Читать книгу Wörterbuch der philosophischen Metaphern - Группа авторов - Страница 30

Gebären

Оглавление

Die übertragene Rede von der Geburt ist eine Rede vom Anfang. Sie indiziert einen Notstand, der der theoretisch-begrifflichen Konzeptualisierung von Anfängen innewohnt. Diese neigt dazu, paradox und aporetisch zu werden, sofern es sich um den Anfang dessen handelt, dem der Sprecher selbst zugehört, sei es nun die Welt, die Geschichte, der Staat, die Kultur oder die episteme. Hier nämlich muß der unmögliche Versuch unternommen werden, den Anfang mit denselben kognitiven Mitteln und unter denselben diskursiven Bedingungen zu denken, die durch ihn erst gesetzt worden sind.1 Der Betrachter müßte sich außerhalb jenes Zusammenhangs, dem er doch unhintergehbar angehört, postieren, um dessen Nichtsein und Entstehen erkennen zu können. Diese Schwierigkeit ist notorisch. Unter der Überschrift „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ artikuliert HEGEL die (gar nicht so) „moderne Verlegenheit um den Anfang“,2 die nicht nur unter Systemdenkern häufig zur Suspension der Frage nach dem Anfang schlechthin geführt hat – von NIKLAS LUHMANN bis zu ODO MARQUARD. Wenn PETER SLOTERDIJK von der „Geburtsvergessenheit der Philosophie“ spricht,3 moniert er nicht nur diesen Sachverhalt, sondern bedient sich zugleich eines der verbreitetsten Mittel seiner sprachlichen Handhabung.

Die Schwierigkeiten nämlich, in einer nicht selbstwidersprüchlichen Weise vom Anfang zu sprechen, führen aufs Gebiet „kultureller Improvisation“.4 Es ist neben den mythischen Narrationen vom Ursprung vor allem die Metapher, die es erlaubt, Gegenstände zu verhandeln, denen begrifflich nicht beizukommen ist. Sie stellt im Gebiet des Ungesicherten Zusammenhänge her und bietet an den Grenzen logisch-begrifflichen Argumentierens Erklärungen und Begründungen für prekäre, opake oder aporetische Sachverhalte. Spricht man vom dunklen Anfang als einer Geburt, so wird das Uneinsehbare auf dem Wege einer Analogiebildung dem Verstehen zugänglich gemacht.

Genau diesen Ausweg wählt etwa KANT, wenn er gegenüber dem „Skeptiker“ und Empiristen DAVID HUME die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori verteidigt. Die Schwierigkeit liegt darin, daß in diesen eine „Vermehrung der Begriffe aus sich selbst“ stattfindet, ein scheinbar paradoxer Gewinn neuer Erkenntnis durch bloße Selbstaffektion der Erkenntnisvermögen. Wenn Kant daraufhin zur Formulierung von der „Selbstgebärung unseres Verstandes (samt der Vernunft), ohne durch Erfahrung geschwängert zu sein“,5 greift, dann wird das Problem nicht begrifflich gelöst, wohl aber bildlich plausibilisiert und kompensiert – wobei Kant diese Argumentationsstrategie zugleich schon dadurch ironisiert, daß er als Protestant die jungfräuliche Geburt Marias anklingen läßt und seinen Zwecken dienstbar macht. Diese ironische Zurücknahme federt gleichsam eine Nebenwirkung der Metapher ab: Neben ihrer kompensatorischen Leistung gehört es mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auch zur Funktionsweise metaphorischen Sprechens, Sand ins begriffliche Getriebe zu streuen – hier beispielsweise indem das Apriorische, Übersinnliche und „Reine“ aus körperlichen Prozessen abgeleitet wird. Auf diese Schwierigkeit wird zurückzukommen sein.

Die für Ursprungsszenarien aller Art metaphorisch eintretende Rede von der Geburt ist mindestens so alt wie die Schriftkultur selbst. Sie erstreckt sich von PLATONS Maieutik bis in die unmittelbare Gegenwart, die, wie zahlreiche Buchtitel verraten, eine besondere Affinität zur Geburtsmetapher zu haben scheint.6 Dabei kann sie sich auf kulturelle Hervorbringungen der verschiedensten Bereiche von der Politik bis zur Ästhetik beziehen. So werden Staaten häufig als Organismen gedacht, die den Lebenszyklen des Lebendigen unterliegen; insofern können das Gefängnis und die Klinik geboren werden.7 Ganze Kulturen erstehen nach Phasen des Niedergangs in „Renaissancen“ neu. Künstler generieren sich im Akt einer Selbstgeburt und bringen Gattungen oder Werke wie Kinder zur Welt.

Die Rede von der Geburt kann allerdings nicht isoliert betrachtet werden. Zumeist steht sie im Zusammenhang mit anderen Metaphern, ist mit diesen metonymisch verbunden und neigt dazu, sich zu prokreativen Szenarien zu vervollständigen und dabei metaphorische Cluster zu bilden. Begriffe wie Leben, Eros, Zeugung und „Dissemination“,8 Empfängnis, „Konzeption“ und Schwangerschaft, Genese, Genealogie und Generation, Vaterschaft und Mutterschaft wie überhaupt der gesamte Bereich organischen Wachstums flankieren die Geburtsmetapher und stecken ein breites diskursives Feld ab, in dem Vorstellungen des Ursprungs und der Hervorbringung verhandelt werden.

Man wird die Geläufigkeit der Metapher, die bis zu einem nahezu bewußtlosen alltagssprachlichen Gebrauch reicht, in einer gewissen anthropologischen Evidenz suchen. Kein anderes Ereignis des menschlichen Lebens kann so unangefochten für den Ursprung schlechthin stehen, für die Entstehung von Neuem und für Hervorbringung im weitesten Sinne, kein anderes aber ist auch von einer solchen Aura des Faszinierenden und Geheimnisvollen umgeben: das Natürliche und Selbstverständliche, das sich jedoch als eigener Ursprung der bewußten leiblichen Erfahrung schlechthin entzieht und dessen Grund – das Leben und seine Ursachen – seinerseits undurchdringlich bleibt. Das enigmatische Dunkel, in dem daher die Geburt liegt, markiert so auch die Grenzen der kompensatorischen Erklärungskraft der Metapher.

