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RUDI KOST Fröhliche Weihnachten!

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… sagt der Vater und schaut grimmig auf den Baum. Jedes Jahr hängt mehr von diesem Zeugs dran, die Zweige biegen sich schon bedenklich. Und diesmal hat sie auch noch richtige Kerzen gewollt, wegen der Stimmung, und aus echtem Bienenwachs mussten sie sein.

Sauteuer, dieses Glomp! Bisher war die Lichterkette ja auch gut genug gewesen, und die musste man nicht neu kaufen. Dieser Weihnachtsmarkt! Der kostete ihn jedes Jahr ein paar Hunderter. Wenn es um Weihnachten ging, war sie gnadenlos. Bei jedem Plunder war sie in Entzückensschreie ausgebrochen, während er den Duft von Roten und Glühwein in der Nase hatte und nicht ausbrechen konnte, weil sie ihn am Arm gepackt hielt.

„Isch des net romantisch?“, hatte sie geseufzt.

„Scho schee“, hatte er gesagt, weil er ja irgendwas sagen musste.

War ja auch so. Auf dem festlich beleuchteten Esslinger Marktplatz kuschelten sich die Stände, gnädig bewacht von der Stadtkirche und dem Münster St. Paul, und das mächtige Kielmeyerhaus mit seinem Fachwerk schien amüsiert auf die große Weihnachtspyramide hinabzuzwinkern.

Schon romantisch, vor allem, wenn es mit frischem Schnee überstäubt war wie in diesem Jahr.

Natürlich hätte er das nie zugegeben. Diese ganze Romantik kam ihn viel zu teuer.

Am besten gefiel ihm der Mittelaltermarkt vor dem Alten Rathaus und auf dem Hafenmarkt – das Hämmern der Schmiede, das Lärmen der Gaukler, die properen Mädchen mit ihrem Feuerzauber. Hier war wenigstens Stimmung, fremdartige Musik vermischte sich mit betörenden Düften, und er hätte sich von einem Stand zum nächsten essen können. Aber die Mutter hielt ihn fest im Griff.

Dieses Mittelalter! Es kam ihm vor, als sei er ein Kreuzritter in weißem Umhang mit rotem Kreuz. Auf seinem feurigen Araberhengst galoppierte er dahin und sah sich Saladin gegenüber, dem Herrn aller Muselmanen. Mit einem metallischen Fauchen glitt sein geweihtes Schwert aus der Scheide …

„Guck mal, der Glasbläser!“, rief die Mutter. Wie jedes Jahr. Er war wieder zurück in der Gegenwart. Er seufzte, weil er wusste, was das für seine Geldbörse bedeutete.

Es war ein solches Gedränge in den Gassen, dass man sich leicht hätte verlieren können, deshalb hatte sie sich auch an ihm festgehalten. Einmal hatte sie ihn dann doch loslassen müssen, weil sie die Kienles getroffen hatten und man sich die Hände schütteln musste. Und ratzfatz hatte sie ihn verloren und erst wiedergefunden, nachdem er schnell zwei Glühweine hinuntergekippt und eine Rote verschlungen hatte. Die Rote hatte ihm den Gaumen verbrannt, weil es so schnell gehen musste.

Sie hat nichts gemerkt, hatte er gedacht. Hatte sie wohl, aber sein schlechtes Gewissen war so offensichtlich, dass sie nichts zu sagen brauchte. Mühelos hatte sie ihm die Bienenwachskerzen aufgeschwatzt.

… sagt die Mutter und betrachtet beglückt ihren Weihnachtsbaum. Jahr für Jahr wird er voller, das war harte Arbeit gewesen, und jetzt ist auch die letzte Plastikkugel durch eine echte Glaskugel ersetzt worden. Vom Glasbläser auf dem Weihnachtsmarkt. Die Weihnachtsgurke hängt gut sichtbar ganz vorne.

Die Bienenwachskerzen waren die richtige Entscheidung. Wie das duftet, und wie die Glaskugeln funkeln im Flackern der Flammen!

Schade nur, dass die Fichte schon nadelt, da hat sich der Vater ein ausgetrocknetes Exemplar andrehen lassen. Dass man sich um alles selber kümmern muss! Oder hat er das mit Absicht getan? Wenn es um Weihnachten geht, sind die Männer ja so verzweifelt unromantisch.

Sie schaut auf den Vater und den Bub, und ihr wird warm ums Herz. Das wird ein schönes Weihnachten in diesem Jahr!

