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SAMUEL W. MITCHAM, JR. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel

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Wilhelm Keitel wurde am 22. September 1882 auf dem Landgut Helmscherode bei Bad Gandersheim, im damaligen Herzogtum Braunschweig, geboren. Schon als junger Mensch zeigte er diejenigen Eigenschaften, die seinen zukünftigen Charakter prägen sollten: einen bedingungslosen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und eine nur durchschnittliche Intelligenz. Sein ganzes Leben lang war es sein sehnlichster Wunsch, wie seine Vorfahren Landwirt zu werden; aber seine Mutter starb früh, sein Vater heiratete wieder, und das kaum 230 Hektar große Keitelsche Landgut galt als zu klein, um zwei Familien zu ernähren. So trat Wilhelm auf Wunsch seines Vaters 1901 ins 46. Feldartillerie-Regiment in Wolfenbüttel (südlich von Braunschweig) als Fahnenjunker ein, obwohl er die Kavallerie vorgezogen hätte.1

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten amerikanische Psychologen und Journalisten Keitel als einen typischen preußischen Junker darzustellen. Das war er nicht. Er stammte aus einer hannoverschen Familie, und sein Großvater war mit dem Königshaus von Hannover, das 1866 von Bismarck entthront wurde, eng verbunden gewesen. Deshalb erlaubte der Großvater seinem Sohn nicht, sein Haus in einer preußischen Uniform zu betreten.2

Keitel, der 1902 sein Leutnantspatent erhielt, galt als guter und strammer, aber gewiß nicht hervorragender Offizier. Er schien jedoch mit jedermann gut auszukommen. Er liebte Pferde, die Jagd, gesellige Veranstaltungen, gutes Essen und Trinken und bewegte sich gern im Freien. Seine Persönlichkeit war kaum ein Hindernis für seine militärische Karriere. 1908 wurde er zum Regimentsadjutanten, 1910 zum Oberleutnant und 1914 zum Hauptmann befördert.3

Am 18. April 1909 vermählte sich Keitel mit Lisa Fontaine, der Tochter eines hannoverschen Ritterguts- und Brauereibesitzers. Sie war schön, klug und hegte für ihren Gatten ehrgeizige Hoffnungen. Das Paar hatte schließlich drei Söhne, die alle wie der Vater die Offizierslaufbahn einschlugen, und drei Töchter, von denen eine schon in früher Jugend starb. Lisa, eindeutig die stärkere Persönlichkeit in dieser Partnerschaft, entwickelte sich später zu einer Bewunderin Adolf Hitlers und erwies sich als ein wichtiger Faktor bei der Förderung der militärischen Karriere ihres Gatten.4

Im Frühjahr 1914 nahm Keitel an einem Vorbereitungskurs für Generalstabsoffiziere teil, zog jedoch Anfang August mit seinem Regiment ins Feld. Er kämpfte in Belgien und Frankreich und wurde im September 1914 durch einen Granatsplitter schwer verwundet. Sofort nach seiner Genesung kehrte er zum Feldartillerie-Regiment Nr.46 zurück, wo er im November Batteriechef wurde. Im März 1915 erhielt Keitel die Stellung als Generalstabsoffizier und wurde in das Hauptquartier des X. Reservekorps versetzt. Später diente er als Generalstabsoffizier beim XIX. Reservekorps (1916–17), bei der 19. Reserve-Infanteriedivision (1917) und bis zum Ende des Krieges im Generalstab des Heeres in Berlin bzw. in Flandern. 1919 soll er bei einem Freikorps an der polnischen Grenze Dienst getan haben.5

Nach dem Weltkrieg setzte Keitel seinen Aufstieg stetig, aber unspektakulär fort. Er verbrachte drei Jahre als Instrukteur an der Kavallerieschule in Hannover (1920–23), bevor er zum Stab des 6. Artillerie-Regiments versetzt wurde. 1923 erhielt er die Beförderung zum Major. Anfang 1925 machte seine Karriere einen gewaltigen Sprung nach vorn: Oberst Erich von dem Bussche-Ippenburg, der Chef des Heerespersonalamtes, wies ihn der Organisationsabteilung des Truppenamtes (so hieß damals der durch den Versailler Friedensvertrag verbotene Generalstab) zu. Keitel und Bussche-Ippenburg hatten sich vor dem Krieg angefreundet und im Frühjahr 1914 zu sam men einen Kurs für Generalstabsoffiziere besucht. Zu Keitels Aufgabenbereich gehörte es, bescheidene Reservestreitkräfte zu schaffen, was nach den Bestimmungen des verhaßten Versailler Vertrages illegal war. Trotzdem war Keitel zufrieden mit seiner Arbeit, die er solide und zuverlässig erledigte. Während seines Aufenthalts in Berlin schloß oder erneuerte er Freundschaften mit einigen wichtigen Militärs, darunter Werner von Blomberg, Werner von Fritsch und Walther von Brauchitsch.