Das anthropologische Substrat tritt jedoch nur in je unterschiedlichen historischen und kulturellen Formen in Erscheinung. Schon was man unter „Geburt“ im eigentlichen Sinne versteht und wie weit man die semantische Reichweite dieses Begriffs steckt, hängt von der jeweiligen Sprache und ihrem Gebrauch ab. Darüber hinaus sieht sich der metaphorische Gebrauch des Wortes darauf verwiesen, was ihm die kulturelle Konzeptualisierung der Geburt und aller beteiligten Vorgänge als semantisches Potential vorgibt. Wie und als was Geburt erscheint und wie ihr Begriff also metaphorisch eingesetzt werden kann, ist abhängig vom kulturellen Wissen. Die Geburtsmetaphorik geht mithin nicht in ihrem einigermaßen unscharfen anthropologischen Status auf, sondern hat einen präzisen Ort in der Geschichte von volkstümlichem Wissen und wissenschaftlichen Modellen, von Konzepten des Körpers und Theorien der Prokreation, aber auch scheinbar weiter abliegenden Wissensbereichen, wie etwa sozialen und rechtlichen Konzepten, die Fragen der Legitimität, der Genealogie, der Vererbung u.a. begründen und regeln. So kommt beispielsweise die begriffliche Explikation der sokratischen Maieutik durch ihren Anwender nicht ohne Rekurse auf Heiratspraktiken oder den sozialen Ort, den biologischen Status und die Reputation der Hebammen aus.9

Abhängig ist der Einsatz der Geburtsmetapher schließlich von intertextuellen Zusammenhängen. Seit Platon wird sie selbst zur rhetorischen Konvention, und in den jeweiligen Gebrauch der Metapher schreibt sich immer auch deren Geschichte ein. MICHEL FOUCAULTS „Naissances“ zum Beispiel sind ohne NIETZSCHES Geburt der Tragödie kaum vorstellbar, dessen antisokratische Kampfschrift paradoxerweise schon im Titel das methodische Zentrum der sokratischen Philosophie erinnert. Wie alle Texte tritt die Geburtsmetapher in komplexe textuelle Beziehungsverhältnisse ein, und es ist alles andere als ein Zufall, daß die Prokreationsmetaphorik auch auf diesen Sachverhalt selbst Anwendung gefunden hat – etwa in der Editionsphilologie, wo man von „Textgenese“ und „-genealogie“ spricht, oder in der Intertextualitätstheorie HAROLD BLOOMS, der intertextuelle Abhängigkeiten mit dem Vokabular genealogischer Beziehungen beschreibt, wenn er das Verhältnis von Autoren zu ihren literarischen „Vätern“ nach dem Muster des Freudschen „Familienromans“ als einen ödipalen Konflikt modelliert sieht.10

1 Anfänge bei Platon – Platon ist der erste, der die Metapher des Gebärens in den verschiedensten Kontexten der Philosophie einsetzt, und nahezu alle späteren Varianten und Gebrauchsweisen der Metapher finden sich in der einen oder anderen Weise bei Platon präformiert. Entscheidend ist, daß Platon die Metapher nicht isoliert einsetzt, sondern sie mit anderen Metaphern aus dem Bildbereich der Prokreation verflicht, wie Genealogie, Zeugung oder Ausstreuung des Samens. Dabei ist die Vorstellung eines geistigen Gebärens im weiteren Horizont der platonischen Theorie des Eros zu sehen.

Nach den Worten des SOKRATES und der DIOTIMA ist Eros das vermittelnde Element zwischen einer Absenz und einer Präsenz.11 Als Bedürfnis wird er von einem Mangel in Gang gesetzt und strebt nach dessen Beseitigung und Auffüllung. Eros ist Antrieb wie Medium des Strebens nach dem Guten und Schönen in jeder Gestalt, wobei der Modus des Liebesvollzugs als Akt einer Zeugung bzw. Geburt bestimmt wird, durch die das Begehrte hervorgebracht wird. Das gilt im körperlichen wie im geistigen Bereich, so daß Diotima zwischen leiblicher und geistiger Zeugung und Geburt unterscheiden kann.12 Eros steht daher auch als Mittler zwischen Unwissen und Weisheit und ist Initiator eines aufsteigenden Erkenntnisprozesses, ja Prinzip der Erkenntnis.

Ganz im Sinne dieses Eros-Konzepts agiert Sokrates, wenn er seinen Vorredner Agathon des Irrtums überführt. Wendet man Sokrates’ eigene Theorie auf ihn an, so liegt seinem Verhalten selbst Eros zugrunde, der sich an der Absenz der Wahrheit in der Rede des Gegenübers entzündet und sich des Verfahrens der Elenktik, des fragenden Überprüfens, bedient, mit dessen Hilfe Scheinwissen aufgelöst wird.13 Mit der Erostheorie Diotimas und Sokrates’ expliziert das Symposion theoretisch und metaphorisch den Prozeß, den es selbst vorführt und vorantreibt, und erweist das sprachliche Agieren des Sokrates selbst als ein erotisches Verfahren.

Der Dialog Theaitetos führt in diesem Zusammenhang den Begriff der Maieutik ein und stellt ihn in einen dezidiert epistemologischen Rahmen. Der Text wirft nicht nur die Frage auf, was Erkenntnis sei, sondern auch, wie sie entstehe. Diese „Generation“ von episteme wird im Verlauf des Dialogs in mehreren Anläufen vorgeführt und als eine durch Hebammenkunst ermöglichte Geburt charakterisiert.14 Sokrates bezeichnet sich als Sohn einer Hebamme, deren Kunst er nicht auf die schwangeren Leiber der Frauen anwendet, sondern auf die „gebärenden Seelen“ der Männer.15 Ebenso wie der Eros des Symposions als Mittler erscheint, steht auch der Maieut in einer Zwischenstellung, und zwar zwischen geistiger Unfruchtbarkeit, die zu keinerlei eigenen Ausgeburten fähig sei, und eigentlichem Wissen. Zwar erzeuge und gebäre er selbst „nichts von Weisheit“,16 bietet also keine Lehre an. In Analogie zu den ihrerseits nicht mehr gebärenden, aber über das nötige Erfahrungswissen verfügenden Hebammen befähige ihn jedoch gerade diese Zwischenstellung dazu, einen Übergang zwischen den Polen herzustellen, indem er die Erkenntnis aus den Gesprächspartnern durch Fragen ans Licht bringt. Zur Kunst des Maieuten gehören die Beurteilung und die Beförderung der (je individuellen) Bedingungen der Erkenntnis im Gebärenden. In der Maieutik wendet sich Erkenntnis mithin auf sich selbst und wird zur Metaerkenntnis.

Das genealogische Moment verstärkt sich dadurch, daß nicht allein die Genese und Geburt von Erkenntnis thematisch wird, sondern sich auch der Autor selbst genealogisch situiert. Im Symposion geht sein Verfahren quasi intertextuell auf Diotima zurück,17 im Theaitetos werden mit der Herleitung der Maieutik von „dem Gott“18 wie von der Hebammen-Mutter weitere und konkurrierende Abkünfte benannt: Neben den pädagogischen treten nun noch ein paternal-religiöser und ein maternal-natürlicher Ursprung, und letzterer verdeutlicht, daß auch die Maieutik selbst von einer Maieutin zur Welt gebracht wird. Maieutik hat es insofern in paradoxaler Weise mit dem Denken des Ursprungs zu tun, den sie einerseits in den einmaligen und initialen Akt der Geburt setzt, andererseits (als Geburt) dem Maieuten überantwortet, der seinerseits genealogisch das Ergebnis gleich mehrerer Ursprünge ist.

