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|101|2. Konnotationen der Vater-Bezeichnung in den kanonischen Schriften des frühen Christentums

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Vor dem Hintergrund der dreifachen Referenzialität der Bezeichnung Gottes als Vater im frühen Christentum ist die Frage nach den Konnotationen dieser Vater-Bezeichnung zu stellen.

Mit Joh 3,16 (»Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab«) ist die Liebe (ἀγάπη) Gottes als grundlegendes Kennzeichen, das aufs Engste mit der Vater-Bezeichnung harmoniert, im Blick. Gott liebt die Welt (Joh 3,16), Gott liebt den Sohn (Joh 3,35; 10,17; 15,9), Gott liebt die, die Jesus lieben (Joh 14,21.23; 16,27). Nach 2 Thess 2,16 ist Gott der Vater, »der uns liebt und ewigen Trost gibt«. Jedoch lassen sich auch noch weitere Konnotationen der Vater-Bezeichnung erheben.

Die Pragmatik der Rede von Gott als Vater im frühen Christentum kann nur dann wirklich erschlossen werden, wenn man den Blick darauf lenkt, »was von der antiken Vatervorstellung jeweils konkret auf Gott übertragen wird«.[34] »Vater« ist zunächst ein Relationsbegriff. Die Vater-Bezeichnung qualifiziert das Verhältnis des Menschen, und auch das der Schöpfung, zu Gott als ein exklusives, da jeder Mensch nur einen Vater hat, – auch wenn sich durch die metaphorische Verwendung nun ein breiteres Spektrum an möglichen »Vätern« ergibt; andererseits ist das Verhältnis Gottes zu den Menschen ein inklusives, insofern ein Vater mehrere Kinder haben kann: Der göttliche Vater kann göttliche und menschliche Kinder haben, ja er kann »Vater« auch anderer Lebewesen und der ganzen Schöpfung sein. Besonders relevant für das frühe Christentum ist jedoch die Vaterschaft Gottes Jesus und den Glaubenden gegenüber. Mit der Vater-Bezeichnung wird zugleich auf einen besonderen Status der dem Vater zuzuordnenden Kinder abgehoben, der in der Antike auch über Adoption erreicht werden konnte. Durch Texte wie Gal 4,6 (»Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: ›Abba, Vater‹.«) wird deutlich, wie wichtig im frühen Christentum der nun besonders betonte Status der Kindschaft für die Glaubenden wurde. Die Vater-Bezeichnung lässt dieses Bewusstsein der Glaubenden, Kinder Gottes zu sein, immer mitanklingen. Sie sollen versuchen, ihren Vater nachzuahmen (Mk 11,25; |102|Lk 6,36) und sie schulden ihm Gehorsam. Zugleich ist aus Gal 4,6 deutlich, dass der Zugang zur Gotteskindschaft nur über Christus und den Glauben an dessen eigene Gottessohnschaft erfolgen kann, der im Johannes-Evangelium im Glauben an die »Einheit« von Vater und göttlichem Sohn gesteigert hervortritt.[35] Doch was evoziert die Verwendung der Vater-Bezeichnung neben der Hervorhebung dieser Relation und des damit verbundenen Status der Glaubenden?