Im November 1927 zog Keitel von Berlin nach Münster i.W., um dort im 46. Artillerieregiment die Führung einer Abteilung zu übernehmen. Nachdem er Anfang 1929 zum Oberstleutnant befördert worden war, kehrte er im Oktober als Chef der Organisationsabteilung in den Generalstab zurück. Selbst Erich von Manstein – später einer seiner erbitterten Feinde – gab zu, daß Keitel auf diesem Posten hervorragende Arbeit leistete. Keitel war stark an Vorbereitungen beteiligt, den Umfang der Reichswehr im Falle eines nationalen Notstandes von 10 auf 30 Divisionen erhöhen zu können, und 1931 reiste er mindestens einmal in die Sowjetunion, um dort geheime Ausbildungslager der Reichswehr zu inspizieren.

Trotz seiner imposanten Erscheinung und Statur war Wilhelm Keitel von Natur aus ein nervöser, leicht erregbarer Mensch, diese Veranlagung verstärkte sich noch seit 1929. Seine Tätigkeit umfaßte viele Aspekte, die gegen den Buchstaben des Gesetzes verstießen; das belastete ihn stark, und mit dieser Belastung wurde er schwer fertig. Vielleicht ahnte er auch, daß er seiner hohen Stellung nicht gewachsen war, und unter diesem Streß verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Er zog sich eine schwere Venenentzündung am rechten Bein zu, ignorierte jedoch das Problem und ging weiterhin täglich zu Fuß von seiner Wohnung im Berliner Westen zu seinem Büro im Reichswehrministerium in der Bendlerstraße. Diese physische Anstrengung, zusammen mit der psychischen Belastung, führte schließlich zu einer Thrombose, die durch eine doppelseitige Lungenentzündung kompliziert wurde. Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 die Macht ergriff, erholte sich Keitel in einem tschechoslowakischen Sanatorium in der Hohen Tatra.

Bald nachdem Keitel, seit Ende 1931 Oberst, wieder genesen war und seine Arbeit wiederaufgenommen hatte, begegnete er im Juli 1933 in Bad Reichenhall zum erstenmal Hitler. Er war vom ‘Führer’ sofort fasziniert und verehrte ihn abgöttisch bis zu seinem Todestag.6 Im Oktober begann für Keitel ein weiterer Abschnitt des Dienstes bei der Truppe, diesmal als Infanterieführer III und Stellvertretender Kommandeur der 3. Division in Potsdam. Am 1. April 1934 wurde er zum Generalmajor befördert.7

Um dieselbe Zeit starb Keitels Vater, und der General erbte das Familiengut in Helmscherode. Wilhelm Keitel hatte schon immer Landwirt werden wollen, und jetzt sah er seine Chance: Er reichte – gegen den Willen seiner Frau – zum 1. Oktober 1934 sein Abschiedsgesuch ein. Als jedoch General von Schwedler, der Chef des Heerespersonalamtes, Keitels Abschiedsgesuch erhielt, bestellte er ihn auf Befehl von Keitels altem Freund, General Werner von Fritsch, der inzwischen Chef der Heeresleitung geworden war, zu sich. Schwedler erklärte dem Abschiedswilligen, Fritsch wolle ihn nicht verlieren; deshalb sei er bereit, ihm das Kommando einer der neuen Divisionen zu übertragen, die demnächst aufgestellt werden würden, wenn Hitler den Vertrag von Versailles aufkündige und den Beginn der militärischen Expansion öffentlich bekanntgebe. Außerdem werde Keitel, nachdem man ihn zunächst nach Liegnitz versetzen wollte, sein Kommando selbst wählen dürfen. Dieser Chance konnte Keitel nicht widerstehen; er suchte sich die 22. Division in Bremen aus, was auch der Wunsch seiner Frau war. „So entscheiden sich menschliche Schicksale“, schrieb er später.8

Keitel befehligte die 22. Division nicht einmal ein ganzes Jahr. Im August 1935 berief ihn der Reichskriegsminister Blomberg – auf Empfehlung von Fritsch – zum Chef des Wehrmachtamtes. Er wurde Nachfolger des Generals Walter von Reichenau, den man zum Befehlshaber des Wehrkreises VII ernannt hatte. Keitel wäre am liebsten in Bremen geblieben; er wollte „mit der Politik nichts zu tun haben“.9 Aber zum Unglück des willensschwachen Generals drängte ihn seine Gattin, die Ernennung anzunehmen. So trat er im September 1935 sein Amt an. Lisa Keitel hegte für ihren Gatten sehr ehrgeizige Pläne und wußte, daß der neue Posten die Aussicht auf Beförderung bedeutete. Und sie hatte recht: Im Januar 1936 wurde Keitel Generalleutnant, im August 1937 General der Artillerie.