Es ist so aufschluß- wie folgenreich, daß dabei die metaphysische Abkunft von der natürlichen durchkreuzt und unterlaufen wird. Dieser Konflikt nämlich kehrt in einer grundsätzlichen konzeptionellen Problematik der Maieutik, ihrem Schwanken zwischen Metaphysik und Antimetaphysik, wieder. Vor dem Hintergrund der Anamnesis-Lehre des Menon19 fördert die maieutische Elenktik die dank der Unsterblichkeit der Seele immer schon gewußte Erkenntnis durch Erinnerung zutage. Deutlich skeptischer wird die Rolle der Maieutik hingegen im Theaitetos gesehen. So sehr hier auch von der Geburt des Wahren die Rede ist, so wird doch de facto die Hauptfunktion der Maieutik eher in eine Reinigung vom Scheinwissen verlegt. Das enthüllen nicht nur der Verlauf und der aporetische Ausgang des Dialogs selbst, sondern es wird auch explizit von Sokrates so formuliert, wenn er die Leistung seiner Hebammenkunst gerade in der Abtreibung von geistigen „Mondkälbern“ und „Windeiern“20 sieht. In diesem Licht ist das Nichtwissen nicht nur der Erkenntniszustand des Sokrates selbst, sondern auch das Resultat seiner Arbeit als Geburtshelfer, und die sokratische Maieutik hat nicht eine positive, sondern eine lediglich negative Funktion. Peter Sloterdijk hat darauf mit Bezug auf MICHAEL LANDMANN nachdrücklich hingewiesen in seinem Versuch, die Anfangsblindheit und „Geburtsvergessenheit der Philosophie“21 im Rekurs auf Sokrates zu revidieren. Demzufolge überlagert die platonische Ideenlehre die fundamentale sokratische Negativität, der es gerade nicht um Anamnesis eingeborener Ideen gehe, sondern um Wiedergewinnung einer „vorgeburtlichen makellosen Freiheit von Ideen und Vorstellungen jeglicher Art“. Hier werde nicht positives, gar metaphysisches Wissen zur Welt gebracht, geboren werde vielmehr die Seele selbst im „Gewahrwerden der Unhaltbarkeit und Überflüssigkeit aller vorgefundenen fixen Meinungen“.22

2 Problematik und Leistung der Metapher – Die platonischen Dialoge sind nicht nur die ersten Texte, in denen die Rede von Prokreation und Geburt in geradezu systematischer Weise argumentativ eingesetzt wird, an ihnen lassen sich auch Probleme des Status und der Konsequenzen dieser Rede exemplarisch beobachten. Vordergründig besehen, ließe sich das, was Sokrates über die Hebammenkunst entwickelt, auch abstrakt sagen, und da er es nicht tut, scheint es ihm gerade auf das metaphorische Surplus anzukommen. Die Möglichkeit, das Konzept der Maieutik im Rahmen der Theorie des Eros zu lesen, zeigt ebenso wie der Aufwand, den Sokrates mit der Amplifikation des Metaphernkomplexes betreibt, wie unzulänglich eine Interpretation des Geburtstopos als bloße Veranschaulichung wäre. Und in der Tat steht schon der sprachliche und argumentative Status dieses Topos selbst in Frage. Handelt es sich beim Einsatz des prokreativen Komplexes tatsächlich um Metaphorik, wie man aus heutiger Sicht zu wissen meint? Daß Sokrates (bzw. Diotima) den Begriff einer geistigen Zeugung und Geburt einführen und erläutern muß, deutet darauf hin. Andererseits kreiert er den Begriff auf dieselbe Weise, wie er das dem Theaitetos nahelegt, wenn er ihn anweist, zu verschiedenen Phänomenen durch Abstraktion den gemeinsamen Oberbegriff aufzufinden, um das allen gemeinsame Wesen zu benennen.23 Insofern sind geistige Zeugung und Geburt nicht Metaphern, sondern Unterbegriffe von übergeordneten Kategorien, die auch die körperlichen Prozesse umfassen und einen gemeinsamen Grund des Leiblichen wie des Geistigen unterstellen.

Die gesamte Geschichte des Geburtstopos wird mit der Problematik seiner Metaphorizität befaßt sein. Zu entscheiden ist diese Frage jeweils nur im Einzelfall anhand des historischen Sprachgebrauchs und der semantischen Reichweite von Begriffen aus dem Bereich der Prokreation. Ganz grob jedoch kann man in der Geschichte des Topos eine dezidiert metaphorisierende Richtung vom Versuch unterscheiden, die Rede von der Prokreation noch dort als „eigentlich“ zu begreifen, wo sie offenbar anderes meint als körperliches Zeugen und Gebären. Auch das sei hier nur exemplarisch angedeutet. Zur ersten der genannten Richtungen gehört etwa Hegel, wenn er die erotischen Darstellungen der indischen Mythologie als Figuren einer semantischen Ersetzung begreift: „Eine Hauptvorstellung, welche sich durch die Entstehungsgeschichten hindurchzieht, ist statt der Vorstellung eines geistigen Schaffens die immer wiederkehrende Veranschaulichung des natürlichen Zeugens.“24 Das Körperlich-Erotische erscheint als bloße Veranschaulichung eines ‚eigentlich‘ geistigen Vorgangs, wobei die differenten Bereiche nur kategorial durch das Tertium comparationis des „Schaffens“ verbunden sind. Die Vermutung, Hegel setze im Zeitalter medizinisch differenzierter Fortpflanzungstheorien einen Schlußpunkt unter einen diffusen Sprachgebrauch, der in unklaren Vorstellungen von der physiologischen Basis der Prokreation gründe, wäre völlig unzutreffend. Vielmehr gehen gerade mit den neuen und zukunftweisenden Theorien der Prokreation seit dem 18. Jahrhundert immer wieder Versuche einher, den metaphorischen Status der Rede von geistiger Zeugung und Geburt ausdrücklich einzuziehen, wobei sich zwischen beiden Polen, dem literalen und dem metaphorisierenden, verschiedene Übergangspositionen beobachten lassen.

Bei den Zeitgenossen Hegels lassen sich dafür vielfältige Beispiele finden. Im Extrem können die Termini der Prokreation zu Begriffen werden, die beide Seiten in „eigentlicher“ Bedeutung bezeichnen. Biologische Fortpflanzung und andere, geistige Formen des Schaffens sind nicht allein durch eine mehr oder weniger vage Ähnlichkeit, sondern sachlich durch einen gemeinsamen Seinsgrund verbunden. Das ist etwa bei WILHELM VON HUMBOLDT25 der Fall oder bei dem romantischen Physiker JOHANN WILHELM RITTER, „dem die Kunst ein biologisches Phänomen unter anderen darstellt“:26 „Die Kunst scheint das Gebähren des Mannes zu sein […] Das Weib gebiert Menschen, der Mann das Kunstwerk. […] Der Mann geht aus der Liebe schwanger mit dem Kunstwerk, das Weib schwanger mit dem Kind, hervor. Menschheit und Kunst sind zwey Geschlechter“.27 Wenn die Rede von geistiger Zeugung und Geburt im vorliegenden Beitrag daher weiterhin als „metaphorisch“ bezeichnet wird, so geschieht dies in heuristischer Weise und soll keine endgültige Entscheidung implizieren.