… sagt der Bub. Es ist kaum zu verstehen, was er sagt, aber was soll er auch sonst gesagt haben? Verfickte Weihnachten vielleicht? Der Bub ist ziemlich breit, vom Alk und sonst noch was, er hat keine Ahnung mehr, was er sich mit den Kumpels alles reingepfiffen hat, aber die Alten kriegen das nicht so richtig mit, die sind mit dem Erzeugen von Weihnachtsstimmung beschäftigt.

Der Bub ist 17, und mit 17 sollte man Weihnachten nicht mehr zu Hause verbringen. Muss man aber, schon weil alle müssen und kein Kumpel greifbar ist.

Alle hocken daheim unterm Baum und machen auf Familie.

Dafür hat er was mitgebracht: Glückskekse, prall gefüllt mit Gras oder Speed oder was auch immer. Ein Kumpel von einem Kumpel von irgendwem hat eine Ladung aus Amsterdam mitgebracht. Alter, die ziehen ordentlich, hatte der Kumpel versprochen, damit überstehst du dieses Weihnachten, das wird lustig, garantiert.

Der Bub bietet seine Kekse an.

„Aber Bub, doch nichts Süßes vorem Essa!“, wehrt die Mutter ab.

„Die sind nicht süß“, sagt der Junge und grinst, „und außerdem hat sie meine Freundin gebacken.“

„A Freindin?“, wundert sich der Vater. Seit wann hat der Bub eine Freundin? Dass einem nie einer was sagt!

„A Freindin!“, sagt die Mutter entzückt. „Und die ka sogar backe! Wie hoißt se jetzt au?“

Jetzt muss er sich schnell was einfallen lassen, was könnte ihm denn gefallen? „Heidi“, sagt er spontan und denkt dabei an ein Mädchen mit Schmollmund und großen Brüsten.

„Ha no!“, sagt die Mutter und beißt in den Keks, und notgedrungen nimmt sich auch der Vater einen.

„Guat!“, sagen sie mit vollem Mund, und die Mutter denkt, er wird schon noch eine finden, die auch backen kann, er ist ja noch jung. Der Vater überlegt, ob noch genügend Schnaps im Hause ist.

„Nehmt euch noch einen“, ermuntert sie der Bub. „Die Heidi tät’s freuen.“

„Weil heut ’s Chrischtkindle kommt“, seufzt die Mutter und greift noch mal zu.

Leck mich, denkt der Bub, der Kumpel hat recht gehabt, die ziehen wirklich. Er kichert.

… sagt der Vater und reicht die Sektgläser. Kessler Hochgewächs. Es hätte ja auch, weil Weihnachten ist, ein echter Champagner sein können, aber entweder Bienenwachskerzen oder Champagner, er hat ja keinen Geldscheißer.

Der Junge mag so Blubberwasser nicht, aber was soll’s, ist ja egal, mit was man sich zuschüttet.

Dem Vater wäre ein Bier auch lieber gewesen, aber er will ja auch etwas zur Weihnachtsstimmung beitragen.

… sagt die Mutter, trinkt den Sekt und schaut gerührt ihre Lieben an. So muss Weihnachten sein, die Familie friedlich zusammen und glücklich und der Baum geschmückt, und aus der Küche duftet es. Und wenn sie aus dem Fenster schaut, sieht sie in der Ferne die Esslinger Burg mit einer Kuppe aus Schnee. Weiße Weihnachten! Kann es Schöneres geben?

… sagen die Mutter und der Vater und überreichen sich die Geschenke. Ausnahmsweise muss in diesem Jahr die Bescherung vor dem Essen sein, denn da ist ja das Tranchierbesteck dabei, das er sich ausgesucht hat.

Er macht sein Paket auf und strahlt. Das Tranchierbesteck! Eine gelungene Überraschung. Die Mutter nestelt an dem Geschenkpapier und kriegt den Knoten der Schnur nicht auf. Der Vater hilft mit dem Tranchiermesser. Heideblitz, ist das scharf!

Die Mutter öffnet das Kästchen und stößt einen spitzen Schrei der Glückseligkeit aus. Die Perlenkette, die sie sich gewünscht hat! Dann schaut sie genauer hin und merkt, dass es doch nicht die ist, die sie sich ausgesucht hat, bei der hier sind die Perlen viel kleiner und demzufolge billiger. Sie wundert sich selber, dass sie gar nicht sauer wird, sondern glücklich gluckst. Erleichtert stößt der Vater die Luft aus. Irgendwie ist ihr alles egal, Hauptsache, dass sie alle so fröhlich sind.

Der Junge kriegt nichts, das neue iPhone war sein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.

