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Willi Bröhl

Meine Jugend in meiner Heimatstadt Siegburg

Im Januar 1936 in Siegburg-Stadtmitte geboren, heißt auch: meine Kindheit im Krieg und seine Folgen erlebt zu haben.

1942, also mitten im Krieg, begann meine Schulzeit, und zwar in der Schule „Innere Stadt“, dort wo heute das Rathaus Siegburg steht. Einen schönen Standort hatte die Schule, neben dem schönen Park des damals so bekannten Restaurants „Schützenburg“, wo am Wochenende großer Betrieb herrschte, weil der Park mit seinen Einkehrmöglichkeiten zum Spazieren und Einkehren einlud.


1943: Willi Bröhl als 7-Jähriger, 2. Schuljahr

An meine Schulzeit erinnere ich mich genau, auch heute noch nach mehr als 70 Jahren. Insbesondere zwei Lehrpersonen hatten es mir angetan: zum einen Fräulein Frey, eine kleine, hagere, aber mit großer Schlagkraft ausgestattete Person. Morgens, als Erstes, wenn Fräulein Frey die Klasse betrat, hieß es nicht „Guten Morgen“ oder „Grüß Gott miteinander“. So war auch das Kreuz in der Klasse schon lange nicht mehr da; man sah nur noch die staubigen Umrisse, wo es gehangen hatte. Nein, sie rief laut und kräftig: „Wie grüßen wir unseren Deutschen Führer?“ Und die ganze Klasse musste genauso laut und kräftig „Heil Hitler“ rufen. Dann erfolgte der Befehl: „Setzen. Ich, der Zuhause katholisch erzogen wurde, hatte zwar öfter diese Redewendung gehört, aber ernst genommen hatte ich sie nie.

Eines Morgens: Fräulein Frey kam wieder rein, stramm stehen und wie immer den bekannten Begrüßungsbefehl. Alle riefen wie immer den „Hitler-Gruß“, nur ich nicht. An diesem Morgen muss mich der Teufel geritten haben; denn ich rief laut und deutlich: „Grüß Gott!“ Totenstille herrschte in der Klasse, und wie eine Furie schoss Fräulein Frey auf mich zu. „Schüler Bröhl, was hast du geantwortet?“ Treuherzig wiederholte ich: „Grüß Gott.“ Ausweichen konnte ich nicht mehr; voll empfing ich eine schallende Ohrfeige, die mich bis in die Bank zurückwarf. So eine Schlagkraft hatte ich dieser kleinen hageren Person nicht zugetraut. „100-mal den Deutschen Gruß schreiben!“, kam noch dazu.

Als mein Vater am Mittagstisch fragte, woher die rote Backe wäre, habe ich ehrlich mein Erlebnis erzählt. Die Entrüstung meiner Eltern über soviel Dummheit war groß, aber weitere Folgen blieben mir erspart.

Und an einen zweiten Lehrer erinnere ich mich genau. Auch seinen Namen habe ich nicht vergessen. Er hieß Herr Schneid und wohnte in Siegburg in der Frankfurter Straße. Er hatte zwei Angewohnheiten, die sehr schmerzhaft sein konnten. Wenn wir etwas nicht wussten oder wenn wir seiner Meinung nach die nötige Aufmerksamkeit vermissen ließen, wurden wir nach vorne gerufen. Er stellte uns ans Fenster, zog uns an den kurzen Haaren über den Ohren kräftig in die Höhe und sagte immer den einen Satz: „Sag mir: Siehst du die Kühe auf der Buisdorfer Seite?“ – das schmerzte so kräftig, dass man schnell sagte, „Ja, Herr Lehrer.“

Die zweite schmerzhafte Untat, die der Kerl an sich hatte, war, wenn ihm etwas nicht passte. Man musste dann immer nach vorne kommen, die Hand ausstrecken und die Finger zusammen drücken und er schlug mit einen dünnen Stock kräftig auf die zusammen gedrückten Finger. Dass diese Maßnahme besonders wehtat, brauche ich wohl nicht besonders zu erwähnen. Alles hatte seine Zeit, auch diese Maßnahmen, die sich Lehrpersonen früher gerne herausnahmen. Heute wäre das undenkbar. Was ich später nie verstanden habe, aber jeder wusste, dass Herr Schneid sehr stark dem Nationalsozialismus zugetan war, aber nach dem Ende des Krieges fand man ihn auf der Liste der Zentrumspartei in Siegburg wieder. Ja, so spielt halt Mensch und Zeit eine eigene Geschichte.

