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Einleitung
ОглавлениеDie mit früher Kindheit bezeichnete Altersspanne umfasst im Allgemeinen die Lebensjahre 0 bis 6. Einzelne Beiträge dieses Bandes gehen allerdings mit der Einbeziehung der Institution Grundschule auch darüber hinaus und verweisen auf in Teilbereichen dieser beiden pädagogischen Institutionen überlappende Anforderungen. Etwa wenn es um die Haltung gegenüber der Zusammenarbeit mit Eltern geht oder um die von der Bildungspolitik an Institutionen frühkindlicher Bildung herangetragene Aufgabe einer Vermittlung der Bildungssprache Deutsch und die eingesetzten Bildungsmaterialien. In kaum einer anderen Altersgruppe ist die Transformation der Gesellschaft zu einer superdiversen (Vertovec 2007) Einwanderungsgesellschaft so unmittelbar nachvollziehbar. Darauf verweist der hohe Anteil an Personen, denen das statistisch ermittelte Merkmal ›Migrationshintergrund‹ (d. h. die Person selbst oder mindestens ein Elternteil ist im Ausland geboren) zugeschrieben wird, nämlich mit 43 % in Westdeutschland (inkl. Berlin) und 14,2 % in Ostdeutschland (DJI 2020, S. 14). In den westdeutschen Großstädten macht diese ›Gruppe‹, die in sich äußerst heterogen ist, heute die Mehrheit der unter Sechsjährigen aus.
Mit Migration gehen sowohl vielfältige Erfahrungen mit transnationalen familiären Netzwerken, mit Mehrsprachigkeit und religiös-weltanschaulicher Vielfalt als auch – je nach zugeschriebener natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit – sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Othering, Stigmatisierung und Rassifizierung einher. Nicht nur über mehr oder weniger unmittelbare biographische Bezüge zu Migration, sondern auch über vielfältige globale, transnationale Verweisungszusammenhänge, die Kinder in ihrem unmittelbaren Umfeld wie auch medial wahrnehmen, stellen migrationsgesellschaftliche Rahmenbedingungen heute einen Erfahrungshorizont für alle Kinder in Deutschland dar. Die Migrationsgesellschaft als gemeinsamer Sozialisationsrahmen aller in Deutschland lebenden Kinder prägt somit nicht nur das Aufwachsen derjenigen, die unmittelbare Migrationserfahrungen als Teil der jüngeren Familiengeschichte mitbringen, sondern über den Kontakt im alltäglichen Leben vor Ort sowie Effekte der politischen, ökonomischen und nicht zuletzt kulturellen Globalisierung die Sozialisationserfahrungen aller Kinder (vgl. Akbas et al. 2017). Wenn also im Folgenden von einer migrationsgesellschaftlichen Perspektive auf frühe Kindheit die Rede ist, dann soll der Blick nicht einseitig auf Personen »mit Migrationshintergrund« und damit auf »ein detektivisches Ermitteln der exotischen Differenz und damit der Festschreibung diffuser Fremdheit« (Hamburger und Stauf 2009, S. 30) ausgerichtet bleiben. Wenngleich die Forschungspraxis auch heute noch häufig diese Kategorie als zentrales Unterscheidungsmerkmal zugrunde legt und ein Rekurs auf den Forschungsstand nicht umhinkommt, die nach ›mit‹ und ›ohne Migrationshintergrund‹ differenzierenden Ergebnisse entsprechend kritisch reflektiert zur Kenntnis zu nehmen (vgl. verschiedene Beiträge in Otyakmaz und Karakaşoğlu 2015). Untersuchungen mit einer nach Migrationshintergrund, Migrationsgeneration und sozialer Schicht differenzierenden Beobachtungsperspektive arbeiten heraus, dass es vor allem sozioökonomisch bedingte Differenzen sind, die Unterschiede im Hinblick auf die Partizipation etwa in frühkindlichen Betreuungseinrichtungen erklären und nicht – wie häufig angenommen – kulturelle Distanz gegenüber den Einrichtungen (vgl. dazu Betz, Prein und Rauschenbach 2015 oder auch Sahrei 2015; DJI 2020). Kulturalisierende Erklärungsansätze für sog. Inanspruchnahmebarrieren, die als Ursache einer im Vergleich mit Eltern ›ohne Migrationshintergrund‹ geringeren Nutzung frühkindlicher