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2.2 Konkrete unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen
ОглавлениеDer zweite Teil des Buches reflektiert die Herausforderungen und Ziele, die mit der expliziten Arbeit mit Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer in verschiedenen Ländern – von der Grundschule zur Universität –, verbunden sind, sowie Methoden, die die Integration von mehrsprachiger und interkultureller Pädagogik erleichtern können. Alle Kapitel stellen eine komplexe Reihe von Prinzipien und Aktivitäten vor, die zur Entwicklung von Wissen, Einstellungen und Fähigkeiten der Schüler*innen in Bezug auf ihre mehrsprachige und interkulturelle Kompetenz führen. In allen Fällen wird auch eine detaillierte Darstellung der Makro- und/oder Meso-Dimensionen, die die Interaktionen auf der Klassenebene beeinflussen, präsentiert, denn wie Sprachen verwendet und legitimiert werden (oder auch nicht), ist von einer Konstellation von sozialen, politischen, wirtschaftlichen u.a. Faktoren abhängig, die zusammenwirken, um den Sprachgebrauch zu fördern oder zu begrenzen.
Das Kapitel von Alice Chik und Diane Alperstein führt kurz in die Migrationsgeschichte Australiens ein, um den Hintergrund für die Entwicklung der Sprachenpolitik zu liefern. Obwohl Sydney eine multikulturelle und mehrsprachige Stadt ist, ist die Sprachbildungspolitik nicht auf die Mehrsprachigkeit Sydneys abgestimmt. Die Ergebnisse der zwei dargestellten Forschungsprojekte zeigen, dass aufgrund einer schwachen Sprachbildungspolitik die Studierenden vor der Ausbildung nur sehr begrenzte Erfahrungen mit dem Sprachenlernen haben und auch nur ein begrenztes Verständnis von Mehrsprachigkeit zu zeigen scheinen.
Marília Pereira präsentiert einen Vorschlag für den Unterricht des Portugiesischen als plurizentrische Sprache im Kontext der Herkunftssprache, entwickelt aus den Daten der Forschung, die in einer bilingualen portugiesisch-deutschen Schule in Deutschland durchgeführt wurde. Die Studierenden und Lehrkräfte, die an der Forschung teilnehmen, gehören verschiedenen Varietäten der portugiesischen Sprache an und nehmen, ohne Unterscheidung der Varietäten, an der gleichen Lernumgebung teil. Aus dieser Forschung wird ein Weg zur Entwicklung kommunikativer und mehrsprachiger Kompetenz in einer plurizentrischen Sprache ab den frühen Schuljahren vorgeschlagen.
Anna Schröder-Sura zeigt in ihrem Artikel, wie auf der Grundlage der Pluralen Ansätze und des Referenzrahmens für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) Potenziale zur Entwicklung von „Pluriliteralität“ und „Multiliteralität“ identifiziert und gezielt gefördert werden können. Ihr Fokus liegt dabei auf der aktiven Einbeziehung des Elternhauses durch die jeweiligen Bildungsinstitutionen, weil auf diese Weise die häufig komplexe sprachliche und kulturelle Identität der Kinder anders in den Blick genommen werden kann. Die Eltern können als Repräsentant*innen und Vermittler*innen von Sprachen und Kulturen pädagogische und soziale Unterstützung leisten, indem sie sich z. B. mit dem Vorlesen von Geschichten im Rahmen von Sprachprojekten einbringen, die durch einen Verein koordiniert werden, der sich für die Kooperation zwischen Elternhäusern und Bildungseinrichtungen einsetzt. Schröder-Sura betont abschließend, wie wichtig es sei, ausgehend von diesen und vielen anderen Einzelprojekten systematische und alle Altersgruppen berücksichtigende Strategien zu entwickeln, die die Förderung mehrsprachiger literaler Kompetenzen zum Ziel haben.
Aus romanistischer Perspektive stellt Daniel Reimann in seinem Beitrag „‚Muttersprachler/innen‘ im Fremdsprachenunterricht“ ausgewählte Ergebnisse aus seinen Untersuchungen zu Schüler*innen mit zielsprachlichem Hintergrund im Spanisch-, Portugiesisch- und Italienischunterricht (als Fremdsprache) an deutschen Schulen vor. Dabei werden Ergebnisse der Teilstudie zur Sicht der als Herkunftssprecher*innen der fraglichen Sprachen betroffenen Schüler*innen thesenartig zusammengefasst und in der Folge jeweils ausführlicher vorgestellt. Weiterhin wird der Forschungsstand zu unterrichtsmethodischen Fragen der Inklusion von Herkunftssprecher*innen der Zielsprachen von Fremdsprachenunterricht, der sich in benachbarten Disziplinen abzeichnet, aufgearbeitet, um unter Integration der Ergebnisse der vorgestellten Studie und der z. B. in den USA und in der slawistischen Fachdidaktik entwickelten Maßnahmen erste Anregungen für die Praxis im Unterricht der romanischen Sprachen zu geben.