Die Leistung und das Irritationspotential der Rede von geistigem Zeugen und Gebären liegen nahe beisammen. Einerseits werden komplizierte und dunkle Ursprungsszenarien der sprachlichen Verhandlung, der Erklärung und dem Verständnis zugänglich gemacht, indem sie nach einem bekannten Modell vorgestellt werden können. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das antimetaphysische Potential des Geburtstopos, das nicht erst, aber doch insbesondere für die Neuzeit eine maßgebliche Rolle spielen wird. An die Stelle einer göttlichen Abkunft tritt ein innerweltlicher Vorgang aus dem Bereich der Natur. Geistige Prozesse werden auf ein organisches Begründungsgeschehen zurückgeführt und derart naturalisiert. Gerade deswegen aber führt die Erklärungskraft des Geburtstopos andererseits zu beträchtlichen kategorialen Verwerfungen. Bereits bei Platon setzt die Unterscheidung von leiblicher und geistiger Zeugung bzw. Geburt dezidiert eine Differenz, ja eine Hierarchie, zieht diese aber zugleich wieder ein, wenn für beide Bereiche nur eine Kategorie zur Verfügung steht, die eine vorrangig organische Denotation hat. Denken und Erkennen werden im Kontext der sokratischen Maieutik zu Werken des Leibes, büßen also ihren primär rationalen Status ein. Was dabei entsteht, ist aber keine bloße Umbesetzung qua Metaphorisierung, sondern eine palimpsestartige semantische Schichtung, denn die Naturalisierung überlagert ja gewissermaßen nur die Momente des Geistigen, ohne diese Qualität zu verabschieden.

In diesem komplexen Sinne werden auch andere grundlegende Polaritäten unterlaufen. Im Zusammenhang mit der Polarität von Geist und Körper steht die von Kultur und Natur, insofern Denken und Erkennen die Naturverfallenheit des Menschen überschreiten und zur Arbeit der Kultur maßgeblich beitragen. Gerade dieses transgressive Moment der Kultur wird von ihrer metaphorischen Naturalisierung unterlaufen, wenn kulturelle und historische Prozesse „geboren“ und als „organisch“ begriffen werden oder sich in der naturalen Zeitform der Zyklik ereignen. Kultur wird damit auf ihre naturalen Wurzeln zurückverwiesen, und dieser Vorgang kann sowohl eine legitimierende wie eine relativierende Funktion haben. In jedem Falle aber erweist sich, daß der Geburtstopos aufgrund seiner „schwebenden Mehrdeutigkeit eine unverzichtbare Ressource kultureller Selbstthematisierung abgibt“.28

Zu nennen ist schließlich die Polarität des Weiblichen und des Männlichen, die in der Geschlechtergeschichte seit Platon als Analoga des Leibes und des Geistes ebenso deutlich geschieden werden, wie sie in Form eines gender-crossing in Verwirrung gebracht werden.29 So produziert die Rede vom geistigen und kulturellen Zeugen und Gebären paradoxale Strukturen, in denen die grundlegenden Polaritäten des europäischen Denkens gleichermaßen bestätigt wie suspendiert werden. Der Einsatz der Metapher trägt derart immer auch zur Irritation von Denkgewohnheiten bei.

Angesichts der schmalen Forschungslage zum Thema ist eine Geschichte der Metapher des Gebärens wohl noch lange Zeit nicht möglich. Im folgenden sollen daher exemplarisch zwei hauptsächliche Bereiche skizziert werden, in denen die Metaphorik der Prokreation zum Einsatz kommt.

3 Geburt und Wiedergeburt des Sozialen – Das Denkbild, daß Staaten, Gesellschaften, Institutionen, Kulturen und Völker geboren und wiedergeboren werden, gehört in das breite Feld organizistischen Denkens, das weit in die Antike zurückreicht und noch in der Begründung der modernen Soziologie etwa bei ÉMILE DURKHEIM oder FERDINAND TÖNNIES eine zentrale Rolle spielt.30 Bereits in der antiken Sozialphilosophie werden Natur, Einzelmensch, soziale Ordnung und Geschichte in Korrelation gesetzt. Staaten und Gesellschaften erscheinen in Analogie zum menschlichen Individuum als lebendige Organismen, bei denen es Haupt und Glieder, Seele und Körper, Gesundheit und Krankheit gibt.31 Daran schließt noch heute die verblaßte Metaphorik der Korporation, der Körperschaft oder der juristischen Person an. „Die Organismus-Analogie erfüllt dabei eine dreifache Funktion: Zum einen dient sie als ‚absolute‘ (Blumenberg) oder ‚konstitutive‘ (Rigotti) Metapher dazu, Gemeinschaft als eine ‚imaginäre Institution‘ (Castoriadis) überhaupt erst herzustellen oder wiederherzustellen. Zum zweiten dient sie dazu, gesellschaftliche Ungleichheit und damit Herrschaft zu legitimieren, indem sie drittens die symbolische Ordnung der Gesellschaft in einer vorsymbolischen, präpolitischen Ordnung verankert oder die politische und symbolische Ordnung unmittelbar selbst als Naturordnung ausgibt.“32

Der Geburt kommt im Rahmen organizistischer Sozial- und Geschichtsphilosophie nicht nur aufgrund einer immanenten Bildlogik Bedeutsamkeit zu. Die besondere kulturelle Evidenz des Bildfelds scheint vielmehr schon daraus zu resultieren, daß Staaten und Gesellschaften die Stabilität ihrer Strukturen nicht zuletzt über die faktische Kontrolle der Reproduktion zu gewährleisten suchen. Das Herkommen, das „Geschlecht“ im doppelten Sinne und die „Geburt“ bestimmen bis weit in die Moderne hinein den Status des einzelnen in der Gesellschaft, seine Besitzansprüche, Rechte und Funktionen. Sie regeln die Weitergabe von Eigentum und Herrschaft und perpetuieren die Struktur der Gesellschaft und die Machtverteilung in ihr. Schon lange vor der von Foucault analysierten modernen „Biopolitik der Bevölkerung“33 wachen daher „politics of reproduction“34 über Genealogie, Legitimität und Erbfolgeansprüche. Eine geradezu gegenläufige Pointe deutet HANNAH ARENDT mit ihrem Konzept der „Geburtlichkeit“ und der „zweiten Geburt“ (initium) an, das sie im Anschluß vor allem an AUGUSTIN gewinnt: „Natalität“ benennt Unbestimmtheit und Freiheit als Grundbedingungen individueller Existenz, die Chance eines emphatischen Heraustretens aus den Determinanten historischen und sozialen Geschehens, mit einem Wort: die Existenzbestimmung des Menschen als „Anfang des Anfangs oder des Anfangens selbst“.35 Diese zentrale Bedeutung, die der individuellen Geburt für die gesellschaftliche Reproduktion beigelegt wird, mag die Verankerung einer metaphorischen bzw. metonymischen Beziehung beider Seiten im kulturellen Imaginären begünstigen – wie umgekehrt letzteres den „realen“ sozialen und politischen Status der Geburt stützt.

Es sind vor allem drei Teilbereiche des organizistischen Denkens, in denen der Stellenwert des Gebärens deutlich wird: Verwandtschaftsmetaphorik, Lebensaltergleichnis und Zyklentheorie.