Betreuungs- und Bildungsangebote identifiziert werden, haben lange den Blick auf eine notwendige migrationsgesellschaftliche Öffnung der Institutionen verstellt (u. a. SVR 2013; Amirpur 2015). Diese bedeutet mehr als die Stärkung der Vermittlungsfähigkeit bildungssprachlicher Kompetenzen in Deutsch durch Fachkräfte im Elementarbereich als Vorbereitung auf die Anforderungen der Schule. Eine solche Aufgabenerweiterung für die Fachkräfte war als Empfehlung der Kultusministerkonferenz bereits ein Jahr nach dem Bekanntwerden der für Deutschland unerwartet schlecht ausgefallenen Ergebnisse von PISA ausformuliert worden (KMK 2002) und hatte den Bedeutungswandel des Elementarbereiches von einer Betreuungs- und Sozialisationsinstanz hin zur ersten Stufe des Bildungssystems insbesondere im Hinblick auf den frühkindlichen Deutsch-Spracherwerb für alle Kinder eingeläutet. Damit einher ging eine Ausblendung der Bedeutung einer herkunftssprachlichen Sozialisation sowohl für die Eltern-Kind-Beziehungen, die Aufrechterhaltung transnationaler familiärer Netzwerke, als auch für die Ausbildung von metasprachlichen Kompetenzen zum Erwerb weiterer Sprachen, so auch des Deutschen (u. a. Leyendecker et al. 2015). Was daran deutlich wird, ist, dass eine migrationsgesellschaftliche Perspektive alle in den Blick nimmt, ohne dabei spezifische – auch über migrationsbezogene biographische Erfahrungen bedingte – Rahmenbedingungen und Bedürfnisse auszublenden.
Der Band »Bildung in früher Kindheit – Diversitäts- und migrationssensible Perspektiven auf Familie und Kita« versammelt sechs in sich abgeschlossene Beiträge, die auf das Thema jeweils ein spezielles Schlaglicht werfen und dabei relevante empirische Befunde und theoretische Bezüge aufgreifen. Sie adressieren theoretische Konzepte von Diversitäts- und Kultursensibilität, von Diskriminierungs- und Rassismuskritik, von Interkulturalität und Interreligiosität und spannen damit den Bogen zwischen verschiedenen Diskurslinien aktueller erziehungswissenschaftlicher Migrationsforschung. In ihnen spiegeln sich gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen für das Handlungsfeld der Pädagogik der Frühen Kindheit in der Migrationsgesellschaft, die in vielfacher Hinsicht als international geteilt zu verstehen sind. Daraus werden in je unterschiedlicher Pointierung Schlussfolgerungen für wissenschaftliche, pädagogische sowie auch bildungspolitische Weichenstellungen abgeleitet. Die Beiträge sollen hier in der Reihenfolge ihrer Platzierung im Band und mit ihren inhaltlichen Ausrichtungen kurz vorgestellt werden, um damit die Orientierung für die Leser*innen zu erleichtern:
Drorit Lengyel und Janne Braband geben in ihrem Beitrag »Diversity und Migration in der frühen Bildung« einen umfassenden und einführenden Überblick zu diversitätssensibler und diskriminierungskritischer Bildung in der Pädagogik der frühen Kindheit. In Rezeption des aktuellen Forschungsstandes wird herausgearbeitet, wie sich die Pädagogik der Frühen Kindheit mit migrationsbedingter Diversität auseinandersetzt. Das Begriffsfeld Diversity wird mit Bezug auf die Pädagogik der frühen Kindheit sondiert und die Frühpädagogik als zentrales Handlungsfeld ausgewiesen. Parallel dazu werden Qualitäts- und Professionalisierungskriterien benannt und reflektiert. Ausgehend von den gestiegenen Anforderungen und bildungspolitischen Erwartungen hinsichtlich der Effektivität der frühen Bildung werden aktuelle Studien und Befunde der frühkindlichen Bildungsforschung in den Blick genommen, die auf die Qualität im System der Kindertagesbetreuung abzielen. Schließlich werden zentrale frühpädagogische Handlungsfelder fokussiert: die Sprachbildung, die interreligiöse Erziehung und Bildung, die vorurteilsbewusste Erziehung sowie die Kooperation mit Eltern und anderen Akteur*innen, Organisationen und Verbänden.
