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KENNETH MACKSEY Generaloberst Alfred Jodl

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Am 16. Oktober 1946, um 2 Uhr morgens, wurde Generaloberst Alfred Jodl von den siegreichen Alliierten in Nürnberg gehängt. Er war nicht der einzige deutsche General, den man zum Tod verurteilte, er gehörte jedoch – wie sein Vorgesetzter, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel – zu den wenigen, die am Ende des großen Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses in allen vier Anklagepunkten für schuldig befunden wurden: Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Verschwörung (die den Bruch von Verträgen, die Planung eines Angriffskrieges, die Verfolgung und Ermordung von Menschen umfaßte), Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Wie kam es, daß man diesen hervorragenden und einst angesehenen Generalstabsoffizier, den General Heinz Guderian einmal als „anständigen Mann“ bezeichnete, so unnachsichtig beurteilte und mit dem Tode bestrafte? Wie konnte ein glänzender Stabsoffizier, der sich an die Maxime hielt „Viel leisten, wenig scheinen“, so tief fallen?

In Jodls frühen Jahren gab es keinerlei Hinweise auf verbrecherische Neigungen. Er stammte aus einer intellektuellen Familie, unter deren Vorfahren weit mehr Geistliche, Philosophen und Juristen waren als Soldaten. Der Vater war Artilleriehauptmann im bayerischen Heer, reichte jedoch seinen Abschied ein, als er eine Bauerntochter heiratete, die nicht den erforderlichen gesellschaftlichen Rang aufwies. Alfred Jodl, am 10. Mai 1890 in Würzburg geboren, wurde ebenfalls ein intelligenter und bescheidener junger Artillerieoffizier in bayerischen Diensten. Auch sein jüngerer Bruder Ferdinand wurde Offizier und wie Alfred in der NS-Zeit General. Alfred Jodl war freilich zu beträchtlicher Verstellung fähig und von einem brennenden Ehrgeiz erfüllt. Dies zeigte sich zum ersten Mal, als er die große Chance ergriff und Irma Gräfin von Bullion heiratete, die fünf Jahre älter als er und eine reiche Erbin war. Von nun an konnte er, der sich in Adelskreisen bewegte und weniger mit finanziellen Sorgen belastet war, müheloser als mancher Angehörige des preußischen Landadels das Ziel eines jeden wirklich intelligenten Offiziers verfolgen: die Laufbahn eines Stabsoffiziers. Während des Ersten Weltkriegs bewährte er sich so hervorragend, daß ihn das Truppenamt der Reichswehr 1920 zu einem Führergehilfenlehrgang nach München einberief; und da er zu den zehn Jahresbesten aller Divisionen gehörte, wurde er schließlich in den elitären Berliner Führergehilfenlehrgang aufgenommen: er war auf dem Weg zum Generalstabsoffizier.

In diesen Entwicklungsjahren wurde Jodl nach seiner eigenen Aussage stark von zwei bayerischen Landsleuten beeinflußt. Der wichtigste war sein Lehrer, General Wilhelm Adam, der – von dem späteren Reichswehrminster Kurt von Schleicher gefördert − 1929 Chef des Truppenamtes wurde. Dieser hatte eine starke Abneigung gegen die Nationalsozialisten, die Jodl während der zwanziger Jahre bis zu einem gewissen Grade teilte. Der andere Landsmann war Oberst Konstantin Hierl, ein überzeugter Nationalsozialist mit revolutionären Ideen, den von Seeckt entließ, als er den unannehmbaren Vorschlag machte, anstelle der vom Versailler Vertrag verbotenen allgemeinen Wehrpflicht eine allgemeine Arbeitsdienstpflicht einzuführen. Vielleicht geriet Jodl infolge seiner Verbindung mit Hierl in den Ruf eines Revolutionärs. Andererseits gibt es keinen Zweifel, daß Jodl – wie fast alle Offiziere der Reichswehr – eine starke Abneigung gegen die Kommunisten empfand, nachdem ihn die Nachkriegswirren, die in Bayern am schlimmsten gewesen waren, tief erschüttert hatten.

