Читать книгу Frühstücksgeschichten aus Birk - Группа авторов - Страница 6

Оглавление

Manfred Becker

Als ich Schüler war

Wenn man unsere Schulerlebnisse aus den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit denen unserer Enkelgeneration vergleicht, gibt es unter anderem für mich zwei bedeutende Unterschiede: Zum einen rutschten damals bei einigen wenigen Lehrern schon einmal die Hände aus, wenn es um „Fehlverhalten“ unsererseits ging. Das wäre heute vollkommen unmöglich, sei die Provokation noch so groß. Zum anderen konnten wir uns bei pauschalen Beurteilungen – damals ohne Notendifferenzierungen (von 1,1 bis 4,9) – zufrieden geben. Denn neben der Schule gab es genug Freizeit, zum Beispiel für Sport oder Musik. Wir standen einmal unter Druck, aber Stress war uns unbekannt.

Wie war das also vor langer Zeit?

Im harten Winter 1947 kam ich von der vierten Jungen- und Mädchen-Klasse der evangelischen Humperdinck-Schule in Siegburg nach eintägiger Prüfung zum Staatlichen Gymnasium, Siegburg (heute Anno-Gymnasium). Da gab es nun im Frühjahr drei Sexten (heute 5. Klassen) mit je über 50 Jungen. Das Mädchen-Gymnasium hatte damals in den ersten zwei Jahren noch kein eigenes Gebäude; deswegen befanden sich die Mädchen zwar separat, aber wie wir im gleichen Gebäude (heute Volkshochschule) im Schichtunterricht. Unsere drei Sexten waren so eingeteilt, dass in der a-Klasse die katholischen Schüler aus Siegburg waren. In der b-Klasse waren die restlichen katholischen Schüler des Siegkreises (aus der unteren und der oberen Sieg, aus dem Aggertal, aus der Much-/Neunkirchen-Gegend sowie aus Richtung Bonn) untergebracht. Der c-Klasse, in der auch ich war, waren die evangelischen Schüler und einige „Reste“ zugeordnet worden. Dankenswerterweise gibt es schon seit Langem solche religiösen und geschlechtsspezifischen Differenzierungen nicht mehr.

Das Schuljahr begann mit einem Schulsportfest am Brückberg auf dem Platz des Siegburger Turnvereins. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit dem uralten Turnerlied:

Turner auf zum Streite,

Tretet in die Bahn,

Kraft und Mut geleite

Uns den Weg hinan!

Jede Klasse durfte sich in einer bestimmten Disziplin betätigen; die drei Sexten liefen Pendelstaffeln, sodass wohl alle Schüler beteiligt werden konnten. Erinnern kann ich mich nicht mehr, ob wir gewonnen hatten; das bedeutet wohl Platz zwei oder drei.

Unser Klassenlehrer Dr. Müller (Mü 3, natürlich waren da auch Mü 2 und Mü 1, der übrigens der violette Mü genannt wurde) gab nicht nur Latein, sondern er vermittelte dabei auch römische Geschichte. Er war verständnisvoll und souverän, was bei mehr als 50 Schülern bestimmt nicht einfach war. Dass er nacheinander alle Eltern besuchte, war einmalig und bemerkenswert.

Unser Lehrer für Deutsch und Erdkunde, genannt Bömmel, pflegte einen sehr rauen Ton. Wer ihm nicht passte, konnte schon einmal als Meerschweinchen oder Prolet bezeichnet werden. Im Steigerungsfall wurden sogar Leute vor die Tür gesetzt, bald schon eine Unmöglichkeit.

Am Anfang des Unterrichts wurden manchmal essbare Naturalien eingesammelt, was sicher der Versorgungssituation geschuldet war und sich für den Geber nicht negativ auswirkte. Ich erinnere mich an ein Friseurgeschäft, dass der Bömmel regelmäßig auf dem Heimweg mit seinem Fahrrad passierte. Er fragte einmal die Klasse, wie das Gebäude aussah. Die Antworten, es sei ein Friseursalon, schienen ihn nicht zufriedenzustellen. Da das Schild Salon Michels infolge von Bombensplittern das „n“ verloren hatte, wagte ich die Antwort „Salo Michels“ und ging sofort in Deckung, weil ich eine „unfreundliche Handlung“ erwartete. Doch zu meinem Erstaunen wurde ich wegen meiner „aufmerksamer Beobachtung“ gelobt.