Die Autorinnen fragen danach, welche Modelle von Professionalität und Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte als einem weiteren Gebiet der frühkindlichen Bildungsforschung und Pädagogik der frühen Kindheit vorliegen und mit Bezug auf Diversity als geeignet erscheinen. Sie argumentieren, dass es darum gehe, »an den grundlegenden menschenrechtlichen Prinzipien (Gleichheit, Freiheit, Solidarität) in der pädagogischen Orientierung anzuknüpfen und sich mit den je individuellen Lebenslagen der Kinder auseinanderzusetzen, aber auch Schieflagen im System, in der Einrichtung und/oder im Handeln selbst macht- und hierarchiekritisch zu analysieren«. Daran anknüpfend heben Lengyel und Braband vorwiegend Untersuchungen und Professionalisierungsmodelle als weiterführend hervor, denen ein relationales und deskriptives Qualitätsverständnis zugrunde liegt.
Julie Panagiotopoulou und Evamaria Zettl zeigen in ihrem Beitrag »Sprachpolitik und Sprachpraxis in zugewanderten Familien und in Einrichtungen frühkindlicher und vorschulischer Bildung – Herausforderungen für pädagogische Fachkräfte« Praxen von Mehr- und Quersprachigkeit und Translanguaging auf. Dabei adressieren sie sowohl die familiale Sprachenpolitik als auch offizielle Sprach(en)politiken in der Migrationsgesellschaft und in pädagogischen Praxen. In einer internationalen Perspektive beziehen sie sich auf Deutschland, Luxemburg und die Schweiz und thematisieren deren bildungspolitische und migrationsgesellschaftliche Besonderheiten im Vergleich. Entlang dieser Länderbeispiele illustriert ihr Beitrag die Beteiligung von Bildungsinstitutionen an der Festlegung und Durchsetzung von Sprachstandards.
Mehr- und Quersprachigkeit sowie Translanguaging werden als zentral für die Interaktion von Migrationsfamilien betrachtet. Die vorgestellten Studien zeigen, dass es in Migrationsfamilien den Wunsch nach dem mehrsprachigen Aufwachsen der Kinder gibt, der u. a. damit begründet wird, dass die sprachlichen Ressourcen der Herkunftsfamilien zugänglich gemacht werden sollen, sodass den mehrsprachig aufwachsenden Kindern eine selbstbestimmte (sprachliche) Positionierung ermöglicht wird. Es wird beschrieben, wie Kinder ihren Sprachgebrauch situativ anpassen, d. h. sprachlich zwischen mono- und translingualem Handeln wechseln. Panagiotopoulou und Zettl nehmen auch die Sprachpolitik und Sprachpraxis der pädagogischen Fachkräfte in Bildungseinrichtungen unter die Lupe. Diese handelten innerhalb ihrer Institutionen sprachpolitisch und seien damit Teil des lokalen Sprachregimes. Die Autorinnen zeigen, dass sich im Kita-Alltag ein breites Handlungsspektrum ausmachen lässt, welches von der Implementation mehrsprachiger Praxis als wertzuschätzender Normalität bis hin zur Thematisierung von Mehrsprachigkeit als Normabweichung und pädagogischem Problem reicht. Letztere Praxis zöge unweigerlich Prozesse des ›Otherings‹ nach sich. Der Beitrag macht deutlich, dass Defizitperspektiven auf mehrsprachige Kinder weder sprach- noch erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Bildung und Erziehung in Migrationskontexten entsprächen, noch würden sie der gelebten Alltagspraxis in Familien und deren transnationalen Bezügen gerecht.
Schließlich formulieren Panagiotopoulou und Zettl Anforderungen für die Sprach(en)praxis in der Migrationsgesellschaft. Danach sollten Fachkräfte Eltern und Kinder zum Gebrauch ihres gesamten Sprachenrepertoires ermutigen. Außerdem sollte den Eltern Vertrauen in ihre (mehrsprachige) Erziehungsfähigkeit entgegengebracht werden. Schließlich sollten pädagogische Fachkräfte bestärkt werden, »ihre sprachpolitischen Handlungsspielräume – wenn notwendig auch widerständig – zu nutzen, um die familiale Sprachpraxis als legitim anzuerkennen und gelebte Mehrsprachigkeit behutsam aufzugreifen, ohne sie als besondere Praxis ethnisierend zu thematisieren oder zu inszenieren«.