Die Erinnerungen an die Schulzeit wurden immer mehr getrübt, weil der Unterricht mehr und mehr ausfiel. Fliegeralarm zwang uns immer wieder in den Keller, bis schließlich der gesamte Schulunterricht wegen Fortbestand der Kriegshandlungen ganz eingestellt wurde. Soweit ich mich erinnern kann, fiel das Schulgebäude später einem Bombenangriff zum Opfer.

Eines der unschönen Erlebnisse war, dass ich zusehen und erleben musste, wie bei uns in der Brandstraße dort lebende Juden und auch welche aus der näheren Umgebung eines Morgens zusammen getrieben wurden und auf Militärlastwagen verfrachtet wurden. Wie ich später erfuhr, wurden sie in ein Lager nach Much gebracht. Für mich war das Geschehen traurig, es waren einige Schulfreunde dabei, die man nie mehr wiedergesehen hat. Erschüttert war ich über den Jubel einiger Bewohner aus der Straße, die dem unseligen Geschehen zusahen und begeistert Beifall spendeten. Ich kann für mich feststellen, dass ich eine weniger schöne Schulzeit hatte in den wenigen Jahren von der Einschulung bis zum Ende des Krieges.

Ein weiteres banges Erlebnis war, als der Krieg zu Ende ging. Amerikanische Soldaten stürmten mit durchgeladenen Gewehren in unseren Keller. Alle, auch wir Kinder, mussten mit erhobenen Händen den Keller verlassen und wurden zur Zeithstraße getrieben, wo wir stundenlang unter Bewachung stehen mussten. Derweil wurden vom Militär Häuser und Keller durchsucht, ob sich irgendwo noch deutsche Bewohner oder Soldaten versteckt hielten. Dass dabei unseren Eltern Uhren und Ringe abgenommen wurden, gehörte wohl mit dazu. Stunden später durften wir dann wieder zurück in unsere Wohnung.

Dann begann die Zeit, wo es nicht viel zu essen gab, weil die meisten Geschäfte geschlossen waren oder keine Vorräte hatten. Den Ofen anzünden war auch nicht immer möglich, denn Heizmaterial war sehr knapp. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, wo gesammelt, getauscht und geschmuggelt wurde, was das Zeug hielt, nur um etwas zum Essen zu haben. Und daran, dass im Wald Eicheln gesammelt wurden, oder nachts Kartoffeln von den Feldern geholt, oder aber Kohlen und Briketts von den Zügen geklaut wurden. Ja, es war keine schöne Zeit damals. Es ging ums Überleben. Organisieren war das große Thema, bis es langsam wieder besser wurde.

Auch der Schulbetrieb wurde wieder aufgenommen. Da es unsere alte Schule nicht mehr gab, wurden wir nach Straßen in andere Schulen aufgeteilt. So musste ich eine Zeit lang in die Wolsdorfer Schule gehen und später in die Nordschule. Zum Schluss dann endlich kam ich in die Humperdinck-Schule. Dort bin ich dann auch geblieben, bis zum Ende meiner Schulzeit.

Dass ich 1937 eine böse Krankheit, nämlich die Kinderlähmung, bekam, behinderte mich in jungen Jahren wie auch später. Das hatte zur Folge, dass ich öfter im Krankenhaus in Köln-Deutz lag, manchmal monatelang. So ergab es sich auch, dass ich in einem Schuljahr das Ziel der Klasse nicht erreichte und nicht versetzt wurde. Bei einem bekannten Lehrer aus der Holzgasse mit Namen Heimers, ein begnadeter Fußballspieler des SV 04 Siegburg bekam ich Nachhilfe, sodass ich im folgenden Jahr eine Klasse überspringen konnte und wieder in der normalen Altersklassenstufe war.

Das Spielen war für uns Jungs nach dem Krieg nicht besonders attraktiv. Womit auch? Aus alten Lappen wurde mit Kordel ein Ball zusammen gebunden, damit wir Fußball spielen konnten. Plätze gab es nicht; also wurde auf der Straße gespielt. So manche Scheibe der Nachbarn ging dabei zu Bruch. Man bedenke: Wenn der Lappenball in der Gosse landete, war er ganz schön schwer.

Was sehr gefährlich war, und die Gefahr kannten wir nicht: Überall fand man nicht verschossene Patronen. Diese zu öffnen, indem wir die Spitze abschlugen, gab für uns die Möglichkeit, den Inhalt, nämlich das Schießpulver, rauszunehmen und in Spuren auf den Gehwegen zu streuen und anzuzünden. Damit entfachten wir ein schönes Feuerwerk. Mit anderer Munition machten wir das Gleiche. Wir haben uns immer Plätze ausgesucht, wo wir unbeobachtet waren. Die Gefahr, in der wir uns dabei befanden, haben wir nie erkannt. Viel später, als schreckliche Unfälle bekannt wurden, haben wir erkannt, in welche Gefahr wir uns begeben haben.