Im Laufe mehrerer Jahre, nach der Währungsreform (1948) und nach einigen Wechseln von Lehrern und Direktor normalisierte sich der Schulbetrieb, und aus den über 150 Schülern der damaligen Sexten wurden dann im achten Schuljahr zwei Klassen mit jeweils etwa 30 Schülern.

Von besonderer Erinnerung blieb mir Studienrat K., Herr der Biologie und des Turnsports. Als ihn die „bösen“ Schüler zu sehr ärgerten, drohte er damit, in kommenden Kriegs- und Hungersituationen seine „mühsam erworbenen Erkenntnisse zur Zucht von Riesenkarnickeln uns nicht zur Verfügung zu stellen“. Er sagte, er werde „schweigen wie ein Grab“. Seine Eintragungen ins Klassenbuch waren zahlreich und sollten der Disziplinierung dienen. Eine harmlose Form war: „Becker macht freche Bemerkungen.“ Schlimmer empfand ich, als ich wegen „Unbotmäßigkeit“ nach vorne zitiert wurde und von ihm gefragt wurde, ob ich es tragen wollte, wie ein Mann. Die Ohrfeige war nicht leicht. Beim Turnunterricht hielt Studienrat K. in ähnlicher Manier auf Disziplin. Auf dem Sportplatz des Siegburger Sportvereins an der Waldstraße war von ihm eine Bahn zum 3000-m-Lauf abgesteckt worden. Die von ihm gestoppte Siegerzeit war phänomenal, weshalb ein Kenner der Leichtathletik sagte: „Aber Herr Studienrat, das wäre doch Weltrekord.“ Die Antwort war überraschend sanft: „Na, dann freut Euch doch!“

Am letzten Schultag in der Mittelstufe (Untersekunda = 10. Klasse) gab es in der Klassenpause ein großes Chaos. Zufällig kam der sehr gefürchtete Oberstudienrat Dr. Schwamborn, der stellvertretende Direktor (übrigens aus Heide) dazu, rief uns zur Ordnung und verließ den Klassenraum mit der Drohung, dass er „den Sauhaufen auf Vordermann bringen würde, sollte er einmal unser Lehrer sein“. Am ersten Schultag der Oberstufe geschah das nicht Erwartete: Dr. Schwamborn wurde prompt der Klassenlehrer. Französisch und Englisch waren seine und unsere Fächer. Entgegen allen Erwartungen erwies sich „Schwamborns Hein“, wie er unter Schülern genannt wurde, als ausgezeichneter Pädagoge und äußerst verständnisvoller, toller Lehrer.

Neben Schule und Spiel gab es für mich noch das Singen bei den Siegburger Sängerknaben (SSK), die am Anfang des Jahres 1948 gegründet wurden. Die ersten Auftritte hatten wir im Saal des Restaurants Lindenhof in der Kronprinzenstraße. Von besonderer Bedeutung war wohl die Teilnahme an einer Veranstaltung in der Bonner Pädagogischen Akademie, wo im Rahmen der Eröffnung zum Deutschen Bundestag neben unserem Knabenchor auch Operettensängerinnen und Operettensänger (Schenkt man sich Rosen in Tirol etc.) auftraten. Dass ich im SSK die vierte und im Schulchor die erste Stimme hatte, schien nicht nur für meine „Vielseitigkeit“ zu sprechen, sondern auch für die „Flexibilität“ der Lehrer.

In guter Erinnerung ist auch eine Außenprobe des Knabenchors am Johannistürmchen des Michaelsberges. Der Text der ersten Strophe wäre eigentlich heute viel aktueller:

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

Klingt ein Lied mir immerdar.

Oh wie liegt so weit, oh wie liegt so weit,

was mein einst war.

Frühstücksgeschichten aus Birk

Подняться наверх