Читать книгу Die deutschen Nationalparks - Группа авторов - Страница 16
Selbstgestaltungskraft der Natur
ОглавлениеAuch der ungeliebte Borkenkäfer erledigt hier seinen Job, und das seit Tausenden von Jahren. Besser als jeder Förster erkennt er kranke Bäume, befällt sie, verwandelt sie in Totholz und führt sie so dem natürlichen Kreislauf zu. Die toten Bäume sind nicht nur Nahrung, sondern auch Lebensraum vieler Tier- und Pilzarten, die gefallenen Stämme vom Windbruch ein ideales Nährbett für neue Waldgenerationen. Stolz verkündet Sellmayer: „Untersuchungen zur Artenvielfalt belegen unseren markanten Anstieg im Artenreichtum!“ Denn bei näherem Hinsehen zeigt sich: Der scheinbar tote Wald lebt. Eine Zählung im November 2018 ergab 3849 Tierarten, 1861 Pilzarten, 489 Moosarten, 344 Flechtenarten, 757 Gefäßpflanzenarten. Nach einer Hochrechnung gibt es wohl 14.000 Arten im Nationalpark Bayerischer Wald.
Als nächstes zeigt der Ranger, der seit fast einem Vierteljahrhundert dabei ist, seinen Gästen die Flechten: „Bis zu 20 Arten siedeln auf einem Stück Totholz“. Ein anders Mal deutet er auf spektakuläre Farbenspiele, wie den rotrandigen Fichtenporling. Der rot-goldene Schwamm klebt auf einem ebenholzfarbenen Baumstamm wie eine Mini-Deutschlandflagge.
Neben der Gästebetreuung gehören die Kontrolle und das Markieren des Wegenetzes zu den Aufgaben der Ranger: allein 350 Kilometer markierte Wanderwege gibt es. Dazu kommen Radwege und im Winter Loipen. Auch bei Forschungsprojekten arbeiten die Ranger mit. Sie zeichnen ihre täglichen Beobachtungen für das Forscher-Team auf – etwa, wo ein Biber seinen Bau erweitert hat oder wann der erste Kuckuck ruft. Auch das Aufsammeln von Müll fällt in ihren Bereich, falls unachtsame Touristen Abfall hinterlassen. Was glücklicherweise selten vorkommt, sagt Alena Lettenmaier – obwohl es nur wenige Mülltonnen bei den Besucherzentren gebe. Zu eindrucksvoll ist ihr fast 25.000 Hektar großer Arbeitsplatz! Zusammen mit dem Nachbar-Nationalpark Šumava in Tschechien bildet er das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas. Dieser mächtige Nationalpark, der zu 98 Prozent aus Wald besteht, flößt einfach Respekt ein „Da nehmen fast alle ihre Hinterlassenschaften wieder selbst mit.“
Der Kopfhornschröter (Sinodendron cylindricum) ist ein typischer Totholzbewohner
In wildem Miteinander recken sich neben Altbäumen junge Birken, Fichten, Tannen, Buchen und Ebereschen in die Höhe, vereinzelt auch Bergahorne: ein gesunder Mischwald, der langsam heranwächst. Dazwischen halten Baumgreise die Stellung. Zum Beispiel eine abgestorbene Fichte, deren erste Nadeln wuchsen, als Preußenkönig Friedrich der Große Krieg gegen Kaiserin Maria Theresia aus Wien führte – also vor rund 280 Jahren. Die ausgebildete Erzieherin Alena Lettenmaier zeigt ihrer Kindergruppe den Baum-Methusalem des Parks, der sogar mehr als doppelt so alt ist: eine 600 Jahre alte Tanne – innen zwar hohl, aber immer noch stramm und fest verwurzelt. Alle acht Kinder müssen sich an den Händen fassen, um das Naturwunder einzukreisen.
Viele seltene Tiere finden Heimat im Bayerischen Wald:
a) Der Auerhahn (Tetrao urogallus)
b) Ein Baummarder (Martes martes) im Geäst eines Baumes im Freigehege
Die Landschaft wie aus dem Märchenbuch verführt allerdings auch dazu, sich tief hineinzuwagen. Tiefer als erlaubt. Ranger achten deshalb auch darauf, dass niemand querfeldein marschiert, Feuer anzündet oder womöglich sogar wild zeltet.