Aus ihrer eigenen schulpraktischen Tätigkeit heraus entwickelt Julia von Rosen Vorschläge für kurze sprachenübergreifende Module im Anfangsunterricht Französisch, die für jeweils zwei bis drei Doppelstunden konzipiert sind, in denen zentrale sprachliche Phänomene (z. B. thematischer Wortschatz oder das Verhältnis Laut und Schrift) thematisiert und von Schüler*innen erkundet werden. Neben der konkreten Beschreibung zweier exemplarischer Module, legt die Autorin Wert darauf, nach den Ursachen für die auffällige Diskrepanz zwischen Forderungen der Bildungspolitik und der fremdsprachendidaktischen Forschung nach vielfältiger sprachlicher Vernetzungsarbeit in den Schulen auf der einen Seite und einer gewissen Verweigerung, Überforderung oder Ignoranz gegenüber mehrsprachigkeitsorientierten Ansätzen in den Schulen auf der anderen Seite zu fragen. Die Gründe, so die Autorin, seien nur teilweise sprachendidaktischer Natur. Vielmehr zeige sich, dass häufig kollegiale Strukturen, Haltungen von Lehrkräften, ein bestimmtes Verständnis von Fachlichkeit und insbesondere ein eng gefasstes Ressourcenmanagement den Blick für die umfassenden Potenziale verstellten, die als Impulse aus dem vernetzten Sprachenlernen auf die Lernkultur einer ganzen Schule ausgehen könnten.
Steffi Morkötter und Melanie van Iersel führen in ihrem Beitrag anschaulich vor Augen, welche vielfältigen und aufschlussreichen Erkenntnisse sich im Bereich der Mehrsprachigkeitsdidaktik gewinnen lassen, wenn man z. B. den authentischen Dialog von zwei Schüler*innen untersucht, die im Anfangsunterricht Spanisch gemeinsam Aufgaben zu einem spanischen Text bearbeiten. Bewusst wird bei diesem Setting die Verbindung der Pluralen Ansätze IK und integrierte Sprachendidaktik verfolgt, um zu untersuchen, welche Strategien Schüler*innen anwenden, die Spanisch als zweite Fremdsprache nach Englisch erlernen. Anhand von Mikroanalysen der Schüler*innenäußerungen werden Rückschlüsse auf den Umgang mit fremdsprachlichem (englischen) Vorwissen, die Aktivierung allgemeinsprachlichen Wissens (z. B. Wortarten, Satzbau) und lernstrategisches Verhalten (z. B. Arbeit mit Hypothesen) gezogen. Dabei werden insbesondere auch diejenigen Äußerungen reflektiert, die die Schüler*innen zu unvollständigen oder falschen Annahmen über die Bedeutung des Textes führen. Entscheidend sei, so die Autorinnen, dass die Schüler*innen nicht nur gemeinsam im Dialog arbeiten, sondern ihren Arbeitsprozess reflektieren, um Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit zu entwickeln.
Der Beitrag von Eleonora B. Bottura und Sandra R. B. Gattolin basiert auf einer Doktorarbeit, die darauf abzielt, die Praxis von Lehrkräften und die Lehrkräfteausbildung hinsichtlich der Rolle von Lehrenden für Portugiesisch als Willkommenssprache / Zweitsprache (PWL) zu untersuchen, basierend auf einer autoethnographischen Perspektive. Für diesen Vorschlag wird ein Teil der anfänglichen Kämpfe von Lehrkräften für Flüchtlinge und autoethnographischer Forscher*innen in einem Kurs vorgestellt, der speziell für sich als weiblich definierende Teilnehmende von Portugiesischkursen an einer Bundesuniversität in Brasilien konzipiert wurde. Das Hauptziel ist es zu zeigen, wie wichtig es ist, zu verstehen und Fachleute für Aspekte zu sensibilisieren, die die Praxis von Lehrkräften anders und vielfältig machen, wenn es darum geht, gefährdete Einwandererinnen und Flüchtlinge zu unterrichten. Wir heben die Hauptbeiträge der PWL-Definition und die Eignung der Autoethnographie für Untersuchungen auf der Suche nach lokalen Wahrheiten und Praktiken hervor.
Francisco Calvo del Olmo und Karine Marielly Rocha da Cunha stellen in ihrem Artikel die Erfahrung eines Curriculums für IK in romanischen Sprachen (ICLR) vor, das sie an der Universität UFPR seit 2014 im Kontext lateinamerikanischer und europäischer Universitäten durchführen. Dabei berücksichtigen die Verfasser*innen die Ausbildungsbedürfnisse ihrer Studierendenschaft und die aktuellen geostrategischen und pädagogischen Herausforderungen. Auf diese Weise versuchen die Autor*innen, auf die Gründe für die Präsenz des ICLR in der sprachlichen und kulturellen Ausbildung von Studierenden in der künstlerischen Laufbahn einzugehen. Sie beschreiben auch die Inhalte des ICLR-Wahlfachs in den Ausgaben, die als Semesterkurs und als Sommerkurs konzentriert im Februar 2020 unterrichtet wurden. Abschließend präsentieren sie eine Reihe von Schlussfolgerungen und Perspektiven für zukünftige Forschung.
Der Band richtet sich also gleichermaßen an Forschende und Lehrende in Bildungseinrichtungen für die verschiedensten Altersstufen, die sich nicht nur für die vielfältigen Dimensionen und Potenziale von Mehrsprachigkeit und ihrer Didaktik interessieren, sondern die den Wunsch der Herausgeberinnen teilen, Brücken zwischen Erkenntnissen der Forschung und ihrer unterrichtspraktischen Umsetzung zu schlagen, Phänomene der Mehrsprachigkeit in ihrer ganzen lebensweltlichen Fülle zu verstehen und kritisch zu beurteilen und schließlich daran mitzuwirken, dass der Fremdsprachenunterricht durch seine Öffnung für sprachenübergreifendes Lernen einen konstitutiven Beitrag zu einer zeitgemäßen Erziehung in einer wesentlich durch Vernetzung gekennzeichneten Welt leistet.
Hamburg im Frühjahr 2021,
Sílvia Melo-Pfeifer, Julia von Rosen
Anmerkung: Die Herausgeber*innen dieses Buches danken Ana Luísa Oliveira, die für die Formatierung aller Kapitel verantwortlich war.