Keitels neues Amt brachte hohe Verantwortung mit sich. Es umfaßte drei Abteilungen: eine für strategische Planung, eine für Landesverteidigung und eine für militärische Führung. Das Amt war zuständig für den gesamten militärischen Nachrichtendienst, für das militärische Fernmeldewesen und für die administrativen Aufgaben des Kriegsministeriums; es hatte außerdem eine Führungsfunktion in bezug auf die einzelnen Wehrmachtteile. Keitel arbeitete mit Reichskriegsminister von Blomberg reibungslos zusammen; er war ihm gegenüber ein Jasager, so wie er später gegenüber Hitler ein Jasager war. Trotzdem blieb ihr Verhältnis ziemlich unpersönlich, selbst nachdem Blombergs Tochter Dorothea sich mit seinem Sohn, dem Leutnant Karl Heinz Keitel, verlobt hatte.10 Als Blomberg eine Frau heiratete, die früher eine Prostituierte gewesen war, unternahm Keitel nichts, um ihn zu schützen. Im Gegenteil, als Graf Helldorff, der Polizeipräsident von Berlin, Keitel das Belastungsmaterial aushändigte, vernichtete dieser es nicht, was er ohne weiteres hätte tun können; statt dessen wies er Helldorff an, es an Göring weiterzugeben, der – wie Keitel gewußt haben muß – das Amt Blombergs erstrebte. Telford Taylor schrieb später: „Keitel verriet Blomberg regelrecht, sei es mit Absicht, sei es aus Unfähigkeit.“11

Am 27. Januar 1938 verabschiedete sich Hitler in der Reichskanzlei von Blomberg. Der in Ungnade gefallene Generalfeldmarschall empfahl Hitler, das Amt des Kriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht selbst zu übernehmen. Hitler ging auf diesen Vorschlag zunächst nicht ein, fragte Blomberg jedoch, wen er, falls er das Amt übernehme, als Chef des Wehrmachtstabes empfehle. Blomberg nannte keinen Namen. Da fragte Hitler, wer zur Zeit der Chef von Blombergs Stab sei. Keitel, lautete die Antwort, aber dieser komme nicht in Betracht; der sei nur Vorsteher seines Büros gewesen. „Das ist ja gerade der Mann, den ich suche!“ rief der ‘Führer’ und befahl, Keitel solle sich noch am gleichen Nachmittag bei ihm melden.12

In Wilhelm Keitel fand Hitler genau den Offizierstyp, den er brauchte: einen, der seine Befehle buchstäblich und ohne Fragen zu stellen ausführte – einen Jasager, der lediglich ein besserer Verwaltungsbeamter war, ohne selbständige Kommandobefugnisse zu besitzen oder zu erstreben. Mit Wirkung vom 4. Februar 1938 ernannte er Keitel zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW).

Bei seinem Amtsantritt hatte Keitel zunächst mehr Einfluß bei Hitler, als er jemals wieder haben sollte. Als eine Woche nach der Entlassung Blombergs General von Fritsch seines Postens enthoben wurde, weil man ihn (zu Unrecht) der Homosexualität beschuldigte, wollte Hitler Walter von Reichenau zu seinem Nachfolger ernennen. Aber Keitel, der eine starke Abneigung gegen Reichenau hatte, redete dem ‘Führer’ ein, dieser Kandidat werde fast von der gesamten Generalität des Heeres abgelehnt. Es gelang Keitel, den Posten für Walther von Brauchitsch zu sichern. Außerdem konnte er durchsetzen, daß sein Bruder, Bodewin Keitel, zum Chef des Heerespersonalamtes und der NS-freundliche Major Rudolf Schmundt – als Nachfolger von Friedrich Hoßbach – zum Wehrmachtsadjutanten Hitlers ernannt wurde. Schließlich erreichte er auch seine eigene Beförderung zum Generaloberst am 1. November 1938.13

General Keitel träumte von der Errichtung eines Oberkommandos der Wehrmacht, das wirkliche Befehlsgewalt über das Heer, die Kriegsmarine und die Luftwaffe haben sollte, aber die beiden anderen Wehrmachtteile verweigerten die Zusammenarbeit. Göring schrieb sogar einen persönlichen Brief an Keitel, in dem er feststellte: „Ob (und in bezug auf diesen Punkt möchte ich mich ganz deutlich ausdrücken) diese Befehle unterzeichnet sind ‘Im Namen des Führers: Generaloberst Keitel’ oder ‘Im Namen des Führers: Feldwebel Maier’, ist für mich völlig belanglos.“14 Erich Raeder, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, drückte sich diplomatischer aus, aber auch er lehnte eine gemeinsame Befehlsgewalt des OKW entschieden ab.

