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INGRID NOLL Auch Sägespäne rieseln leise

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Obwohl wir im Musterländle lebten, sah es bei uns ziemlich unordentlich aus, was mir gründlich gegen den Strich ging. Wenn beide berufstätig sind, muss man nicht täglich die Betten machen, verteidigte sich Annette. Meine schwäbische Mama bügelte sogar Unterwäsche und Socken, weswegen meine Frau prompt das Plättbrett abgeschafft hat. Meine Aufgabe war es, die gewaschenen Sachen zusammenzufalten und in den Schrank zu legen. Auch sonst hatten wir die Pflichten aufgeteilt. Annette war Lehrerin an einer Bergsträßer Realschule und hatte am Nachmittag etwas mehr Zeit als ich, sodass sie sich ums Kochen und Einkaufen kümmerte, während ich am Wochenende zum Staubsauger griff, den Müll hinunterbrachte und die leeren Flaschen wegschaffte. Ich kümmerte mich auch um alle finanziellen Transaktionen, um die Heizung, die Wartung und das Tanken des Autos und um den ständigen Ärger mit Annettes Computer. Meine Frau war technisch nicht sonderlich begabt – in der Schule unterrichtete sie Deutsch und Kunst. Natürlich war sie dankbar, wenn ich ihr gelegentlich half, verlorene Dateien oder verlegte Sonnenbrillen zu finden.

Eines Tages mussten wir einen Hund in Pflege nehmen, weil sich Annettes Kollege den Blinddarm herausnehmen ließ. Ich bin ohne Haustiere aufgewachsen und konnte mich nur schwer an den Vierbeiner gewöhnen, der sofort witterte, dass ich ihn nicht mochte. Wie gesagt, die Daunendecken wurden bei uns nicht täglich aufgeschüttelt. So merkten wir anfangs gar nicht, dass der Hund in unserer Abwesenheit im Ehebett zu schlafen pflegte. Annette war es, die eines Mittags eine Siesta halten wollte und das noch warme Lager entdeckte. Ich mutmaßte, dass der Hund seinem Herrchen nachts die Füße wärmen durfte, was Annette leugnete. Immerhin hatte der Werklehrer erzählt, dass sein Liebling einen gezielten Hochsprung beherrsche, um mit der Pfote auf die Klinke zu drücken und sich somit überall Einlass zu verschaffen.

Von da an wurde es mir zur Gewohnheit, vor dem Schlafengehen schnell über das Laken zu streichen, ob dort nicht vielleicht der Rest einer verräterischen Wärme zu spüren war, ein paar Hundehaare oder Schlimmeres an meinen Händen kleben blieben. Dann hätte ich den Köter sofort im Tierheim abgegeben. Erstaunlicherweise war es aber nichts Weiches, das ich eines Abends ertastete, und erst als ich den kleinen Gegenstand ans Licht hielt, konnte ich ihn erkennen: ein Sägespan.

Meine Frau, die bereits schlief, wollte ich nicht eigens wecken, um über das holzige Fundstück zu streiten, stattdessen legte ich das Corpus delicti einfach auf den Nachttisch. Erst als ich eine Woche später durch ein Piksen am Bein aus dem Tiefschlaf gerissen wurde, machte ich mir Gedanken. Wie kam schon wieder ein Span in unser Ehebett? Der Hund, den ich anderentags widerwillig absuchte, wies weder Zecken, Flöhe, Läuse noch anderes Ungeziefer auf – und schon gar keine Späne. Woher sollten sie auch kommen, wo Annette immer nur kurz mit ihm am Ufer der Weschnitz entlangging und ihn dabei wohlweislich an die Leine nahm.

Im Unterbewusstsein hatte ich wohl schon eine böse Ahnung, denn ich erzählte meiner Frau nichts von den Funden, die auch nicht aufhörten, als der Rüde längst wieder zu Hause war. Mit ihr war in letzter Zeit sowieso nicht gut Kirschen essen, oft genug reagierte sie gereizt. Wenn ich ihr Schlamperei vorwarf, schalt sie mich einen Korinthenkacker. In Gedanken war sie ständig woanders und verbrachte außerdem mehr Zeit im Badezimmer als in der Küche. Ich begann, Verdacht zu schöpfen, sammelte die Späne in einem leeren Senfglas, zählte sie und notierte mir genau, wann ich ein weiteres Teil im Bett oder auf dem Schlafzimmerteppich gefunden hatte; es war stets am gleichen Wochentag. Anscheinend trieb es meine Frau jeden Donnerstag mit einem Holzfäller – hatte nicht schon Lady Chatterley ihren Mann mit einem virilen Wildhüter betrogen?

