Читать книгу Die deutschen Nationalparks - Группа авторов - Страница 14
Raumschutz statt Artenschutz
ОглавлениеDoch damals war niemandem so richtig klar, was ein Nationalpark bedeutet. Bis das Credo stand, das Hans Bibelriether, von 1970 bis 1998 Leiter der Nationalparkverwaltung, ausgegeben hatte: Natur Natur sein lassen. Der Satz symbolisierte eine völlig neue Sichtweise. Bis zum Beginn der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts hieß Naturschutz nämlich Bewahren des Bestehenden – und das verstand sich mittels menschlicher Eingriffe, Hege und Pflege. Da galt Schädlingsbefall als Katastrophe und musste bekämpft werden. Vom Sturm gestürzte Bäume, sogenannter „Windbruch“, wurden schleunigst entfernt. Anders Bibelriethers Ansatz: Geschützt werden soll die natürliche Entwicklung von Ökosystemen, die Kraft der Evolution. Raumschutz statt Artenschutz.
So werden die Ranger noch immer bei jeder Führung auf das bekannteste Insekt des Walds angesprochen: Den Fichtenborkenkäfer. Dann müssen sie weit ausholen. „Auch der Borkenkäfer ist ein Geschöpf der Natur“, erklärt Sellmayer. Borkenkäfer befallen schließlich nur kranke Exemplare, das sei völlig in Ordnung, meint der Ranger, während er mit dem Fernglas den Wald nach schwachen Bäumen absucht. Dass viele „Waidler“, also die Einheimischen im Umfeld des Parks, das Motto des Nationalparks skeptisch sahen, hat sich weit über den Bayerischen Wald hinaus herumgesprochen. Vor allem in den Höhenlagen des Parks haben schon vor Jahrzehnten Heerscharen der vier bis fünf Millimeter großen Borkenkäfer Fichtenforste zerstört, von denen so manche Waidlerfamilie gelebt hatte. Zurückgeblieben war damals eine apokalyptische Landschaft – tote Bäume, wohin das Auge blickte. Und dieser Schädling sollte nicht mehr bekämpft werden? Nach einem halben Jahrhundert Aufklärungsarbeit haben sich die Menschen aber mit dem Schutzgebiet und dessen Zielen mittlerweile identifiziert. „Die Einheimischen, die früher gegen das Liegenlassen der umgerissenen Bäume waren, sind heute stolz auf den aufkommenden Wald und schicken Gäste extra hierher“, sagt Sellmayer. Er formuliert es so: „Pessimisten sagen, wir seien der Baumfriedhof Europas, Optimisten sehen hier den größten Baumkindergarten!“
Im Nationalpark bleiben die vom Borkenkäfer gefällten Fichten einfach liegen. Zwischen den toten Stämmen wachsen junge Bäume empor