Beginnend mit der Völkertafel der Genesis (1 Mos 10) dienen Verwandtschaftsbezeichnungen der Konstruktion von genealogischen Zusammengehörigkeiten, Abhängigkeiten, Dominanzansprüchen und Abgrenzungen.36 Vor allem die Zuschreibung von Vaterschaft befestigt dabei Herrschaftsprätentionen: Der Landesherr oder der pater familias sind ebenso Väter wie Gott, von dem sie ihre Befugnisse herleiten und in dessen Namen sie sie weitergeben. Daß auch in patriarchalischen Gesellschaften die Mutter ähnliche Funktionen übernehmen kann, zeigt am deutlichsten eine verbreitete Imagination der Kirche: „In der frühchristlichen Literatur wird durch die Vorstellung der Kirche als Mutter das Verhältnis zwischen dem Gläubigen und der Ekklesia in Kindschafts-Metaphern ausgedrückt. […] Der Christ habe Gott zum Vater, die Kirche zur Mutter. Ihre Brüste sind das Alte und Neue Testament, ihre Milch die Gebote. Die unablässig gebärende Mater Ecclesia bleibt doch immer Jungfrau, die Kinder sind mit der Mutter auf geheimnisvolle Weise identisch und werden selbst wieder Mütter, indem sie das Wort Gottes verkünden“.37

Neben den genealogischen Beziehungen ist es vor allem die Zeitform des menschlichen Individuums, die auf die „Körper“ von Staat, Gesellschaft oder Kultur übertragen wird. Ist die Zeit seit PINDAR der „Vater aller Dinge“, dessen Schöpfungsmacht „durch den Geburtsvorgang veranschaulicht“ wird,38 so sind es im besonderen die Vorstellungen vom menschlichen Lebensalter, den Lebensphasen und den Alterungsprozessen, in denen geschichtliche, politische und soziale Prozesse imaginiert werden, Vorstellungen also von Geburt, Jugend, Reife, Alter und Tod.39 Schon in der römischen Antike erscheint diese selbst als jung gegenüber der alten griechischen Kultur. Die römische Geschichtsschreibung parallelisiert die Geschichte Roms und Augustin die Weltgeschichte überhaupt mit den Altersstufen des Menschen, und für GREGOR DEN GROSSEN hat auch die Kirche ihre Lebensalter. Noch bis weit in unsere Zeit hinein begegnen solche Denkformen in historiographischen bzw. geschichtsphilosophischen Konzepten – so etwa bei OSWALD SPENGLER –, aber auch in Metaphern wie der von der Geburt der Nation, von jungen und alten Nationen, alter und neuer Welt oder der Geburt von Institutionen wie dem Gefängnis oder der Klinik (Foucault). Es liegt auf der Hand, daß sich in solchen Zuschreibungen Wertungen und damit Geltungsund Machtansprüche artikulieren.

Die lineare Zeitvorstellung, die sich dem Bildfeld des einzelnen menschlichen Lebens verdankt, wird dabei immer wieder von einer Zyklik überlagert, die ihr Vorbild in der Wiederkehr von Tages- und Jahreszeiten sowie von Tod und Geburt der Lebewesen hat.40 Diese naturhafte Zyklik verbindet sich schon früh mit Platons Seelenwanderungs- und Wiedergeburtslehre (Phaidon) und der aristotelischen Theorie von der periodischen Regeneration der Menschheit als Art (Problemata). Bereits MARC AUREL deutet die periodische Erneuerung der Welt als Wiedergeburt.41 Ganz in dieser Denktradition steht auch die Vorstellung von der „Renaissance“, die als Wiederkehr von Leben auf die tote Zeit des nachantiken Mittelalters folge.42 Heute wird das Geburtsmoment im Renaissancebegriff in aller Regel nicht mehr wahrgenommen und charakteristischerweise auch in einschlägigen Darstellungen kaum analysiert, für die Zeitgenossen aber erfüllte es eine wichtige argumentative Funktion. Der Begriff der Renaissance etabliert sich zwar erst seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts endgültig als Epochenbezeichnung – in seiner prominentesten Form bekanntlich bei JULES MICHE-LET (1854) und JACOB BURCKHARDT (1859) –, doch hat er eine lange Vorgeschichte, die bereits mit den zeitgenössischen Selbstverständigungsversuchen beginnt.43 Schon bei PETRARCA erscheint das Bild einer fundamentalen Erneuerung und Wiedergeburt der Künste und Wissenschaften nach einer Zeit der Finsternis, und in GIORGIO VASARIS Künstlerviten (1550) wird das „nachmittelalterliche Bewußtsein der rinascita erstmals zum Prinzip einer geschichtlichen Darstellung“.44 Bildlogisch konsequent verknüpft sich dieses Schwellenbewußtsein mit einer erneuten Hochwertung der Nachahmung der Natur, die bereits das Prinzip der antiken Kunst gewesen sei. Im Bild der Wiedergeburt artikuliert sich ein opulentes Selbstbewußtsein, das die schöpferische Kraft der Natur auf seiner Seite weiß. Die Zeitgenossen konstruieren nicht nur eine Zeitenwende, eine Zäsur, mit der das davor Liegende als tot und finster dequalifiziert wird, sie reklamieren auch die Nachfolge und Erbschaft der Antike für sich, eine translatio ihres Geistes quasi, die durch die Natur selbst vermittelt scheint.

4 Zeugung und Geburt von Kunst – Das Feld der Kunsttheorie gehört zu den Bereichen, in denen prokreative Szenarien in besonderem Variantenreichtum zum Einsatz kommen. Vorstellungen wie Genealogie, Mutterschaft und Vaterschaft, Zeugung, Schwangerschaft und Geburt können der Plausibilisierung völlig heterogener Kunstkonzepte dienen und sich dabei auf die Ebenen der Produktion, des Werks selbst oder seiner Rezeption beziehen. Immer allerdings wird Kunst hier in einen dezidierten Bezug zu Körper und Geschlecht gesetzt. Wie bereits bei Platon läßt sich dabei die Metapher des Gebärens nicht aus dem weiteren Kontext der Theorien des Eros herauslösen.

Bereits in der Antike wird der breite organizistische Strang in der abendländischen Kunsttheorie begründet, indem die Entstehung von natürlichen Lebewesen und Kunst parallel gesetzt wird. Es ist nicht nur Platons Agathon im Symposion, der Eros als den Urheber alles Lebenden wie aller Kunst begreift. Eros ist ihm zufolge selbst ein Künstler und macht alle zu Künstlern, die er affiziert.45 Diotima geht es bei ihrer Rede von der „Erzeugung und Geburt im Schönen“46 zwar nicht in erster Linie um die Kunst selbst, doch im Gefolge ihrer Argumentation prägt sie die Wendung von den poetischen Werken als den „Kindern“ der Dichter.47 Dieser Topos zieht sich in unendlicher Wiederholung durch die Antike und das Mittelalter bis in unsere Gegenwart.48 Auch die Poetik des Aristoteles verzeichnet im siebenten Kapitel die dieser Vorstellung zugrunde liegende Analogie von lebendem Organismus und Dichtung. Ein plastisches Beispiel für die nachgerade klassische Ausprägung des Topos bietet GOTTHOLD EPHRAIM LESSINGS Vorrede zu seinen Fabeln (1759): „So lange der Virtuose Anschläge fasset, Ideen sammlet, wählet, ordnet, in Plane verteilet: so lange genießt er die sich selbst belohnenden Wollüste der Empfängnis. Aber so bald er einen Schritt weiter gehet, und Hand anleget, seine Schöpfung auch außer sich darzustellen: sogleich fangen die Schmerzen der Geburt an, welchen er sich selten ohne alle Aufmunterung unterziehet.“49