Es war Adam, der Major Jodl in die wichtige Heeresabteilung T1 des Truppenamtes brachte. Diese begehrenswerte Tätigkeit war denjenigen vorbehalten, die für höchste Positionen vorgesehen waren. Es war eine Zeit entscheidender institutioneller Veränderungen: Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler; ferner machte er – als politisches Gegengewicht zu Hitler – General Werner von Blomberg anstelle Schleichers zum Reichswehrminister. Es war außerdem die Zeit, in der Hermann Göring und Erhard Milch mit der Aufstellung einer heimlichen Luftwaffe begannen.

Jodl, ein kluger Beobachter, war daher Zeuge folgenschwerer Ereignisse: 1935 wurde aus dem Ministeramt das Wehrmachtamt, Blomberg erhielt den Titel eines Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht und berief General Walter von Reichenau zu seinem Chef des Stabes, zusammen mit dem ziemlich mittelmäßigen General Wilhelm Keitel, der „das Büro leiten“ sollte. Es war logisch, daß diese drei Generale, die an Hitler als potentiellen Retter Deutschlands und der Wehrmacht glaubten, sich von dem Hitlergegner Adam trennten und diesen durch den brillanten General Ludwig Beck ersetzten. Beck hatte, als Adam einmal über Hitler schimpfte, bemerkt: „vielleicht würde doch aus dem Trommler, Propagandisten und Volksverführer [Hitler], der beim Aufbau seiner Macht so große Fähigkeiten bewiesen habe, ein wirklicher Volksführer (…), dessen Staatsmannskunst sich weiter entwickeln würde“.1

Beck, dem Jodl jetzt mit der für ihn charakteristischen beharrlichen Loyalität diente und den er außerdem immer mehr bewunderte, war Rheinländer und ebenfalls Artillerist. Er war seinerseits von Jodl beeindruckt und bezeichnete ihn in einem Dienstzeugnis als einen „Mann mit Zukunft“.2 Diese Zukunft ging, wie sich herausstellte, ganz auf in den laufenden Auseinandersetzungen zwischen dem Wehrmachtamt, dem Heer, der Kriegsmarine und der Luftwaffe über die Bildung eines gemeinsamen Oberkommandos für die drei Wehrmachtteile. Blomberg und Reichenau befürworteten diesen Gedanken. Aber die Oberbefehlshaber der drei Waffengattungen und ihre Generalstabschefs, vor allem Beck, waren davon keineswegs begeistert; denn es war offensichtlich, daß dadurch ihre Unabhängigkeit und besonders die politische Macht des Generalstabes des Heeres innerhalb der Militärhierarchie bedroht wurden.

Diese Ereignisse bildeten jedoch lediglich den Hintergrund des Kampfes, der sich 1934 innerhalb der NSDAP abspielte: Hitler ließ Röhm, Schleicher und Bredow ermorden; Hindenburg starb und Adolf Hitler nahm den Titel „Führer und Reichskanzler“ an. Blomberg ließ die Wehrmacht einen neuen Treueid auf Hitler persönlich als den obersten Befehlshaber ablegen.

Jodl gehörte bereits zu denjenigen, die wie Adam glaubten, Hitler bedeute Krieg. Auch Beck schwenkte zu dieser Meinung um und versuchte das Heer gegen Hitler zu stärken, obwohl dieses durch die Ablegung des Gefolgschaftseides für Hitler Anfang August 1934 schon in eine verhängnisvolle Abhängigkeit geraten war. In der Hoffnung, die Begeisterung für das kommende Oberkommando der Wehrmacht zu dämpfen, entsandte Beck 1935 den von ihm protegierten willensstarken Oberst Jodl ins Wehrmachtamt, damit er dort unter Blomberg und Keitel als Chef der Führungsabteilung arbeite. Er wurde freilich enttäuscht, denn Jodl wandte sich – kühl berechnend, wenn nicht instinktiv – von seinem bisherigen Gönner ab. Bald mußte Beck erkennen, daß Jodl sich ganz an Blomberg und den „großen K“ (so nannte Jodl seinen Chef manchmal in Briefen) band, daß er der Idee eines Oberkommandos für alle drei Wehrmachtteile zustimmte und daß er im Begriffe war, sich zu einem Bewunderer Hitlers zu entwickeln, obwohl er einstweilen mit dem ‘Führer’ noch wenig zu tun hatte. Es liegt auf der Hand, daß es Meinungsverschiedenheiten mit seinem alten Chef gab, die durch Keitels wachsende persönliche Abneigung gegen Beck noch verschlimmert wurden.

