Читать книгу Die Römer im Rhein-Main-Gebiet - Группа авторов - Страница 20

Heddernheim

Оглавление

Der Raum Höchst spielte für Rom ab tiberischer Zeit militärisch keine Rolle mehr. Die Strategen der flavischen Kaiser verlegten, als es darum ging, das Rhein-Main-Gebiet und die Wetterau endgültig unter Kontrolle zu nehmen, ihre Truppen direkt in das Herz des neu besetzten Gebietes. So entstand auf dem Boden des Frankfurter Stadtteils Heddernheim um 75 n. Chr. ein ausgedehntes Militärlager, aus dem sich nach der Einrichtung der zivilen civitates (Stadtgemeinden) unter Kaiser Traian der Hauptort der civitas Taunensium – NIDA – entwickelte. Das Gemeinwesen war auf dem kürzesten Weg mit der Provinzhauptstadt Mainz verbunden – das oben erwähnte Höchst war damit auf der Karte ins Abseits gestellt und spielte offenbar auch als Anlegestation keine Rolle mehr. Zudem entwickelte sich im wenig entfernten Nied eine Legionsziegelei, an die sich auch Töpfereibetriebe anlehnten, die bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts in Betrieb waren.


Abb. 7 Lampen und Terra-Sigillata-Teller aus den Grabungen im Höchster Kreishaus.

Die Geschichte des bedeutenden „Mittelzentrums“ NIDA in wesentlichen Zügen nachzuzeichnen ermöglicht eine bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende, für den einst größten archäologischen Fundplatz Hessens nicht immer glücklich verlaufende Forschungsgeschichte. Grabungen der vergangenen Jahre, die Aufarbeitung der Grabfunde und der Ausgrabungen an der Stadtmauer, ferner eine Zusammenstellung der Funde aus dem 3. Jahrhundert haben allerdings zuletzt dazu beigetragen, insbesondere die Spätphase NIDAs neu zu bewerten (Abb. 8).


Es zeigte sich, dass die bürgerliche Oberschicht in der Blütezeit der Stadt im 3. Jahrhundert die repräsentative Straße nach Mainz als ihren bevorzugten Bestattungsplatz wählte. Nur hier ließen sie Steinsarkophage aufstellen, die zugleich den Rang des civitas-Hauptortes unterstrichen. Auch die Steinkistengräber, in denen die Asche der Verstorbenen in Glasurnen beigesetzt wurde, belegen eine wohlhabende Bevölkerungsgruppe, die in diesen Jahren die Geschicke der Stadt bestimmt haben wird. Gleichzeitig weisen die Körperbestattungen, die in zunehmendem Maße die Brandgräber ablösten, auf einen geistesgeschichtlichen Wandel hin. Mit dem Ausbau der Stadt im 3. Jahrhundert werden deshalb auch neue Bewohner mit anderen Jenseitsvorstellungen nach NIDA gekommen sein, die offenbar nicht nur zusätzliches Kapital in die Stadtgemeinde einbrachten. So kam auch in der Planung einer ausgedehnten Stadtmauer neben dem Schutzbedürfnis der Einwohner zudem ein ausgeprägter Repräsentationswillen einer prosperierenden Gemeinde zum Ausdruck.


Abb. 8 Idealbild der römischen Stadt NIDA zu Beginn des 3. Jahrhunderts.

2001 konnten die Mitarbeiter des Denkmalamtes im Kernbereich des ehemaligen römischen Stadtgebietes von NIDA einen „Viergötterstein“ als Teil einer Jupitersäule freilegen. Zwei Jahre später gelang es dann, die Teile von zwei kompletten Säulen in einem Brunnen zu dokumentieren und zu bergen. Nach der Restaurierung in der Steinwerkstatt des Archäologischen Museums war es 2006 möglich, beide Säulen in der Dauerausstellung des Museums zu präsentieren. Die Inschriften auf beiden Säulen belegen ein Aufstellungsdatum von 228 beziehungsweise 240 n. Chr., einem Zeitraum, in dem sich die Oberschicht NIDAs mit ihren Wünschen und Sorgen durch die Weihung dieser Denkmäler dem als gepanzerten Reiter dargestellten Jupiter und damit stellvertretend dem Kaiser in Rom anvertraute und dadurch zugleich ihre Loyalität zum Ausdruck brachte. Auffindungssituation und Oberflächenstruktur der Steine legen nun nahe, zwischen dem, von wem auch immer verursachten Sturz der Säulen nach der Mitte des 3. Jahrhunderts und der unterirdischen Deponierung einige Jahre Lagerung an der Oberfläche zu vermuten. Wie bei anderen Weihedenkmälern, die ähnlich „verlocht“ angetroffen wurden, aber auch den zahlreichen absichtlich mit Abraum verfüllten Kellern wird immer deutlicher, dass wir mit einer großräumigen „Entschuttung“ des teilweise schon ruinösen Stadtgebietes nach dem Abzug eines Teils der Bevölkerung rechnen müssen. In diesen Zusammenhang muss man auch ein qualitätvolles Weiherelief für Fortuna stellen, das erst 2008 ebenfalls in einem Brunnen geborgen werden konnte. Auch diese Deponierung gehört in die Spätzeit von NIDA, da die Brunnenstube nach Aussage der dendrochronologischen Untersuchungen erst um 250 n. Chr. ausgeschachtet wurde. Wer all dies veranlasste und mit welcher Absicht muss derzeit offenbleiben. Aber nachdem flächige Zerstörungsspuren fehlen, kann nicht von einem katastrophalen, abrupten Ende der Stadtgemeinde ausgegangen werden. Vielmehr wird es nach den überlieferten innenpolitischen Wirren und den germanischen Übergriffen in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts erst nach und nach zu einer Aufgabe der Stadt gekommen sein. An zentraler Stelle wurde um oder nach der Mitte des 3. Jahrhunderts auf zuvor privat genutzten Parzellen sogar noch ein Großgebäude errichtet. Außerdem kann man davon ausgehen, dass zumindest zeitweise Militär in der Stadt stationiert war. Vielleicht hat man während einer kurzen Konsolidierungsphase versucht, als NIDA zwischen 260 und 274 n. Chr. Teil des „Gallischen Sonderreichs“ wurde, in der schon teilweise ruinösen Stadt wenigstens vorübergehend wieder geregelte Verhältnisse zu schaffen, wofür auch die Fundmünzen aus diesem Zeitraum sprechen.