Der Beitrag »Migrationsspezifische Perspektiven auf Bildung und Erziehung in der Frühen Kindheit« von Berrin Özlem Otyakmaz nimmt die Kooperation zwischen Kitas und Eltern mit sog. »Migrationshintergrund« in den Blick. Die Autorin zeigt, wie dominanzkulturelle Normalitätsvorstellungen sowie Defizitannahmen gegenüber Eltern und Kindern aus eingewanderten Familien in Bildungsinstitutionen und pädagogischen Praxen fortwirken. Der hier in Anschlag gebrachte migrationspädagogische Ansatz fokussiert auch auf die Erforschung des Wissens und der Vorstellungen des oder der ›Anderen‹. Dieses Wissen müsse genau wie das der die Dominanzkultur Vertretenden als legitimes Wissen zur Grundlage pädagogischer Theorien und Praxen zur Verfügung stehen und reflektiert werden. Otyakmaz kritisiert die asymmetrische Beziehung zwischen Eltern mit sog. »Migrationshintergrund« und Pädagog*innen von Kindertageseinrichtungen. »Kulturelle Differenz« und fehlende Deutschsprachkenntnisse würden dabei von letzteren häufig als Gründe für die nicht ausreichende oder schlechte Kooperation ins Feld geführt. Die Autorin hebt hingegen hervor, dass kulturalisierende Zuschreibungen die legitimen Forderungen der Eltern, welche häufig mit den bildungs- und integrationspolitischen Diskursen sowie mit den Erwartungen von Eltern ohne sog. »Migrationshintergrund« übereinstimmen, verdecken und delegitimieren. Hinter solchen Annahmen der Pädagog*innen stünde eine pauschale Abwertung von elterlichen Erziehungs- und Bildungskompetenzen. Schließlich diskutiert Otyakmaz, welche Berücksichtigung selbstbestimmte ethnische oder kulturelle Bezugnahmen und Zuordnungen in der Kooperation von Kita und Eltern finden sollten und wie diese reflektiert werden können. Der Beitrag mündet in einer Forderung nach mehr Differenzsensibilität in den frühkindlichen Bildungseinrichtungen. Otyakmaz unterstreicht zudem, dass pädagogische Forschung und Praxis Differenzzuschreibungen konsequent dekonstruktivieren müssten.
Fahimah Ulfat stellt in ihrem Beitrag »Zur Bedeutung religiöser Pluralität in der frühen Kindheit und den Herausforderungen interreligiösen und religionssensiblen Lernens in Kindertageseinrichtung und Grundschule« ausgewählte aktuelle Studien zu religiöser Pluralität im Elementar- und Primarbereich aus dem deutschsprachigen Raum vor. Da Bildungsinstitutionen in der frühen Kindheit »in Bezug auf Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und der damit einhergehenden Formung des Selbstbildes, aber auch Erfahrungen von Zugehörigkeit und Ausgrenzung« eine hohe Bedeutung hätten, sei die Reflexion der pädagogischen Praxis ebenso bedeutsam wie die damit einher gehende Konzeption einer religionspädagogischen Professionalisierung.
Die Autorin skizziert die Bedeutung religiöser Sozialisation in einer religiös pluralen Gesellschaft und expliziert empirisch belegte kindliche Gottesvorstellungen. Sie stellt fest, dass Kinder eine Vielzahl individueller Gottesbilder haben und dass die religiösen Vorstellungen generell sowohl auf (familiären) Beziehungserfahrungen, elterlicher Vermittlung entsprechender Vorstellungen wie auch auf eigenen Erfahrungen der Kinder basieren. Die Kinder verfügten bereits früh über Fähigkeiten, mit erlebter religiöser Differenz im Alltag umzugehen. Außerdem würden sie nicht nur religiöses Wissen rezipieren, sondern sich auch aktiv damit auseinandersetzen und so zu eigenständigen Deutungen gelangen. Der Beitrag zeigt, dass eine gezielte familiär vermittelte religiöse Sozialisation grundsätzlich keinen negativen Einfluss auf ein reflexives Verhältnis zu religiösen und nicht-religiösen Lebenswelten hat. Dennoch argumentiert die Autorin, dass es in Kitas und Grundschulen wichtig sei, »unreflektierte religiöse Orientierungen« zu thematisieren, da sich die Anschlussfähigkeit an säkulare Welten sonst tendenziell als schwierig gestalte.