Na warte, dachte ich. Bei nächstbester Gelegenheit nahm ich mir einen halben Tag frei, kam überraschend zur Mittagszeit nach Hause, erwischte den kraftstrotzenden Naturburschen im Lotterbett und erschlug ihn mit seiner eigenen Axt. Schön wär’s gewesen. Das Problem mit den Sägespänen – gelegentlich waren es mehrere, manchmal nur einer – blieb bestehen. Offenbar hielt es meine respektlose Frau für unnötig, nach ihren Schäferstündchen die Matratze zu überprüfen. Sollte ich darauf beharren, die Betten wie in jedem gepflegten Haushalt Tag für Tag in Ordnung zu bringen? Wer schläft schon gern auf Holz!

Mittlerweile hatte ich einen Schreiner im Verdacht. Für meine Recherche war es nicht unwichtig, von welcher Spezies die Späne stammten, denn nicht jedes Holz wird in jeder Tischlerei eingesetzt. Im Mannheimer Morgen las ich eines Tages, dass die alten Mammutbäume im Weinheimer Exotenwald durch die lange Trockenphase des letzten Sommers stark gelitten hatten und man einige sogar fällen musste. Die rötliche Färbung der gefundenen Späne ließ mich sofort an eine Sequoia denken, die man in Amerika ja auch Redwood nennt; das Holz wird für Möbel, Wand- und Deckenverkleidungen verwendet. Wo man hobelt, da fallen Späne, dachte ich, und schon machte ich dem Schreinermeister mit meiner Black & Decker den Garaus. Doch am nächsten Donnerstag fand ich erneut drei Sägespäne.

Im Internet las ich nun, dass man das rote Holz auch für Orgelpfeifen verwende, und sofort kam mir ein Heidelberger Organist in den Sinn, in dessen Chor meine Frau als Studentin gesungen hatte. Der Gedanke an diesen geilen Bock trieb mich zur Höchstleistung an. Den ältlichen Herrn, der sein Instrument eigenhändig ausbesserte und mit Schnitzeln einer Sequoia im Lockenkranz bis in mein Bett vordrang, habe ich wie einen Vampir mit einer Orgelpfeife gepfählt.

Da hörte ich von einem befreundeten Hobbybastler, dass das Holz von Mammutbäumen kaum von dem der Rotzeder zu unterscheiden sei. Ob ich mich irrte? In meiner Heimatstadt Weinheim gibt es tatsächlich viele Zedern, es war durchaus möglich, dass ein Kerl aus unserer Umgebung seinen allzu ausladenden Baum ein wenig ausdünnte; so hatte erst neulich eine ältere Dame im Supermarkt berichtet, dass die Zeder vor ihrem Haus von einem Marder als Leiter benutzt wurde, der es sich auf dem Dachboden gemütlich machte. Natürlich musste sie nun einige Äste stutzen lassen, damit dem unwillkommenen Gast der Weg abgeschnitten wurde. Seltsamerweise traf ich auf meinem nächsten Spaziergang einen Nachbarn, der in seiner Garage die Äste einer Libanonzeder in handliche Stücke zersägte.

„Na, wie isses?“, fragte ich.

„Beschisse wär geprahlt!“, maulte er. „Mei Fraa is so was von eifersichtich und des fast ohne Grund! Ich Depp soll desweche nur noch von morjens bis awens schaffe! Mer krieche anner Wedder, dadefier soll de Kamin brenne. Jezz is se zwar irgendwo annerster, awwer wann se haamkimmt, will se des Holz feddig hawwe.“

Damit hatte er sich verraten. Wäre seine eifersüchtige Frau anwesend gewesen, hätte ich ihn vielleicht verschont; so erging es ihm nicht besser als seinen Vorgängern. Als er bald darauf als Rauch in die Höhe stieg, rief ich ihm noch zu: „Alla, hopp! Und verpeste mir ja nicht die Umwelt!“

Einen grün gekleideten Förster erschoss ich mit seinem Gewehr, einen Bootsbauer versenkte ich mitsamt seinem Anker im Neckar, einem Holzschnitzer trieb ich den gebogenen Beitel durch die Eingeweide, einen gut verschnürten Küfer rollte ich in einem Fass auf die Autobahn. Besonders wütend war ich auf einen Zimmermann, der sich in der Eile noch nicht einmal ausgezogen hatte. Schwarz gekleidet und mit breitkrempigem Hut lag er auf unserem Bett und rauchte. Draußen fielen die ersten Schneeflocken, drinnen waren es die Holzspäne, die unaufhörlich aus seinen schmutzigen Taschen auf die Matratze rieselten. An diesem Schweinehund habe ich mich mit Hammer, Beil, Fräse und Bohrer ausgetobt, bis er als Sägemehl in einem Sack für Biomüll landete.