… sagt der Vater und öffnet den schweren Roten, den er sich für teures Geld hat aufschwatzen lassen. Aber weil Weihnachten ist, hat er sich nicht lumpen lassen, er ist ja kein Geizkragen. Eigentlich sind sie ja keine Weintrinker, aber weil Weihnachten ist …

„Und Prösterchen!“, sagt er und leert sein Glas in einem Zug. Er fühlt sich ganz beschwingt. Und wenn er die Mutter anschaut, wird ihm richtig zärtlich zumute, ganz ungewohnte Gefühle sind das. Weihnachten ist halt doch das Fest der Liebe, denkt er.

… sagt die Mutter und stellt die Gans auf den Tisch. Sie ist etwas verbrannt, aber die Haut kann man ja abmachen, die ist sowieso zu fett. Sie weiß auch nicht, weshalb sie plötzlich lachen muss, als sie die Gans anschaut.

Der Vater reibt sich erwartungsfroh die Hände. Es war ein Kampf gewesen, sie von den Saitenwürstle mit Kartoffelsalat abzubringen, die es natürlich aus alter Tradition jedes Jahr gab.

Ein halbes Jahr hat er auf die Saitenwürstleallergie hingearbeitet und das ganz gut hingekriegt. Was war das immer ein Gejammer und Gestöhne, und aufs Klo ist er gerannt und hat gewürgt, dass er sich fast selber geglaubt hat. Und danach hat er immer einen großen Schnaps gebraucht, bis sich sein Magen wieder beruhigt hatte. Aber irgendwann hat sie’s geglaubt. Darauf noch ein Glas Burgunder!

… sagt der Vater und erhebt sich. Ihm wird etwas schwummrig vor den Augen, aber das wird sich schon wieder geben. Er greift zum neuen Tranchierbesteck.

„Sodele“, sagt er, in der einen Hand das Messer, in der anderen die Gabel, und schaut die Gans prüfend an. Irgendwie wird er sie schon klein kriegen, deswegen hat er sich ja das scharfe Messer schenken lassen.

Dann beginnt er, an dem Vogel herumzusäbeln. Andauernd kommt ihm ein Knochen in die Quere, durch den selbst sein scharfes Messer nicht kommt.

Ergriffen schaut die Mutter zu. Was hat sie doch ein Glück mit ihrer Familie! Sie kann sich nicht erinnern, jemals so fröhliche Weihnachten erlebt zu haben. Sie muss lachen vor lauter Freude und prostet der Gans erwartungsfroh zu. Das war eine gute Idee von ihr, am Weihnachtsabend endlich einmal was anderes auf den Tisch zu bringen als Saitenwürstle. Da hat es sich gut getroffen, dass der Vater eine Saitenwürstleallergie bekommen hat und sie ihn nicht lange überreden musste.

Die Gans leistet hartnäckig Widerstand.

„Glomp, verreckts!“, schreit der Vater wütend und wirft die lange Gabel beiseite, die immer wieder von den Knochen abrutscht. Die Gans hält er mit der Hand fest und haut immer zorniger mit dem Messer auf den Vogel ein. Irgendwer kichert.

Und plötzlich liegt auf der malträtierten Gans eine Fingerkuppe.

Die Mutter weiß nicht, warum, aber sie muss lachen, es sieht einfach zu komisch aus, diese weiße Fingerkuppe auf der schwarz verbrannten Gans. Weiße Weihnachten!, kommt ihr in den Sinn.

Sie steht auf, ihr ist etwas durmelig, greift sich die Tranchiergabel und versucht, das Ding aufzuspießen.

Fassungslos starrt der Vater auf seinen Finger, aus dem das Blut pumpt, und auf die Mutter, die vor Lachen Tränen in den Augen hat und mit der Tranchiergabel herumfuchtelt. Wer hatte bloß diese bescheuerte Idee mit der Gans? Auf einmal muss er auch lachen, und dann sticht er zu.

Immer noch lachend schaut die Mutter auf das Messer in ihrer Brust. Dann ist sie still, kippt vornüber und erwischt den Vater mit der Tranchiergabel am Hals. Der Vater stürzt hinterrücks in den Weihnachtsbaum und reißt ihn zu Boden. Der Weihnachtsschmuck aus echtem Glas zerbirst mit hellem Klang, als ob Englein sängen, die Scherben bohren sich in seinen Nacken. Die Bienenwachskerzen machen sich über das dürre Geäst her.

… sagt der Bub und schaut fasziniert zu, wie die Flammen sich die Vorhänge emporarbeiten. Ihm ist ganz warm. Er kichert.

Tod unterm Tannenbaum

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