Die Jesusüberlieferung steht, wie gesagt, zunächst in der Tradition der frühjüdischen Verwendung der Vater-Metapher für Gott, in den Gebeten Jesu geht es um die Erwartung der Erhörung des Gebets durch den Vater, speziell um Schutz bzw. Rettung aus der Not (Mk 14,36). Die Kommunikation mit dem Vater ist jedem möglich, der Gott als Vater betrachtet; der Vater ist erreichbar, auch wenn er – wie bei Matthäus explizit – im Himmel lokalisiert ist (ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς/οὐράνιος, vgl. etwa Mt 5,16; 6,9.14). Und der Vater hat Interesse an der Errettung seiner Kinder. Er kann sie präsentisch, aber auch zukünftig vor Bösem bewahren (Mt 6,13). Er ist barmherzig (Lk 6,36; vgl. auch 2 Kor 1,3) und wird ihnen mehr noch als ein irdischer Vater »Gutes« geben (Mt 7,11/Lk 11,13), sie aber auch im Alltag mit dem Nötigsten – wie dem täglichen Brot – versorgen (Mt 6,11/Lk 11,3). Der Vater ist den Kindern an Wissen voraus (Mk 13,32; Mt 6,32/Lk 12,30; Mt 6,4.6.18); er ist jedoch bereit, ihnen sein Wissen zu offenbaren (Lk 10,21f./Mt 11,25–27). Der Vater hat dementsprechend einen besonderen Willen (Mt 6,10; 26,42), der autoritative Geltung hat; darin ähnelt er jedem Herrn. Ihm ist alles möglich (Mk 10,27; 14,36), er ist vollkommen (Mt 5,48). Daher kann er seinen Kindern ihre Schuld vergeben (Mk 11,25; Mt 6,13/Lk 11,4) und er tröstet sie (2 Thess 2,16). Andererseits sieht der Verfasser des Hebräerbriefs auch die Züchtigung der Söhne in Zusammenhang mit der göttlichen Vaterschaft. In Hebr 12,5f. erinnert der Verfasser mittels des Zitates von Spr 3,11f. an die Stellung Gottes den Söhnen gegenüber, die auch leidvolle erzieherische Maßnahmen impliziert: »Mein Sohn, achte die Erziehung seitens des Herrn nicht gering und lass dich nicht entmutigen, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr liebt, den erzieht er, (und) er schlägt jeden Sohn, den er annimmt.« Die strafende erzieherische Maßnahme dient letztlich dazu, die Söhne auf dem rechten Weg zu halten: »Unsere fleischlichen Väter hatten wir als Erzieher und haben uns ihnen gefügt; werden wir uns da nicht |103|noch vielmehr dem Vater der Geister[36] unterwerfen und (so) das Leben haben?«, (Hebr 12,9). Die Vater-Kind-Metaphorik ruft auch die Vorstellung der Nachahmung des väterlichen Verhaltens durch die Kinder auf. Entsprechend sieht Jak 1,27 die Christen in der Pflicht, die Liebe des göttlichen Vaters an den Schutzbedürftigen imitierend zu praktizieren: »Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren.« So wie Gott der Vater auch der Waisen ist,[37] haben die Christen diese Funktion des Vaters nun konkret bei den »Waisen und Witwen« zu übernehmen und somit die wohltäterische, fürsorgende Seite des göttlichen Vaters zu imitieren.

Die lukanische Erzählung vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32) kann als metaphorisches Narrativ der Vaterschaft Gottes und ihrer Vorbildlichkeit gelesen werden. Der in der Parabel agierende Vater zeigt zahlreiche der eben ausgeführten Aspekte der göttlichen Vaterschaft. Dominiert wird die Erzählung allerdings von der Barmherzigkeit, Vergebungsbereitschaft und Liebe des Vaters, der Gott abbildet. Die Liebe dieses Vaters übertrifft alle menschlichen Maßstäbe und ist vorbildlich für die Glaubenden.

Vor allem im Schrifttum der johanneischen Schule wird besonders der Aspekt der Liebe des göttlichen Vaters hervorgehoben. Die Gedankenstruktur liegt in einzelnen Elementen bereits bei Paulus vor, wird jedoch hier nun argumentativ in eine schlüssige Haltungs- und Handlungslinie gebracht, die den Vater, den Sohn und die glaubenden Kinder eint: Der Vater liebt die Welt und sendet daher seinen einzigen (inkarnierten) Sohn in die Welt und damit in den Tod (Joh 3,16).[38] Insofern ist die Liebe in den johanneischen Schriften aufs Engste mit |104|der Vater-Metapher verbunden. Doch ist im Sterben des Gottessohnes genauso auch dessen Liebe erkennbar (1 Joh 3,16). Und die Liebe des Vaters wird nun noch stärker als in der synoptischen Tradition zur ethischen Richtschnur für seine Kinder (1 Joh 3,11.16), ja die Liebe Gottes bleibt nur, wenn auch die Kinder Gottes (den Bruder/die Schwester) lieben (1 Joh 3,14.17). Die Vater-Metaphorik inkludiert daher über das Moment der puren imitatio hinaus zugleich auch einen ethischen und soteriologischen Aspekt für die Glaubenden, die als von »Gott gezeugt« verstanden werden (Joh 1,12f.; 3,3).