Dass der Frieden nicht immer gewährleistet war, zeigt ein erschütternder Befund in einem Brunnen. Dort konnten die Skelette von zwei Erwachsenen und einem Kind geborgen werden, die offenbar brutal erschlagen und dann in dem Brunnen „entsorgt“ wurden. Schlagspuren auf den Schädeln zeigen, wie die Personen zu Tode kamen. Abwehrverletzungen an den Extremitäten deuten darauf hin, dass man auf die bereits auf dem Boden Liegenden weiter einschlug. Wirbelsäulenerkrankungen, die der Anthropologe Erwin Hahn feststellen konnte, weisen auf eine hohe Arbeitsbelastung der beiden ca. 25 bis 30 Jahre alten Erwachsenen hin. Die morphologisch-metrische Analyse macht wahrscheinlich, dass es sich bei den Toten um Angehörige einer germanischen Volksgruppe handelte, und die molekulargenetischen Untersuchungen an dem Knochenmaterial durch Alt erbrachten, dass die Frau die Mutter des 2,5- bis 3-jährigen Kindes gewesen sein muss. Offenbar lebten um die Mitte des 3. Jahrhunderts hart arbeitende germanische Familien in NIDA, was sich auch durch weiteres Fundmaterial aus dem Stadtgebiet belegen lässt. Die hier beschriebene und unglücklich zu Tode gekommene Personengruppe fiel nach dem Tathergang offensichtlich einem Überfall zum Opfer. Will man die Tragödie mit politischen Ereignissen in Verbindung bringen, können in einer Phase, in der sich die römische Herrschaft im Rhein-Main-Gebiet nach der Mitte des 3. Jahrhunderts in Auflösung befand und die verbliebene Stadtbevölkerung weitgehend schutzlos blieb, sowohl marodierende römische Soldateska als auch eingedrungene Germanenverbände als Totschläger vermutet werden.

Die Zustände in diesen Katastrophenjahren beleuchten schlaglichtartig auch zwei Hortfunde, die erst im Spätsommer 2010 bei Niedereschbach im Rahmen einer Flurbegehung entdeckt wurden. Unmittelbar neben der Hauptverbindungstrasse von NIDA in die Wetterau konnte dort ein Münz- und Schmuckdepot geborgen werden. Die jüngsten der 107 meist prägefrischen Doppeldenare und Sesterzen datieren den Vergrabungszeitpunkt in das Jahr 260 oder wenig später; ein mit gefundener Goldring weist auf das gesellschaftliche Niveau, aus dem die Funde stammten. Geradezu eine Sensation stellte jedoch ein nur rund 130 m entfernt freigelegtes Metalldepot dar. Bei näherem Hinsehen erwiesen sich die 57 Bronzefragmente als Teile einer Reiterstatue (des Kaisers Traian?), die wahrscheinlich von germanischen Plünderern klein geschlagen und aufgeteilt worden war. Bei Germanen stellte der Metallwert von Silbergeschirr und Bronzegefäßen, aber auch von Kaiserstatuen einen hohen Anreiz für Raubzüge dar, die sie veranlassten, teilweise weit in das Römische Reich vorzudringen. Die ausgebauten Überlandstraßen sicherten ein gutes Vorwärtskommen auch auf dem Rückzug. Es mag nun sein, dass bei Niedereschbach der Weg nach Norden für die Plünderer ein abruptes Ende fand, genauso wie sich vielleicht eine römische Familie an gleicher Stelle auf der Flucht veranlasst sah, Münzen und Schmuck zu vergraben. In beiden Fällen kamen die Besitzer in unruhigen Zeiten nicht mehr dazu ihren Besitz wieder zu bergen.12

Die Römer im Rhein-Main-Gebiet

Подняться наверх