Im Laufe der Zeit unterstützte Jodl seinen neuen Vorgesetzten Blomberg „geradezu leidenschaftlich“, wie Walter Warlimont bezeugte. Jodl stürzte sich so rückhaltlos in seine Arbeit im Wehrmachtamt, daß er 1937 sogar die Ernennung zum Chef des Generalstabes der Luftwaffe ausschlug. Er tat dies vielleicht deshalb, weil es für ihn einen Abstieg bedeutet hätte, unterhalb der expandierenden Organisation nahe der Machtspitze für Göring statt für Hitler zu arbeiten. Denn inzwischen war Jodl vom ‘Führer’ fasziniert und gänzlich davon überzeugt, daß ein Wehrmachtministerium – mit einem eigenen Generalstab – die einheitliche Kommandobefugnis über alle drei Wehrmachtteile übernehmen und damit dem Heer seine traditionelle Zuständigkeit für Militärpolitik und militärische Operationen entziehen sollte.3

Das durch diese Pläne hervorgerufene Gerangel erreichte einen Höhepunkt, als der verwitwete Blomberg zurücktrat, nachdem er eine ehemalige Prostituierte geheiratet hatte. Dieses politische Ereignis betrachtete ein schockierter Jodl als „entscheidende Stunde für das deutsche Volk“, um so mehr als es zusammenfiel mit der Ablösung des Oberbefehlshabers des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, nachdem die SS ihn fälsch licher weise der Homosexualität beschuldigt hatte (Jodl fand diese Beschuldigung ebenso empörend und unglaubwürdig wie die gesamte übrige Generalität). Ein Wendepunkt war es sicherlich. Denn aufgrund dieser Ereignisse wurde Hitler nach komplizierten Verhandlungen, an denen Jodl beteiligt war, am 4. Februar 1938 selbst Reichskriegsminister und „Oberster Befehlshaber der Wehrmacht“; Keitel wurde Chef des neuen Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) im Range eines Reichsministers und Jodl Chef des Wehrmachtführungsamtes (ab 8. August 1940 „Wehrmachtführungsstab“).4

Den Weg zu dieser Lösung hatte eine Denkschrift eröffnet, die Warlimont ohne Rücksprache mit Blomberg oder Fritsch im September 1937 direkt an Hitler geschickt hatte. Damit verschaffte er dem ‘Führer’ reichlich Zeit, darüber nachzudenken, wie vorteilhaft es für ihn war, die Generale noch fester an die Kandare zu nehmen; und Hitler war mit dem Gedanken vollständig vertraut, als er den neuen Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch, überredete, „allem zuzustimmen“.5

Diese Denkschrift hatte auch zur Folge, daß Warlimont in das neugeschaffene OKW eintrat, wo er unter Jodl arbeitete. Als dieser zum Generalmajor befördert und im Oktober 1938 als Artilleriekommandeur 44 nach Wien versetzt wurde, übernahm Warlimont das Amt seines Chefs, der ihm recht sympathisch war.6

So begann Jodls enge Verbindung mit Hitler, die – abgesehen von dem einen Jahr als Artilleriekommandeur 44 – bis April 1945 dauern sollte. Zusammen mit Keitel wurde er im März 1938 sogleich in die überstürzte Besetzung Österreichs verstrickt. Wie Keitel unterstützte auch Jodl einige Monate später eifrig Hitlers Absicht, das Sudetenland zu besetzen, und mißbilligte die Haltung von Generalen wie Halder, die zusammen mit Brauchitsch einen Staatsstreich erwogen, um Hitler von einem nach ihrer Auffassung wenn nicht verfrühten, so doch sinnlosen Abenteuer abzuhalten. Damals vertraute er seinem Tagebuch deutliche Ansichten über die Generale und über Hitler an. Den Generalen warf er „mangelnde Seelenstärke“ und „Mangel an Gehorsam“ vor. Ihr Ungehorsam entspringe „letzten Endes ihrer Überheblichkeit. Sie können nicht mehr glauben und nicht mehr gehorchen, weil sie das Genie des Führers nicht anerkennen, in dem sie z.T. sicher noch den Gefreiten des Weltkrieges sehen, aber nicht den größten Staatsmann seit Bismarck.“7

