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Brigitte Kaufmann

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Weihnachten

Es war kurz vor drei Uhr morgens, als wir von Athen kommend in Korinth die Autobahn verließen, um auf der Landstraße in Richtung Argos weiterzufahren.

Das Außenthermometer des Wagens zeigte vier Grad unter Null – es war der 24. Dezember 2005.

Verstohlen betrachtete ich den Mann am Steuer und lächelte. Zum ersten Mal sah ich ihn in warmer Winterkleidung.

Offensichtlich hatte er meinen Blick bemerkt und lächelte zurück. „Schlaf ein bisschen“, sagte er, ließ kurz das Lenkrad los und streichelte mein Gesicht.

Ich schüttelte den Kopf. Die erste griechische Winternacht meines Lebens wollte ich nicht verschlafen. Auf meinem Schoß saß zusammengekauert meine kleine Hündin, die ich im letzten Sommer am südlichsten Ausläufer der Mani auf der Straße aufgelesen hatte.

Die große Raststation, an der untertags so ziemlich jeder Halt macht, der diese weite Strecke zu fahren hat, lag dunkel und verwaist.

Jetzt passierten wir den Kanal – das Wasser glitzerte tief unter uns im Schein der Straßenlampen, und auf der Brücke, auf der sich während der warmen Jahreszeit neugierige Touristen drängen, schlich feuchter Nebel.

Wir waren nicht die einzigen, die zu dieser Stunde unterwegs waren – der Gegenverkehr in Richtung Athen war erstaunlich dicht, doch nur wir nahmen jetzt Kurs auf Argos, Kreisstadt der Provinz Arkadien.

Von weitem sahen wir die Burg, die trotzig von ihrem Hügel aus über das Land schaut, scharfkantig schien sie die Dunkelheit zu durchschneiden, die sie wie ein Passepartout umgab.

Argos hielt noch den Atem an, in wenigen Stunden würden wieder Hektik und Chaos über die Stadt hereinbrechen, würden Menschen- und Autolawinen, Lärm und Abgase die Herrschaft übernehmen. Wir fuhren durchs Zentrum. Die Cafés an der Platía waren geschlossen, Kioske und Blumenläden ebenfalls, nur aus einer der zahlreichen Bars, die während des Tages von Besuchern überquellen, fiel gedämpftes Licht auf den Asphalt.

„Sollen wir anhalten? Möchtest du frühstücken?“

Seine Frage war gut gemeint, aber ich verspürte keinerlei Lust auf eine Non-Stop-Kneipe und ihre Gäste.

Wir ließen Argos ohne Frühstück hinter uns.

Kurz nach der Stadtgrenze hielt er auf dem Parkplatz eines Supermarktes an. Zigarettenpause? Insgeheim hatte ich mich bereits über die lange Nikotinabstinenz gewundert. Hatte er zu rauchen aufgehört? Nein, nein .... Die Temperaturanzeige verharrte nach wie vor bei vier Grad minus, und als wir aus dem Wagen stiegen, schlug uns kalte, nebelfeuchte Winterluft entgegen. Es war ganz still um uns und dunkel. Der unbeleuchtete Parkplatz und die schemenhaften Umrisse des Supermarktes nahmen sich unheimlich aus inmitten still umherziehender Nebelfetzen. Die Hündin suchte schnuppernd nach einem geeigneten Platz für hündische Bedürfnisse, ihr weißer Schwanz wippte in der Dunkelheit. Vom schwarz verhangenen Himmel schaute nicht ein Stern auf uns herunter und das glühende Zigarettenende war das einzige Licht in dieser seltsamen Schattenlandschaft. Mit klappernden Zähnen suchte ich nach meiner Hündin und fand sie zwischen Getränke- und Gemüsekisten auf der Suche nach Essbarem.

Die Fahrt ging weiter durch die sogenannte Argolida, was man mit „fruchtbares Land“ übersetzt.

Der Nebel wurde schwerer und dichter, die Nebelscheinwerfer warfen ihr kaltes Licht auf die Straße. Bald hatten wir den kleinen Ort Mili erreicht, Hochburg der Souvlaki-Griller, beliebte Raststation für Liebhaber der berühmten Fleischspießchen. Dort, wo sich an Sommertagen Busse, Lastkraftwagen und zahllose Pkws stauen, wo Horden durchreisender Touristen und Griechen die Grillbuden umlagern, wo Berge von Fleisch und Bratkartoffeln in hungrige Mägen wandern, erwarteten uns an diesem stillen Wintermorgen heruntergelassene Rollläden und leere Parkplätze. In den hohen Platanen grüßten die ersten Weihnachtsdekorationen, neuchristliche Botschaft in einer orthodoxen Welt. Einsam und fast schüchtern hingen sie in den Zweigen, licht- und farblos hinter Nebelschwaden. „Von Jahr zu Jahr sieht man hier mehr davon“, erklärte er mir.

Er parkte den Wagen am Straßenrand und wir stiegen aus.

„Erinnerst du dich an die dicke Hochzeitsgesellschaft inmitten von Souvlakibergen?“, fragte er.

Ich nickte lachend. „Und der Pope war der dickste von allen!“

Er nahm meine Hand und wir schlenderten die Straße hinauf und hinunter, vorbei an eingewinterten Gastgärten, verriegelten Buden, leeren Vitrinen. Ich schmiegte mich an ihn und verspürte plötzlich eine unendliche Sehnsucht nach sommerlicher Hitze, leichter Kleidung, offenen Schuhen und – dem Duft der Souvlakispieße ...

