freiheit“ im Frühjahr 2017 ein Interview gab. Im Unterschied zu Hayali allerdings treten die christlichen Autoren nicht als grundsätzliche Opponenten des inhaltlichen Kurses der „Jungen Freiheit“ auf.
In ideengeschichtlicher Hinsicht fußt die Neue Rechte in Deutschland auf dem sogenannten „Ethnopluralismus“ sowie einer antiliberalen Haltung, antipluralistischen Strömungen, einem Anti-Egalitarismus und dem Versuch, die historische Schuld der Deutschen infolge der Verbrechen des NS-Regimes zwar keinesfalls zu leugnen, aber doch in ihrer Bedeutung für die Gesamtgeschichte Deutschlands zu relativieren.
Wer den Begriff „Ethnopluralismus“ zum ersten Mal hört, kann dabei leicht an „Multikulti“ und „Diversity“ denken. Doch er liegt damit falsch. Der Ethnopluralismus ist das Gegenteil davon. Im Unterschied zur NS-Ideologie wird zwar keine Rasse als „Herrenrasse“ angesehen. Vielfach sprechen Neue Rechte auch nicht von Rasse, sondern von „Ethnien“ und „Kulturen“. Jedoch sollen diese sich untereinander möglichst nicht mischen. Ethnopluralismus meint also ein Homogenitätsideal: Die vielen „Ethnien“ oder „Kulturen“ sollen jeweils unter sich bleiben.
Genau hier verläuft auch die Grenze zwischen dem, was noch konservativ und dem, was bereits neurechts ist. So schrieb der Münchner Soziologe Armin Nassehi in seinem 2015 erschienenen Buch „Die letzte Stunde der Wahrheit“ treffend: „Rechts wird Denken also spätestens dann, wenn es eine Homogenität der Eigengruppe annimmt“ und Vielfalt lediglich „insofern gutheißt, als es durchaus unterschiedliche Kulturen und Lebensformen geben darf – aber eben nicht vermischt und innerhalb eines Raumes, sondern nebeneinander“. Genau das postuliert Alain de Benoist. So sagte er in seiner in Interviewform verfassten Autobiographie „Mein Leben“, man könne „nicht gleichzeitig Rassenmischung und Rassenvielfalt befürworten“, „da erstere als unmittelbare Folge die Verminderung der letzteren bewirkt.“ Im Buch spricht er von der “Verteidigung der menschlichen Vielfalt“. Es erschien 2014 in deutscher Übersetzung im Verlag der „Jungen Freiheit“.
Ethnopluralismus widerspricht der Bibel fundamental. Denn vor Gott zählt der Mensch als solcher. Ein Denken in rassischen oder kulturellen Kategorien ist der Bibel im Neuen Testament fremd. Der Apostel Paulus schreibt dies im Brief an die Galater 3, 27–29 sogar ausdrücklich: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Nachkommen und nach der Verheißung Erben.“
Aus dem Ethnopluralismus heraus hat die Neue Rechte die Abgrenzung zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ entwickelt. Eine der wichtigsten Schriften der Szene lautet „Die Verteidigung des Eigenen“. Autor ist der Österreicher Martin Lichtmesz, der sich betont katholisch gibt und der „Identitären Bewegung“ nahesteht. Wer nun glaubt, dass Christen sich von derartigem Vokabular fernhalten, täuscht sich. So beklagte der katholische Publizist Alexander Kissler im Dezember 2016 auf „cicero.de“ das „Lob der Grenzenlosigkeit“ und kritisierte: „Keine Grenzen soll es geben zwischen Deutschland und Österreich, Österreich und Italien, der EU und den sie umgebenden Meeren, zwischen Mein und Dein, dem Eigenen und dem Fremden, den Religionen und Kulturen“. Kissler leitet das Kulturressort beim gen rechts gedrifteten Monatsmagazin „Cicero“ und trat schon mehrfach als Verteidiger von Akif Pirinçci und Thilo Sarrazin in Erscheinung.
Doch es geht noch radikaler. So sagt de Benoist in seiner erwähnten Autobiographie, „gutmenschliche Politikansätze der schrittweisen kulturellen Angleichung“ führen „konkret zum Völkermord“. Diese Sichtweise ist unter Neuen Rechten weit verbreitet. Björn Höcke stellte auf seiner Facebookseite die Frage, ob die „Multikulturalisierung“ eines „gewachsenen Volks“ „Völkermord“ im Sinne der Uno-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords sei. Bei anderer Gelegenheit beklagte er, es gebe „nur noch 64,5 Millionen Deutsche ohne Migrationshintergrund“. Etwas softer ist die Formulierung vom „Ethnosuizid“, also dem Volksselbstmord. Auch auf diese stößt man unter rechten Christen. So setzte der katholische Dresdner Rechtsanwalt Maximilian Krah, der 2016 öffentlichkeitswirksam aus der CDU aus- und in die AfD eingetreten ist und regelmäßig große Resonanz auf Facebook und Twitter erhält, im selben Jahr den folgenden Tweet ab: „Mit Kant kann man den Merkel‘schen Ethnosuizid nicht rechtfertigen. Was hier propagiert wird, ist Widermoral.“ Nicht einmal gegenüber Götz Kubitschek zeigt Krah Berührungsängste. Im Herbst 2016 kündigte Kubitschek Krah als Redner beim „November-Kongress“ des „Instituts für Staatspolitik“ an.