Keitel fühlte sich seiner hohen Stellung nie gewachsen (er war es auch nicht); deshalb vertraute er blind auf das Genie des ‘Führers’, der privat äußerte, Keitel sei ein Mann mit dem Gehirn eines Kinoportiers.15 Das war Hitler jedoch gerade recht, solange der Chef des OKW seine Befehle weitergab und ihm bedingungslos gehorchte. Keitel war tatsächlich von Natur aus unfähig, sich mit Hitler auseinanderzusetzen, und die wenigen Fälle, in denen er gegen einen „Führerbefehl“ etwas einzuwenden versuchte, endeten stets damit, daß er von dem Diktator scharf zurechtgewiesen wurde. Keitel kehrte daher zu seiner alten Gewohnheit zurück, jedem Befehl automatisch zu gehorchen, ohne Fragen zu stellen – mit katastrophalen Folgen für ihn selbst, Hitler, die Wehrmacht, Deutschland und einen Großteil der übrigen Welt. Jede Kritik am ‘Führer’ oder seinen Befehlen war für Keitel ein Akt der Illoyalität, der an Hochverrat grenzte. Ein Befehl Hitlers war für Keitel wie ein Gebot des allmächtigen Gottes – man mußte ihn sofort befolgen, ohne Rücksicht darauf, was er verlangte. Nach dem Krieg sagte Keitel einem der ihn vernehmenden Offiziere: „Im Grunde meines Herzens war ich ein treuer Schildhalter von Adolf Hitler und meine politische Überzeugung war nationalsozialistisch.“16

Da Keitel nie wirklich Befehlsgewalt ausübte, sind in dieser biographischen Skizze keine Schlachten zu erörtern; wir haben lediglich (wenigstens teilweise) Keitels Verbrechen aufzulisten. In gewissem Sinne waren es nicht einmal Verbrechen Keitels, denn sie gingen nicht von ihm aus; er war lediglich ein Komplize. Oft bedeutete das nur, daß er einen Befehl unterzeichnete. Im Polenfeldzug erließ Wilhelm Keitel Befehle an die Wehrmacht, der SS und der Gestapo bei der Verwirklichung von Hitlers Politik zu helfen, d.h. polnische Juden, Intellektuelle, Priester und Adlige auszurotten, um den Willen des polnischen Volkes zu brechen. Er billigte auch Maßnahmen, die zu Massenmorden führten.17

Im Mai 1941 unterzeichnete Keitel für den geplanten Krieg gegen die Sowjetunion den berüchtigten ‘Kommissarbefehl’; dieser wies die deutschen Befehlshaber an, Funktionäre der Kommunistischen Partei nach der Gefangennahme sofort zu erschießen, ohne sie vor ein Kriegsgericht oder ein anderes Gericht zu bringen. Manche Generale protestierten gegen diesen verbrecherischen Befehl, aber Keitel stellte ihn nie in Frage und bestand auf seiner buchstäblichen Befolgung. Am 27. Juli 1941 unterzeichnete Keitel einen Befehl, der dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler uneingeschränkte Vollmacht gab, das rassistische Programm Hitlers in Rußland durchzusetzen. Dieser Befehl lief auf Beihilfe zum Massenmord hinaus, und tatsächlich wurden Zehntausende von Juden und Slawen erschossen. Am 16. Dezember 1942 erließ Keitel für die Wehrmacht einen Befehl zur „Bandenbekämpfung“, in dem es unter anderem heißt: „Die Truppe ist (…) berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt. Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk und den Soldaten an der Front (…).“18

Keitel unterzeichnete auch Hitlers ‘Nacht-und-Nebel-Erlaß’, der die Bevölkerung der besetzten Gebiete Europas, besonders die Franzosen und die Niederländer, terrorisieren sollte. Aufgrund dieses Erlasses verschwanden Menschen, die des Widerstands gegen das nationalsozialistische Deutschland verdächtig waren, einfach bei Nacht und Nebel, so als hätten sie nie existiert. In Wirklichkeit wurden sie der Gestapo übergeben, die sie ermordete. Keitel rechtfertigte diesen Erlaß mit einem einzigen Satz: „Es ist der langerwogene Wille des Führers!“19