Ich pfiff nach der Hündin, die in einem der zahlreichen Abfalleimer herumschnüffelte.

Wir fuhren weiter. Bei Kiveri bogen wir ab in Richtung Küste, und als das Meer vor uns lag, war es kurz nach fünf und der Tag brach an.

„Seit über einer Woche keine Spur von Sonne“, sagte er und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er war müde. Wir waren schon lange unterwegs.

Vor uns lag Astros.

„Ein griechischer Badeort im Winter“, sagte ich gähnend.

„Nicht viel anders als ein österreichischer Skiort im Sommer“, erwiderte er.

„Die ganze Hässlichkeit kommt jetzt zum Vorschein“, sagte ich und er nickte.

Wir fuhren direkt am Wasser die Uferpromenade entlang und er drosselte den Motor. Hotels, Appartementanlagen, Boutiquen, Imbissläden, Tavernen, Souvenirshops, Diskotheken ließen den Trubel der Hochsaison erahnen. Jetzt machten sie selbst Urlaub – Winterurlaub sozusagen.

„Keine Weihnachtsdekoration“, stellte ich fest.

„Für wen? Hier wohnt jetzt niemand, wäre nur rausgeschmissenes Geld!“, klärte er mich auf.

Und doch – irgendwie war mir der Ort so lieber als im Sommer ... Die Wellen schlugen an die Uferbefestigung, ein leichter Wind hatte den Nebel vertrieben und spielte mit den gelben Blättern der Alleebäume. Die Tankstelle war besetzt. Ein dicklicher Mann Ende fünfzig saß in eine Decke gehüllt auf einer Bank neben den Zapfsäulen und rauchte. Er hob grüßend die Hand, als wir vorbeifuhren.

„Seine Frau ist vor kurzem gestorben, er ist jetzt öfter hier als in seinem Haus in den Bergen“, erfuhr ich und ich nickte. Die Chance, hier herunten einen Menschen zu treffen, war wohl größer ...

Am schmalen Strand von Astros Paralía saß eine Handvoll Möwen. Alle zeigten mit dem Schnabel in Richtung Meer und dösten.

Noch eine steile Kurve bergauf – und unter uns lag die Bucht von Tyrós, einsam, grau, still. Ein paar Möwen dösten auch dort, die Wellen rieselten leise an Land und verloren sich zwischen den Steinen. Meine Müdigkeit verflog und die Anspannung kehrte zurück. Ich griff nach seiner rechten Hand, die ruhig auf dem Lenkrad lag, und drückte sie fest.

„Gleich sind wir da“, flüsterte ich.

Die Hündin richtete sich auf meinem Schoß auf und betrachtete die Landschaft durch die Windschutzscheibe.

„Gleich sind wir zu Hause“, sagte er und tätschelte ihr Köpfchen.

„Zu Hause ...“, dachte ich.

Er fuhr nun schneller, nahm die unübersichtliche, kurvenreiche und gefährliche Straße souverän.

Ich schaute hinunter aufs Meer. Der Wind war stärker geworden und die Wellen brachen sich in weißer Gischt. Drüben am Horizont ballten sich graue Wolkenknäuel.

„Ein Gewitter zieht auf“, sagte er kurz. Dann fuhr er langsamer und deutete nach vorne: „Schau!“

Ja – dort standen sie wieder auf ihrem Felsen, die drei Windmühlen von Leonidion. Heiß stieg mir das Wasser in die Augen und ich vergrub ganz kurz mein Gesicht im weichen Hundefell. Leonidion, Stadt des Leonidas, lebende Historie, vitale Drehscheibe zwischen Bergen und Meer.

Es war jetzt halb sieben. Die Autowerkstatt und der Supermarkt, die rechts und links an der Straße die Ortsgrenze bilden, waren geschlossen. Die bunte Fahne am Stadtturm flatterte im Wind. Wo war die tiefrote Bougainville, wo die violette Wicke, wo waren die weißen Heckenrosen? Die Orangenbäume im Garten von Costa Rini trugen leuchtende Früchte. „Dieses Jahr sind die Preise dafür sehr schlecht. Man lässt sie lieber auf den Bäumen verderben“, erzählte er mir und schüttelte den Kopf.

Die Wolkenknäuel hatten ihre Farbe verändert, schwarz drohten sie zum Greifen nahe.

„Wintergewitter können heftig sein. Du wirst es erleben“, sagte er und gab Gas.

Die Platía war menschenleer, auch kein Taxi war zu sehen. Der Kiosk war verriegelt und vor dem Kafeníon der dicken Matina saß niemand, zwei magere Katzen spielten mit den welken Blättern der Vogelbeerbäume.

„Morgen fahren wir nach Plaka, bitte!“, sagte ich.

„Morgen, ja. Aber auch dort nur tote Hose“, gab er zurück.

Wir passierten die Brücke, fuhren die Allee entlang und verließen Leonidion wieder. Hinter den Fenstern der Taverne von Lukas und Anastasia brannte Licht.

„Schau, die haben geöffnet!“, sagte ich.

„Die Einzigen“, antwortete er.

Zwanzig Minuten später war auch die kurvenreiche Bergstraße geschafft, die uns in das kleine Dorf Peletá brachte. Wir waren angekommen. Heftiger Regen hatte eingesetzt und nahm uns die Sicht.

„Bald wird es schneien“, sagte er.

„Ich freue mich auf Weihnachten mit dir“, flüsterte ich kaum hörbar.

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