Kubitschek selbst betont ebenfalls, dass er ein gläubiger Katholik sei. Doch er zeigt ein seltsames Bibelverständnis. Im März 2016 sagte er gegenüber der Sendung „Kulturzeit“ auf 3Sat: „Wenn Sie das jetzt von einem gläubigen Christen hören wollen: Das deutsche Volk ist eben ein Entwurf Gottes. Und es ist eine besondere Art, durch die Geschichte zu gehen, mit allen Höhen und Tiefen.“ Ebenso wie viele andere in der neurechten Szene glaubt Kubitschek auch, dass derzeit ein „Großer Austausch“ vonstatten gehe: Das deutsche Volk werde „in Teilen ersetzt“, und zwar durch „Fremde“. Auch diese Rhetorik findet sich inzwischen unter rechten Christen. So benutzte die protestantische Vizevorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, die eine der Galionsfiguren des Milieus ist, auf Twitter den Hashtag „Bevölkerungsaustausch“.
Auch Alexander Kissler ist derartiges Denken augenscheinlich nicht gänzlich fremd. Allerdings drückt er es eleganter und zurückhaltender aus. Im Februar 2016 zitierte er in einem Text mit dem Titel „Wo steckt denn nun das Volk?“ Thesen des umstrittenen Freiburger Staatsrechtlers Dietrich Murswiek. Der trat im März 2017 wenig überraschend als Redner bei einem „Extremismuskongress“ der AfD in Berlin auf. Kissler formulierte: „Und damit beginnen anno 2016 die Verwirrungen. Wurde das Volk hinreichend gefragt, ob es der Exekutive unter Merkel das Mandat geben will für die ‚Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands‘? Laut Murswiek werde gerade ‚aus der nach Sprache, Kultur und Geschichte deutschen Mehrheitsbevölkerung eine multikulturelle Gesellschaft ohne einheitliche Sprache und Tradition. Dazu aber müsste eine „verfassunggebende Volksentscheidung“ ihr Placet geben.“
Inzwischen wurde der Artikel von der Webseite des „Cicero“ entfernt. Die Wendung „Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands“ hatte erhebliche Empörung in diversen Medien ausgelöst. Aram Lintzel schrieb in der „taz“, dass Kissler so klinge, „als verbringe er jedes freie Wochenende auf Götz Kubitscheks Rittergut“.
Auch unter den „Christen in der AfD“, einer Gruppierung innerhalb der AfD, stößt man auf derartiges Gedankengut, wenngleich in etwas weicherer Form. So gab der Freiburger Bernd Laub, der Mitglied in dieser Gruppe ist und sich für die evangelikale „Freie Christliche Schule Freiburg“ engagiert, im Rahmen seines Vortrags beim AfD-Kreisverband Pforzheim-Enzkreis im April 2017 den folgenden Standpunkt beim Thema „Einwanderung, Integration und Asyl“ per Powerpoint-Präsentation als dezidiert „christlich“ aus: „Keine ‚schnelle‘ Vermischung verschiedener Kultururen.“ Immerhin, offenbar lehnt Laub nur die „schnelle“, nicht aber die Vermischung von Kulturen als solche ab. Die Bundessprecherin des Kreises ist die evangelikal-freikirchliche Christin Anette Schultner.
Von ethnopluralistischen Vorstellungen leitet sich auch die unter rechten Christen verbreitete Sorge vor einer „Islamisierung“ ab. Deshalb verwundert es nicht, dass die Pegida-Bewegung in diesem Milieu verteidigt wurde. Oftmals ging damit ein typisch rechter antipluralistischer Impuls einher. Das Muster ist immer gleich: Diejenigen, die Bewegungen wie Pegida oder die AfD kritisieren, werden von rechten Christen als antidemokratisch bezeichnet. Dabei machen auch sie nur von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch, welches die rechten Christen für sich selbst vehement einfordern. So bezeichnete der Publizist Matthias Matussek die Kritik von Bundeskanzlerin Merkel an der Pegida-Bewegung als „überraschend undemokratisch“ und unterstellte den Pegida-kritischen Stimmen in „Politik und Presse“ die „Gesinnung von HJ-Pöbel“. Und der Dominikanerpater und Sozialethiker Wolfgang Ockenfels, Chefredakteur der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“, beklagte die „mediale Großoffensive gegen die Protestbewegung Pegida“.