Die Bedeutung dieses Tagebucheintrags liegt vielleicht in dem Umstand, daß Jodl damals Hitler im Fach Kriegskunst unterwies; während der Mahlzeiten saß er regelmäßig neben ihm und bildete ihn allmählich in Strategie und Taktik aus. Zwangsläufig wurde Jodl dabei mit der nationalsozialistischen Ideologie indoktriniert. Außerdem spielte er bei der Vorbereitung des von Hitler geplanten Krieges eine weit wichtigere Rolle als Keitel. Ein Artillerieoffizier des Ersten Weltkriegs ohne Kommandoerfahrung, der den Anschluß an die moderne Theorie der beweglichen Kriegführung verpaßt hatte, verführte einen Infanteriegefreiten des Ersten Weltkriegs, dessen militärisches Wissen nur durch vier Jahre Stellungskrieg geprägt war; dabei stand Jodl unter dem hypnotischen Einfluß eines rabiaten Demagogen. Es spricht einiges dafür, daß Jodl für die bizarre Führung des Krieges durch Hitler in weit höherem Maße verantwortlich war als gemeinhin angenommen.

Für den kultivierten Jodl (der nicht nur rauchte, sondern auch gutes Essen und Trinken schätzte) war das Leben in der Nähe Hitlers nicht leicht; er mußte sich abfinden mit den langatmigen und schwülstigen Tischgesprächen des ‘Führers’, der weder rauchte noch Alkohol trank und sich an eine ausgefallene Diät hielt. Jodl begrüßte daher im Sommer 1939 die Ablösung von sechs Jahren Schreibtischarbeit und freute sich darauf, im Oktober das Kommando über die 4. Gebirgsdivision übernehmen zu dürfen – bis Keitel diese Hoffnung plötzlich zunichte machte, indem er ihn am 23. August, unmittelbar vor Kriegsausbruch, auf seinen alten Posten als Chef des Wehrmachtführungsamtes zurückberief.

Anfänglich wurde der Anteil des OKW am Zweiten Weltkrieg überschattet durch die drei Wehrmachtteile, die dazu neigten, bei ihrem Handeln das OKW zu ignorieren. Als Hitler sich jedoch für den Angriff auf Polen entschied, bestand Jodl auf einer „Weisung“, um die Position des OKW durchzusetzen, obgleich diese Weisung lediglich bestätigte, was durch die Vorbereitungen auf den „Fall Weiß“ schon geregelt war.8 Mit seinem kleinen Stab konnte das OKW kaum mehr tun, als Hitler bei denjenigen Gelegenheiten zu unterstützen, bei denen er die Strategie zu beeinflussen suchte, und im Zusammenhang mit der Verlegung von Truppen an die Westfront einfache Weisungen zu erlassen.

Als jedoch ein Feldzug auf den anderen folgte, kam dem OKW eine immer beherrschendere Rolle zu. Während man die Durchführung des „Falles Gelb“ (den Angriff im Westen 1940) noch dem Heer überließ, entschied Hitler, von Großadmiral Raeder zur Besetzung Norwegens („Weserübung“) gedrängt, daß für diese kombinierte amphibische Operation das OKW zuständig sei, wobei Jodl die treibende Kraft hinter ihrer Planung und Durchführung war. Sehr wahrscheinlich veranlaßte Jodl den ‘Führer’ zu der Entscheidung, die „Weserübung“ bereits vor dem „Fall Gelb“ anlaufen zu lassen.9 Daraufhin übernahm Hitler die persönliche Befehlsgewalt, während Jodl die drei Wehrmachtteile koordinierte, das OKH ausschaltete und das Generalkommando XXI einsetzte, um im April 1940 die Operationen in Dänemark und Norwegen durchzuführen.