Ulfat sondiert sodann den Umgang mit religiöser Differenz in Kitas. Hierfür trägt sie zentrale empirische Untersuchungen zusammen, die der Frage nachgehen, ob und wie religiöse Differenz in Kita und Grundschule zum Thema gemacht wird. Dabei spielt auch die Thematisierung von religiöser Differenz von Seiten der Pädagog*innen und Einrichtungen eine wichtige Rolle. Ulfat resümiert, dass die Kultur der Einrichtung (das »Einrichtungsmilieu«) entscheidend für die Wahrnehmung und Verhandlung unterschiedlicher Religionen im Alltag der Kinder sei. Denn schon im Kita-Alter werde in »Wir« und »Ihr« in Bezug auf Religionszugehörigkeiten kategorisiert, wobei Religion und Nationalität oftmals zusammengedacht würden. Die Autorin hebt hervor, dass Kinder, die sich durch ihre Religion in einer gesellschaftlichen Minderheitsposition befinden, religiöse Differenz eher thematisieren. Grundsätzlich werde religiöse Vielfalt von Pädagog*innen wahrgenommen und wertgeschätzt, jedoch fehle es häufig an professioneller interreligiöser Kompetenz.
Schließlich formuliert der Beitrag Herausforderungen für die pädagogische Praxis im Elementarbereich. Es sei Aufgabe dieser Einrichtungen, religiöses Interesse zu wecken, denn das Sprechen über religiöse Pluralität sei u. a. auch dafür bedeutsam, dass Kinder auch Zweifel am Glauben ausdrücken können. Nur eine interkulturell-interreligiös sensible Bildung könne entsprechende Lernprozesse in Gang setzen. Ulfat betont abschließend, dass Kinder ein Recht auf religionspädagogische Begleitung und Förderung in den Einrichtungen früher Bildung hätten. Außerdem fordert sie eine rassismuskritische Perspektive ein. Eine solche Perspektive einzunehmen bedeute, auf die Anerkennung religiöser Individualität, Diversität und Differenz hinzuwirken, sodass Kinder die Möglichkeit erhalten, ihre religiösen Erfahrungen und ihr religiöses Wissen kritisch reflektierend zu verarbeiten und auf dieser Basis weiterzuentwickeln.
Der Beitrag von Maureen Maisha Auma entwickelt dezidiert »rassismuskritische Perspektiven auf Kindheit« unter exemplarischem Bezug auf Werke der Kinder- und Jugendliteratur, die vorgestellt und rassismuskritisch analysiert werden. Die Autorin zeigt die Bedeutung von rassistisch geprägten Marginalisierungserfahrungen für das Aufwachsen von weiß bzw. schwarz positionierten Kindern. Die Autorin stellt heraus, dass rassistisch geprägte Ordnungen und Zuordnungen Teil der sozialen Wirklichkeit von Kindern sind. Diese fänden sich sowohl in Alltagsroutinen als auch in institutionellen Praktiken in Einrichtungen der frühen Kindheit. Kinder- und Jugendliteratur stelle in diesem Zusammenhang ein sekundäres Wirklichkeitsmodell dar, das hyperdiverse Kinder gezielt adressieren müsse. Kinder- und Jugendliteratur könne nämlich entstigmatisierend und damit empowernd wirken. Auma verweist aber auch darauf, dass Kinderbücher im deutschsprachigen Raum in der Breite aktuell Rassismus eher unsichtbar machten oder sogar reproduzierten. Denn rassistisch marginalisierte Kinder seien hier unterrepräsentiert bzw. auf rassialisierte Merkmale reduziert. Um dem entgegenzuwirken, plädiert Auma für einen intersektionalen Ansatz, der Mehrfachmarginalisierung thematisiert. Mithilfe einer intersektionalen Perspektive sollen Didaktik und Pädagogik der Kinder- und Jugendliteratur daraufhin befragt werden, ob und inwiefern sie imstande sind, die hohen Diskriminierungsrisiken der am stärksten marginalisierten Zugehörigen einer sozialen Gruppe zu adressieren.