Im März 2017 trat auch Ockenfels beim „Extremismuskongress“ der AfD in Berlin auf. Dort wurde er als „national-konservativ“ vorgestellt. Ockenfels betonte, er könne nichts Unchristliches an der AfD erkennen. Auf die kritische Haltung katholischer Würdenträger gegenüber der Partei angesprochen, empfahl er, solche Bischöfe fortan als „Herr Hohlkopf“ anzureden. Damit bestätigte er eine These des evangelischen „Welt“-Redakteurs Matthias Kamann. Der sprach schon im Herbst 2015 davon, dass in solchen Milieus ein „Extremkonservatismus“ vorzufinden ist, der „antiklerikalistisch wird, wenn sich Kirchen wie in Deutschland weigern, das Evangelium in seinen Dienst zu stellen.“ So sind etwa auch Papst Franziskus und der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage bei vielen rechten Christen längst zu Feindbildern geworden und werden verbal entsprechend attackiert. Beatrix von Storch etwa nannte Woelki im Fernsehen einen „Regierungssprecher“.
Der katholische Publizist Andreas Püttmann beschrieb die in diesen Kreisen oftmals vorzufindende Haltung ebenfalls bereits 2015 treffend. In der „ZEIT“-Beilage „Christ & Welt“ schrieb er: „Ein entchristlichter Konservativismus ist zu fürchten. Ihm fehlt es an Solidarität mit den Fremden, Gestrauchelten, irgendwie Andersartigen, die als Störer des Herkömmlichen wahrgenommen werden. Er will dagegen seine Interessen und Ordnungsvorstellungen durchsetzen und das Individuum, in welchem er nicht das Bild Gottes zu erblicken vermag, autoritär einem möglichst homogenen Kollektiv unterordnen – in der Regel dem auf ‚gesunden Familien‘ aufbauenden Volk deutscher Nation.“
Insgesamt ist die Zahl der Geistlichen gering, die wie Ockenfels keine Hemmungen vor rechten Milieus haben. Aber es gibt sie, auch in evangelischen Landeskirchen. So trat der brandenburgische Pfarrer Philip Kiril Prinz von Preußen im Oktober 2015 als Eröffnungsredner bei der „4. Souveränitätskonferenz“ von Jürgen Elsässers „Compact-Magazin“ auf, welches zum radikalen Teil der Neuen Rechten zählt.
Für Entwarnung besteht also kein Anlass. Im Frühjahr 2016 sprach der Publizist Thomas Seiterich auf „katholisch.de“, dem Portal der Deutschen Bischofskonferenz, von einem „neuen Kampf um das Christliche“. Er betonte, dass „selbsternannte Abendlandverteidiger aus dem internationalistischen, antirassistischen Christentum der Nächstenliebe eine Art antiislamische, weiße Stammesreligion“ machen möchten. Die „Brisanz“ dieser Entwicklung sei in vielen Kirchenregionen außerhalb der großen Städte noch gar nicht erkannt worden. Er bezog sich dabei ausdrücklich auf beide Konfessionen. In der Tat: je näher man hinsieht, umso deutlicher erkennt man, wie in rechtschristlichen Kreisen dieselben Feindbilder gepflegt werden, auf die man auch im AfD-Milieu stößt. Mal mehr, mal weniger radikal.
Da ist von der „Islamisierung des Abendlands“ durch Migranten und Flüchtlinge die Rede und vom „Genderwahn“. Letzterer wird zu einer gigantischen Bedrohung der traditionellen Familie aufgebauscht: Damit werde angeblich eine „Umerziehung“ angestrebt hin zum „neuen geschlechtslosen Menschen“. Eine sachliche Kritik an „Gender-Themen“ sieht anders aus. Als übergeordnetes Feindbild fungiert die „politische Korrektheit“. Viele wollen sie am liebsten ganz abschaffen. Nirgends wird definiert, was darunter eigentlich zu verstehen ist. Vielleicht steckt dahinter der Wunsch, die eigenen Ressentiments noch schärfer äußern zu können, ohne dafür kritisiert zu werden.
Zum verbalen Repertoire vieler rechter Christen gehört auch die Verächtlichmachung der etablierten Presse und Politik als „Lückenpresse“, „selbstgleichgeschaltete“- oder „Mainstreammedien“, ebenso die Diffamierung der etablierten Politik als „Altparteien“. Solche Begriffe kann man in den Kommentarspalten im Internet sowie auf Facebook und Twitter sehen. Die Kirchen müssen gegenüber dieser Entwicklung weiterhin wachsam bleiben.