„Weserübung“ war ein glänzender Erfolg, bei dem Jodl in großartiger Weise die Ruhe behielt, so oft ein hochgradig nervöser Hitler ein Chaos verursachte, wenn er dilettantisch auf allen möglichen Ebenen eingriff. Es kann kaum einen Zweifel geben, daß Jodl – nicht Hitler – den Norwegenfeldzug gewann.10 Bald sollten weitere ‘OKW-Kriegsschauplätze’ folgen.

Das Überrollen Hollands, Belgiens und Frankreichs im Mai/Juni 1940 war ein Sieg des Heeres und der Luftwaffe, der vielleicht zu einem Triumph geworden wäre, wenn Keitel und Jodl hätten verhindern können, daß der ‘Führer’ dem berühmten Haltebefehl beipflichtete – was den britischen Truppen das Entkommen aus Dünkirchen ermöglichte. So wie die Dinge lagen, trugen Keitel und Jodl unterwürfig dazu bei, daß die unbedrohte Südflanke verstärkt wurde; dabei überging Jodl sogar das OKH und die Heeresgruppe A, indem er untergeordneten Verbänden direkt Befehle erteilte.11 Damit lieferte er zweifelhafte Argumente für Behauptungen, Hitler – nicht das Heer – habe letztlich den Sieg errungen (der in Wirklichkeit ein grandioser Fehler war).

So wurde die Grundlage geschaffen für Hitlers Ruf als „Größter Feldherr aller Zeiten“. Infolge dieses Rufes konnte von jetzt ab niemand mehr Hitler im Zaum halten – nicht einmal seine bevorzugten Mitarbeiter wie Göring, Himmler und Ribbentrop, von Keitel oder Jodl ganz zu schweigen. Während Keitel fortan zu einem „Echo der Stimme seines Herrn“ absank, konnte der soeben zum General der Artillerie beförderte Jodl bestenfalls feinsinnige Varianten der großen Strategie Hitlers durchsetzen. So plädierte er etwa 1940 entschieden für eine Landung in England und unterstützte Rae der bei dem Versuch, die Herrschaft im Mittelmeerraum zu erkämpfen und Großbritannien auszuschalten, bevor sich Hitler 1941 in einen Zweifrontenkrieg gegen die Sowjetunion stürzte. Dieses fragwürdige Manöver führte jedoch, unter Mitwirkung Italiens, schon vor dem Angriff auf die Sowjetunion zu einem Mehrfrontenkrieg.

Verführt durch seine eigenen ehrgeizigen Machenschaften und seine Doppelzüngigkeit, wurde Jodl – obgleich nie Mitglied der NSDAP – durch seine Beihilfe zu Hitlers barbarischen und verbrecherischen Maßnahmen ebenso korrumpiert wie nur irgendein Parteigenosse. Zusammen mit den übrigen hohen Offizieren der Wehrmacht hatte er am 22. August 1939 schweigend zur Kenntnis genommen, wie Hitler die Polen zu behandeln gedachte. Als Hitler am 30. März 1941 die Beseitigung von politischen Kommissaren der Roten Armee, von Bolschewisten und Juden forderte und sagte, die Wehrmacht brauche sich bei der Auseinandersetzung mit den Menschen des Ostens nicht an den Buchstaben des Kriegsstrafrechts oder der Disziplinarordnung zu halten, war Jodl bereits damit beschäftigt, entsprechende mörderische Befehle auszuarbeiten – auch wenn er das später beim Nürnberger Prozeß zu leugnen versuchte.

Jodl hatte das Pech, Hitler näher zu sein, als es für ihn gut war. Da er sich unwiderruflich auf blinde Treue gegenüber einem Wahnsinnigen festgelegt hatte und sich durch den Soldateneid gebunden fühlte, wäre Selbstmord für ihn praktisch der einzige Ausweg gewesen, um dem Martyrium einer schlimmen Isolierung zu entfliehen. Vielleicht ahnte Jodl, daß es Verschwörungen zur Beseitigung Hitlers gab, doch er und Keitel waren die letzten Generale, die man aufgefordert hätte, sich an einem Attentat und damit an einem Wechsel des Regimes und der Politik zu beteiligen. Denn sie waren ebenso hoffnungslos verstrickt und durch die Verbrechen belastet wie die Nationalsozialisten.