Der Beitrag fragt danach, warum es der Kinder- und Jugendliteratur so schwer fällt, BIPoC1 Kinder zu imaginieren. Zwar zeichneten sich im deutschen Diskurs um Jugendschutz und Werktreue in der Kinderliteratur erste Tendenzen ab, diskriminierende Repräsentationen sichtbar zu machen, jedoch blieben ›weiße‹ Welten in Kinderbüchern dominant und unhinterfragt. So würden Erfahrungen weißer, christlich geprägter, bürgerlicher Kinder und heteronormative Familienverhältnisse als die prototypisch menschliche Erfahrung normalisiert. Auma betont, dass Kinder- und Jugendmedien, die Marginalisierungen entgegenwirken wollen, Erfahrungs- und Handlungsräume rassistisch stigmatisierter Kinder, ihrer Familien und Zugehörigen thematisieren müssten. Sie resümiert mit dem Appell, dass die Diversitätspädagogik ›lernen‹ müsse, »eine hyperdiverse, postmigrantische Generation« als Lesepublikum zu imaginieren.
Mit Carola Suárez-Orozcos Beitrag »Challenges to and Opportunities for Educational Access for Immigrant-origin Children in the U. S.« weitet der Band seinen Blick transatlantisch. Im Zentrum stehen Kinder aus Einwander*innenfamilien im Bildungssystem der USA. Suárez-Orozco thematisiert die Lebensrealitäten und -kontexte von Kindern mit Migrationsgeschichte (in erster und zweiter Generation) und betont dabei die Diversität der Lebensumstände, Lernvoraussetzungen und Bildungsbedingungen. Die Autorin zeichnet zunächst Bedingungen nach, die die Bildungsintegration beeinflussen, und unterscheidet dabei zwischen dem sozialen Kontext der Aufnahme (social context of reception), dem familiären Kapital (familial capital) und dem pädagogischen Umfeld (educational setting). Die Herausforderungen, vor denen die Migrationsfamilien und insbesondere die Kinder stehen, umfassen ökonomische Hindernisse, Unsicherheiten über den Aufenthaltsstatus, Ausgrenzungs- und Marginalisierungserfahrungen, familiale Trennungserfahrungen sowie fehlende Ressourcen der Schulen und deren sozialen Umfelds. Diese Faktoren beeinflussen den Zugang zu Bildungseinrichtungen sowie Bildungs- und Integrationserfolge auf vielfältige Weise. Die Autorin stellt fest, dass Institutionen der frühen Kindheit seltener von Kindern mit Migrationsgeschichte besucht werden. Grund dafür seien u. a. die Angst vor Abschiebung in Familien mit prekärem Aufenthaltsstatuts sowie irreguläre Arbeitszeiten der Eltern und kulturelle Prägungen, die einer frühkindlichen Betreuung skeptisch gegenüberstehen.
Insgesamt zeigt die Autorin, dass die vielfältigen Möglichkeiten innerhalb des Bildungssystems, Bildungsungleichheiten entgegenzuwirken, in den USA bisher nicht genutzt werden. Sie konstatiert, dass Segregation und Stereotypisierung weiterhin dominieren. Dies komme beispielsweise in Form geringer Leistungserwartungen Lehrender an Kinder mit Migrationsgeschichte zum Ausdruck. Außerdem gebe es weiterhin Zugangsbarrieren zu Einrichtungen der frühen Kindheit für Einwander*innen und es fehle den pädagogischen Fachkräften an Kompetenzen, etwa in Bezug auf die Unterstützung des Erwerbs der Zweitsprache Englisch. Suárez-Orozco bewertet dies als großes Versäumnis und verpasste Chance, da diese Kinder die am schnellsten wachsende Populationsgruppe in den USA darstellten und damit perspektivisch einen zentralen Teil der Bürger*innen des Landes ausmachten. Der Beitrag macht deutlich, was sich im US-amerikanischen Bildungssystem verändern müsste, um mehr Chancengleichheit zu schaffen und Bildungsbenachteiligungen von Kindern aus Einwandererfamilien zu beseitigen.