Da ich aber ein friedlicher Mensch bin, blieb es monatelang bei ähnlichen Mordfantasien. Doch irgendwann entschloss ich mich schweren Herzens, endlich Tabula rasa zu machen und meiner Frau am letzten Donnerstag vor den Weihnachtsferien auf die Schliche zu kommen. Um sie zu beschatten, begab ich mich gegen Mittag auf den Schulhof, versteckte mich hinter den großen Müllcontainern und lauerte.

Wie erwartet, trat Annette bald darauf aus dem Schulgebäude; in ihrer Begleitung entdeckte ich eine befreundete Kollegin sowie einen mir unbekannten Lehrer. Das Trio blieb mitten auf dem Hof stehen und wurde zweimal von übermütigen Kindern angerempelt. Sie unterhielten sich angeregt, aber leider konnte ich in dem bunten Trubel kein Wort verstehen. Meine Frau schien sich schließlich von ihrer Kollegin zu verabschieden, lief mit dem Lehrer ein paar Schritte weiter, grinste plötzlich, zog den drahtigen Mann etwas näher heran, wuschelte ihm mehrmals durch die Haare und strich dann leicht klopfend über seinen Dufflecoat. Wenn mich nicht alles täuschte, waren es Sägespäne, die sie ihm aus dem Lockenkopf gestrichen hatte. Dann eilten beide zum Parkplatz und fuhren los, ich folgte ihnen in angemessener Entfernung in meiner Klapperkiste. Der Fremde saß neben Annette im Golf.

An einer roten Ampel auf der B 3 hängten sie mich ab, was mich aber nicht weiter störte. Wenn ich eine Viertelstunde nach ihnen ankam, lagen die beiden sicherlich schon in den Federn, und ich konnte den Dolch zücken. Ich hatte richtig gerechnet: Das Auto parkte bereits vor unserem Haus.

Auf Zehenspitzen schlich ich die Treppe zu unserer Wohnung hinauf, schloss geräuschlos auf, riss mit einem Ruck die Schlafzimmertür auf und ebenso stürmisch die Bettdecke hoch. Annette fuhr in die Höhe und starrte mich an wie ein Gespenst.

„Bist du verrückt geworden, mich so zu erschrecken?“, kreischte sie. – „Wo ist er?“, brüllte ich zurück und öffnete die beiden Schränke, schaute unters Bett und ging natürlich auch auf den kleinen Balkon. Dann schrien wir uns eine Weile wechselseitig an, bis Annette endlich begriff.

Ihre Geschichte hörte sich glaubhaft an, ich schämte mich in Grund und Boden. Man hatte ihrer Schule das wertvolle Holz einer Sequoia gespendet, kostenloses Material für den Werkunterricht. Die Schüler hatten bereits Vogelhäuschen und andere Weihnachtsgeschenke hergestellt, doch der Vorrat war gigantisch. Nun hatte man im Kollegium die Idee, das bislang sehr hässliche Lehrerzimmer in einen schicken Clubraum zu verwandeln. In ihren Freistunden arbeiteten alle unter Anleitung des Hausmeisters oder Werklehrers an der edlen Vertäfelung. Annette war jeden Donnerstag an der Reihe, sie hatte also höchst persönlich, wenn auch unabsichtlich, für Sägespäne im Bett gesorgt.

Grenzenlos erleichtert zog ich die Cordhose aus, schlüpfte zu ihr unter die Decke und zupfte liebevoll ein paar Späne aus ihrem Dekolleté.

„Schatz, was bin ich für ein Idiot! Dabei sollte man in Anbetracht der kommenden Feiertage nur noch an Friede, Freude und Weihnachtsstollen denken. Apropos – was wünschst du dir zum Fest?“

Sie schwieg eine Weile. „Eigentlich hätte ich es dir längst sagen wollen, aber ich fliege schon am Dreiundzwanzigsten nach Bali, bin also in den Ferien gar nicht hier. Du willst ja sowieso nur auf den Hirschkopf wandern, Schlittschuh laufen und Glühwein trinken, während ich seit Jahren von einem Strandurlaub träume.“

„Bali? Weiter geht’s wohl nicht! Was willst du an Weihnachten auf Bali? Palmen mit Lametta behängen?“

„Ich möchte endlich tauchen lernen. Andreas hat mir so davon vorgeschwärmt …“

„Wer ist Andreas?“

„Unser Werklehrer. Er hat eine Tauchlehrerqualifikation, du musst dir also keine Sorgen um mich machen.“

Mit diesen Worten drehte sie sich seelenruhig zur Seite und hielt ihr gewohntes Mittagsschläfchen, während ich mir den Rechner vorknöpfte. Es galt, keine Zeit zu verlieren, um vielleicht noch einen Flug nach Indonesien zu ergattern. Mir fielen sofort diverse Möglichkeiten ein, um einen grauenhaften Tauchunfall zu inszenieren.

© 2012 Diogenes Verlag AG Zürich

erscheint zuerst 2012 im Theiss-Verlag

Tod unterm Tannenbaum

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