Jodls Streit mit Hitler wegen der Katastrophen bei Stalingrad, im Kaukasus und in Nordafrika im Februar 1943 verringerte nicht seine Loyalität gegenüber einem Mann, den er immer noch für ein Genie hielt. Aber seitdem waren seine Chancen, der Vernunft Geltung zu verschaffen, stark reduziert, wenn auch nur deshalb, weil sein Urteilsvermögen infolge seiner Isolierung von der wirklichen Welt beeinträchtigt war. Jodl, der nie eine starke Neigung verspürte, andere um Rat zu fragen, zog sich immer mehr zurück. Er machte nur selten Urlaub. Gelegentlich wurde er beauftragt, die Front zu inspizieren. Im November 1943, nach dem Tod seiner ersten Frau, nahm er eine Zeitlang Urlaub, um eine neue Ehe zu schließen. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944, bei dem er an Hitlers Seite verwundet wurde, harrte er in einer Atmosphäre des Schreckens einfach aus; er bestätigte weiterhin Hitlers zunehmend sinnlose Entscheidungen und führte immer noch seine Fehde gegen das OKH – eine Fehde, die infolge des rapiden Machtverlusts des Generalstabes des Heeres zur politischen Destabilisierung Deutschlands und zu dessen schließlicher Niederlage beitrug.

Schon lange vor Kriegsende hatte Jodl seine militärische Tätigkeit in beträchtlichem Umfang der politischen Aktivität untergeordnet. Am 6. Juni 1942 verfaßte Jodl für das OKW einen wichtigen Bericht mit dem Titel „Wehrkraft 1942“, in dem er die beschränkte Situation Deutschlands glänzend und schonungslos analysierte; er faßte das Ergebnis zusammen in den Worten: „Wehrkraft geringer als im Frühjahr 1941.“ Im Zusammenhang mit der Reaktion auf dieses Dokument findet sich bei Warlimont die aufschlußreiche Bemerkung: es sei zweifelhaft, ob Hitler diese Analyse überhaupt zu Gesicht bekam; denn Keitel habe wohl kaum gewagt, sie weiterzuleiten, und Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsstabes, habe für diesen Bereich der Wehrmachtführung letztlich nur geringes Interesse gezeigt.12

Zweifellos hätten Jodl und Keitel Hitlers Schicksal in Berlin geteilt, wenn dieser es befohlen hätte. Statt dessen schickte er sie nach dem 22. April 1945 nach Westen mit dem Auftrag, den Kampf fortzusetzen. Fern der Realität machte Jodl dort am 25. April 1945 einen letzten triumphierenden Tagebucheintrag: „Nacht 24./25. unterschreibt Führer den Befehl über die Befehlsführung und die Zusammenlegung der Stäbe.“ Endlich hatte Jodl erreicht, wofür er seit fast zehn Jahren gekämpft hatte: Das OKH existierte nicht mehr; es wurde mit dem OKW zusammengelegt. Hitler gab nun dem OKW, der Kriegsmarine und der Luftwaffe direkt Befehle – bis zum 30. April, als er sich das Leben nahm und das ganze korrupte Regime in den Ruinen Deutschlands, dem Jodl so schlecht gedient hatte, unterging.13 Zusammen mit der „Regierung“ von Großadmiral Dönitz wurde Jodl am 23. Mai von den Briten verhaftet.

Bei Shakespeare heißt es einmal, der Ehrgeiz sei „die Tugend des Soldaten“, und Francis Bacon bemerkte: „Wenn man einem Soldaten den Ehrgeiz nimmt, raubt man ihm seine Sporen.“ Das mag zutreffen. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß für Jodl – einen maßlosen und indoktrinierten Menschen von beschränkter Phantasie, der sein Ego über das Wohl seines Volkes und die moralische Pflicht stellte – der Ehrgeiz zur Niederlage, zur Schande und zum Galgen führte. Jodl war nicht unwissend, was die verbrecherischen Befehle anging; er war vielmehr insgesamt dafür verantwortlich, daß den deutschen Soldaten vom OKW völkerrechtswidrige Befehle erteilt wurden.

Hitlers militärische Elite

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