Die Renaissance zerlegt die platonische Vorstellung vom doppelten, nämlich himmlischen und gemeinen Eros50 in zwei ästhetisch relevante Richtungen. Auf der einen Seite entfaltet MARSILIO FICINO in seinem erstmals 1496 gedruckten neuplatonischen Kommentar zum platonischen Symposion (In convivium Platonis sive de amore) eine Metaphysik des Schönen, aus der die irdischen Komponenten des Eros weitgehend ausgeschlossen sind. Trieb und Lust werden abgewertet und aus dem Begriff des Eros ausgegliedert, und dem korrespondiert die Bestimmung der Schönheit als „aliquid incorporeum“.51 Das deutet voraus auf Konzepte der Sublimierung des künstlerischen Eros. Auf der anderen Seite fällt eine ebenso nachdrückliche Sexualisierung der Kunst ins Auge, und zwar insbesondere in selbstreflexiven Darstellungen der bildenden Kunst. PARMIGIANINO stellt sich mit einer trächtigen Hündin dar, deren Bauch er ostentativ dem Betrachter zeigt, und parallelisiert auf diese Weise die natürliche Fruchtbarkeit des Tieres mit der Produktivität der menschlichen Kunstfertigkeit.52 Dieser zweifellos provokativen Bilderfindung ließen sich andere Beispiele an die Seite stellen. So taucht inmitten eines erotischen Zyklus des GIULIO BONASONE aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, der die Amorosi Diletti degli Dei darstellt, eine Darstellung des malerischen Aktes auf: Ein nackter Apollo weist die gleichfalls unbekleidete Gestalt der Pictura vor einer Staffelei an, was sie zu malen habe, während diese mit Pinsel und Farbe seine Idee realisiert: Auf der Leinwand erscheint ein Kinderbildnis. Das Blatt zeigt derart nicht nur die geläufige Vorstellung von der Genese des malerischen Werks aus dem Zusammenwirken von Idee, Bilderfindung, Disegno auf der einen Seite und materialer Realisation durch das Inkarnat der Farbe auf der anderen.53 Es zeigt zugleich die geschlechterspezifische Zuordnung dieser Faktoren, die sich begatten müssen, um ein Werk-Kind zu erschaffen, und orientiert sich dabei an den zeitgenössischen Theorien der Prokreation, die sich noch weithin im Gefolge von Aristoteles’ Schrift Über die Zeugung der Geschöpfe bewegen. Ihr zufolge ist nun umgekehrt der Zeugungsakt eine Form männlicher Poiesis, die mit den Tätigkeiten des Zimmerns, Bauens und Zeichnens verglichen wird und das geistige Formprinzip darstellt, das auf den weiblichen Stoff einwirkt und in ihm beseeltes Leben erschafft.54 Die bis in die Details nachweisbare Übereinstimmung von Bonasones Bild – aber auch anderen vergleichbaren Darstellungen – mit den Zeugungstheorien seiner Zeit belegt, daß die Beziehung von Kunst und Prokreation nicht nur metaphorischen Status hat, sondern eine im Sinne der Zeit wissenschaftlich fundierte Analogie zwischen der Erzeugung von Lebewesen und Kunstwerken herstellt.55 Im Gegensatz zur bloßen Metapher scheint sie gemeinsame Wirkmechanismen in beiden Bereichen zu unterstellen.

Solchen Denkfiguren korrespondiert die gleichfalls bereits auf die Antike zurückgehende Forderung, Kunst habe „ästhetisch den Schein des Lebens zu erzeugen“, ja mehr noch: Sie habe „lebendig“ zu sein.56 Die Folgen dieses Postulats sind so vielfältig wie differenziert. Sie reichen von den unterschiedlichsten Überlegungen zu seiner Realisierung (durch Bewegung, Expression, Farbe u.a.) bis in die Theorie der Illusion oder die Ästhetik des Tableau vivant und kulminieren in den genieästhetischen Vorstellungen des Künstlers als eines zweiten Schöpfers, die im Bereich der bildenden Künste bereits in der Renaissance anheben. Charakteristischerweise gehen sie mit Konjunkturen des Prometheus- und des Pygmalion-Mythos einher, aus denen der mit der göttlichen Schöpfung konkurrierende und selbst Leben schaffende Künstler sich imaginative Bestätigung verschaffen konnte.57

Die Ausbildung und Durchsetzung der Genieästhetik bietet in mehrfacher Hinsicht reiches Anschauungsmaterial für die Leistungskraft des Prokreations-Topos.58 Bei starken Phasenverschiebungen und konzeptuellen Schwankungen in den verschiedenen Künsten herrschte bis weit in die Neuzeit eine explizite Traditionsbindung von Kunst, die der Norm überkommener Regeln folgen sollte und daher nur graduell vom Handwerk unterschieden war. Das Neue als ästhetische Kategorie oder gar als Wertmaßstab spielt hier kaum eine Rolle, denn Kunst ist Nachfolge und variierende Wiederholung bewährter Muster, die in praecepta und exempla ihren Niederschlag finden. Man kann hier von einem genealogischen Paradigma sprechen, denn der Künstler begreift sich als abhängig von normsetzenden Autoritäten, Vorläufern, „Vätern“, deren „Geist“ in seiner eigenen Kunstzeugung fortlebt und von ihr weitergegeben wird. Auf diese Weise wird das kulturell-konventionelle Moment der Regel natural unterfüttert. Dieser genealogische Traditionsstrang setzt sich in modifizierter Form über den Klassizismus und den Historismus bis in die Intertextualitätskonzeptionen unseres Jahrhunderts fort.

Im Rahmen der Genieästhetik wird die Natur dann zur grundlegenden und ihrerseits normsetzenden Instanz für die Kunst, wie Kants bekannte Formulierung in der Kritik der Urteilskraft resümiert: „Genie ist die angeborne Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt“.59 Der hier nur en passant zitierte Geburtstopos nimmt andernorts sehr viel dezidiertere, ja nachgerade hybride Dimensionen an. Mit der Durchsetzung der genieästhetischen Postulate von Innovation und Kunstautonomie schneidet sich der Künstler intentional von Traditionen und Genealogien gerade ab, rebelliert ostentativ gegen die „Väter“ und inszeniert sich als Schöpfer in mehrfacher Hinsicht, als Natura naturans. Wie schon der Begriff des „Original-Genies“ andeutet, begreift er sich nun selbst als einen Anfang, und zwar nicht nur, weil er aus sich selbst qua Natur Neues zu schöpfen vorgibt, sondern auch, weil er sich selbst hervorbringt. In EDWARD YOUNGS Programmschrift Conjectures on Original Composition von 1759 etwa heißt es: „Ein Original-Scribent ist […] aus sich selbst geboren; er ist sein eigener Stamm-Vater“;60 indem er ein genuines Werk schöpft, erschafft er sich auch selbst als Autor. Künstlertum wird gleichermaßen in einem männlichen wie einem weiblichen Sinne imaginiert, als Vater- und Mutterschaft seiner selbst. Dasselbe gilt für die Produktion des Werks, denn die autopoetischen Genies verleihen „durch ihr göttliches Feuer dem Stücke […] das Leben“ und bringen „eine Geburt“ hervor, „die noch nie dagewesen“.61 Kunstwerke erscheinen in diesem Imaginationszusammenhang als Organismen, lebendige Wesen und „Kinder“ ihres Künstlervaters. Um 1800 sind kunsttheoretische Schriften wie Selbstzeugnisse voll mit Hinweisen auf Selbstzeugung und Selbstgeburt, geistige Zeugungskraft und Gebärfähigkeit, bei GOETHE,62 NOVALIS („Dichten ist Zeugen“),63 Humboldt, Ritter und vielen anderen.

