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Wilhelm Wolf

Unter besonderem Schutz

1936 in Dortmund als dritter Sohn in einem evangelisch-konservativen Haus geboren, hätte meine Kindheit wohl geordnet verlaufen können. Doch war nicht zu vermeiden, dass sie durch die damaligen kriegerischen Ereignisse geprägt wurde.

Mit der Einschulung 1942 intensivierten sich die nächtlichen Bombenangriffe auf die Industrieanlagen am Rande der Stadt.

Da mir die Gefahr als Kind nicht bewusst wurde und ich keine Angst kannte, waren die nächtlichen Strahlenschauspiele der Suchscheinwerfer der Flak ein Erlebnis für uns. Es war einfach spannend, wenn die suchenden Scheinwerfer einen Bomber ins Visier bekamen und anschließend die Flak ihr Feuer eröffnete. Einmal erlebte ich mit, wie ein Bomber getroffen wurde und als brennende Fackel vom Himmel stürzte. Das hat mich stark beeindruckt. Die unzähligen Nächte, die wir im häuslichen Luftschutzkeller mit Fremden verbrachten, verblassen dagegen.

Durch das ungezielte Bombenabwerfen während der nächtlichen Angriffe, wurde auch die zwei Kilometer entfernte Volksschule im Jahr 1943 dem Erdboden gleichgemacht. Als wir Schulkinder am nächsten Morgen den Trümmerhaufen unserer Schule mit freudigem Gelächter begrüßten, fanden wir kein Verständnis für die wütenden Reaktionen unserer Lehrer uns gegenüber.

Der Bombenterror nahm weiter zu und meine Mutter wurde zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet. Da beschlossen meine Eltern schweren Herzens, mich, ihren Jüngsten aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu bringen. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Gütersloh bei meinen Großeltern wurde ich im März 1944 in ein Kinderheim auf der Nordseeinsel Wangerooge in Sicherheit gebracht. Meine Brüder waren zu diesem Zeitpunkt zur Wehrmacht eingezogen: der ältere, Dieter, an die Westfront, der jüngere, Eckart, an die Ostfront. Mein Vater war als Hochofendirektor bei Hoesch „unabkömmlich“ gestellt. Man kann sich die verzweifelte Verfassung meiner Eltern sicher vorstellen, als sie sich nun auch noch von ihrem jüngsten Kind trennen mussten. Sie haben dies jedoch gut verborgen, so dass für mich das ganze Geschehen eher einem großen Abenteuer glich.

In dem Kinderheim „Haus Fredeborg“ waren wir nur zu vier Jungen aus Köln, Bremen und Oldenburg und eben ich aus Dortmund.

Die Insel Wangerooge lag strategisch bedeutend vor der Einfahrt nach Wilhelmshaven und wurde daher zur Festung erklärt und artilleristisch entsprechend aufgerüstet.

Für uns Jungen eine äußerst spannende Phase. Wir erlebten mit, wie die Organisation Todt (Staatliches Bauunternehmen im 3. Reich unter der Führung von Fritz Todt) den Strand von Wangerooge mit Pfählen und Drähten abdeckte, um das Landen von Lastenseglern zu verhindern, wie auf dem erhöhten Caféplatz „Pudding“ an der Strandpromenade ein riesiges Horchgerät installiert wurde, wie bei Schießübungen der schweren Artillerie (bis 30,5 cm!) der Boden der Insel bebte, wie wir beim Zuschauen an Soldatenbegräbnissen mit Ehrensalut in den Besitz von Platzpatronen kamen, wie wir auf den Gleisen der Inselbahn eine Panzerattrappe schieben durften, an der Soldaten Panzerabwehr übten. – Unsere Eltern wähnten uns weiter in Sicherheit.

Dann kam der unvergessene 25. April 1945: Wir spielten nachmittags am Strand, als Fliegeralarm – der sogenannte Voralarm – ertönte. Während wir unsere Spielsachen zusammenpackten, um den Heimweg – ca. 500 Meter – anzutreten, ertönte bereits der Hauptalarm. Als „Alarmgewöhnte“ wussten wir: Jetzt wird es ernst. Wir liefen zum Kinderheim, hatten aber keine Zeit mehr, den für uns zugewiesenen Bunker zu erreichen. Im Westen der Insel detonierten bereits die ersten Bomben. Uns blieb nur noch der Weg in den Keller des Nachbarhauses, dem Sitz der Gemeindeverwaltung.

Da wir mit fallenden Bomben Erfahrung hatten, – langer Pfeifton mit Detonationsknall bedeutete weite Entfernung und keine direkte Gefahr –, bemerkten wir das Näherkommen der Bedrohung am immer kürzer werdenden Pfeifton mit sofortigem Detonationsknall.

In dem Lärminferno stürzten auf einmal Wände und Decke unseres Schutzraumes ein. Wir waren in Trümmerschutt eingeklemmt und sahen in dem Staub nur noch schemenhaft das Kellerfenster.

Ich befreite mich von dem eingeklemmten Rucksack und kroch durch den Trümmerstaub zum Kellerfenster hinaus. Ehe wir die Verwüstungen um uns wahrnehmen konnten, riefen Soldaten von der gegenüber liegenden Straßenseite aus einem Bombentrichter, dass wir bei ihnen schnell Deckung suchen sollten. Wir waren froh, dass uns nichts weiter passiert war. Die sich nach Osten entfernenden Detonationsgeräusche der Bomben und der Flak kündigten uns das Ende der Bedrohung an.

Das Bild der brennenden und zerstörten Häuser vor uns, kannten wir aus unseren Heimatstädten. Neu war die in den nächsten Tagen gewonnene Erkenntnis, dass wir unser Überleben dem nicht Explodieren einer 20-Zentner-Bombe, die als Blindgänger in einem Eisenträger des Hauses steckte, verdankten.

Die Bedeutung dieses Wunders wurde mir erst im Laufe meines weiteren Lebens bewusst. Es stand noch öfter unter einem besonderen Schutz.

Auch später wurde mir erst klar, welchen Gefühlen meine Eltern ausgesetzt waren, als sie im Rundfunk von dem schweren Bombenangriff auf Wangerooge mit über 50 Toten hörten.

Erst mit Kriegsende im Mai 1945 erfuhren sie über das Rote Kreuz, dass ich überlebt hatte.

Beide Brüder kehrten im Übrigen ebenfalls körperlich unversehrt nach Hause zurück

Ein literarischer Hinweis auf den Blindgänger findet sich in dem Buch „Zeugnisse aus unheilvoller Zeit“ von Hans-Jürgen Jürgens, Eintrag vom 28.04.1945:

„… Die Gemeindeverwaltung in der Anton-Günther-Straße (neben Haus „Fredeborg“) ist unbenutzbar, außerdem liegt im Keller ein Bomben-Blindgänger. Bürgermeister Folkerts hat sich deshalb im Postamt ein kleines Büro eingerichtet….“

Als ich später die für mich besondere Insel Wangerooge auch meiner Frau Erika zeigte, lernten wir den Autor kennen. Er war sehr an meinem Erleben interessiert. Leider konnte ich ihm nichts über den Verbleib einer Schiffsglocke, die auf dem Geldschrank der Gemeindeverwaltung gestanden hatte, sagen. Ich konnte mich nur an den Geldschrank in dem Trümmerchaos erinnern.

Mir als Zeitzeuge überreichte der Autor sein Buch mit persönlicher Widmung.

Frühstücksgeschichten aus Birk

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