Auch in 1 Petr klingt die Vaterschaft Gottes den Glaubenden gegenüber mit der Semantik der »Zeugung« an (1 Petr 1,3), die jedoch noch weiter ausgestaltet wird: Die Aufnahme des verkündigten Wortes, vergleicht der Verfasser mit dem Trinken der ersten Milch durch »gerade Geborene« (1 Petr 2,2). Über diese Milch- oder Still-Metapher erhält das Gottesbild des 1 Petr mütterliche Züge, insofern das »lebendige und bleibende Wort« von Gott stammt (1 Petr 1,23) und zugleich in einer nur der Mutter gegebenen Weise auf die »neugeborenen« Glaubenden übertragen wird. Der Vater-Gott des 1 Petr nährt seine Kinder auf eine üblicherweise nur der Mutter mögliche Art.

Ein besonderer Aspekt der frühchristlichen Verwendung der Vater-Metapher ist, dass sie das »Herr«-Sein Gottes abzulösen scheint. Zum einen zeigt sich das an der deutlichen Zunahme von Belegen für die Vater-Bezeichnung Gottes bereits innerhalb der kanonisierten Evangelien-Literatur. Zum anderen bittet das Vater-Gebet, das zahlreiche der eben genannten Aspekte der Vaterschaft Gottes enthält, in seinen Anfangsworten um das Kommen der Königsherrschaft Gottes, der βασιλεία θεοῦ, mit den Worten »Πάτερ, […] ἐλθέτω ἡ βασιλεία σου« (Lk 11,2/Mt 6,9). Das Gebet bittet nicht Gott als König um das Kommen seiner Königsherrschaft, sondern es bittet Gott als Vater um das Kommen dieser Herrschaft. Die Macht des Vaters kennzeichnet die Herrschaft Gottes, die nicht durch die Machtstruktur von König und Untergebenen gekennzeichnet ist, sondern grundsätzlich der Existenz in einer Familie, nun der familia dei, ähnelt.[39]

Im frühen Christentum impliziert die Vater-Metaphorik also sehr viel mehr als nur die »Liebe« des Vaters, wenngleich diese sicherlich |105|nicht ohne Grund als zentraler Aspekt des Verhältnisses von Gott und Glaubenden zu sehen ist.

Mit der Vater-Metaphorik formulieren die frühen Christinnen und Christen die entscheidende, neue, mit dem Christus-Erlebnis eingetretene Erkenntnis, dass Gott ein neues Verhältnis zu den Glaubenden eingerichtet hat, das sich vom vorausgehenden dahingehend unterscheidet, die genannten mit der Vater-Metaphorik verbundenen Aspekte in den Vordergrund zu stellen, wobei die Liebe des Vaters einen zentralen Stellenwert genießt. Die Liebe des Vaters zeigt sich ganz konkret in der Hingabe des Sohnes und in der Annahme der Glaubenden als Kinder.

Bereits im frühen Christentum lässt sich die Institutionalisierung der Vater-Bezeichnung durch das Vater-Gebet[40] und vermutlich auch durch die Verwendung der Vater-Bezeichnung in der Taufliturgie beobachten. Die Entwicklung der Metaphorik der Glaubenden als »von Gott Gezeugte« und »Neugeborene« ist vermutlich im Zusammenhang des Taufgeschehens zu verorten, das nach dem sog. Missions- und Taufbefehl in Mt 28,18–20 die Nennung des Vater-Namens implizierte (vgl. auch Gal 4,6). In Mt 28,19 beauftragt Jesus die Jünger: »Geht also und macht alle Völker zu Jüngern und Jüngerinnen, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Dieser Auftrag erscheint in keinem anderen Evangelium und verweist daher darauf, dass die mt Gemeinde den von ihr praktizierten Ritus der Taufe auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes offenbar an die Jesus-Vita anbinden wollte.[41]

Die Verwendung der Vater-Bezeichnung in den Eingängen der paulinischen und nach-paulinischen Briefe (Röm 1,7; 1 Kor 1,3; 2 Kor 1,2; Gal 1,1.4; Phil 1,2; 1 Thess 1,1; 2 Thess 1,1–2; Eph 1,2; Kol 1,2; 1 Tim 1,2; 2 Tim 1,2; Tit 1,4), auch in Verbindung mit Eulogien (vgl. etwa 2 Kor 1,3; Eph 1,3; 1 Petr 1,3; vgl. auch Jak 3,9), deutet ebenfalls auf einen sich früh verfestigenden Gebrauch der |106|Vater-Bezeichnung Gottes in der Liturgie der Gemeinden hin, auf den in den Briefeingängen jeweils angespielt wird.[42]

Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage

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