Diese Bildwelt verankert die künstlerische Arbeit im Körper, dessen kreatives Vermögen sich immer weiter biologisiert und sexualisiert, insofern es nach dem Modell der natürlichen Fortpflanzung gedacht wird. Der ästhetikgeschichtliche Paradigmenwechsel von der Regelpoetik zur Genieästhetik steht dabei in engster diskursiver Beziehung zu einem wissenschaftsgeschichtlichen Umbruch im Bereich der eben entstehenden Biologie als einer neuartigen „Lebenslehre“.64 Im 18. Jahrhundert konkurrieren verschiedene genetische Theorien, die sowohl den Akt der Zeugung als auch den Vorgang der Entwicklung des Lebewesens in unterschiedlicher Weise darstellen, insbesondere die Präformationslehre und die schließlich siegreiche Epigenesistheorie.65 Unverkennbar korrespondiert die ältere, genealogische Poetiktradition der Theorie der Präformation, die behauptet, daß „die Keime für alle Lebewesen seit Anbeginn der Schöpfung vorgeformt sind“.66 Die Epigenesistheorie geht demgegenüber nicht von einer bloßen Ausfaltung von im Keim schon präformierten Teilen aus, sondern von einem Prozeß sukzessiver Entstehung und permanenter Neubildung in der Ontogenese. Zur Erklärung dieses Vorgangs wird eine besondere Kraft angenommen, die über seinen ordnungsgemäßen organischen Verlauf wacht, die Lebenskraft.67 Auch die Genieästhetik gehört mit ihrer Vorstellung künstlerischer Selbsterzeugung, ihrer Wendung gegen die Präformation von Formen und Inhalten durch die Tradition sowie ihrem Pathos des Neuen und seiner kreativen Entwicklung in diesen Diskussionshorizont. Sie teilt mit der Epigenesistheorie diskursive Grundstrukturen68 und positioniert die Lebenskraft im Ursprung auch der Kunst.

Wie schon in der Renaissance wächst der Rede von Kunstzeugung und Kunstgeburt aus diesem Bezugsrahmen eine Art realer Basis zu. Es verwundert daher wenig, wenn man in Beschreibungen des ästhetischen Schaffensakts um 1800 neuerlich eine deutliche Sexualisierung beobachtet, die offenkundig mehr sein will als eine Metapher, zugleich aber den Sexus in einem spezifischen Sinn verschiebt. Parallel zum Begriff der Lebenskraft taucht im späten 18. Jahrhundert das auf, was dann seit SIGMUND FREUD als Theorie der Sublimierung bekannt ist. Der Mediziner CHRISTOPH WILHELM HUFELAND ist einer der ersten, der – durchaus in der Tradition antiker Theorien der Verausgabung69 – die natürliche wie die künstlerische Produktivität aus demselben Grund, der „Lebenskraft“, hervorgehen läßt. Das jedem Menschen zugemessene Quantum an biologischer Energie kann demnach sexuell verausgabt oder, dem Triebziel entfremdet und umgelenkt, in die Produktion „höherer“ Kulturleistungen investiert werden.70 Das Geistige erweist sich dabei als ein Derivat des Physischen, das es doch zugleich auch überschreiten will. Das hebt den metaphorischen Status der Rede von geistiger Zeugung und Geburt nicht prinzipiell auf, zeigt aber Geistiges und Körperliches als Manifestationen desselben vitalen Grundes, so daß es zwischen Bildspender und Bildempfänger faktische Beziehungen gibt – insofern wäre hier eher von einer Metonymie zu sprechen. So ergibt sich die signifikante Doppelkonstellation einer Analogie, ja geradezu einer Identität wie einer Konkurrenz von Sexualität und Kunst.

Genau dieses Produktionsszenario setzt die Literatur seit der Goethezeit narrativ, dramatisch oder lyrisch in Szene. In den Künstlertexten zwischen dem späten 18. und dem 20. Jahrhundert gehört zumeist die Liebe des Künstlers zu einer Frau zu den Voraussetzungen der Kunstproduktion.71 Der Topos findet sich – um nur einige prominente Namen zu nennen – bei Goethe, bei den Romantikern, bei RICHARD WAGNER, THOMAS MANN und MUSIL bis hin zu BOTHO STRAUSS. Auch im Kino der 1990er Jahre läßt sich eine besondere Konjunktur dieses Topos’ beobachten. Die Texte nehmen dabei eine vom Orpheusmythos über den Minnesang zum Petrarkismus reichende Traditionslinie auf. Die Liebe inspiriert die schöpferische Arbeit, bringt sie in Gang, darf aber nicht in einem körperlichen Sinn erfüllt werden, weil dann der kreative Impuls erlöschen würde. In diesem affektökonomischen Szenario erfüllt die Frau zwei Funktionen. Zum einen übernimmt sie die Aufgabe einer säkularisierten und biologisierten, in den zwischenmenschlichen Bereich versetzten Muse. Vor dem Hintergrund der angedeuteten realen Beziehungen von Kunstschöpfung und Sexualität besteht die von ihr ausgehende Inspiration nicht zuletzt darin, daß sie den männlichen Liebesaffekt entzündet, denn die „Lebenskraft“, Triebkraft auch der Kunst, muß durch ein Objekt in Aktivität gesetzt werden. Zum anderen wird der kreative Prozeß hier als ein verschobenes Abbild der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrer Trias von Mann, Frau und Kind phantasiert, wobei der männliche Künstler zugleich als Erzeuger und Gebärer seines Werk-Kindes erscheint. Die Frau dient dabei offenbar als Urbild natürlicher Schöpfungskraft, zu der sich die künstlerische Produktivität in Parallele setzt. Der schaffende Mann trägt neben seinen männlichen (zeugenden) auch mütterlich-gebärende Züge, die offenbar im Akt einer gynocolonization,72 einer symbolischen Enteignung biologischer Produktivität, auf ihn übergehen.

Mit der Übernahme der gebärenden Funktion der Mutter durch den Mann, aber auch mit der Transformation des Eros im Dienste der Kunst breitet sich die Ostentation eines kulturell produktiven männlichen Körpers aus, dem ein spezifischer Eros eignet. Löst die Liebe zu einer Frau den kreativen Prozeß aus, so verschiebt sich ihr Ziel in der Folge von der Frau aufs Werk selbst. In Goethes Römischen Elegien beispielsweise, einem locus classicus dieser Konstellation, wird ein Eros in Szene gesetzt, der, von der Geliebten angestoßen, bald schon das Register wechselt: ein Begehren weniger nach der Frau als nach dem Werk, nach poetischer Realisation der genetischen Kraft und der davon ausgehenden Befriedigung. Es handelt sich um eine selbstgenügsame Kunst- und Autoerotik, die zirkulär und narzißtisch strukturiert ist und im Kunstwerk gespeichert bleibt.73 Wie sehr dessen Strukturen selbst erotisiert werden, zeigen etwa die Wagnerschen Meistersinger oder KARL KRAUS’ spracherotische Theorie des Reims.