Nicht weit von unseren Wohnungen gab es da, wo heute die Siegburger Feuerwehr ihr Domizil hat, einen großen Weiher: ein herrlicher Tummelplatz. Direkt nach dem Krieg fand man ja öfters leere und nicht mehr gebrauchte Benzinkanister aus Militärbeständen. Die konnte man schön zusammenbinden, und aus zwei Stück hatte man ein schönes Floß. Es bot sich ja förmlich an, auf dem Weiher zu paddeln. Ein wunderschönes Nachmittagsvergnügen. Die Warnung der Eltern vor der Gefahr schlugen wir natürlich in den Wind, denn schwimmen konnte keiner von uns. Eines Tages erfuhren wir, dass einer von uns an einem späten Nachmittag alleine gepaddelt hatte und auf tragische Weise ertrunken ist. Fortan durften wir nicht mehr am Weiher, schon gar nicht auf dem Weiher spielen.

Die Wintertage waren für uns ein herrliches Vergnügen. Der Michelsberg mit seinen tollen Hängen lud uns immer zum Rodeln ein. Jede freie Stunde genossen wir bei schönen Wintertagen den Spaß am Rodeln, oft bis in die späten Abendstunden.

Eines hat mich von früher Kindheit her immer begeistert, und zwar das Singen. Eine Eins auf dem Zeugnis war mir immer sicher, insbesondere dann, wenn der Lehrer fragte, wer denn das „Bergische Heimatlied“ singen könne. Natürlich sang ich dies dann mit Inbrunst vor, denn dieses Lied gehörte zu meinen Lieblingsliedern. Als dann die „Siegburger Sängerknaben“ von Dr. Walter Mai gegründet wurden, die er auch dirigierte, wurde ich schnell Mitglied in diesem Knabenchor. Im altehrwürdigen Siegburger Lokal „Herrengarten“, dort wo heute das Siegburger Finanzamt steht, wurde fleißig geprobt. Und schick waren wir bei unseren Auftritten eingekleidet: Kurze schwarze Hose, weißes Hemd mit schwarzer Fliege und Abzeichen auf dem Hemd und dazu weiße Kniestrümpfe. Wir konnten nicht nur gut singen, sondern sahen auch gut aus.


SSK, Siegburg, Herrengarten 1.R.3.v.r,: Manfred Becker, m.R.2.v.r: Willi Bröhl: Mitte: Walter May, Lehrer und Chorleiter

Der Chor wurde immer mehr zu einer Attraktivität, zahlreiche Konzerte und Auftritte in Siegburg und Umgebung, später auch Konzertreisen, waren ein schönes Erlebnis und sind eine schöne Erinnerung. Nach einigen Jahren stellte man fest, dass dann, wenn die Jungs in den Stimmbruch kamen, oder die ersten Freundschaften zu den Mädchen stattfanden, das Interesse am Chorgesang verloren ging. Deshalb wurden Mädchen für den Chor geworben, und man nannte den Chor fortan „Humperdinck-Kinderchor“. Die gesangliche Klasse blieb dem Chor erhalten. Noch gerne ich erinnere mich an die großen Konzertreisen, zum Beispiel nach Luxemburg, wo bei der Großherzogin im Palast ein großes Konzert stattfand. Dabei durfte ich als Junge im Gegensatz zu gut singenden Mädchen alle Solopartien singen. Auch diese Zeit des Chores fand nach einigen Jahren ein Ende, weil die Interessen der Mädchen und Jungen sich änderten.

Das Singen aber ist mir immer von großer Wertschätzung geblieben, bis zum heutigen Tag, nun schon fast 70 Jahre ununterbrochen. In mehreren großen Männerchören habe ich gesungen und nun fast 50 Jahre im Männerchor „Liederkranz Birk“.

Auch meine Kindheit ging spätestens zu Ende, als 1951 eine Ausbildung als Orthopädiemechaniker und Bandagist in dem damals bekannten Fachunternehmen von Laufenberg in Siegburg begann. Man wurde langsam erwachsen, was man daran merkte, dass man sich für das weibliche Geschlecht interessierte.

Das Interesse an meiner Heimatstadt Siegburg ist mir treu geblieben. Die durch Kriegseinwirkung zerstörte Stadt, ob rund um den Markt, die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche, die Abteikirche des Michelsbergs, alles lag in Trümmern. Die vielen Jahre des Aufbauens haben meine Heimatstadt wieder zu dem gemacht, was sie früher war, eine liebenswerte Stadt.

Frühstücksgeschichten aus Birk

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