Für Keitels blinden Gehorsam gegenüber dem Willen des ‘Führers’ ließen sich Dutzende von weiteren Beispielen nennen; besonders erstaunlich ist jedoch seine Bereitschaft, die Weisungen Hitlers sogar dann zu befolgen, wenn das eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Verlust von Menschenleben unter deutschen Frontsoldaten bedeutete. Als zum Beispiel die 6. Armee in Stalingrad eingeschlossen wurde, verweigerte ihr Hitler die Erlaubnis auszubrechen. Wider jede taktische Vernunft unterstützte Keitel gehorsam den Willen des ‘Führers’ – gegen die Proteste des Generalfeldmarschalls von Manstein, der Generalobersten von Weichs und von Richthofen und aller kommandierenden Generale der eingeschlossenen Armee.

Seit Stalingrad verteidigte Keitel jeden einzelnen „Durchhaltebefehl“, den Hitler erließ – mit verhängnisvollen Konsequenzen: Die Heeresgruppe Afrika wurde in Tunesien, die 17. Armee auf der Halbinsel Krim vernichtet; die 1. Panzerarmee wurde in Galizien eingeschlossen; die Heeresgruppe Süd wurde in der Ukraine zerschlagen; die Heeresgruppe Nord wurde vor Leningrad zurückgeworfen und dann in Kurland abgeschnitten, obwohl sie leicht nach Deutschland hätte entkommen können; die Heeresgruppe Mitte wurde in Weißrußland praktisch aufgerieben; die Heeresgruppe B wurde in der Normandie zerschmettert und später im Ruhrkessel vernichtet. Diese Liste ist keineswegs vollständig, enthält jedoch die meisten größeren militärischen Katastrophen. An den Entscheidungsprozessen war Keitel selbst nicht beteiligt; er billigte lediglich die Entscheidungen des ‘Führers’. Bei taktischen Diskussionen mit anderen Generalfeldmarschällen wandte sich Hitler in kritischen Augenblicken an seinen OKW-Chef Keitel und fragte ihn nach seiner Meinung: er konnte sich jedesmal darauf verlassen, daß diese mit seiner eigenen genau übereinstimmen würde. Auf diese Weise gewann Hitler jede Diskussion – und verlor fast jede Schlacht.

Keitel, am 19. Juli 1940 zum Generalfeldmarschall befördert, akzeptierte Beschimpfungen von seiten Hitlers als den Preis, den er für seine Stellung bezahlen mußte. Außerdem wurde er – früher ein angesehenes Mitglied des Offizierskorps und des Generalstabes – von seinen Standesgenossen bald verachtet. Selbst rangjüngere Generale bezeichneten ihn als „Lakaitel“ und „Nickesel“. Zu seinem 60. Geburtstag empfing Keitel von Hitler eine Dotation von 250.000 Reichsmark. Bis zum Jahresende 1942 gelang es Keitel, diesen Betrag auf über 1 Million Reichsmark aufzustocken, um sich dafür Landbesitz kaufen zu können.

Schließlich zahlte Keitel für seine Stellung und für seinen blinden Gehorsam den höchsten Preis. Am 9. Mai 1945 unterzeichnete er in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation der gesamten Wehrmacht; dann wurde er in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher angeklagt. Selbst dort bewahrte er seinem ‘Führer’ die Treue. Er sagte aus: „Ich bin ein überzeugter Anhänger Adolf Hitlers“, fügte allerdings hinzu: „Das schließt nicht aus, daß ich manche Punkte des Parteiprogramms ablehne.“20 In seiner Verteidigungsrede vertrat er die Auffassung, er habe nur Befehle befolgt. Das traf durchaus zu, reichte aber nicht aus, um seinen Kopf zu retten. So wurde er in allen vier Anklagepunkten schuldig gesprochen: Verschwörung zur Planung eines Angriffskrieges, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er war besonders verantwortlich für die Verstrickung der Wehrmacht als Institution in die verbrecherischen Aktionen des NS-Regimes. „Mildernde Umstände liegen nicht vor“, erklärte der Richter. „Befehle von oben, auch wenn einer Militärperson erteilt, können nicht als mildernde Umstände betrachtet werden, wenn derart empörende und weitverbreitete Verbrechen bewußt und rücksichtslos begangen worden sind.“21 Schließlich endete Keitel am 16. Oktober 1946 in Nürnberg am Galgen.

Hitlers militärische Elite

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