Eine besonders exponierte, weil buchstäblich radikale Position in der Geschichte der ästhetischen Topik des Gebärens nimmt Friedrich Nietzsche mit der Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik von 1872 ein. Auch hier wäre die titelgebende Geburt als Metapher nur unzureichend begriffen und eher als eine Metonymie zu fassen. Die Kunstproduktion nämlich und die historische Kunstentwicklung, ja die Entwicklung der gesamten Kultur basieren auf einem triebhaften Untergrund, der eine klare vitale Funktion erfüllt. Die „Fortentwickelung der Kunst“ knüpft Nietzsche „an die Duplicität des Apollinischen und des Dionysischen“, die mit der „Zweiheit der Geschlechter“ analogisiert wird, deren Verhältnis Nietzsche als einen prinzipiellen und nur gelegentlich befriedeten Antagonismus betrachtet. Sie reizen sich „gegenseitig zu immer neuen kräftigeren Geburten […]; bis sie endlich […] mit einander gepaart erscheinen und in dieser Paarung zuletzt das ebenso dionysische als apollinische Kunstwerk der attischen Tragödie erzeugen“.74 Das Zitat belegt, wie dezidiert Nietzsche die Relation des Apollinischen und Dionysischen in den biologischen Termini von Paarung, Zeugung und Geburt denkt, es belegt aber auch, daß es ihm kaum auf den qualitativen Unterschied zwischen diesen Vorgängen anzukommen scheint, die daher eher als Indikatoren biologischer Abläufe überhaupt zu gelten haben. Mit der geschlechtlichen Kodierung zielt Nietzsche auf die fundamentale Funktion dieser beiden Kräfte für die Erhaltung des Lebens selbst. Es handelt sich um „Triebe“, doch werden diese nicht als anthropologische Ausstattung dem Menschen zugeschrieben, sondern sind „Kunsttriebe der Natur“ selbst.75 In seiner „tragischen“ Entzweiungsstruktur kann das Leben seine Entzweiungsprodukte, die Individuen, nur dadurch zum Weiterleben motivieren, daß es sie quasi triebhaft zur Produktion von Kunst bewegt. Diese verklärt als apollinische Plastik oder Wortkunst das Leben sinngebend im schönen Schein oder spendet als dionysische Musik angesichts von Leiden und Tod den „metaphysischen Trost“ einer Rückkehr in den Seinsgrund des „Ur-Einen“, des Lebens. Die Kunst leistet so die ästhetische Rechtfertigung des Daseins76 und wird derart an die Mechanismen vitaler Selbsterhaltung angekoppelt, denn allein mit ihren Mitteln kann sich das Leben durch die Individuen hindurch perpetuieren. Die „Geburten“ der Kunst sind daher immer auch Geburten neuer Lebensmöglichkeit und neuen Lebens.

Nietzsches beispiellose Hochwertung der Kunst und seine ebenso neuartige „Ontologisierung der Prokreation“77 wirken in der literarischen Rezeption um und nach 1900 weiter und verbinden sich dort mit den neuen naturphilosophischen, biologischen und physiologischen Paradigmen wie Darwinismus, Monismus, Vitalismus.78 In diesen Denkhorizonten ist zumeist auch der Zeugungs- und Geburtstopos angesiedelt, der zwischen STEFAN GEORGES artistischer Kunstzeugung im Algabal, ARNO HOLZ’ kosmischem Weltzeugungsphantasma in der zweiten Fassung des Phantasus, Robert Musils Genese des Künstlers im Törleß oder Thomas Manns Nietzsche-Variation Tod in Venedig, einem Schlüsseltext für die Thematik,79 die unterschiedlichsten Ausprägungen annehmen kann. Wird auf der einen Seite die geniezeitliche Vorstellung von Selbstzeugung und Selbstgeburt des Künstlers im Rahmen von vererbungsbiologischen Forschungen (ERNST HAECKEL u.a.) und Konzepten eines kulturellen Gedächtnisses obsolet, so macht man im Kontext der neuen Theorien der Geschlechtsübergänge und der Bisexualität (neben Freud WILHELM FLIESS und OTTO WEININGER) ernst mit einer Implikation, die immer schon in der Rede von der Geburt von Kunst angelegt war, nämlich der Verweiblichung des künstlerischen Schaffens, ja der gesamten Kultur.80 „Ist der Künstler überhaupt ein Mann?“, fragt beispielsweise Thomas Manns Tonio Kröger,81 und bilanziert damit die Tendenz der Décadence-Literatur, den Künstler als kränklichen Neurastheniker mit changierender Geschlechtlichkeit zu zeichnen, dessen ästhetische Verfeinerung gerade aus Lebensferne und invertierter Zeugungskraft resultiere.

Will man ganz im groben zwei Auffälligkeiten im Gebrauch des Prokreationstopos festhalten, die sich aus diesen Zusammenhängen durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurchziehen, so wäre zunächst eine autoerotische Wendung hervorzuheben, die sich gleichfalls schon in der Literatur um 1800 angedeutet hatte – woran sich sehen läßt, wie sehr die Geschichte der Metapher immer auch eine ihrer Neuakzentuierungen und Umbesetzungen ist. Keineswegs verschwindet die Plausibilisierung von Kunstproduktion in den tradierten Vorstellungen von Zeugung und Geburt, doch werden diese in Literatur und bildender Kunst in eine narzißtische Autoerotik des Künstlers zurückübersetzt, die mit den seit dem späten 18. Jahrhundert und insbesondere dann seit Nietzsche und Freud kurrenten Sublimierungstheorien einhergehen können, aber nicht müssen.82 Zum anderen ist – etwa seit Robert Musils Frühwerk oder HERMANN BROCHS Der Tod des Vergil – ein Trend zur Selbstreflexivität der Metaphorik zu beobachten, die nicht nur intertextuell auf andere Verwendungsweisen Bezug nimmt, sondern zunehmend ihren anthropologischen, historischen und kulturtheoretischen Status mitartikuliert. Gemeint ist damit nicht so sehr der Beginn einer theoretischen Analyse der Metaphorik selbst, wie man ihn etwa in WALTER BENJAMINS Denkbild Nach der Vollendung ansetzen könnte.83 Es sind vielmehr gerade die verschiedenen Künste selbst, in denen Experimentalkonstellationen aufgebaut werden, um die Leistungsfähigkeit der Metapher durchzuspielen und auf den Prüfstand zu stellen. Als Filmregisseur wie als bildender Künstler ist es PETER GREENAWAY, der virtuos und mit geradezu enzyklopädischem Anspruch das Spiel betreibt, tradierte Denkformen zu bilanzieren und „durchzuarbeiten“.84 Bei aller reflexiven Distanz gibt es nach wie vor eine hohe Präsenz der alten Metaphernbestände und offensichtlich eine ungebrochene Notwendigkeit, künstlerische und kulturelle Prozesse in ihnen zu imaginieren. Der aktuelle Aufstieg der „Lebenswissenschaften“ läßt vermuten, daß die Geschichte der prokreativen Metaphorik noch lange nicht an ihr Ende gekommen ist.

Wörterbuch der philosophischen Metaphern

Подняться наверх